Archiv


Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel

Der iranische Politikwissenschaftler Shahram Najafi glaubt, dass bei einer Wiederauszählung der Stimmen nur einige Wahlbezirke überprüft würden. Das wiederum würde am Gesamtergebnis wenig ändern. Entscheidend sei, wie der mächtigste Mann im Land, Ayatollah Ali Khamenei, weiter handeln werde. Er selbst haben Präsident Ahmadinedschad aufgebaut, könnte aber wohl auch mit Mussawi leben.

Shahram Najafi im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Die Protestbewegung im Iran lässt sich offenbar nicht einschüchtern. Trotz eines Verbotes ruft sie auch heute wieder zu einer zentralen Kundgebung für den Nachmittag auf. Das ist für die Teilnehmer nicht ungefährlich. Sie haben die iranischen Sicherheitskräfte gegen sich und der iranische Staat lässt auch die Anhänger von Präsident Mahmud Ahmadinedschad gegen sie aufmarschieren. Es gibt Tote und Verletzte. - Aus dem Iran zu berichten, das wird auch für die Auslandskorrespondenten immer schwieriger.

    In Teheran spielt sich der Protest auf zwei Ebenen sozusagen ab, und zwar im Wortsinn. Die Demonstranten marschieren trotz aller Verbote durch die Straßen und zu den Kundgebungsplätzen, aber da das nicht ungefährlich ist, hat sich der Protest zusätzlich eine Etage oder gleich mehrere nach oben verlagert. Die Protestrufe schallen auch von den Dächern herab auf die iranische Hauptstadt.

    Das wichtigste Medium, in dem die Opposition miteinander zu kommunizieren versucht, das ist das Internet und das sind die Mobiltelefone. Auch wenn der iranische Staat versucht zu zensieren, viele Informationen gelangen offenbar doch noch auf diesem Wege unter anderem auch ins Ausland. In Berlin informiert sich so beispielsweise der iranische Politikwissenschaftler Shahram Najafi. Guten Tag, Herr Najafi.

    Shahram Najafi: Schönen guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Was haben Sie heute alles über das Internet über den Iran erfahren?

    Najafi: Hauptsächlich genau die Informationen, die wir aus dem Internet erhalten, dass das Netz ständig abgeschaltet wird, dass das Internet nicht zugänglich ist, vor allem die beliebtesten Seiten wie Facebook oder Rajanews, die die Informationen von Mussawis Seite ins Netz stellen. Die werden ständig gefiltert, oder die Leute werden am Zugang zu den Informationen behindert.

    Meurer: Gelangen Informationen doch noch über das Internet ins Ausland oder innerhalb des Iran?

    Najafi: Die Informationen werden trotzdem per E-Mail verschickt, oder sobald das Mobilfunknetz wieder eingeschaltet ist, werden SMS verteilt. Telefonisch werden die Informationen weitergegeben, oder per E-Mail werden Seiten, die als Notseiten eingerichtet werden, weitergegeben. Wenn eine Seite gesperrt wird, dann bekommt man per E-Mail eine weitere Seite, die die gleichen Informationen verbreitet.

    Meurer: Das klingt nach einem regelrechten Katz-und-Maus-Spiel im Netz?

    Najafi: Das ist richtig. Das ist ein Katz und Maus-Spiel. Seit der großen Demonstration, vor allem seitdem es Tote gegeben hat, habt sich jetzt auch die andere Seite auf diesen Cyber-Krieg, könnte man schon sagen, eingelassen, indem die Anhänger von Mussawi oder Caruwi oder auch Leute, die einfach für Demokratie stehen, angefangen haben, die Seiten von ihren Gegnern, Ahmadinedschad oder staatliche Seiten anzugreifen, indem sie massenhaft Anfragen auf diese Seiten schicken, wodurch sie dann blockiert werden.

    Meurer: Was lesen Sie, Herr Najafi, wie die Demonstranten ums Leben gekommen sind?

    Najafi: Wie viele meinen Sie?

    Meurer: Wie, auf welche Art und Weise?

    Najafi: Durch Schüsse sind einige in Teheran erschossen worden, als sie dem Hauptquartier der Bassiji zu nahe gekommen sind.

    Meurer: Das ist welches Gebäude?

