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"Das ist ein massiver Angriff auf die Tarifautonomie"

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, hat seine ablehnende Haltung zum Kompromiss der Großen Koalition über die Ausweitung von Mindestlöhnen bekräftigt. Die Regierung plane eine Ermächtigung zur staatlichen Lohnfestsetzung und greife damit massiv in die bestehende Tarifautonomie ein, so Hundt.

Moderation: Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Eigentlich stand die Einigung schon seit dem vergangenen Sommer. Eigentlich hatte sich die Große Koalition schon vor rund einem Jahr auf Schloss Meseberg auf einen Kompromiss zum Thema Mindestlohn geeinigt. Aber wie genau diese Einigung denn aussehe, über diese Frage entbrannte neuer Streit, der allem Anschein nach nun aus der Welt ist. Gestern präsentierten Bundesarbeitsminister Scholz, SPD, und Bundeswirtschaftsminister Glos, CSU, ihren Entwurf. Das Kabinett hat ihn schon abgenickt, danach ist eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen beschlossen. Nur auf welche, das ist noch offen. Darum gibt es voraussichtlich neuen Streit. Aber bevor der eskaliert, wollen wir bewerten, was auf dem Tisch liegt. Am Telefon begrüße ich den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt. Guten Morgen!

    Dieter Hundt: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Hundt, Arbeitsminister Scholz hat den Tag gestern als guten Tag für die Koalition gelobt. War es auch ein guter Tag für die Wirtschaft?

    Hundt: Aus Sicht der Wirtschaft war der gestrige Tag nicht erfreulich, und zwar deshalb, weil zwei Gesetzentwürfe vorgestellt worden sind, die eine Ermächtigung zu staatlicher Lohnfestsetzung darstellen und keinen Tarifvorrang gewährleisten. Und wir sind als deutsche Wirtschaft ganz besonders enttäuscht darüber, dass damit auch die Zusage der Frau Bundeskanzlerin nicht eingehalten ist, die vor Kurzem noch gesagt hat, die Tarifautonomie müsse Vorrang vor staatlicher Lohnfestsetzung haben.

    Schulz: Herr Hundt, es geht um Branchen, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung beantragt haben - Voraussetzung für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist der Antrag beider Seiten -, und es geht um Löhne, die die Tarifparteien ja ausgehandelt haben untereinander. Warum sprechen Sie da von staatlicher Lohnfestsetzung?

    Hundt: Wir sind der Meinung, dass möglicherweise mit einer Ausnahme von den derzeit in der Diskussion befindlichen Branchen keine die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Entsendegesetz erfüllt. Wir haben dieses Entsendegesetz, es funktioniert. Und wenn soziale Verwerfungen durch die Entsendung ausländischer Arbeitskräfte in einer Branche entstehen, dann sind wir bereit, über den vorgeschriebenen Weg auch zu einer Allgemeinverbindlichkeit zu kommen.

    Schulz: Aber die Arbeitgeberverbände haben doch den Antrag gestellt?

    Hundt: Wir haben in einzelnen Fällen Anträge beider Parteien. Auf der anderen Seite haben wir in diesen Branchen teilweise auch Tarifverträge, und es ist ein massiver Angriff auf die Tarifautonomie, wenn der Staat jetzt bestehende Tarifverträge außer Kraft setzen kann. Ich denke, das Beispiel, das wir derzeit alle erleben, mit dem Mindestlohn der Post müsste Grund genug sein, diese Überlegungen nochmals deutlich zu überarbeiten. Wir haben im Briefzustellergewerbe im Verlauf des ersten halben Jahres 2008 gut 6000 Arbeitsplätze verloren.

    Schulz: Warum zahlen die Unternehmen so wenig, dass der Staat eingreifen muss?

    Hundt: Wir haben eine funktionierende Tarifautonomie in Deutschland, und Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind die Sozialpartner, die am besten festlegen können, was richtige Löhne in der einzelnen Branche sind. Und dieses jetzt durch staatliche Lohnfestsetzung zu ersetzen, beschädigt unsere Tarifautonomie ganz erheblich.

    Schulz: CDU-Generalsekretär Pofalla sieht den Angriff auf die Tarifautonomie gerade abgewendet durch den Kompromiss, der heute gefunden ist, und der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Union, Brauksiepe, sieht sogar eine Renaissance der Tarifautonomie. Woher der Unterschied der Wahrnehmungen?

