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"Das ist einer dieser seltenen Glücksmomente"

Hasen und Hände kennt man nun von Albrecht Dürer, doch seine jungen Jahre, seine malerische Selbstfindung, dürfte Vielen unbekannt sein. Das Nürnberger Germanische Nationalmuseum will das ändern - und Stefan Koldehoff, der für uns die Ausstellung besucht hat, zeigt sich begeistert.

Das Gespräch führte Christopg Schmitz |
    Christoph Schmitz: Albrecht Dürer hatte ungarische Vorfahren. Sie kamen aus dem Ort Ajtosi. Und Ajtos heißt auf Ungarisch Tür. So nannte sich Albrecht Dürers Großvater in Deutschland der aus Tür stammende, der Türer, woraus Albrecht der Maler, der oberfränkischen Mundart entsprechend, den Dürer machte. Als Künstler wurde sein Familienname förmlich Programm. Er öffnete dem neuzeitlichen Künstlertum neue Türen. Im geistigen Umfeld von Reformation, Humanismus und Renaissance rückte Dürer sich selbst, seine Persönlichkeit, ins Zentrum seines Schaffens, was sich schon daran zeigte, dass er die individuelle Autorenschaft seiner Arbeiten mit seinem berühmten Monogram – unterm A das D – dokumentierte. Wie es zu dieser Entwicklung kam, welche Lebensumstände es waren, die Albrecht Dürers Werk erst ermöglicht haben, das zeigt nun eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, Dürers Geburts- und Heimatstadt. "Der frühe Dürer" – so der Titel der Schau, die übermorgen ihre Pforten öffnet. Stefan Koldehoff hat vorab einen Rundgang unternommen. Wie tief taucht die Ausstellung denn hinein in die jungen Jahre Albrecht Dürers, der 1471 geboren wurde? Das habe ich meinen Kollegen zuerst gefragt.

    Stefan Koldehoff: Enorm tief und man hat wirklich in vier großen Abteilungen versucht, alle Aspekte seines Schaffens zu beleuchten. Das heißt, man fängt an mit seinem Selbstverständnis in Gestalt der Selbstbildnisse. Wir erinnern uns: Es gab die große Debatte, dass das Selbstbildnis im Pelzmantel aus konservatorischen Gründen leider aus München nicht nach Nürnberg reisen durfte. Aber wenn man sieht, was alles da ist, dann ist das sehr schnell vergessen.
    Dann gibt es eine zweite Abteilung, in der geht es um die Auseinandersetzung mit der Tradition in Nürnberg, und da darf man nicht vergessen, dass es in Nürnberg eine ungeheuer, für unsere Verhältnisse würde man sagen, moderne Tradition um 1500 bereits gegeben hat. Da gab es vor allen Dingen Hans Pleydenwurff, einen großen Maler, der eigentlich der bedeutendste Neuerer der deutschen Malerei in der Spätgotik gewesen ist, der gesagt hat, wir müssen weg von den formalistischen Darstellungen, die es bis dahin von Herrschern und von kirchlichen Szenen gegeben hat, wir müssen zum Alltag hin, wir müssen die Natur mit ins Bild reinnehmen, wir müssen gucken, dass wir anatomisch korrekte Körper wiedergeben, dass wir die Figuren individualisieren, damit die Menschen, die das sehen, sich wiedererkennen in den Bildern. Und bei dessen Nachfolger, da ist Dürer in die Lehre gegangen.

