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"Das ist doch ein Ausmaß an Heuchelei"

Der Journalist Hans Leyendecker wirft seinen Berufskollegen in der Debatte um eine Veröffentlichung des Untersuchungsberichts zur BND-Affäre Heuchelei vor. Journalisten, die das Informationsfreiheitsgesetz gefordert hätten, dürften nun nicht gegen eine Veröffentlichung des Berichts kämpfen, sagte Leyendecker, der selbst vom BND observiert wurde. In dem Bericht werden Fälle von Bespitzelungen unter Journalisten im Auftrag des BND geschildert.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Erst vor zwei Tagen hatte sich das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Um die Affäre um die Bespitzelung von Journalisten durch den BND aufzuklären, hatten die Abgeordneten angekündigt, den betreffenden Bericht des Sonderermittlers Gerhard Schäfer zu veröffentlichen. Doch nun melden einige betroffene Journalisten Bedenken an, beispielsweise der Publizist Erich Schmidt-Eenboom, ein "Focus"-Redakteur und Andreas Förster von der "Berliner Zeitung". Sie fürchteten dadurch einen Eingriff in ihre Privatsphäre, hieß es gestern in "Spiegel Online". Unterdessen hat sich Schmidt-Eenboom gegenüber dem Fernsehsender Phoenix nun doch für eine Veröffentlichung ausgesprochen.

    Am Telefon ist nun ein weiterer Kollege, der vom BND observiert wurde: Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung". Guten Morgen!

    Hans Leyendecker: Guten Morgen!

    Engels: Sind Sie mit Blick auf Ihre eigenen Themen, die ja möglicherweise auch im Bericht stehen, auch gegen eine Veröffentlichung dieses Berichts?

    Leyendecker: Nein, bin ich überhaupt nicht. Ich glaube nicht, dass Journalisten, die für das Informationsfreiheitsgesetz eingestanden haben, jetzt auf einmal ausrufen dürfen, da darf nichts veröffentlicht werden. Man muss dafür sorgen, dass das, was wirklich privat ist - da gibt es auch private Dinge bei einigen Kollegen in dem Bericht -, dass die nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Aber über alles andere auch mit den Fehlern, die dieser Bericht hat, wird man dann reden müssen.

    Ich erinnere - das liegt ja ein bisschen zurück - an dieses Caroline-Urteil. Da standen 64 deutsche Chefredakteure auf, weil ein Straßburger Gericht gesagt hatte, die Privatsphäre von Caroline muss geschützt werden. Da schrieen die deutschen Chefredakteure: Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, der investigative Journalismus kann nicht mehr stattfinden. Nun trifft das ganze unsere Zunft, und da lehnen wir uns zurück und sagen, es darf nicht veröffentlicht werden, welches Auto ich fahre. Das ist doch ein Ausmaß an Heuchelei.

    Engels: Sie haben eben das Urteil über Caroline von Monaco angesprochen, das ja in der Tat diese Privatsphäre deutlich in den Mittelpunkt stellte.

    Kommen wir auf einen weiteren Aspekt dieses Themas zu sprechen, nämlich Herrn Schmidt-Eenboom. Heute erhebt die "Süddeutsche Zeitung" selbst schwere Vorwürfe gegen ihn. Auch er sei ein Spitzel des BND geworden. Ihr Blatt beruft sich dabei auf den noch nicht veröffentlichten Bericht des Sonderermittlers Schäfer. Ist denn die Situation so eindeutig?

    Leyendecker: In dem Schäfer-Bericht ist das so drin. Herr Schmidt-Eenboom hat ja selbst eingeräumt, Kontakt gehabt zu haben mit einem Beamten des BND. Der war auf ihn angesetzt worden. Herr Schmidt-Eenboom bekam das auch mit. Er hat sich mit dem mehrmals getroffen. Er hat ihm - das ist unbestritten - Unterlagen übergeben. Das räumt Schmidt-Eenboom auch selbst ein. Das sind Unterlagen eines früheren Stasi-Mannes, der verstorben war. Das finde ich höchst problematisch, dem Dienst überhaupt Unterlagen zu geben. Zum zweiten sind da auch Fragen: Werden eigentlich dann die Nachkommen dieses Mannes gefragt? Das hat er nicht getan, sondern er hat dem BND das Material gegeben mit der Begründung, der BND habe das nicht gehabt und für eine Fallstudie gebraucht. Das finde ich eine schwierige Position.

    Dann hat er den BND auch Einsicht nehmen lassen in Unterlagen. Warum das alles? BND-Leute haben mir das so erklärt, eigentlich sei der Schmidt-Eenboom ein ganz netter Kerl. Der sei an einem sauberen Geheimdienst interessiert, und von daher habe der auch diesen Kontakt gut gefunden.
    Das was nun in dem Schäfer-Bericht darüber hinaus steht, ist natürlich für Schmidt-Eenboom ein Riesenproblem, muss man sagen, nämlich die Behauptung, dass er dem BND berichtet habe, was das Magazin "Monitor" plante. Und der zweite Vorwurf ist, dass der angeblich nach Hamburg geschickt werden sollte, um einem Journalisten im Auftrag des BND 10.000 Mark zu überweisen. Wenn das so wäre, wäre der Ruf Schmidt-Eenbooms in der Szene völlig kaputt. Man wird sehen. Manches in dem Bericht ist ja falsch. Ich kann es an meinen eigenen Geschichten erkennen.

    Engels: Und Schmidt-Eenboom hält auch dagegen. Er sei sehr, sehr einseitig, dieser Schäfer-Bericht.

