Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv


"Das ist eine Gelddruckmaschine für die Zukunft"

Das Europäische Patentamt berät über das 2002 erteilte Patent auf das Züchtungsverfahren für eine Brokkoli-Sorte. Die Grünen-Vizefraktionschefin im Bundestag, Bärbel Höhn, warf der Behörde vor, solche Patente zu leichtfertig zu erteilen.

Bärbel Höhn im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.07.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Tomaten, die nicht matschen, weil sie weniger Wasser enthalten als üblich, Brokkoli, der in weit höherem Maße einen Stoff namens Glucosinolat enthält, der vorbeugend gegen Krebs schützen soll. – Das sind nur zwei Beispiele von Nahrungsmitteln, die nach Zukunftsmusik klingen und doch schon Realität sind und auf die bereits Patente erteilt worden sind. Ob zu Recht, darüber berät ab heute das Europäische Patentamt.

    Und am Telefon hat mitgehört Bärbel Höhn, die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Schönen guten Morgen, Frau Höhn!

    Bärbel Höhn: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Frau Höhn, wer eine Erfindung macht, soll auch etwas davon haben. Gilt dieser einfache Grundsatz oder gilt der nicht?

    Höhn: Natürlich gilt der, aber hier geht es ja darum, dass diejenigen, die hier Patente anmelden, eigentlich gar keine Erfindung gemacht haben, sondern es geht ihnen darum, dass sie Patente auf unsere Lebensmittel bekommen und de facto dann immer an diesen Lebensmittel verdienen. Und das ist eine Gelddruckmaschine für die Zukunft. Denn natürlich müssen wir essen, wir brauchen Lebensmittel und wer darauf sozusagen sein Patent angemeldet hat, wer da mit verdienen kann bei jedem Verkauf dieser Produkte, der hat natürlich eine Gelddruckmaschine, also …

    Heckmann: … das sieht aber der – pardon, Frau Höhn –, der Hersteller dieses Brokkoli, dieses besagten Brokkoli – "Plant Bioscience" heißt die Firma – völlig anders. Die sagen, man habe das biologische Verfahren ergänzt um ein technisches Verfahren, denn mit Hilfe von sogenannten Markergenen werden die Inhaltsstoffe gekennzeichnet, die für die Krebsvorbeugung wichtig sei. Warum sollte das also nicht patentierbar sein?

    Höhn: Also der entscheidende Punkt ist, dass es wirklich eigentlich nur noch ganz kleine Sachen sind, die als technische Erfindung da dazukommen. Also zum Beispiel so ein aufgewerteter Gentest, das ist ja eigentlich nichts Dolles. Das heißt, es geht um ein Verfahren, was von denen beschrieben wird, und damit wollen sie über dieses Verfahren, aber gleichzeitig auch das Patent auf das Produkt selber. – Und häufig sogar nicht nur auf das Produkt, sondern es gibt jetzt sogar Patentanmeldung darauf, dass man zum Beispiel bei Soja sagt, ich will nicht nur das Patent auf die Sojapflanze, sondern auch auf das Öl, was daraus hergestellt wird, also auf die Nachfolgeprodukte oder auch auf das Saatgut, was daraus folgt, also sozusagen dann auf alles. Und das ist eigentlich unglaublich, dass man Patente auf die Natur, die um uns herum ist, dass man Patente auf Tiere und Pflanzen letzten Endes damit bekommt.

    Heckmann: Das heißt, Sie sehen auch die Gefahr wie das Verbraucherschutzministerium in Berlin, dass das Patentverbot für Lebewesen durch die Hintertür eingeführt werden könnte?

    Höhn: Also ich sehe diese Gefahr sehr, sehr klar und ich glaube auch, dass wir alle da sehr viel mehr dagegen tun müssen. Weil es geht um die Biopatentrichtlinie, die ist 1998 in Europa erlassen worden und diejenigen, die Patente jetzt anmelden, die stützen sich immer auf diese Biopatentrichtlinie. Die ist sehr unklar in ihren Beschreibungen und deshalb versucht man, über diese Biopatentrichtlinie sozusagen an die Macht über die Lebensmittel zu kommen. Und aus meiner Sicht geht es darum, dass man diese Biopatentrichtlinie auch wieder ändert, klarer fasst.

    Heckmann: Was ist der Grund dafür, dass diese Richtlinie eben so uneindeutig formuliert ist?

