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"Das ist ein fairer Kompromiss"

Für den Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem trifft der Streikaufruf der Ärzteverbände die Falschen: Ihre Forderungen seien an den Gesetzgeber zu richten, nicht an die durch die Arbeitsniederlegungen betroffenen Patienten, so Wasem. Er hatte im Honorarstreit als eine Art Schlichter fungiert.

Jürgen Wasem im Gespräch mit Christine Heuer |
    Christine Heuer: Dreieinhalb Milliarden Euro mehr hatten die Kassenärzte haben wollen im nächsten Jahr, im Sommer boten die Kassen 270 Millionen Euro an. Gestern Abend haben sie noch mal rund eine Milliarde draufgelegt und so dafür gesorgt, dass wir heute überraschend über eine Einigung im Honorarstreit berichten können. Ärzte und Kassen haben sich also geeinigt auf höhere Honorare, aber das reicht den Ärzten nicht aus. Mehrere Zehntausend von ihnen protestieren heute in vielen Gegenden Deutschlands. Es gibt Kundgebungen und es gibt Streiks, Praxen bleiben also geschlossen. Ein Schwerpunkt der Proteste ist ebenfalls Berlin. Den Kompromiss zwischen Ärzten und Kassen vermittelt hat gestern Abend der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem, der in dem Konflikt als eine Art Schlichter fungiert hat und wohl weiter fungieren wird. Guten Tag, Professor Wasem.

    Jürgen Wasem: Ich grüße Sie.

    Heuer: Verstehen Sie, dass die Ärzte heute streiken?

    Wasem: Also konkret mit dem Verhandlungsergebnis von gestern Abend nicht. Ich denke, da muss man die Kirche im Dorf lassen. Das ist ein fairer Kompromiss zwischen beiden Seiten. Wenn ich die Ärzteverbände, die zu dem Streik aufrufen, richtig verstehe, so haben sie weitergehende Forderungen, die auch gar nichts mit der aktuellen Honorarsituation zu tun haben: etwa die Forderung, sie wollen wirklich nur feste Preise. Das ist eine Forderung an den Gesetzgeber, das ist im geltenden Gesetz gar nicht so vorgesehen, dass es überhaupt keine Begrenzungen geben dürfte.

    Heuer: Sie sagen, es ist ein fairer Kompromiss gefunden worden. Wie schwer war es denn, diesen Kompromiss zu finden? Es gab ja wochenlange Auseinandersetzungen.

    Wasem: Ja, das ist richtig. Die letzten Tage, die letzten zwei Wochen habe ich selber intensive Gespräche mit beiden Seiten geführt und mir erst mal versucht, ein Bild zu machen, wo sind die Punkte, wo man beide Seiten abholen kann, und daraus dann erste Überlegungen formuliert, dann wieder mit den beiden Seiten gesprochen und halt so langsam dann ein Paket daraus gebildet, und dann kam es gestern dann zu den – das haben Sie ja mitbekommen, die Presse war ja die ganze Zeit vor den Toren – insgesamt achtstündigen Verhandlungen, bis man dann ein mögliches, von beiden Seiten getragenes Eckpunktepapier fertig hatte.

    Heuer: Im August, Professor Wasem, lautete Ihr Kompromissvorschlag, wenn wir das richtig erinnern, noch 270 Millionen Euro mehr Honorar für die Ärzte. Jetzt ist es eigentlich eine Milliarde mehr geworden. Haben Sie sich da selber auch korrigieren müssen?

    Wasem: Nein, das ist eine ganz andere Baustelle. Wir haben im August besprochen, um wie viel mehr eine einzelne ärztliche Leistung besser bezahlt wird. Das heißt, der reine Preis. Das war ein Beschluss, dass die Preise um 0,9 Prozent erhöht werden, und das macht rund 270 Millionen Euro aus. An dieser Preisentscheidung wird auch gar nichts geändert, das ist auch Bestandteil des Kompromisses von gestern, dass beide Seiten jetzt hinter dieser Preisentscheidung stehen, sondern was da noch ausstand – das war aber auch von Anfang an klar -, sind Entscheidungen über andere Gegenstände. Wir haben gestern etwa entschieden, dass im Rahmen der Bedarfsplanung, also der Planung der Sitze für die Psychotherapeuten, über tausend neue Sitze geschaffen werden sollen. Wir haben ein Paket für neue Leistungen für die Grundversorger, also die sprechende Medizin machen und so, beschlossen. Das hat alles gar nichts mit den Erhöhungen der Preise zu tun. Es war auch von Anfang an klar, dass da noch weitere Verhandlungen geführt werden müssen. Die waren nur extrem schwer, weil die Ärzte bei den 0,9 Prozent, den 270 Millionen, offenbar ein anderes Ergebnis erwartet hatten.

    Heuer: Und unter dem Strich ist es aber so, dass diese ganzen Pakete jetzt eine Milliarde Euro mehr kosten, und zwar die Kassen mehr kosten. Wer hat denn da mehr nachgeben müssen, die Ärzte oder doch die Kassen?

