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"Das ist ein klarer Verfassungsbruch"

Im Umweltausschuss des Bundestages liefern sich Regierung und Opposition beim Thema Atomzeitverlängerung einen erbitterten Schlagabtausch. Heute soll das Atomgesetz im Bundestag endgültig verabschiedet werden, begleitet von Protesten am Brandenburger Tor.

Ulrich Kelber im Gespräch mit Stefan Heinlein | 28.10.2010
    Auch die Opposition macht mobil - SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber ist überzeugt die großen Fortschritte bei erneuerbaren Energien würden "jetzt kaputt gemacht".

    Stefan Heinlein: Mitgehört hat der stellvertretende SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber. Guten Morgen, Herr Kelber!

    Ulrich Kelber: Guten Morgen!

    Heinlein: Nach unserem Interview, Herr Kelber, gehen Sie gleich zur Anti-Atom-Demo am Kanzleramt. Ist Ihnen der Protest wichtiger als die Debatte im Parlament?

    Kelber: Nein. Ich bin selbstverständlich um 9 Uhr im Parlament, sowohl bei der Ehrung meines verstorbenen Kollegen Hermann Scheer, der ja für die Energiewende gekämpft hat, als danach bei der Debatte.

    Heinlein: Welches Interesse hat denn die SPD insgesamt, den angekündigten heißen Herbst der AKW-Gegner letztendlich mitzubefeuern?

    Kelber: Wir hatten einen gesellschaftlichen Konsens mit dem beschlossenen Atomausstieg 2000 erreicht. Es war ruhiger geworden, die Proteste sind abgeebbt, jeder wusste auch, worauf er sich einstellen muss bei Investitionen. Viele Wettbewerber, Stadtwerke, Privatinvestoren, haben investiert in hoch effiziente neue Kraftwerke, in erneuerbare Energien. All das wird jetzt kaputt gemacht. Es sollen die ältesten Atomreaktoren der Welt – die stehen nämlich in Deutschland – weiterbetrieben werden. Das ist ein Feldexperiment, das auch noch wirtschaftlich hoch schädlich ist.

    Heinlein: Im kommenden Monat – Herr Kelber, Sie wissen es – stehen ja Castor-Transporte an. Die AKW-Gegner kündigen heftigen Widerstand an. Wie groß ist die Gefahr, dass dieser Konflikt dann letztendlich in den kommenden Wochen und Monaten wieder eskaliert?

    Kelber: Ich hoffe einfach mal, dass die Proteste wie bisher friedlich bleiben. Allerdings ist die Stimmung gerade bei den Gruppen, die auch öfters mal zu anderen Aktionen neigen, natürlich aufgeputscht, auch durch die Art des Vorgehens, sich anschauen zu müssen, wie monatelang hinter den Kulissen mit den Atomkonzernen verhandelt wird, die anderen gar nicht angehört werden, nicht eingeladen werden, nichts sagen dürfen, und dann innerhalb von zwei Sitzungswochen solche Gesetze, die auch mit Hochsicherheitsfragen zu tun haben, durchs Parlament gepeitscht werden sollen.

    Heinlein: Muss also der Widerstand auf der Straße geschehen, weil politisch, parlamentarisch gar nichts mehr möglich ist?

    Kelber: Er muss nicht passieren, aber es ist natürlich richtig, dass er auch dort passiert. Aber wie soll eine Anti-Atom-Bewegung damit umgehen, dass in der Anhörung zu den Atomgesetzen einfach wichtige Fragen unbeantwortet bleiben, weil die Zeit zu Ende ist, in der einen Sitzung die Regierung sich weigert, Fragen zu beantworten, und in der jetzt schon berühmt gewordenen Sitzung am Dienstag die Regierungskoalition sagt, heute keine Debatte, nur Abstimmung, keine Öffentlichkeit, und wir wollen das einfach nur über die Bühne bringen, innerhalb von einer Stunde die Abstimmung über jedes einzelne Teilgesetz und keine Redebeiträge, keine Änderungsanträge. Da ist die Wut schon hochgekocht.

    Heinlein: Ist die SPD Teil der Anti-Atom-Bewegung? Wollen Sie hier auf diesem Feld den Grünen Konkurrenz machen?

    Kelber: Da geht es nicht um Konkurrenz. Wir waren mal als SPD die Atompartei in den 50er- und 60er-Jahren.

    Heinlein: In der Tat!

    Kelber: Und in den 70er-Jahren begann auch in der SPD der Widerstand, damals um Wyhl, aber auch an anderen Stellen, und schon vor der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gab es eine Mehrheit in der SPD gegen die Atomenergie. Wir halten das für einen falschen Weg, übrigens nicht nur ökologisch, eine Million Jahre tödlichen Müll zu hinterlassen für eine Generation, sondern auch ökonomisch. In Deutschland sind 340.000 Arbeitsplätze entstanden in Erneuerbaren. Die sind jetzt hoch gefährdet. Das zeigen übrigens die Energieszenarien der Regierung selbst.

    Heinlein: Können Sie das, Herr Kelber, noch klarer formulieren? Ist die Kernenergie für Ihre Partei insgesamt Teufelszeug, oder eine Brückentechnologie hin zu den alternativen Energiequellen?

