Gerd Breker: Die Thüringer Sozialministerin Christine Lieberknecht, sie will die Nachfolge des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Dieter Althaus antreten. Darauf habe sie sich gestern Abend in einem Gespräch mit der amtierenden CDU-Vorsitzenden Birgit Diezel verständigt. Frau Lieberknecht kritisierte das Verhalten von Althaus, weil dieser vorübergehend wieder die Amtsgeschäfte übernimmt. Dies sei zwar verfassungsgemäß, aber die politische Wahrnehmung sei etwas anderes. Viele Parteifreunde seien der Meinung, dass jetzt Klarheit herrschen müsse. Die Ära von Althaus, sie sei beendet.
Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.
Werner J. Patzelt: Guten Tag!
Breker: Die einsamen Entscheidungen des Dieter Althaus, mal alles hinwerfen, der Rücktritt von allen Ämtern, dann wieder auftauchen mit Verweis auf die Landesverfassung, was geht da in diesem Menschen vor? Können Sie sich das erklären?
Patzelt: Das ist rational eigentlich nicht zu erklären. Das ist ein völlig unübliches Verhalten, das man aus der deutschen Geschichte von Rücktritten von Regierungschefs nicht kennt, auch nicht annäherungsweise so kennt, und hinter diesem erratischen Kurs könnte aller Wahrscheinlichkeit nach ein von Althaus nicht rechtzeitig in den Griff bekommener innerparteilicher Machtkampf ausschlaggebend sein und vielleicht hat er auch noch seelische Nachfolgewirkungen der Anstrengungen des Wahlkampfes und der großen Niederlage. Auf alle Fälle ist das, was er tut, rational nicht erklärbar.
Breker: Er beruft sich, Herr Patzelt, auf die Landesverfassung, die besagt, dass ein Ministerpräsident so lange im Amt ist, bis dass ein neuer gewählt wurde. Eine Landesverfassung, die ja er in dem Moment, als er sich von allen Ämtern verabschiedet hat, nicht verinnerlicht hat.
Patzelt: So ist es. Rechtlich ist es genauso, wie Althaus es gesagt hat. Er hat so lange die Geschäfte zu führen, bis ein Nachfolger gewählt ist. Er kann sich freilich auch in Urlaub begeben. Was einen schlechten Eindruck macht und auch nicht rational erklärbar ist, ist ein Verhalten, dass er kurz seinen Rücktritt bekannt gibt, sich dann aus der Staatskanzlei verabschiedet, als Privatmann kaum aufzustören ist und anschließend wieder so weiterregiert, als sei nichts gewesen. Das ist rechtlich in Ordnung, politisch aber völlig widersinnig und dürfte seiner Partei noch erhebliche Schwierigkeiten bereiten.
Breker: Spricht dafür, dass er seinen Rücktritt in letzter Konsequenz gar nicht voll bedacht hatte, sondern sehr spontan sich verhalten hat?
Patzelt: Dafür spricht in der Tat mancherlei, denn ein rationales Verhalten hätte nahegelegt, wenn schon nicht in der Wahlnacht, so doch zumindest am Folgetag nach Beratung in den Gremien, nach Steuerung des Nachfolgeprozesses zurückzutreten. Das wäre honorig gewesen, das hätte keinen Scherbenhaufen hinterlassen. Aber dieses Verhalten zeigt, dass er offensichtlich allzu impulsiv, allzu spontan, allzu schlecht beraten entscheidet, und all das lässt im Nachhinein seine Kandidatur für das ja nicht unwichtige Amt des Ministerpräsidenten doch in einem noch fahleren Licht erscheinen, als das damals schon der Fall war.
Breker: Sie haben es schon angedeutet, Herr Patzelt. Offenbar sind die Interessen der Partei, die ihn ja schließlich aufs Schild gehoben hat, ihm nicht so wichtig.
Patzelt: Man könnte scharf formulieren, dass er jetzt seiner Partei schadet durch unbedachtes Verhalten, und dass er damit seinen Pflichten denen gegenüber, die ihn so lange getragen haben, nicht gerecht wird. Auch dass er das Landtagsmandat annimmt, um gleichsam wie ein Hinterbänkler in der Fraktion zu sitzen, der er ja dennoch nicht ist, ist etwas, was seine Parteifreunde bestimmt nicht mit Zuversicht, sondern eher mit Sorge sehen werden.
Breker: Ein Ex-Ministerpräsident im Plenum, das ist eine Riesenbelastung für jede neue Regierung, an der ja die Union beteiligt sein will.