    Wasem: Das ist immer eine schwierige Frage. Die Ärzte hatten ja allein beim Preis 3,5 Milliarden gefordert, wo sie die 270 Millionen bekommen hatten. Bei den anderen Dingen waren dann keine großen, in der Öffentlichkeit mehr behandelten Pakete da. Die Krankenkassen haben beim Preis minus 2,2 Milliarden Euro gefordert. Insgesamt ist es schon ein Ergebnis, bei dem beide Seiten von ihren ursprünglichen Forderungen massive Abstriche lassen mussten. Das hat es auch so schwer gemacht. Wenn man mit solchen Maximalforderungen reingeht und dann kommt ein Ergebnis raus, was da meilenweit von weg ist, dann tut man sich natürlich schwer. Aber ich denke ganz ehrlich, das ist im Interesse der Balance, die wir wahren müssen, zwischen Beitragszahlung und Versorgung.

    Heuer: Haben denn die Patienten etwas von der Einigung? Wir sprechen über die Ärzte, wir sprechen über die Kassen. Wer zahlt am Ende die Rechnung? Tun das die Patienten, oder haben sie sogar wirklich einen Vorteil von dieser Einigung?

    Wasem: Ich denke, in dem, was wir gestern besprochen haben, gibt es durchaus Punkte, von denen ich mir wünschen würde, dass sie echt beim Patienten ankommen. Wie gesagt, ein Baustein ist, dass es 250 Millionen Euro für neue Leistungen der Grundversorgung, also für die Ärzte, die keine hoch technisierten Praxen haben und überwiegend technische Medizin machen, geben soll. Das ist auch nur eine begrenzte Menge Geld, aber ich denke, da kann man schon Akzente setzen. Und beide Seiten haben eigentlich Übereinstimmung, dass wir diese Reform auch der Gebührenordnung, mit der wir versuchen, die Balance zwischen den unterschiedlichen Arztgruppen auszutarieren, dass wir die im nächsten Jahr jetzt ganz energisch in Angriff nehmen.

    Heuer: Aber die Patienten wird all das nicht mehr kosten, beziehungsweise die Beitragszahler wird all dies nicht mehr kosten?

    Wasem: Nun, die 1,1, 1,2 Milliarden Euro sind natürlich zusätzliche Ausgaben der Krankenkassen, die im Moment allerdings nicht dazu führen dürften, dass irgendeine Krankenkasse deswegen einen Zusatzbeitrag einführen müsste, und auch der Gesundheitsfonds – das haben Sie ja auch in Ihrem Sender mehrfach berichtet – hat im Augenblick dicke Reserven. Das heißt, im Moment ist das nichts, was die Beitragszahler zusätzlich Geld kostet.

    Heuer: Herr Wasem, dann lassen Sie uns noch kurz nach vorne schauen. Sie haben das schon erwähnt: Die Ärzte haben weitergehende Forderungen. Zum Beispiel wollen sie feste Preise für ihre Leistungen. Wird da noch mal ein ganz großes Fass aufgemacht, oder sind das Dinge, die leichter zu handeln sein werden in den weiteren Beratungen?

    Wasem: Nein. Das sind Dinge, die auch weit über das hinausgehen, was wir in unserem Gremium überhaupt entscheiden können. Etwa die Forderung feste Preise ist eine Forderung, die muss man an den Deutschen Bundestag richten, weil der Bundestag in seinem Gesetz klar geschrieben hat – und ich habe da großes Verständnis auch für -, dass die Menge der Leistungen, die die Ärzte bezahlt bekommen, im Vorhinein begrenzt wird, und damit haben sie nicht für jede beliebige Menge feste Preise. Wenn man jetzt streikt und richtet eigentlich eine Forderung an den Gesetzgeber, der das bitte ändern sollte, dann nimmt man in gewisser Weise die Patienten in die Geiselhaft für politische Forderungen. Ich finde das schon problematisch.

    Heuer: Und das wird nicht mehr verhandelt unter Ihrer Vermittlung?

    Wasem: Nein! Das sind Gegenstände, die sind im geltenden Recht gar nicht durchsetzbar. Im geltenden Recht haben wir gestern das, was vertretbar erscheint, besprochen. Weitergehende Forderungen, so bezahlt zu werden wie etwa bei der Privatversicherung oder so, das ist im geltenden Recht nicht vorgesehen. Da muss man sich dann an den Bundestag wenden und dann sollte man auch eher über die politische Schiene als über Streiks, die ja dann die Falschen treffen, versuchen, das zu regeln.

    Heuer: Dann gratulieren wir Ihnen zu dem gefundenen Kompromiss von gestern und bedanken uns sehr für das Gespräch, das Sie heute mit uns geführt haben. Das war Professor Jürgen Wasem, Gesundheitsökonom und Schlichter im Honorarkonflikt zwischen den Ärzten und den gesetzlichen Kassen.

    Wasem: Danke! – Tschüß!

    Heuer: Tschüß!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.