    Eine dritte Abteilung zeigt, was Dürer selbst aus diesen Vorgaben gemacht hat, wie er es plötzlich schafft, selbst aus den drögesten, sprödesten Stoffen noch Dramatik abzugewinnen, indem er den Fokus auf bestimmte einzelne Figuren, die er aus der Masse heraushebt, legt, indem er mit dramatischen Landschaften arbeitet, mit bewölktem, mit mal lichtdurchflutetem Himmel.
    Und dann steht ganz am Schluss als vierte Abteilung sozusagen die Frage, beginnt mit diesem Dürer eigentlich eine neue Kunst, ist er derjenige, der der Kunst die Autonomie gibt, der sich als Künstler selbst versteht, der um der Kunst willen schafft und nicht um irgendwelchen Fürsten oder Kirchenherren zu dienen, sondern um aus dem, was er sieht, heraus autonome Kunst zu machen. Und wenn man diese Ausstellung hier in Nürnberg gesehen hat, dann kann man eigentlich nur zum Ergebnis kommen: Er war vielleicht nicht der Allererste, aber er war sicherlich der maßgebliche.

    Schmitz: Wird das alles mit Kunstwerken dokumentiert, oder gibt es auch autobiografisches Material darüber hinaus?

    Koldehoff: Ja, es gibt beides, und das ist so faszinierend. Wenn man sich zum Beispiel anguckt, dass Dürer ein Gedenkbuch geführt hat – heute würde man so was facebook oder einen frühen Blog wahrscheinlich nennen -, also ein Buch, in das er akribisch all das notiert hat, was ihn damals beschäftigt hat (vier Seiten sind leider heute nur noch erhalten; man weiß aber, dass es mal viel, viel umfangreicher war), wenn man sieht, dass er mal vorhatte, eine zehnbändige Geschichte der Malerei zu schreiben, in der er Nachfolgern, Schülern, Zeitgenossen ganz genau zeigen wollte, was denn bitte wie zu machen sei, dann ist das schon ein sehr interdisziplinäres Gesamtbild, das man dann sieht.
    Dazu kommt Forschung an den Bildern. Man hat viele Bilder zum allerersten Mal geröntgt und mit anderen Methoden untersucht, festgestellt, dass dieses Dürer-Bild, das wir häufig noch aus dem 18., 19. Jahrhundert haben, diesen romantischen Geniebegriff, dass das so gar nicht stimmt, dass natürlich auch Dürer jemand war, der ringen musste, der große Schwierigkeiten zunächst mit der Perspektive hatte, der keine richtige Idee am Anfang hatte, wie man eigentlich in einem Bild den Vordergrund, den Mittelgrund und den Hintergrund vernünftig miteinander verbindet. Das war vorher in der Kunst auch nie nötig gewesen, da hatte man einfach eine platte Scheibenmalerei gemacht ... dann ist das schon reichlich faszinierend.

    Schmitz: Sie sagten es bereits: also eine interdisziplinäre Ausstellung, in der, so sagen es die Ausstellungsmacher, Perspektiven der Medientheorie eingeflossen seien, die Italien-Forschung zum Tragen kommt, aber auch Lokalgeschichte aufgearbeitet wird und Kunsttechnologie ebenfalls mit hineingezogen wird. Ist das insgesamt gelungen, oder doch etwas überdimensioniert?

    Koldehoff: Nein, überhaupt nicht. Schon durch die Beschränkung bis 1504, bis zur zweiten Italien-Reise, ... Übrigens wird die erste Italien-Reise, bei der es bisher immer heißt, da hat Dürer so ganz viel mitbekommen, hier infrage gestellt, ob sie überhaupt stattgefunden hat, denn man hat festgestellt, dass da Bilder entstanden sind von Bauwerken, die es zu der Zeit, als diese Reise stattgefunden haben soll, 1496 nämlich, noch gar nicht gegeben hat. Es ist hervorragend präsentiert: abgedunkelte Räume, weil man die Zeichnungen und die Gemälde Seite an Seite zeigt, die Gemälde sehr unaufdringlich beleuchtet, man sieht alles, es sind Meisterwerke da wie die Haller Madonna oder wie die Bildnisse der Familie Tucher, oder die Eltern-Porträts. Also mir hat nichts gefehlt. Das ist einer dieser seltenen Glücksmomente, in denen wieder mal Forschung und Bildungsauftrag eines Museums mit einem großen Kunstgenuss einhergeht.

    Schmitz: Stefan Koldehoff über die Ausstellung "Der frühe Dürer" im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.