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"Das ist einfach schlechter Stil"

Ein weiteres Problem des Schwunds führender CDU-Politiker: "Da ist keine Führungsreserve da", konstatiert Publizist und Autor Hugo Müller-Vogg. Und genau darin sieht er das Zukunftsproblem der CDU.

Hugo Müller-Vogg im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Über die Konsequenzen des Tags gestern, der personellen Entwicklung bei der CDU in den vergangenen Monaten wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den Publizisten und Autor Hugo Müller-Vogg – guten Tag!

    Hugo Müller-Vogg: Ja, guten Tag, Frau Schulz!

    Schulz: Die personellen Entwicklungen bei der CDU, jetzt der Rückzug von Beusts, sind die gut oder schlecht für die Partei?

    Müller-Vogg: Also das hat es, glaube ich, in Deutschland noch nicht gegeben, dass eine Partei in so kurzer Zeit so viele politische Schwergewichte einfach verliert. Und insofern ist das entgegen der Gesundbeterei von Herrn Kauder oder Herrn Altmaier für die Union natürlich ein ganz schwerer Schlag.

    Schulz: Und was haben diese Veränderungen mit Angela Merkel zu tun?

    Müller-Vogg: Richtig ist sicher, dass es in jedem dieser Fälle spezifische Gründe gab. Aber richtig ist auch, dass Angela Merkel es nicht geschafft hat, diese Partei so zu führen, wie sie früher geführt wurde, nämlich als eine Mischung aus Familie und Kampfverband, wo man füreinander einsteht und wo man gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitet. Angela Merkel sieht das alles offenbar sehr nüchtern, wie Physiker das so sehen – wenn Materie entweicht, strömt andere nach, ein Vakuum entsteht da nicht. Aber es ist, glaube ich, schon ein Unterschied, wer da in der Union für was steht. Wenn man sieht, beispielsweise nehmen Sie die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Unionsfraktion, ich kann jetzt ein paar Namen sagen, außer Insidern kennt die keiner – Krings, Fuchs, Meister, Fischbach, Schockenhoff, Ruck beispielsweise –, da ist keine Führungsreserve da.

    Schulz: Sie sagen, ein Vakuum entstehe nicht, aber wenn man physikalisch weiter diskutiert, wächst dann der Druck auf Angela Merkel?

    Müller-Vogg: Ja, ich glaube schon, dass der Druck auf Angela Merkel wächst. Nur sie hat natürlich in der Situation den großen Vorteil, dass niemand da ist, der sozusagen zwingend als Alternative dasteht. Alle die, die eine personelle Alternative zu ihr gewesen wären, sozusagen für die man hätte putschen können, die sind alle weg.

    Schulz: Jeder sei ersetzbar, auch in Berlin, das haben wir gerade gehört, hat Ole von Beust heute Vormittag gesagt. Das heißt, mit Blick auf die Kanzlerin Angela Merkel stimmt das jetzt im Juli 2010 nicht?

    Müller-Vogg: Natürlich ist jeder ersetzbar, es bleibt in der Bundesrepublik, in so einem politischen System bleibt nie ein Posten unbesetzt. Nur ist ja eben die Frage, wer kann das machen. Schauen Sie mal, wenn Sie nehmen Koch, Rüttgers, Wulff, Oettinger, die vier verkörperten sozusagen insgesamt ja die gesamte Bandbreite der Union, die alte Union sozusagen, die es geschafft hat, den Ausgleich zu schaffen zwischen Sozialem und dem Markt, konservative Werte. Dazu Ole von Beust, der jetzt eher den etwas liberaleren Teil abdeckte. Ja, es gibt fünf neue Leute, das ist kein Problem, nur ob die sozusagen diesen Charakter der Volkspartei so abdecken können, da habe ich meine großen Zweifel.

    Schulz: Und dass jeder ersetzbar wäre, auch vielleicht eine Kanzlerin, rechnen Sie damit, dass sich diese Einsicht dann auch in der Union durchsetzt?

