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"Das ist der richtige Anfang"

Transnet-Chef Alexander Kirchner hat das Vorgehen des neuen Bahn-Vorstandsvorsitzenden Rüdiger Grube in der Datenaffäre begrüßt. Mit Blick auf die Umstrukturierung an der Unternehmensspitze sagte Kirchner, es sei der Neuanfang, den er sich erhofft habe. Nun müsse es vor allem darum gehen, das Vertrauen wiederherzustellen. Dabei sei es wichtig, aufzuklären, was mit den Daten passiert sei.

Alexander Kirchner im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Gestern wurde in Berlin das Ende der Ära Mehdorn zelebriert. Unter dem neuen Chef Rüdiger Grube trennt sich die Bahn von vier Vorständen. Gehen müssen außerdem der Leiter der Konzernrevision, der Sicherheitschef und der Antikorruptionsbeauftragte.
    Am Telefon ist jetzt Alexander Kirchner, Mitglied des Aufsichtsratsausschusses, der die Datenaffäre der Bahn untersucht, und Vorsitzender der Gewerkschaft Transnet, der mit 230.000 Mitgliedern größten Bahngewerkschaft. Guten Morgen, Herr Kirchner.

    Alexander Kirchner: Guten Morgen!

    Spengler: Herr Kirchner, der neue Bahnchef Rüdiger Grube macht Nägel mit Köpfen, er wechselt sein Führungspersonal aus, er schneidert Unternehmensbereiche neu zu. Ist das der Neuanfang, den Sie gewollt haben?

    Kirchner: Ja. Das ist der Neuanfang, den wir gewollt haben. Wir haben die Datenaffäre aufgeklärt, wir haben im Aufsichtsrat die Sonderermittler eingesetzt und die Untersuchung aus den Händen des Vorstandes in den Aufsichtsrat reingenommen, und nachdem jetzt die Fakten vorliegen, müssen natürlich auch die Konsequenzen gezogen werden. Das macht Herr Grube mit dem Aufsichtsrat zusammen und das ist der richtige Anfang.

    Spengler: Spüren Sie schon atmosphärisch, dass sich etwas geändert hat im Unternehmen?

    Kirchner: Ja. Zumindest kann man sagen, dass es natürlich jetzt mit Herrn Grube und mit dem Vorgehen eine andere Herangehensweise wie beim Datenskandal gegeben hat. Wir hoffen, dass natürlich darüber hinaus wir auch eine andere Kultur im Unternehmen bekommen. Es gibt einen Vertrauensbruch, der durch den Vorstand ausgelöst worden ist. Wenn man den Mitarbeitern nicht mehr vertraut, Daten und das Verhalten der Mitarbeiter ausspioniert, kommt es natürlich dazu, dass auch die Mitarbeiter kein Vertrauen mehr gegenüber dem Vorstand haben. Deshalb natürlich auch diese harten Schnitte und jetzt muss neben dem Aufklären des Datenskandals daran gearbeitet werden, dass dieses Vertrauen wieder hergestellt wird, denn ein Unternehmen, das kein Vertrauen in die Mitarbeiter hat, wird nicht die Mitarbeiter motivieren können.

    Spengler: Zurzeit ist das noch nicht wiederhergestellt?

    Kirchner: Nein. Wir sind am Anfang. Ich sage mal, die Datenaffäre aufzuklären ist eines; es sind aber tausende von Mitarbeiter ausspioniert worden. Hier muss aus unserer Sicht jedem einzelnen Mitarbeiter Genüge getan werden, soweit er das wünscht, muss aufgeklärt werden, was mit seinen Daten passiert ist, wie tief das auch letztendlich rechtlich, arbeitsrechtlich für ihn Konsequenzen hatte, und soweit ihm Nachteile entstanden sind, muss eine Entschuldigung, eine moralische Wiedergutmachung und auch eine finanzielle Wiedergutmachung gemacht werden.

    Spengler: Das heißt, jeder einzelne Mitarbeiter hat ein Anrecht darauf, genau zu erfahren, was mit seinen Daten geschehen ist?

    Kirchner: So weit wir festgestellt haben, dass ein Mitarbeiter auf dieser Grundlage der Spähaktionen tatsächlich herausgefiltert worden ist, muss er die Möglichkeit haben, erst mal davon informiert zu werden, dass er Betroffener ist, und aber auch die Möglichkeit haben, dass im Detail aufgeklärt ist, was ist da passiert.