Patzelt: Ob das eine Belastung für eine Regierung, an der die Union beteiligt ist, sein wird, das steht noch dahin, denn die Union ist ja nur deswegen im Spiel, weil die SPD sich noch nicht über ihre tatsächliche Interessenlage klar ist und noch nicht die Konsequenz aus dem tatsächlichen Wahlergebnis ziehen will, nämlich mit der Linkspartei ohne Umschweife eine Koalition einzugehen. Dass abgetretene Regierungschefs noch einem Parlament angehören, das ist nicht ganz unüblich; so hat das Helmut Kohl nach seiner Abwahl ja auch gehalten. Aber es waren eben andere Umstände. Althaus tat zunächst so, als wollte er die Zügel in der Hand behalten, dann geht er, dann kommt er doch zurück. Das ist ein Kurs, der in jeder Hinsicht seiner Partei schadet, selbst dann, wenn sie die nächste Wahlperiode in der Opposition überdauern sollte.
Breker: Gestern, Herr Patzelt, haben sich die beiden Frauen Christine Lieberknecht und Birgit Diezel darauf verständigt, wer von ihnen die Regierungsgeschäfte führen soll, und heute dieses Verhalten von Dieter Althaus. Das passt nicht zusammen. Da wird der Nachfolger, der potenzielle Nachfolger, in dem Fall eine Nachfolgerin, demontiert.
Patzelt: Das passt dann zusammen, wenn in der Union ein Machtkampf schwelt, wenn jene, die Althaus unterstützt haben und weiterhin einen Ring der politischen Gemeinschaft um ihn herum bilden, wenn diese eben nicht damit einverstanden sind, wie nun andere das politische Erbe von Althaus verteilen. Dass die Partei in einer solchen Lage ist, das geht nun klar auf das Konto des Ministerpräsidenten, denn zu den Pflichten eines Parteiführers gehört es unbedingt, eine solche Lage seiner Partei zu ersparen, und zu den Pflichten eines Ministerpräsidenten gehört es, seinem Land eine solche unübersichtliche Lage zu ersparen.
Breker: Was dann bedeuten würde, dass es dieses "System Althaus" tatsächlich gab?
Patzelt: Das "System Althaus" gab es, ein System, das um ihn persönlich herum entwickelt war, wo er sich abschottete, wo er nicht ausreichend Rat suchte, wo vieles so auf ihn zugeschnitten war, dass sich manche ein weiteres Funktionieren ohne seine Person nicht mehr vorstellen können. Vielleicht ist auch das der Hintergrund dessen, dass er sich nun in falsch verstandener Solidarität im politischen Spiel weiter halten will.
Breker: Da stellt sich die Frage, Herr Patzelt: muss Hilfe von außen kommen? Muss die Kanzlerin, die ja zugleich auch Parteivorsitzende der Bundespartei ist, muss die in Thüringen helfen? Muss sie eingreifen?
Patzelt: Es ist nichts fataler, als wenn die Bundesebene sich in Dinge einmischt, die ein Landesverband für sich selbst klären muss. Gesetz den Fall, wir sehen hier die Spitze des Eisberges eines innerparteilichen Machtkampfes, dann muss der Machtkampf schon in der Partei selbst entschieden werden und die Bundesvorsitzende muss dann die Ergebnisse der landespolitischen Auseinandersetzung zur Kenntnis nehmen. Alles andere wäre kein ordnungsgemäßes Verfahren und es ist ja nicht so, als ob in Thüringen wie vor 20 Jahren keine tüchtigen Landespolitiker und CDU-Führer zur Verfügung stünden. Die müssen sich nun zusammenraufen, die müssen einen Weg für die Partei finden und die Bundeskanzlerin kann über all dem präsidieren.
Breker: Und vielleicht diskret helfen?
Patzelt: Man hilft natürlich immer diskret, indem man mit wichtigen Leuten im Hinter- oder Vordergrund spricht. Natürlich wird Bernhard Vogel eine nicht unwichtige Rolle in diesem Moderationsprozess haben. Natürlich wird man sich bemühen, das Ganze so zu vollziehen, dass der Bundestagswahlkampf nicht beschädigt wird. Aber es ist schon die Thüringer Partei selbst, die die Machtfrage nach Althaus klären muss.
Breker: Und was würden Sie denken, wie das ausgeht?