    Kelber: Ich möchte das zwischen zwei Sachen unterscheiden. Teufelszeug ist sie in der Tat, weil sie einfach alles andere als nachhaltig ist. Sie produziert Strom und hinterlässt dafür Müll, der eine Million Jahre sicher gelagert werden muss. Das kann man nicht machen! Stellen Sie sich vor, wenn das andere Generationen vor uns gemacht hätten und wir damit umgehen müssten?
    Das Zweite ist: sie ist keine Brücke, weil sie nicht hoch flexibel mit den erneuerbaren Energien gemeinsam laufen kann. Wir brauchen dezentrale, hoch flexible Kraftwerke, um einen immer höheren Anteil Erneuerbarer vorsehen zu können. Dort sind deutlich mehr Arbeitsplätze möglich bei den Erneuerbaren. Die Regierung selbst geht aber davon aus, das hat sie auf eine Anfrage von mir geantwortet, dass das stimmt, was in den Szenarien zum Energiegipfel steht: Wer die Atomkraft verlängert, wird den Ausbau der Erneuerbaren deutlich zurückfahren, um fast 100 Prozent. Das steht in den Szenarien der Regierung.

    Heinlein: Aber kann das funktionieren, Herr Kelber, denn kurzfristig brauchen wir ja auch Energiesicherheit, und kann es diese Energiesicherheit geben in Deutschland ohne Atomenergie? Wir haben ja nur die Kohle und damit ist ja letztendlich 2018 dann auch Schluss.

    Kelber: Ja, die Sicherheit funktioniert. Da gibt es übrigens die Unterschrift von Angela Merkel drunter, beim Energiegipfel 2006 wurde das ja schon berechnet. Es gibt die Gutachten des Sachverständigenrates der Bundesregierung, der sagt, 100 Prozent Erneuerbare, von heute beginnend, ohne Atomkraft, ist sogar billiger als der andere Weg. Es gibt vom Umweltbundesamt, also alles Institutionen der Bundesregierung, die sagen, jawohl, es geht ohne Atomenergie. Und der Hinweis darauf ist ganz klar: Noch nie hat Deutschland so viel Strom exportiert wie 2010. Wir sind heute bei einem deutlichen Überschuss. Wir könnten auf einen Schlag die ältesten Atomkraftwerke, die nicht zu schützen sind gegen Terrorangriffe aus der Luft, abstellen, ohne ein Versorgungssicherheitsproblem zu haben, und dann haben wir immer noch zehn, zwölf Jahre, um über Zubau und Energieeinsparung auch den Rest überflüssig zu machen.

    Heinlein: Blicken wir, Herr Kelber, auf den heutigen Tag. Sie gehen nach der Demo, Sie haben es gesagt, um neun Uhr dann ins Parlament. Die Entscheidung ist klar: das Atomgesetz, das Energiekonzept der Bundesregierung wird abgenickt werden mit der Mehrheit von Schwarz-Gelb. Der Bundesrat wird nicht gefragt werden im Anschluss. Werden Sie Ihren Länderkollegen dann raten, dagegen, gegen die Ausschaltung des Bundesrates in Karlsruhe dann zu klagen?

    Kelber: Die haben sich schon entschieden, dagegen zu klagen, und auch wir werden aus dem Parlament heraus eine Organklage anstrengen als Abgeordnete, gegen die Nichtbeteiligung des Bundesrates. Das ist ein klarer Verfassungsbruch. Allerdings: Wir prüfen auch noch weitere Aspekte einer Verfassungsklage, zum Beispiel die Veränderung der Sicherheitsauflagen, wo Herr Röttgen ja behauptet, er würde eine neue, zusätzliche Sicherheitskategorie einführen. Nur noch nicht mal der eigene Sachverständige der Koalition in der Anhörung konnte sagen, was das bringen soll, allerhöchstens die Gefahr, dass aus der höchsten Sicherheitskategorie Dinge zurückgestuft werden, denn laut Verfassungsgericht ist schon heute alles vorgeschrieben, was machbar ist an Sicherheit. Auch das werden wir prüfen. Wir halten das für einen klaren Verstoß gegen Artikel 2 der Verfassung. Und es gibt noch weitere Elemente, unter anderem auch der Geheimvertrag mit den Atomkonzernen, der verfassungsrechtliche Fragen aufruft.

    Heinlein: Sie haben sich also gut aufmunitioniert. Wie rasch wird es denn zur Klage in Karlsruhe kommen? Schon heute, schon in dieser Woche?

    Kelber: Nein, definitiv heute nicht. Das muss natürlich auch alles erst mal ein beschlossenes Gesetz sein. Es wird dann auch von all denen, die beteiligt sind, eine gemeinsame Prüfung geben und es wird ein gut begründeter Antrag Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres dann eingegeben. Es gibt ja vor der Klage noch einen Zwischenschritt für die Koalition: Der Bundespräsident muss das Gesetz unterschreiben, übrigens der gleiche Bundespräsident, der als niedersächsischer Ministerpräsident davon ausgegangen war, dass eine Verlängerung im Bundesrat zustimmungspflichtig ist.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber. Herr Kelber, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Kelber: Danke schön!