    Spengler: Herr Kirchner, die Berichterstatter haben ja systematischen Datenschutz und Betriebsverfassungsgesetzverstoß festgestellt. Rückblickend: Was war für Sie der schlimmste Verstoß?

    Kirchner: Der schlimmste Verstoß, auch wenn es mit Externen passiert ist, ist, dass man in die Privatsphäre der Mitarbeiter auch außerhalb des Unternehmens reingeschaut hat, dass man Kontenbewegungen von privaten Konten sowie das Verhalten außerhalb der Arbeit sich angeschaut hat. Das ist, glaube ich, doch das schlimmste, was man sich überhaupt vorstellen kann.

    Spengler: Sind denn jetzt noch Fragen offen, oder ist der Skandal aufgeklärt?

    Kirchner: Er ist zumindest so weit aufgeklärt, dass der Aufsichtsrat sowie Herr Grube die Möglichkeit haben, die strukturellen und organisatorischen Konsequenzen zu ziehen, dass wir wissen, dass wir die Regelwerke anpassen müssen und dass die personellen Konsequenzen gezogen werden können. Detailaufklärung bis in den letzten Fall, das war einfach zu viel, zu viel Material, das gesichtet werden muss. Da muss noch weitergemacht werden.

    Spengler: Herr Mehdorn hat das Unternehmen verlassen, vier Vorstandsmitglieder gehen, alle sollen von dem Datenmissbrauch nichts gewusst haben, es ist ihnen jedenfalls nicht nachweisbar. Glauben Sie das?

    Kirchner: Ich weiß nicht, ob man das mit glauben oder nicht glauben beantworten kann. Im Aufsichtsrat, haben wir gesagt, müssen wir uns auf das verlassen, was uns die Sonderermittler mitgeteilt haben. Sie haben über Wochen mit vielen Menschen, die sie eingesetzt haben, Akten gesichtet, Interviews geführt, weit über 180 Interviews geführt, und alle möglichen Beteiligten auch befragt, die direkt oder indirekt damit zu tun hatten, und da bleibt uns nichts anderes übrig, uns auf das zu verlassen. Aber im Ergebnis müssen sie ja feststellen, dass neben dem, was die Ermittler uns gesagt haben, dass es keine direkte Verantwortung oder kein direktes Verhalten der Vorstände gegeben haben soll, noch Konsequenzen gezogen worden sind. Was will man mehr tun als das, was wir getan haben?

    Spengler: Aber was sagt das? Sagen wir mal, es wäre wirklich so, dass die Vorstände nichts gewusst haben, was sagt das über ihre Art, über ihre qualifizierte Arbeit aus?

    Kirchner: Genau das ist ja der Punkt, dass es nicht nur ausreicht zu sagen, ich habe nichts gewusst, ich habe nichts gesehen, oder ich habe nichts getan, sondern letztendlich wenn ich Vorstand bin in einer solchen Funktion und unter mir in meiner Verantwortung solche Dinge passieren, dann habe ich die Verantwortung und die Verpflichtung, da genauer hinzuschauen. Wenn es um einen Fall gegangen wäre, hätte man ja noch sagen können okay, ist passiert, habe ich nichts von gewusst, aber es ist ja über Jahre hinaus - und das systematisch - diese Ausspähung vorgenommen worden und da reicht es nicht nur aus zu sagen, ich habe nichts davon gewusst. Deshalb ist ja auch so gehandelt worden.

    Spengler: Hat sich der Aufsichtsrat etwas vorzuwerfen?

    Kirchner: Auch das haben wir selbstverständlich prüfen lassen, dass die Frage sich stellt, welche Verpflichtungen hatte und hat der Aufsichtsrat und hat er nach dem Aktienrecht seine Verpflichtungen wahrgenommen. Die Ermittler kommen zu den Erkenntnissen ja, der Aufsichtsrat hat, als die ersten Informationen erkennbar waren, sofort gehandelt, in dem damals dafür zuständigen Prüfungsausschuss Fragen gestellt, wurde informiert, dass nichts vorliegt, es wurden Nachfragen gestellt und dann, als das sich mehr und mehr zugespitzt hat, haben wir als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nicht nur Sondersitzungen gefordert, sondern letztendlich aktiv gehandelt und durch die Einsetzung der Sonderermittler und das Vorgehen kann man also nachweisen, dass wir als Aufsichtsratsmitglieder sehr wohl unserer Pflicht Genüge getan haben.

