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"Das ist ein jämmerliches Schauspiel"

"Es ist ein Punkt gekommen, an dem man erneut eigentlich sagen muss, nun wird es Zeit, dass man über die gesetzlichen Grundlagen des ZDF nachdenkt", sagt Friedrich Nowottny, der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Doch seiner Meinung nach werde sich die Strukturen nichts ändern.

Friedrich Nowottny im Gespräch mit Gerd Breker | 24.11.2009
    Gerd Breker: Am Wochenende haben 35 namhafte Staatsrechtler in einem offenen Brief gegen die Einmischung der Politik in den Rundfunk protestiert. Aktueller Anlass ist die Sitzung des ZDF-Verwaltungsrates am kommenden Freitag, in der es um den Vertrag von Chefredakteur Nikolaus Brender geht. Hessens Ministerpräsident Roland Koch, stellvertretender ZDF-Verwaltungsratsvorsitzender, hatte sich gegen eine Verlängerung ausgesprochen und dies unter anderem wegen rückläufiger Quoten im Informationsbereich begründet. Der Einfluss der Politik auf die Medien, das soll unser Thema sein mit Friedrich Nowottny, dem ehemaligen Intendanten des Westdeutschen Rundfunks und langjährigem Chefs der Sendung "Bericht aus Bonn". Guten Tag, Herr Kollege Nowottny.

    Friedrich Nowottny: Hallo, Herr Breker! Ich grüße Sie.

    Breker: Gefährdet der Einfluss der Politik die Meinungsfreiheit, wie dies die Staatsrechtler befürchten?

    Nowottny: Ich finde, ja. Die Staatsrechtler gehen ja weit über das hinaus, was den Fall des Chefredakteurs beim ZDF ausmacht, und sie haben Recht damit.

    Breker: Politikeinfluss ist ja kein neues Phänomen, Herr Nowottny. Vielleicht ist nur die Offenheit, mit der er diesmal stattfindet, das besondere.

    Nowottny: Wissen Sie, Herr Breker, erfunden wurde ja der Proporz im Rundfunk von Sir Hugh Greene. Er ist der Urvater des Nordwestdeutschen Rundfunks gewesen, Beauftragter der britischen Besatzung. Er hat den Proporz eingeführt, als es darum ging, den ersten NWDR-Intendanten zu wählen. Es hat ihm hinterher leid getan und er hat das in seiner Abschiedsansprache bedauert und hat darauf hingewiesen, dass der parteipolitische Zwang so weit wie möglich zurückgedrängt werden muss. Und als er vom Podium kletterte, zischte ihn der Hamburger Bürgermeister Brauer leise, aber feindselig an und sagte ihm, "Sie werden Ihr Ziel nicht erreichen, Mr. Greene", und Herr Brauer hat Recht behalten.

    Breker: Bis heute?

    Nowottny: Ja, bis heute und vielleicht auch noch bis übermorgen.

    Breker: Nun sollen ja in den Gremien, die den Rundfunk, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrollieren, die gesellschaftlich relevanten Gruppen sitzen, damit diese auch im Programm vertreten sind. Ist das so falsch?

    Nowottny: Na ja, was heißt hier "gesellschaftliche Gruppen"? Im Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks ist kein Regierungsmitglied zum Beispiel, aber es sind die gesellschaftlichen Gruppen vertreten und das ist eine Versammlung von Nahestehern und man achtet darauf, dass die jeweilige Mehrheit von Nahestehern zu bilden ist.

    Breker: Also Personalpakete werden auch heute noch geschnürt nach dem Parteienproporz und Qualität und Fähigkeiten sind zweitrangig?

    Nowottny: Nein, nicht zwangsweise und nicht logischerweise. Es gibt auch glückliche Umstände, wo die Qualität eines parteilosen Bewerbers überzeugt. Es ist ja - und das muss man vielleicht am Rande erwähnen - auch für Journalisten keine Schande, in einer Partei zu sein, aber sie sollen, wenn sie ihre Arbeit verrichten, das Parteibuch aus dem Kopf streichen und zu Hause lassen.

    Breker: Geschieht denn die Einflussnahme der Parteien auf den Rundfunk nur über Posten und Positionen und Personen, oder auch um Inhalte?

