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"Das ist eine Frage, die Frau Käßmann für sich klären muss"

Die Alkoholfahrt der evangelischen Bischöfin Käßmann dürfe man zwar nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber jeder Mensch mache Fehler, sagte der FDP-Kirchenbeauftragte Stefan Ruppert. Als Protestantin stehe sie in der Entscheidungsverantwortung, die Politik sollte da keine Ratschläge geben.

Stefan Ruppert im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.02.2010
    Christoph Heinemann: Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat Margot Käßmann heute, wie es heißt, einmütig sein Vertrauen ausgesprochen. Die Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende hatte am vergangenen Samstag eine rote Ampel missachtet und wies bei einer Polizeikontrolle 1,54 Promille Alkohol im Blut auf. Ihr droht nun ein Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit am Steuer. Am Telefon ist Stefan Ruppert, der Kirchenbeauftragte der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Tag!

    Stefan Ruppert: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Ruppert, Sie sind evangelischer Christ. Sollte Margot Käßmann von ihrem Amt als EKD-Ratsvorsitzende zurücktreten?

    Ruppert: Ich finde, das ist eine Frage, die Frau Käßmann für sich klären muss. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass der Rat der EKD sich hinter sie gestellt hat, und als Protestantin steht sie jetzt in der Entscheidungsverantwortung in Freiheit. Die Politik sollte da meiner Meinung nach keine Ratschläge geben.

    Heinemann: Die EKD hat gesagt, wir haben es eben gehört, diese Fahrt müsse noch mal abschließend bewertet werden. Was gibt es denn daran noch zu bewerten?

    Ruppert: Ich glaube, da Frau Käßmann ja, wie zu lesen war, sich kurz selbst dazu geäußert hat, das ist ein schweres Verkehrsdelikt und das ist auch nicht zu entschuldigen. Ich glaube, das muss strafrechtlich beziehungsweise verkehrsrechtlich geahndet werden, und dieser Ahndung wird sich Frau Käßmann auch stellen müssen. Abschließend ist natürlich nicht bewertet, wie die Situation genau war, aber dass das ein schwerer Fehler war, dürfte feststehen.

    Heinemann: Ist Frau Käßmann nach diesem Fehltritt, mit dem sie ja auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet hat, in moralischen Urteilen noch glaubwürdig, für Sie zum Beispiel?

    Ruppert: Ich habe Frau Käßmann immer als sehr glaubwürdige Person wahrgenommen. Sie hat einen schweren Fehler gemacht. Ich glaube aber, dass viele Menschen Fehler machen, so auch eine Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der EKD. Ich finde, eine Diskussion, die jetzt zwei Punkte vermischt - zum einen die profilierte Landesbischöfin Käßmann in streitigen Fragen auf der einen Seite, die mich auch wiederholt zum Widerspruch herausfordert, und diesen Fehler auf der anderen Seite -, das finde ich nicht ganz richtig, sondern man sollte diesen Tatbestand jetzt bewerten und sie sollte da eine Entscheidung treffen, und in Zukunft würde ich mich auch mit Frau Käßmann gerne wieder über andere Fragen austauschen.

    Heinemann: Übel meinende werden ihr möglicherweise künftig vorwerfen, bestimmte Äußerungen seien wo möglich unter Alkoholeinfluss zustande gekommen.

    Ruppert: Ja, aber an einem solchen Vorwurf würde ich mich nicht beteiligen, das fände ich unsachlich. Wie gesagt, das Vergehen beziehungsweise das, was Frau Käßmann gemacht hat, ist durchaus nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern es ist schwerwiegend, aber jeder Mensch macht Fehler. Man muss sich diesen Fehlern in Verantwortung stellen und danach folgt wieder die Auseinandersetzung mit der Landesbischöfin, wenn sie es bleiben will.

    Heinemann: Kann sich die evangelische Kirche eine solche offene Flanke denn leisten?

    Ruppert: Ich glaube, auch die evangelische Kirche - ich gehöre ihr ja selbst an - kann sich leisten zu zeigen, dass Menschen bis in Leitungsfunktionen hinauf Fehler machen, und insofern, wenn man diesen Prozess jetzt nicht vertuscht, sondern offen angeht, finde ich, sie kann sich das leisten.

    Heinemann: Herr Ruppert, 1,54 Promille heißt übersetzt, hier hat nicht jemand ein Bier zu viel getrunken, die Bischöfin war volltrunken. Weist dies auf ein Alkoholproblem hin?

    Ruppert: Das kann ich nicht beurteilen. Ich kenne weder Frau Käßmann so gut, noch habe ich irgendwelche Indizien, dass ich dazu Stellung nehmen kann. 1,54 Promille - ich kenne das aus meiner Zeit als Rechtsreferendar, wo wir uns dieser Frage auch mal stellen mussten, wie das wirkt - ist in der Tat eine sehr hohe Blutalkoholkonzentration.

    Heinemann: Im Kirchenkalender befinden wir uns gerade in der Fastenzeit. Verschärft das das Problem?

    Ruppert: Das Fasten ist ja in der evangelischen Kirche ein wenig anders aufzufassen als in der katholischen. Ich habe auch ein Programm "sieben Wochen ohne" - bei mir sind es gewisse Süßigkeiten. Ich glaube aber nicht, dass man jetzt diesen Punkt Alkoholgenuss deswegen anders bewerten soll, weil er in der Fastenzeit stattgefunden hat.

