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"Das ist ein wichtiges Zeichen"

Der stellvertretende Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Rikola-Gunnar Lüttgenau, begrüßt den heutigen Besuch des US-Präsidenten im ehemaligen Konzentrationslager. Es gebe den Überlebenden Zuversicht, dass ihre Geschichte nicht vergessen werde.

Rikola-Gunnar Lüttgenau im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Kein Kulturprogramm in Weimar, ein Bad in der Menge, politische Gespräche nur am Rande. Der Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald steht heute im Zentrum der kurzen Deutschland-Reise von Barack Obama. Ein Signal der Erinnerung an die Gräueltaten der Nazi-Diktatur, aber auch ein durchaus persönlicher Besuch des US-Präsidenten. Sein Großonkel Charles Payne war Teil der alliierten Truppen, die im April 1945 das Konzentrationslager erreichten. Die Bilder und Berichte aus dieser Zeit prägen bis heute das Bild der Nazi-Barbarei für viele US-Amerikaner.
    Am Telefon nun der stellvertretende Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Rikola-Gunnar Lüttgenau. Guten Morgen.

    Rikola-Gunnar Lüttgenau: Guten Morgen!

    Heinlein: Warum macht es einen Unterschied, ob Barack Obama das Holocaust-Museum in Washington besucht oder Ihre Gedenkstätte in Buchenwald?

    Lüttgenau: Barack Obama setzt auf seiner Reise zwischen Kairo und Normandie sicherlich ein, wenn Sie so wollen, wichtiges Brückenzeichen. Dass er in Buchenwald ist, zeigt, dass es sinnvoll ist, sich der Vergangenheit zu vergewissern, und Buchenwald war das erste große Lager, was durch die West-Alliierten, durch die amerikanischen Truppen befreit wurde. Natürlich persönlich auch noch aufgeladen durch die Geschichte seines Großonkels Charles Payne, der das Außenlager Ohrdruf mit befreit hat, kann Barack Obama heute in Buchenwald besonders authentisch, besonders glaubwürdig zeigen, dass es wichtig ist, sich der Vergangenheit zu vergewissern, um zu zeigen, wofür man in der Gegenwart einsteht, nämlich im Kampf für die Menschenrechte und im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen.

    Heinlein: Also es macht tatsächlich einen Unterschied aufgrund Ihrer Erfahrung, ob man eine Gedenkstätte wie Yad Vashem oder eben dieses Holocaust-Museum in Washington besucht, oder unmittelbar am Ort des Grauens Eindrücke sammelt?

    Lüttgenau: Es geht tatsächlich um so etwas wie historische Vorstellungskraft, und historische Vorstellungskraft kann man auch durch Filme, kann man auch durch Bücher evozieren, aber es ist noch ein ganz anderes Erlebnis, wenn sie als ganze Person mit ihrem ganzen Körper an einen derartigen historischen Schauplatz, der mit Blut getränkt wurde, hingehen, die zeitliche Differenz natürlich auch wahrnehmen, weil es fast schmerzhaft ist, dass das Lager weg ist. Gerade in Deutschland sind eben die Lager in der Nachkriegszeit fast vollständig zerstört worden. Morris Rosen hat das ja gerade auch noch mal geschildert, dass auch in Buchenwald vieles nicht mehr zu sehen ist, wenn auch einiges.

    Heinlein: Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, der ja heute den US-Präsidenten in Buchenwald begleiten wird, rechnet mit einem sehr bewegenden Besuch.

    Lüttgenau: Das glaube ich in der Tat auch. Elie Wiesel wird Barack Obama begleiten, sie werden begleitet durch Angela Merkel, die wiederum begleitet wird durch Bertram Herz, den Präsidenten des Internationalen Komitees, das, wenn Sie so wollen, die Nachfolgeorganisation des Lagerwiderstandes ist, den es schon in Buchenwald gab, der unter anderem auch über 900 Kinder und Jugendliche (unter ihnen wiederum eben Elie Wiesel) gerettet hat, in der Hölle von Buchenwald, in einem kleinen Lager. Barack Obama und Angela Merkel werden den weiten Weg vom Hauptlager zu diesem ehemaligen kleinen Lager gehen und dort wird sicherlich auch Elie Wiesel und Bertram Herz Barack Obama und Angela Merkel über ihre Geschichte und ihre Erfahrungen – beide haben ihre Väter in Buchenwald verloren – berichten.

