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"Das ist eine neue Form von Öffentlichkeit"

Immer auffälliger versuchen die großen Parteien, sich gegenseitig in der Öffentlichkeit schlecht zu machen. Für diesen Zweck haben besonders SPD und CDU das Internet für sich entdeckt. Der Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht fordert das Einhalten ethischer Regeln.

25.09.2009
    Jasper Barenberg: Von einem unappetitlichen und würdelosen Schmierentheater sprechen Zeitungskommentatoren in Nordrhein-Westfalen heute und von einer Videoaffäre des Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Begonnen hat alles so: Die SPD filmt auf einer Wahlkampfveranstaltung abfällige Bemerkungen des CDU-Politikers über die Arbeitsmoral in Rumänien und veröffentlicht diesen Auszug im Internet. Im Gegenzug lassen die Christdemokraten in Düsseldorf SPD-Landeschefin Hannelore Kraft generalstabsmäßig filmen. Ein politischer Skandal, oder nehmen wir jetzt nur zur Kenntnis, wie selbstverständlich Parteizentralen heute die Beobachtung des politischen Gegners organisieren, wie selbstverständlich sie dabei auch das Internet als Plattform für die politische Auseinandersetzung nutzen. Dort jedenfalls, im Internet, wird Engagement im Wahlkampf ja dieser Tage noch in ganz anderer Form erlebbar gemacht, zum Beispiel auf großen Wahlkampfveranstaltungen der CDU. So hört es sich an, wenn sich Aktivisten übers Internet verabreden und auf einer Wahlkampfveranstaltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel Lärm machen, ein sogenannter Flashmob, hier als politische Aktionsform, verarbeitet wiederum und verbreitet übers Internet. Darüber und über die Praxis der Parteien, den politischen Gegner zu beobachten, wollen wir jetzt mit dem Journalisten und Strategieberater Robin Meyer-Lucht sprechen, den ich in Berlin im Studio begrüße. Guten Tag, Herr Meyer-Lucht.

    Robin Meyer-Lucht: Hallo!

    Barenberg: Herr Meyer-Lucht, zunächst mal vielleicht zur politischen Gegnerbeobachtung. Ist das tatsächlich ein Skandal, oder ist das längst an der Tagesordnung?

    Meyer-Lucht: Es ist so, dass alle großen Parteien richtige Gegnerbeobachtungsstäbe beschäftigen, die ganz genau analysieren, wie der Gegner sich verhält, die auch jeden Spitzenpolitiker, der in Talkshows geht, mit Dossiers über die dort Teilnehmenden versehen. Gegnerbeobachtung wird in der politischen Strategie ganz, ganz groß geschrieben. Daran arbeiten Dutzende von Leuten in den Parteien. Was jetzt die neue Dimension ist, dass offenbar die CDU sich entschieden hat, diese Gegnerbeobachter, die auch immer schon auf die Veranstaltungen gegangen sind, jetzt mit einer Kamera auszustatten und das dann auch ins Internet zu stellen.

    Barenberg: Genau das wollte ich nämlich fragen. Die Internet-Verwertung ist das sozusagen ein neuer Aspekt, wenn man berücksichtigt, dass es ja die Jusos, also die Jugendorganisation der Sozialdemokraten waren, die den faux Pas des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten zuerst ins Internet gestellt haben?

    Meyer-Lucht: Möglicherweise ja auch schon als Teil einer professionellen Gegnerbeobachtung. Bloß waren die Jusos sozusagen noch halb Graswurzel, während die CDU ja offenbar professionelle Kamera-Teams dann plötzlich angestellt hat, was natürlich dann so einen merkwürdigen Impuls noch dahinter vermuten lässt. Grundsätzlich muss man sagen, wir hatten das ja schon einmal in diesem Wahlkampf. Die Gesundheitsministerin Ursula von der Leyen hat auf einer Veranstaltung, glaube ich, im Saarland oder in Rheinland-Pfalz doch noch mal ganz anders über diese Internet-Zensuren gesprochen, als sie das so im Fernsehen adrett tun würde. Sie ist dabei gefilmt worden und das sorgte dann im Internet für einigen Aufruhr. Was wir jetzt im Grunde sehen ist, dass die Parteien dann schnell gemerkt haben, aha, das Internet verändert nicht nur die politische Kommunikation dahin gehend, dass wir aufpassen müssen auch in kleineren Wahlveranstaltungen, das kann am Ende auf die große Bühne schwappen, aber andererseits auch zu sagen, aha, das ist ein interessantes PR-Instrument, vielleicht nutzen wir das für uns auch. Es muss ja nicht immer nur die Graswurzel-Bewegung filmen.