Patzelt: Es wird, wenn die CDU nicht von allen guten Geistern verlassen ist, bei der Entscheidung, die die beiden Führungsdamen getroffen haben, bleiben, und wenn die SPD nicht von allen guten Geistern verlassen ist, wird sie auf eine Koalition mit der Linkspartei zusteuern, sodass sich die Machtfrage der Union in der Oppositionsrolle auf das allerschönste klären wird können.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden zu den "Thüringer Zuständen". Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Patzelt.
Patzelt: Gerne geschehen!
Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.
Werner J. Patzelt: Guten Tag!
Breker: Die einsamen Entscheidungen des Dieter Althaus, mal alles hinwerfen, der Rücktritt von allen Ämtern, dann wieder auftauchen mit Verweis auf die Landesverfassung, was geht da in diesem Menschen vor? Können Sie sich das erklären?
Patzelt: Das ist rational eigentlich nicht zu erklären. Das ist ein völlig unübliches Verhalten, das man aus der deutschen Geschichte von Rücktritten von Regierungschefs nicht kennt, auch nicht annäherungsweise so kennt, und hinter diesem erratischen Kurs könnte aller Wahrscheinlichkeit nach ein von Althaus nicht rechtzeitig in den Griff bekommener innerparteilicher Machtkampf ausschlaggebend sein und vielleicht hat er auch noch seelische Nachfolgewirkungen der Anstrengungen des Wahlkampfes und der großen Niederlage. Auf alle Fälle ist das, was er tut, rational nicht erklärbar.
Breker: Er beruft sich, Herr Patzelt, auf die Landesverfassung, die besagt, dass ein Ministerpräsident so lange im Amt ist, bis dass ein neuer gewählt wurde. Eine Landesverfassung, die ja er in dem Moment, als er sich von allen Ämtern verabschiedet hat, nicht verinnerlicht hat.
Patzelt: So ist es. Rechtlich ist es genauso, wie Althaus es gesagt hat. Er hat so lange die Geschäfte zu führen, bis ein Nachfolger gewählt ist. Er kann sich freilich auch in Urlaub begeben. Was einen schlechten Eindruck macht und auch nicht rational erklärbar ist, ist ein Verhalten, dass er kurz seinen Rücktritt bekannt gibt, sich dann aus der Staatskanzlei verabschiedet, als Privatmann kaum aufzustören ist und anschließend wieder so weiterregiert, als sei nichts gewesen. Das ist rechtlich in Ordnung, politisch aber völlig widersinnig und dürfte seiner Partei noch erhebliche Schwierigkeiten bereiten.
Breker: Spricht dafür, dass er seinen Rücktritt in letzter Konsequenz gar nicht voll bedacht hatte, sondern sehr spontan sich verhalten hat?
Patzelt: Dafür spricht in der Tat mancherlei, denn ein rationales Verhalten hätte nahegelegt, wenn schon nicht in der Wahlnacht, so doch zumindest am Folgetag nach Beratung in den Gremien, nach Steuerung des Nachfolgeprozesses zurückzutreten. Das wäre honorig gewesen, das hätte keinen Scherbenhaufen hinterlassen. Aber dieses Verhalten zeigt, dass er offensichtlich allzu impulsiv, allzu spontan, allzu schlecht beraten entscheidet, und all das lässt im Nachhinein seine Kandidatur für das ja nicht unwichtige Amt des Ministerpräsidenten doch in einem noch fahleren Licht erscheinen, als das damals schon der Fall war.
Breker: Sie haben es schon angedeutet, Herr Patzelt. Offenbar sind die Interessen der Partei, die ihn ja schließlich aufs Schild gehoben hat, ihm nicht so wichtig.
Patzelt: Man könnte scharf formulieren, dass er jetzt seiner Partei schadet durch unbedachtes Verhalten, und dass er damit seinen Pflichten denen gegenüber, die ihn so lange getragen haben, nicht gerecht wird. Auch dass er das Landtagsmandat annimmt, um gleichsam wie ein Hinterbänkler in der Fraktion zu sitzen, der er ja dennoch nicht ist, ist etwas, was seine Parteifreunde bestimmt nicht mit Zuversicht, sondern eher mit Sorge sehen werden.
Breker: Ein Ex-Ministerpräsident im Plenum, das ist eine Riesenbelastung für jede neue Regierung, an der ja die Union beteiligt sein will.