    Najafi: Bassiji-Gebäude. Das sind die Milizen der Freiwilligen-Milizen. Es gibt aber darüber unterschiedliche Berichte. Einige sagen, dass die Leute zu nahe an dieses Gebäude rangekommen sind, die Demonstranten, oder sogar Feuerwerkskörper oder Feuer auf dieses Gebäude geschmissen haben, und erst danach hätten die Bassiji zurückgeschossen. Einige sagen, dass das so nicht stimmt, dass es genau anders herum ist, dass die Bassiji einfach angefangen hätten, in die Menge zu schießen, und daraufhin wurde das Gebäude in Brand gesetzt.

    Ganz viele Leute sind auch umgekommen, als die nächtlichen Überfälle auf die Studentenwohnheime passiert sind. Die Bassiji sind nachts einfach, also Bassiji, Hisbollah, unterschiedliche Guards, unterschiedliche Soldaten oder Sicherheitskräfte einfach. Es gibt unterschiedliche Sicherheitskräfte, die auch sozusagen eine Balance im Land halten - seien es jetzt die Pastaran, die die reguläre Armee in Schach halten, womit nebenbei bemerkt auch ein Putsch ausgeschlossen ist.

    Meurer: Der Wächterrat im Iran, Herr Najafi, will jetzt innerhalb von zehn Tagen die Stimmen der Präsidentschaftswahl auszählen. Ist das die große Hoffnung jetzt?

    Najafi: Ob das jetzt dazu kommt oder nicht, ist noch ungeklärt. Der Sprecher des Wächterrates hat gestern angekündigt, dass die Wahrscheinlichkeit der Annullierung der Wahl nicht undenkbar sei. Diese Definition kann ziemlich weit ausgelegt werden. Und wenn es zu einer Wiederauszählung der Stimmen kommt, wird das nur partiell geschehen. Das heißt, die werden nicht die gesamten Stimmen wieder zählen, sondern nur in einigen Wahlbezirken sollen die Stimmen erneut ausgezählt werden.

    Meurer: Und das würde dann am Gesamtergebnis nichts verändern?

    Najafi: Das würde wahrscheinlich am Gesamtergebnis nicht viel ändern, aber das sind natürlich alles Spekulationen. Die Situation ist dermaßen verfahren und komplex, dass man nicht wirklich eine Prognose stellen kann, wie es weiterläuft. Es gibt Variationen, die durchzudenken wären.

    Meurer: Nennen Sie uns die, die Sie am wahrscheinlichsten halten?

    Najafi: Schwer zu sagen. Ich gehe erst mal davon aus, dass der mächtige Mann im Land, Herr Khamenei, nicht wirklich viel zu verlieren hat. Die Unterschiede zwischen Mussawi und Ahmadinedschad sind zwar groß, sie kommen aber aus einer gewissen Riege. Sie gelten beide als das, was den konservativen Teil des Machtapparates ausmacht, wobei sie wiederum auch große Unterschiede untereinander haben, aber im großen Block gesehen ist Mussawi eher zu den Konservativen zu zählen - zumindest vor der Wahl - als zu den Reformern.

    Meurer: Das heißt, der geistliche Führer Khamenei könnte auch mit Mussawi, dem Oppositionsführer, gut leben?

    Najafi: Er könnte auch mit ihm leben. Ob er gut mit ihm leben will? Er wird auf jeden Fall besser mit Ahmadinedschad leben, zumal er Ahmadinedschad selbst mit aufgebaut hat. Khamenei hat jetzt in den letzten 20 Jahren im Schatten vom großen Ayatollah Khomeini gestanden und um aus diesem Schatten herauszukommen, hat er seine eigenen Leute, eine neue Generation, die keinen Turban trägt, in verschiedene Schaltzentralen der Macht installiert. Das heißt, dass er auf jeden Fall darauf setzen wird, mit Ahmadinedschad weiterzuarbeiten, und ich glaube, dass sich daran auch nichts ändern wird. Er hat gleich am Tag nach der Wahl Ahmadinedschad bestätigt, er hat ihm gratuliert, und in den letzten Tagen hat er immer wieder diese Präsidentschaft bestätigt, dass er Präsident ist, dass die anderen sich doch mit ihrer Wahlniederlage abfinden sollen und dass er es ja verstehen könne, dass es schwer ist, dass man verliert, aber die Leute sollen doch bitte wieder zur Vernunft kommen.

    Meurer: Der iranische Autor und Politikwissenschaftler Shahram Najafi in Berlin, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Schönen Dank und auf Wiederhören, Herr Najafi.

    Najafi: Schönen Dank! Auf Wiederhören.