    Höhn: Das, da, das liegt ganz sicher an der Lobbyarbeit dieser großen Chemiekonzerne, denn es sind in der Regel ja die Chemiekonzerte, die diese Patentanmeldung machen. Es ist mittlerweile so, dass zwei Drittel der Gemüsesorten, dass darüber versuchen diese großen Energiekonzerne, sozusagen ihre Hand zu halten. Und das würde am Ende dazu führen, dass man ja weniger Gemüsesorten oder weniger Pflanzensorten hat und dass sie sich verteuern, weil immer diese Patentgebühren anfallen beim Verkauf. Also das heißt, es geht um ein ganz riesiges Geschäft. Und da haben 1998 halt diese Konzerne mit ihrem großen Einfluss in Europa dafür gesorgt, dass diese unklare Biopatentrichtlinie verabschiedet wurde.

    Heckmann: Weshalb aus Ihrer Sicht haben diese Konzerne so einen großen Einfluss auf politische Entscheidungen in Brüssel?

    Höhn: Das ist ja schon so – das merke ich ja selbst im Bundestag –, dass es da ganz, ganz viele Veranstaltungen abends gibt, die letzten Endes Lobbyveranstaltungen sind. Und das ist auf der europäischen Ebene noch viel stärker. Also das heißt, da geht es um viel Geld, da geht es um die Umsätze der Zukunft, die Gewinne der Zukunft, und da sind natürlich da und versuchen, einzuhaken. Ich will noch eins dazu sagen: Es geht ja hier um die EPA, das ist die Genehmigungsbehörde in Europa bei solchen Patenten …

    Heckmann: … das Europäische Patentamt …

    Höhn: … und die finanzieren sich über Gebühren und Anmeldungen zur Aufrechterhaltung dieser Patente. Das heißt, die vergeben deshalb auch ganz viele Patente, sonst hätten sie ja gar keine eigene Finanzierung. Und das ist natürlich unmöglich, dass man diese Behörde so finanziert, dass sie letzten Endes dazu gebracht wird, einen Vorteil da für sich selber zu sehen, wenn sie solche Patente genehmigt.

    Heckmann: Das heißt, Sie unterstellen dem Europäischen Patentamt, da gar nicht objektiv sein zu können?

    Höhn: Also ich sage zumindest, da gibt es ein Interesse, was da ganz leicht dazu führen kann, dass sie am Ende eben nicht objektiv genehmigen. Und man sieht auch: Obwohl es immer absurdere Patentanmeldungen gibt, gibt es sozusagen immer dieselbe Quote von Patenten, die auch genehmigt werden. Also diese EPA steht bei ganz vielen in der Kritik, weil sie zu leichtfertig solche Patente vergibt, und deshalb lässt es diesen Verdacht, den ich eben dargestellt habe, schon sehr gut zu.

    Heckmann: Nicht nur die Bündnisgrünen wenden sich ja gegen die Entwicklung, die da derzeit offenbar zu beobachten ist, auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner von der CSU möchte zur Not Änderungen am europäischen Patentrecht durchsetzen. Das heißt, Sie ziehen da am gleichen Strang?

    Höhn: Ja, ich würde sogar sagen, dass Ilse Aigner da aus meiner Sicht – oder die Bundesregierung, muss man dazu sehen –, aus meiner Sicht da nicht konsequent genug ist. Ilse Aigner ist immer sehr, sehr gut mit Worten, beim Handeln ist das dann nicht so doll. Und man sehen, dass es momentan auch einen Konflikt eher gibt zwischen dem Bundeslandwirtschaftsministerium und dem Bundesjustizministerium, weil die Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger da sehr - ja ich sag mal - viel weniger engagiert ist, kann man vielleicht so sagen, als die Kollegin Aigner. Und von daher gibt es auch da wieder eigentlich einen Konflikt in der Bundesregierung, der Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Koalition ist eigentlich sehr eindeutig und ist auch sehr für den Schutz der Möglichkeit, dass man nicht patentieren darf, dass man Pflanzen und Tiere nicht patentieren darf, da ist er eigentlich sehr klar, aber die Umsetzung des Koalitionsvertrags, da hapert es. Und da würde ich auch der Ilse Aigner einfach mehr Durchsetzungskraft wünschen, weil sie da immer ganz …

    Heckmann: … was genau müsste geändert werden, ganz kurz, Frau Höhn, was genau müsste geändert werden?

    Höhn: Ja der entscheidende Punkt ist, diese Biopatentrichtlinie müsste verändert werden, das ist ein dickes Brett, weil da braucht man wieder Mehrheiten in der EU. Aber ich finde, dass momentan da zu wenig getan wird von der Bundesregierung, um dieses Ziel auch zu verfolgen.

    Heckmann: Heute startet eine wichtige Anhörung des Europäischen Patentamts, im Oktober wird dann voraussichtlich eine Entscheidung fallen. Wir haben darüber gesprochen mit Bärbel Höhn, der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Frau Höhn, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Höhn: Bitte!
    Brokkoli
    Brokkoli (Stock.XCHNG - J. Gabriel)