Patzelt: Ob das eine Belastung für eine Regierung, an der die Union beteiligt ist, sein wird, das steht noch dahin, denn die Union ist ja nur deswegen im Spiel, weil die SPD sich noch nicht über ihre tatsächliche Interessenlage klar ist und noch nicht die Konsequenz aus dem tatsächlichen Wahlergebnis ziehen will, nämlich mit der Linkspartei ohne Umschweife eine Koalition einzugehen. Dass abgetretene Regierungschefs noch einem Parlament angehören, das ist nicht ganz unüblich; so hat das Helmut Kohl nach seiner Abwahl ja auch gehalten. Aber es waren eben andere Umstände. Althaus tat zunächst so, als wollte er die Zügel in der Hand behalten, dann geht er, dann kommt er doch zurück. Das ist ein Kurs, der in jeder Hinsicht seiner Partei schadet, selbst dann, wenn sie die nächste Wahlperiode in der Opposition überdauern sollte.
Breker: Gestern, Herr Patzelt, haben sich die beiden Frauen Christine Lieberknecht und Birgit Diezel darauf verständigt, wer von ihnen die Regierungsgeschäfte führen soll, und heute dieses Verhalten von Dieter Althaus. Das passt nicht zusammen. Da wird der Nachfolger, der potenzielle Nachfolger, in dem Fall eine Nachfolgerin, demontiert.
Patzelt: Das passt dann zusammen, wenn in der Union ein Machtkampf schwelt, wenn jene, die Althaus unterstützt haben und weiterhin einen Ring der politischen Gemeinschaft um ihn herum bilden, wenn diese eben nicht damit einverstanden sind, wie nun andere das politische Erbe von Althaus verteilen. Dass die Partei in einer solchen Lage ist, das geht nun klar auf das Konto des Ministerpräsidenten, denn zu den Pflichten eines Parteiführers gehört es unbedingt, eine solche Lage seiner Partei zu ersparen, und zu den Pflichten eines Ministerpräsidenten gehört es, seinem Land eine solche unübersichtliche Lage zu ersparen.
Breker: Was dann bedeuten würde, dass es dieses "System Althaus" tatsächlich gab?
Patzelt: Das "System Althaus" gab es, ein System, das um ihn persönlich herum entwickelt war, wo er sich abschottete, wo er nicht ausreichend Rat suchte, wo vieles so auf ihn zugeschnitten war, dass sich manche ein weiteres Funktionieren ohne seine Person nicht mehr vorstellen können. Vielleicht ist auch das der Hintergrund dessen, dass er sich nun in falsch verstandener Solidarität im politischen Spiel weiter halten will.
Breker: Da stellt sich die Frage, Herr Patzelt: muss Hilfe von außen kommen? Muss die Kanzlerin, die ja zugleich auch Parteivorsitzende der Bundespartei ist, muss die in Thüringen helfen? Muss sie eingreifen?
Patzelt: Es ist nichts fataler, als wenn die Bundesebene sich in Dinge einmischt, die ein Landesverband für sich selbst klären muss. Gesetz den Fall, wir sehen hier die Spitze des Eisberges eines innerparteilichen Machtkampfes, dann muss der Machtkampf schon in der Partei selbst entschieden werden und die Bundesvorsitzende muss dann die Ergebnisse der landespolitischen Auseinandersetzung zur Kenntnis nehmen. Alles andere wäre kein ordnungsgemäßes Verfahren und es ist ja nicht so, als ob in Thüringen wie vor 20 Jahren keine tüchtigen Landespolitiker und CDU-Führer zur Verfügung stünden. Die müssen sich nun zusammenraufen, die müssen einen Weg für die Partei finden und die Bundeskanzlerin kann über all dem präsidieren.
Breker: Und vielleicht diskret helfen?
Patzelt: Man hilft natürlich immer diskret, indem man mit wichtigen Leuten im Hinter- oder Vordergrund spricht. Natürlich wird Bernhard Vogel eine nicht unwichtige Rolle in diesem Moderationsprozess haben. Natürlich wird man sich bemühen, das Ganze so zu vollziehen, dass der Bundestagswahlkampf nicht beschädigt wird. Aber es ist schon die Thüringer Partei selbst, die die Machtfrage nach Althaus klären muss.
Breker: Und was würden Sie denken, wie das ausgeht?
Patzelt: Es wird, wenn die CDU nicht von allen guten Geistern verlassen ist, bei der Entscheidung, die die beiden Führungsdamen getroffen haben, bleiben, und wenn die SPD nicht von allen guten Geistern verlassen ist, wird sie auf eine Koalition mit der Linkspartei zusteuern, sodass sich die Machtfrage der Union in der Oppositionsrolle auf das allerschönste klären wird können.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden zu den "Thüringer Zuständen". Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Patzelt.
Patzelt: Gerne geschehen!