    Hundt: Diese Interpretation ist mir unverständlich. Die Regelungen im Entsendegesetz zu konkurrierenden Tarifverträgen beispielsweise sind schwammig und unbestimmt. Und wir haben von renommierten Rechtswissenschaftlern sogar die Einschätzung in der Zwischenzeit vorliegen, dass diese Regelungen verfassungswidrig sind. Und im Mindestarbeitsbedingungengesetz soll der geltende gesetzliche Tarifvorrang stark eingeschränkt werden, und auch dieses ist nichts anderes als eine verfassungswidrige Beschädigung der Tarifautonomie.

    Schulz: Welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?

    Hundt: Wir werden uns darum bemühen, dass im Rahmen des jetzt erfolgenden parlamentarischen Verfahrens weitere Änderungen erfolgen, um diesen drohenden Schaden von der Tarifautonomie abzuwenden. Und ich hoffe, dass die Struck'sche Devise gilt, dass ein Gesetz das Parlament noch nie so verlassen hat, wie es als Entwurf reingekommen ist.

    Schulz: Die branchenbezogenen Mindestlöhne sind ja die abgemilderte Variante zum gesetzlichen Mindestlohn. Den gibt es in 20 von 27 EU-Staaten. Heißt das, dass Deutschland unter den Ländern ist, unter den wenigen Verfechtern der Tarifautonomie in Europa?

    Hundt: Die Dinge sind mit Sicherheit nicht vergleichbar. Wir haben in Deutschland die bestfunktionierende Tarifautonomie im Vergleich zu allen anderen Ländern. Und wir haben in anderen Ländern auch negative Entwicklungen, die nicht zuletzt ganz entscheidend auf die Einführung des Mindestlohns zurückzuführen sind. Nehmen Sie beispielsweise die im Vergleich zu Deutschland außerordentlich hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich. Wir werden alles tun, um diese schlechten Erfahrungen in Deutschland nicht auch machen zu müssen, und lehnen deshalb die derzeitigen Mindestlohnüberlegungen strikt ab.

    Schulz: Die Beispiele, die Sie zitieren, sind die darauf zurückzuführen, dass in Europa außer Deutschland sich auf die Tarifautonomie keiner versteht?

    Hundt: Wir haben in Deutschland eine funktionierende Tarifautonomie, die weit höher entwickelt ist als in anderen Ländern. Diese Tarifautonomie hat sich bewährt. Und wir haben ein hohes Interesse daran, diese Tarifautonomie mit dem Flächentarifvertrag und den gegebenen Möglichkeiten, beispielsweise über das Entsendegesetz, auch für die Zukunft zu erhalten.

    Schulz: Ein weiterer Zankapfel in der Großen Koalition verspricht ja das Thema Zeitarbeit zu werden. Was wäre die Konsequenz, wenn diese Branche unter das Entsendegesetz fiele?

    Hundt: Wenn die Zusage der Bundeskanzlerin nicht eingehalten wird, die ausdrücklich zugesichert hat, dass die Zeitarbeit nicht in das Mindestlohngesetz einbezogen wird, dann hätte dieses eine sehr negative Entwicklung auf den Arbeitsmarkt zur Folge. Wir haben 400.000 bis 500.000 Menschen über die Zeitarbeit in den letzten zwei bis drei Jahren in Arbeit gebracht, größtenteils Arbeitskräfte mit geringer Qualifikation, die vorher langzeitarbeitslos waren. Und mit der Konsequenz, dass rund ein Drittel dieser Zeitarbeitskräfte danach dann in feste, in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse sich weiter entwickelt haben.

    Schulz: Aber gleichzeitig gibt es ja Branchen, zum Beispiel die Baubranche und die Gebäudereiniger, bei denen sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite darüber einig sind, dass gerade über die Ausdehnung des Entsendegesetzes Jobs gesichert werden konnten. Warum soll das in diesen Branchen, in denen die Anträge jetzt vorliegen, anders sein?

    Hundt: Wir haben in der Baubranche und im Gebäudereinigungsgewerbe ein Entsendeproblem, indem in diesen Branchen soziale Verwerfungen entstanden sind, die auf die Entsendung ausländischer Arbeitskräfte nach Deutschland zurückzuführen sind. Dazu haben wir dieses Gesetz, es wird von uns mitgetragen. Und wenn in weiteren Branchen nach Erteilung der völligen Freizügigkeit, die ja jetzt auch verspätet erst kommen soll, derartige Schwierigkeiten auftreten, dann wird über die dort getroffenen Regelungen, Vorhandensein eines Tarifvertrages, eine Allgemeinverbindlichkeit erreicht werden können.