    Nowottny: Aber ich bitte Sie! Die Parteien leiten doch ihren Anspruch zur Mitsprache davon ab, dass ihnen das Bundesverfassungsgericht attestiert hat, jedenfalls den Ländern, dass sie die Träger der Rundfunkhoheit sind, und das nutzen die nach Gutsherrenart aus - jedenfalls im ZDF.

    Breker: Wie es ausschaut. Nun haben sich heute 17 deutsche Erstunterzeichner der im Frühjahr verabschiedeten europäischen Charta für Pressefreiheit gegen den Einfluss, den massiven politischen Einfluss auf das ZDF gewendet. Kann jetzt ein Proteststurm da noch was verändern?

    Nowottny: Ich weiß nicht, was im Kopf von Herrn Ministerpräsidenten Koch vor sich geht. Er hat ja die Geschichte angedreht und er hat sich darauf verlassen, dass er im Verwaltungsrat des ZDF eine Mehrheit haben wird. Das ist noch nicht entschieden. Aber ich muss Sie auch daran erinnern, verehrter Herr Kollege Breker, was bei der Wahl des Intendanten des ZDF vor einigen Jahren über die Bühne gegangen ist. Das war 2002, wenn ich mich recht erinnere. Da hatten wir ja auch den Versuch, den Intendanten überhaupt nicht zu wählen, der zur Wahl stand, und der jetzige Intendant war, glaube ich, zweite oder dritte Wahl. Er macht seinen Job hervorragend und er muss in seinem Versuch, jetzt seinen Chefredakteur durchzusetzen, erleben, dass die Macht der Parteien in seiner Amtszeit nicht geringer geworden ist, sondern sie ist schamloser geworden.

    Breker: Schamloser geworden?

    Nowottny: Ja, schamloser!

    Breker: Herr Nowottny, wie kann man aus diesem Dilemma herauskommen?

    Nowottny: Das ist eine Frage der Gesetzgebung. Die Länder haben ja als "Träger" des ZDF, sage ich einmal, es verstanden, alle Organe sich so sortiert zusammensetzen zu lassen, dass sie ihnen dienen. Da gibt es diese schrecklichen Freundeskreise im Fernsehrat des ZDF. 77 Persönlichkeiten sind dort vertreten. Aber man trifft sich vor den entscheidenden Sitzungen immer in den Freundeskreisen. Da ist der Freundeskreis Links, da ist der Freundeskreis Rechts. Brender hat sich immer geweigert, weder zu dem einen, noch zu dem anderen zu gehen. Er hat seine Unabhängigkeit verteidigen wollen, aber Sie sehen: es hat nichts genutzt. Und der Verwaltungsrat mit seinen fünf Ministerpräsidenten, die da drinsitzen, ist natürlich ein Gremium, das abhängig von den Mehrheiten in den Ländern ist, und der Vorsitzende des Verwaltungsrats ist Kurt Beck, Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz. Er will für diesen Chefredakteur stimmen und er kriegt aber keine Mehrheit. Das ist ein jämmerliches Schauspiel, das uns da geboten wird, und es geht weit über den Fall Nikolaus Brender hinaus. Es ist ein Punkt gekommen, an dem man erneut eigentlich sagen muss, nun wird es Zeit, dass man über die gesetzlichen Grundlagen des ZDF nachdenkt. Ich sage Ihnen, was hinterher passieren wird, wie immer die Sache ausgeht. Nichts wird passieren, denn man hat sich so wohlig eingerichtet und geht immer davon aus, dass es ja das Verfassungsgerichtsurteil gibt und den Artikel 21 Grundgesetz. Da steht ja so schön drin im ersten Satz: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit". Na, wirkt das ZDF daran mit, oder nicht, Herr Breker?

    Breker: Die Parteien wirken mit, aber sie bestimmen nicht alleine. So sollte es sein.

    Nowottny: Ja, so müsste es ausgelegt werden korrekterweise. Es wird aber nicht so ausgelegt.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Friedrich Nowottny, der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks und heute noch aktiver Journalist. Herr Nowottny, danke für dieses Gespräch.

    Nowottny: Ich danke Ihnen, Herr Breker.