    Heinlein: Wissen Sie, ob es stimmt, dass tatsächlich Elie Wiesel dazu beigetragen hat, Barack Obama von diesem Besuch heute bei Ihnen zu überzeugen?

    Lüttgenau: Darüber habe ich keine genaueren Informationen. Ich glaube, im Kern geht es tatsächlich darum, ein wichtiges politisches Zeichen zu setzen, und Barack Obama kann dieses Zeichen eben im Unterschied zu Auschwitz oder im Unterschied zu dem Holocaust-Denkmal zum Beispiel in Berlin, oder was Sie meinten, in Washington, besonders glaubwürdig hier in Buchenwald setzen.

    Heinlein: Welches politische Signal erhoffen Sie sich von diesem Besuch?

    Lüttgenau: Im Kern ist es etwas, was häufig sozusagen weggeschoben wird, wenn gesagt wird, jetzt muss aber ein Schlussstrich gezogen werden. Das heißt, man will sich nicht mehr damit beschäftigen. Dabei geht es aber nicht nur um die Gerechtigkeit den Überlebenden gegenüber und den Toten gegenüber, sondern es geht im Kern um ein kluges Verhältnis zu sich selber, denn es ist nicht klug, die Vergangenheit einfach wegzuschieben, sondern es ist klug, auf sie zu schauen und die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen, um sich in der Gegenwart sinnvoll der Zukunft zuzuwenden. Diese Bewegung, die wird, glaube ich, durch Barack Obama heute noch mal eindrücklich gezeigt werden.

    Heinlein: Manche, Herr Lüttgenau, vermuten hinter dem Obama-Besuch in Buchenwald heute bei Ihnen auch ein politisches Signal, eine Geste quasi an Israel vor dem Hintergrund der veränderten US-amerikanischen Nahost-Politik. Haben Sie keine Sorge, politisch missbraucht zu werden?

    Lüttgenau: Es ist ein Balanceakt. Das will ich nicht bestreiten. Jedoch wenn ein Präsident wie Barack Obama in dieser Form der Glaubwürdigkeit – er wird ja am nächsten Tag, morgen auch in die Normandie reisen, er macht gleich den umgekehrten Weg wie die Amerikaner, die in Omaha Beach gelandet sind, um dann am Ende nach Buchenwald zu kommen, wo sie wahrgenommen haben "yes, that's the reason why we fight", deswegen haben sie gekämpft, deswegen sind sie nach Europa gekommen und haben, wenn Sie so wollen, diese Pest des Faschismus in Europa vertrieben. Insofern: Wer sollte weniger das Recht haben, an diese Tat zu erinnern, als der Nachfolger von Dwight D. Eisenhower, der eben im April '45 in Buchenwald und Ohrdruf war.

    Heinlein: Es waren ja, Herr Lüttgenau, gestern sehr deutliche, sehr intensive Worte des amerikanischen Präsidenten, gerade an die Adresse Israels. Wie wird dann der heutige Besuch in Buchenwald in Israel und in anderen Orten dieser Welt gerade von Holocaust-Überlebenden aufgenommen werden?

    Lüttgenau: Ich kann zunächst von den Holocaust-Überlebenden berichten – mit den vielen, vielen Überlebenden von Buchenwald, mit denen wir in den letzten Tagen in Kontakt waren -, dass sie in großer Freude sind, dass Barack Obama und Angela Merkel, dass sie diesen Ort ihres Leidens, gleichsam, wenn Sie so wollen, aber zugleich auch ihren zweiten Geburtsort, den sie überlebt haben, wo sie gerettet worden sind, in gewisser Hinsicht dadurch auch ihre Heimat, ihre zweite Heimat, dass dieser Ort von Barack Obama und Angela Merkel entsprechend besucht wird. Das ist eine große Freude, das ist ein wichtiges Zeichen, und es zeigt eben auch für die Zukunft für sie, dass ihre Geschichte nicht vergessen ist, und, wenn Sie so wollen, das ist gerade für die Überlebenden ein wichtiger Nexus, dass ihre Kameraden nicht umsonst gestorben sind, sondern dass gleichsam versucht wird, für die Zukunft eine Orientierung zu finden. Ich will nicht von Trost sprechen, das wäre das falsche Wort, aber es gibt ihnen Zuversicht.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der stellvertretende Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Rikola-Gunnar Lüttgenau. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Lüttgenau: Auf Wiederhören.