    Heinemann: Herr Ruppert, wechseln wir die Denomination. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gestern eine 24-stündige Frist für eine Entschuldigung gegeben. Die Bundesjustizministerin, Ihre Parteifreundin, hatte in einem Interview gesagt, die katholische Kirche erwecke bislang nicht den Eindruck, dass sie auch nur bei Verdachtsfällen mit den Strafverfolgungsbehörden konstruktiv zusammenarbeiten wolle. Es ging um die Missbrauchsfälle. Ein einmaliger Vorgang, so Zollitsch, und wir hören jetzt den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz:

    "Die Bundesjustizministerin hat im Interview mittels falscher Tatsachenbehauptungen, wie ich meine, maßlos gegen unsere katholische Kirche polemisiert. Ich erinnere mich keines zweiten Medienbeitrages eines Regierungsmitgliedes der Bundesrepublik, der eine ähnlich schwerwiegende Attacke gegen die katholische Kirche in Deutschland dargestellt hätte."

    Heinemann: Herr Ruppert, wir hören es: Robert Zollitsch ist salopp formuliert stinksauer. Sollte sich Frau Leutheusser-Schnarrenberger entschuldigen?

    Ruppert: Ich bin froh, dass Frau Leutheusser jetzt gesagt hat, sie schreibt einen Brief, und es beginnt ein Dialog über diese Frage, ein Dialog, den es übrigens in der Vergangenheit und auch in der Zukunft zwischen den beiden Gruppierungen, der FDP auf der einen Seite und der katholischen Kirche auf der anderen Seite, auch gegeben hat.

    Heinemann: Sollte in dem Brief das Wort "Entschuldigung" vorkommen?

    Ruppert: Das ist die Aufgabe von der Frau Leutheusser. Ich sehe eigentlich keinen Anlass für eine Entschuldigung. Ich sehe vielleicht Anlass dafür zu sagen, welches Anliegen sie hatte. Sie hat gesagt, 120 Straftaten in den letzten Tagen. Ich glaube, es war in dem Sinne gemeint, 120 Straftaten sind in den letzten Tagen bekannt geworden, aber sie liegen schon gewisse Zeit zurück. Insofern ist hier, glaube ich, auch ein Missverständnis, das in einem sachlichen Dialog ausgeräumt werden kann.

    Heinemann: Kann man denn der katholischen Kirche vorwerfen, sie wolle selbst bei Verdachtsfällen mit den Strafverfolgungsbehörden nicht konstruktiv zusammenarbeiten?

    Ruppert: Ich kenne die aktuellen Untersuchungen oder die aktuellen Zusammenarbeiten nicht. Ich will nur klarstellen: Eines ist sicherlich wichtig. Die katholische Kirche muss zu dem Zeitpunkt, wo Verdachtsmomente auftauchen, die eine strafrechtliche Verfolgung in Gang setzen, ohne jegliche Zeitverzögerung dann auch mit den staatlichen Behörden zusammenarbeiten. Es gibt keinen rechtsfreien Raum und darf keine Verzögerung geben. Ich kenne die Richtlinien der katholischen Kirche aus dem Jahr 2002 dazu. Vielleicht könnte man sie - sie sind sehr weitgehend - an dieser Stelle noch etwas präzisieren. Ich bin aber der Auffassung, dass es sehr begrüßenswert ist, dass die katholische Kirche sich diesem Problem, diesem schwierigen Problem, unter dem wirklich viele Menschen zu leiden hatten, auch so offensiv stellt. Insofern begrüße ich auch, dass die katholische Kirche ein Problem angeht und es offensiv angeht und nicht - so nehme ich das zumindest wahr - in Vertuschungsabsicht.

    Heinemann: Das gerade Gesagte bedeutete dann, dass die Bundesjustizministerin da übertrieben hat?

    Ruppert: Ich bewerte nicht, was die Bundesjustizministerin da gesagt hat. Sie hat ihr Anliegen - und das ist auch meines - an einer offensiven Aufarbeitung formuliert, da sind wir völlig einer Meinung, und ich habe auch die Äußerungen der katholischen Kirche in den letzten Tagen und Wochen so wahrgenommen, gerade vonseiten der Jesuiten, dass sie dieses Problem offensiv und ohne jede Vertuschungsabsicht angehen möchte.

    Heinemann: Herr Ruppert, Robert Zollitsch hat mit Angela Merkel telefoniert. Sollte sich die Kanzlerin vor die Ministerin oder an die Seite der Kirche stellen?

    Ruppert: Ich habe Frau Merkel da keinen Ratschlag zu geben. Ich glaube, das Beste ist, wenn der intensive Dialog zwischen katholischer Kirche und Frau Leutheusser fortgesetzt wird. Ich habe heute zum Beispiel mit unserer Fraktionsvorsitzenden, Frau Homburger, ein ganz normales Gespräch, was schon lange vereinbart war, mit dem Prälaten Jüsten. Also es gibt einen guten Dialog zwischen FDP und katholischer Kirche, und das sollten wir fortsetzen.

    Heinemann: Droht in Deutschland ein neuer Kulturkampf?

    Ruppert: Nein! Ich habe über das Thema des Kulturkampfes ja promoviert. Ich glaube, es droht kein Kulturkampf, sondern es wird weiter fortgesetzt, was gut angefangen hat: ein Dialog. Der Staat ist auf werteorientierte Kirchen, Religionsgemeinschaften und Menschen mit Weltanschauungen angewiesen und insofern habe ich ein großes Interesse, dass das sachlich und in aller Ruhe, vielleicht etwas sachlicher als mit Ultimaten oder Aufforderungen fortgesetzt werden kann.