    Leyendecker:! Ja gut. Ich meine, wenn ich so auftauche, muss ich auch sagen, dass der Bericht sehr einseitig ist. Das ist auch die letzte Fluchtmöglichkeit, die ich noch habe. Der Bericht strotzt also in den Punkten, die ich kenne, von Fehlern, die damit zusammen hängen, dass Nachrichtendienstler das aufnehmen, was Spitzel sagen. Wenn beispielsweise "Focus"-Mitarbeiter - und das ist ja in Wahrheit ein "Focus"-Fall - über diese ganze Geschichte reden, was beim "Spiegel" vorgeht, haben die wenig Ahnung über die Abläufe, die da gewesen sind. Das was sie schildern, hat mit der Realität, die ich erlebt habe - ich war achteinhalb Jahre bei dem Blatt -, wenig zu tun.

    Engels: Nun ist das der eine Aspekt: Journalisten, die möglicherweise zu Spitzeln geworden sind. Da geht die Diskussion sicherlich weiter. Nun gibt es ja diesen auch sehr politischen Aspekt, nämlich die Frage, was hat die BND-Spitze gewusst. Mehrere Aussagen belasten derzeit die früheren Präsidenten, vor allem August Hanning, mittlerweile Staatssekretär. Welches sind Ihre Erkenntnisse dazu?

    Leyendecker: August Hanning wird ja durch die Aussagen nicht belastet. Belastet werden die früheren Präsidenten Porzner und Geiger. Da werden auch alte Schlachten im Moment geschlagen, ehemaliger Mitarbeiter, die an Porzner und Geiger etwas auszusetzen haben. Ich glaube, Porzner und Geiger haben Brosamen dieser Geschichte gekannt.

    Bei Herrn Hanning ist die ganz entscheidende Frage: Was wusste er von der Bespitzelung des Journalisten Andreas Förster von der "Berliner Zeitung"? Er behauptet, er wusste davon gar nichts, sie hätten es an ihm vorbei gemacht. Wenn er davon irgendeine Ahnung hatte, ist er politisch nicht zu halten. Das gleiche gilt mit Abstufung auch für den derzeitigen Präsidenten Ernst Uhrlau, der sagt, er hat von der Aktion gegen Herrn Förster nichts gewusst. Wenn er davon wusste, wird er nicht zu halten sein.

    Ich nehme beiden im Moment ab, dass sie tatsächlich davon nichts wussten. Dann wird man über politische Verantwortlichkeiten reden müssen, insbesondere bei dem früheren Präsidenten Hanning. Ist er auch für Fehler seines Apparates verantwortlich? Das wird dann eine Diskussion sein, ein bisschen so wie wir sie bei Fischer geführt haben in der Visa-Affäre. Nur berechtigt wird diese Frage sein. Nur derzeit sagen Herr Hanning, sagen Herr Uhrlau, davon haben wir keine Ahnung gehabt, davon haben wir erst erfahren durch den Bericht von Herrn Schäfer. Und beide sind Leute, denen ich das im Gegensatz zu manch anderen im BND erst einmal abnehme.

    Engels: Sie überblicken Informationen rund um den BND wie kaum ein anderer Journalist in Deutschland. Ihre, sage ich mal, Ausblicke: Denken Sie, hier wird die Wahrheit, gerade was die politische Verantwortung angeht, noch vollständig ans Licht kommen?

    Leyendecker: Eigentlich kommt bei keiner Affäre die politische Verantwortung ganz ans Licht und die Wahrheit ohnehin nicht. Die kommt immer in kleinen Teilchen vor. Das was man jetzt schon sagen kann, was passieren wird, ist: Die Reputation, das Image des BND, das ja besser geworden ist nach dem 11. September, nach all den Geschichten, wird zerstört, und ich finde, auch völlig zu Recht zerstört. Der BND fällt derzeit zurück in die Zeit, wo man sagte, das sind Schlapphüte, die zu nichts taugen. Das hat der BND sich selbst zuzuschreiben. Wenn da Eigenmächtigkeiten im Apparat sind, muss man sagen, das ist ein Apparat, der Eigenmächtigkeiten zulässt.

    Engels: Denken Sie es ist sinnvoll, einen eigenen neuen BND-Untersuchungsausschuss einzurichten, oder sollte man den jetzt ja schon laufenden Untersuchungsausschuss ergänzen um diese Komponente?

    Leyendecker: Ich wäre dafür, diesen zu ergänzen. Der jetzige Untersuchungsausschuss hat ja ein bisschen das Problem, dass viele der Punkte, die dort behandelt werden, schon bekannt sind. Natürlich sind sie nur in Umrissen bekannt, und Details können interessant sein. Nur, für einen Untersuchungsausschuss brauche ich auch eine Öffentlichkeit. Wenn das Interesse der Öffentlichkeit nachlässt, ist ein Untersuchungsausschuss auch schnell zu Ende, wie wir gelernt haben. Von daher wäre ein solches Thema, das ja politischen Sprengstoff, und ich glaube, auch medialen Sprengstoff bietet - nämlich hier wird es darum gehen, was machen wir eigentlich, wie sieht unser Berufsstand aus, wie sauber ist der, was sind in diesem Berufsstand für Sumpfblüten -, ganz nützlich. Das täte einem Ausschuss ganz gut. Von daher bin ich eigentlich dafür, den Ausschuss, der jetzt läuft, auszuweiten.

    Engels: Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung". Ich bedanke mich für das Gespräch!