    Barenberg: Welchem der beiden Aspekte gehört denn die Zukunft? Wird es verstärkt PR-Strategien in dieser Hinsicht geben?

    Meyer-Lucht: Ich glaube, die Zukunft gehört beidem. Wir kommen in eine Öffentlichkeit, woran zunehmend mehr Leute teilnehmen. Jeder kann ja Inhalte und Ideen ins Internet stellen und diese Ideen können dann in Schneeballsystemen sozusagen eine große Öffentlichkeit erreichen. Zugleich wird die Verstrickung von PR in diese neue Öffentlichkeit immer größer und immer schwieriger auch zu kontrollieren. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, wie viel komische Papiere diese Woche da irgendwie noch ständig im Internet von irgendwelchen Leuten jetzt am Schluss des Wahlkampfs erscheinen, und ich glaube, es war auch für den Journalismus nicht einfach, bei dieser Welle von PR, die sich da im Netz entfaltet, ein Immunsystem aufzubauen.

    Barenberg: Wie kann denn der politische Journalismus, wie können die Medienbeobachter umgehen mit diesem Phänomen? Wie können sie gewährleisten, dass sie nicht einer falschen Information beispielsweise aufsitzen?

    Meyer-Lucht: Ich glaube, dass wir da eine neue Medienkompetenz auch für Journalisten brauchen und vielleicht auch neue ethische Regeln, wie man mit solchen Dingen umgeht. Ich glaube aber, man sollte grundsätzlich sehr kritisch sein und bei jedem Video, was angeblich bei YouTube auftaucht, muss man sich sehr genau fragen und immer wissen, das kann auch eine PR-Agentur gewesen sein, auch wenn das so aussieht, als wenn das von irgendeiner Graswurzel-Bewegung gekommen ist. In Amerika gibt es dafür schon einen Ausdruck; das heißt Astroturfing. Astroturf ist ein Stadionrasen, dass man sozusagen ganz professionell PR-mäßig versucht, so zu tun, als sei eine Bewegung aus dem Internet entstanden, und dabei stehen dann doch sehr eindeutige PR-Interessen dahinter.

    Barenberg: Lassen Sie uns noch kurz auf diesen sogenannten Flashmob zu sprechen kommen, jedenfalls den politischen Flashmob, also das Verabreden im Internet, um dann zu einer Wahlkampfveranstaltung zu gehen und meistens sinnentleerte Wörter zu rufen und in dieser Weise diese Wahlkampfveranstaltung zu kommentieren. Ist das eine neue Form des politischen Engagements, wenn man so will?

    Meyer-Lucht: Ich finde das eine sehr, sehr spannende Entwicklung, weil es im Grunde zeigt, wozu das Internet in der Lage ist. Diese Bewegung ist entstanden, weil eine Person auf ein Wahlplakat in Hamburg geschrieben hat und alle sagen yeah. Eine Person hatte eine Idee und dann hat sich das im Internet wie ein Schneeballsystem fortgepflanzt, weil immer mehr Leute gesagt haben, ja, das stimmt, vielleicht ist das die adäquate Antwort auf einen Wahlkampf, der uns eigentlich die entscheidenden Antworten verweigert, dann gehen wir jetzt auch hin und verweigern uns sogar des plakativen Protests und sagen auch nur noch einfach, ja, stimmt ja alles. Die Reaktion auf diesen Wohlfühlwahlkampf, der nicht wirklich kommunizieren will über die wirklichen Probleme, die dieses Land hat, hinzugehen und zu sagen, ja, dann sind wir jetzt auch mal so wohlfühlmäßig, das ist eigentlich, finde ich, eine sehr adäquate, interessante Art, auf diesen Wahlkampf zu reagieren. Das Spannende ist, dass es im Internet möglich war, dass eine Person, die eine Idee hatte, dann innerhalb von zwei Wochen letztlich es geschafft hat, dass diese Idee dann am Ende in der Tagesschau ist. Das ist eine neue Form von Öffentlichkeit und das ist schon hoch spannend.

    Barenberg: Der Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht, unter anderem Betreiber des Internet-Blogs mit dem Titel "CARTA". Vielen Dank für das Gespräch, Herr Meyer-Lucht.