    Spengler: Am Telefon im Deutschlandfunk ist der Transnet-Gewerkschaftschef Alexander Kirchner. - Herr Kirchner, Frau Suckale ist nun weg, Herr Hansen geht weg, also die beiden letzten Personalvorstände. Das heißt, Gewerkschaften, Betriebsräte haben derzeit keinen Ansprechpartner im Konzern. Wie problematisch ist das?

    Kirchner: Das ist sehr problematisch. Schon in den letzten Wochen war es sehr schwierig, auch hier in dem Konflikt mit Ansprechpartnern zusammenzuarbeiten, die entweder krank, oder nicht da, oder halt eben auch in dem Thema ein Stück weit verhaftet waren. Und jetzt, wo Herr Grube den Konzern umbaut beziehungsweise auch die Konsequenzen aus der Datenaffäre zieht, ist es notwendig, dass wir sehr schnell auch wieder zu einem Arbeitsdirektor kommen, der in der Lage ist, nicht nur zwischen Arbeitnehmern und Vorstand zu vermitteln und den Job dort zu machen, sondern auch mithilft, genau diese Themen dann auch auf den Weg zu bringen.

    Spengler: Beanspruchen Sie Mitsprache bei der Auswahl?

    Kirchner: Selbstverständlich beanspruchen wir Mitsprache bei der Auswahl. Wir sind zwar kein montanmitbestimmtes Unternehmen, aber der Arbeitsdirektor ist die Nahtstelle zwischen Arbeitnehmer und Vorstand und da sind wir sehr wohl der Meinung, dass das nicht gegen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat passieren darf.

    Spengler: Haben Sie schon einen Wunschkandidaten?

    Kirchner: Es gibt mehrere geeignete oder gute Kandidaten, die wir haben. Da sind wir zurzeit in der Prüfung, in der Abstimmung mit Herrn Grube, mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, und gehen Sie mal davon aus, dass wir sehr zügig zu einer Entscheidung kommen werden.

    Spengler: Namen wollen Sie noch nicht nennen?

    Kirchner: Nein, möchte ich nicht.

    Spengler: Kurze Frage zum Schluss. Braucht die Bahn neben der personellen Neuausrichtung, der strukturellen Neuausrichtung auch eine unternehmerische Neuausrichtung, weg vom internationalen integrierten Logistikkonzern, hin zu einem Unternehmen, in dem der vernetzte Personen- und Güterverkehr Priorität hat?

    Kirchner: Eine Neuausrichtung weiß ich nicht, eine Neufokussierung ja, aber nicht in die Richtung, wie Sie sagen. Ich glaube, dass es keine Alternative zum internationalen Logistikkonzern gibt. Das heißt noch lange nicht, dass man alles das, was in der Vergangenheit gemacht worden ist, auch in Zukunft tun muss. Es ist schon die Frage, warum sich die Bahn AG im Ausland an S-Bahnausschreibungen in Schweden oder sonst irgendwo beteiligt. Ich glaube, man muss einfach sagen, dass die Internationalisierung notwendig ist, weil auch die Globalisierung fortschreitet und Güter nicht nur in Deutschland transportiert werden. Wer glaubt, dass man die Bahn so betreiben kann wie früher, dass Gut irgendwo auf der Schiene aufgenommen wird und woanders auf der Schiene wieder abgeladen wird, der wird feststellen, dass über den Weg nichts zu holen ist. Wenn man sich Europa anschaut, haben die Bahnen, die ein solches Konzept haben, in den letzten Jahren an Marktanteil verloren, ist das Gut auf die Straße gewandert, während wir bei der Bahn hier in Deutschland den Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene steigern konnten, weil man ganze Logistikketten angeboten hat. Letztendlich geht es um die Frage, dass wir dort prüfen müssen: Alles was passiert muss letztendlich dazu führen, dass dem Schienenverkehr in Deutschland daraus Vorteile entstehen und dass mehr Gut auf die Schiene kommt und von der Straße weg. Das muss die Orientierung für das Handeln des Unternehmens sein.

    Spengler: Alexander Kirchner, der Vorsitzende der Bahngewerkschaft Transnet. Danke für das Gespräch, Herr Kirchner.

    Kirchner: Danke auch.