    Müller-Vogg: Natürlich ist jeder ersetzbar. Wenn der Kanzlerin morgen etwas passiert, ist sie ersetzbar. Nur es drängt sich im Moment niemand auf. Es ist ja so, wenn in einer Partei Unruhe ist, dann versucht man unter Umständen das Führungspersonal auszuwechseln, aber dann muss sich jemand anbieten. Es gab ja mal den Versuch, Helmut Kohl zu stürzen mit Lothar Späth. Keiner hätte bestritten, dass Lothar Späth das nicht gekonnt hätte damals, das Kanzleramt auszuüben. Aber im Moment, wer bietet sich an. Also ich sehe in der Union eigentlich ... Wenn Angela Merkel gestürzt würde, dann müsste man einen Putsch machen zugunsten von Wolfgang Schäuble. Das halte ich für ziemlich unrealistisch, dass man einen Mann dieses Alters und auch mit angeschlagener Gesundheit in dieses Amt befördert. Und dann bliebe noch Volker Kauder. Und ansonsten ist da weit und breit niemand zu sehen, der das machen könnte.

    Schulz: Wenn wir jetzt auf die neue Riege in den Ländern blicken, Mappus in Baden-Württemberg, McAllister in Niedersachsen, wohl Ahlhaus in Hamburg – wofür stehen die?

    Müller-Vogg: Ja gut, Mappus ist durchaus ein traditioneller Unionsmann. McAllister passt da auch rein, nur die haben alle noch nie eine Wahl gewonnen. Insofern, keine Partei würde beispielsweise ihre Führung, also den Bundesvorsitz, anvertrauen jemandem, der erst mal ein halbes Jahr im Amt ist. Die ganz stark für das weitere Schicksal der Union, die ganz entscheidende Wahl ist Baden-Württemberg im nächsten Frühjahr. Wenn es dort für Schwarz-Gelb nicht reichen sollte, und zwar in einem Land, das traditionell Hochburg der CDU ist und Hochburg der FDP, wenn es dort nicht mehr reichen sollte, ich glaube, dann gäbe es dann doch eine Palastrevolution und da würde dann, glaube ich, die Regel gelten: jeden anderen, nur nicht mehr Merkel.

    Schulz: Aufgefallen ist uns auch, um in Niedersachsen zu bleiben, dass David McAllister heute Morgen im Interview hier mit dem Deutschlandfunk gesagt hat, gleich zwei Mal betont hat, er sei ein großer Unterstützer Angela Merkels. Ist das jetzt auch Karrierevoraussetzung in der CDU Angela Merkels?

    Müller-Vogg: Ja, gut, die Herren sind ja alle um Schadensbegrenzung bemüht. Und in der Situation zu sagen, ich bin ein Gegner von Angela Merkel, nutzt der Partei nicht, nutzt auch ihm nicht. Insofern ist es eigentlich zu erwarten, dass er das sagt. Das darf man aber nicht zum Nennwert nehmen.

    Schulz: Herr Müller-Vogg, es ist ja in diesen Tagen, in diesen Wochen keine Übertreibung mehr, von einer Welle von Rücktritten zu sprechen – Koch, Köhler, Beust –, wird diese Rücktritteritis denn langsam auch zum Demokratieproblem?

    Müller-Vogg: Also wir haben sicherlich eine Situation, die insofern neu ist, dass Politiker einfach sagen, ich habe keine Lust mehr. Wobei ich sagen muss, der Rücktritt von Horst Köhler fand ich besonders schlimm, weil der höchste Repräsentant dieses Staates das Amt wegwirft wie ein gebrauchtes Hemd, von jetzt auf nachher. Ich sage mal, wenn ein Beamter morgens um elf seinem Chef sagt: "Chef, ich hab keine Lust mehr", und geht um zwei Uhr, dann wird dem die Pension gekürzt und er bekommt noch ein Disziplinarverfahren nachträglich. Wenn der Bundespräsident so ein Beispiel gibt, ist das besonders schlimm. Aber wir sehen auch bei der anderen Generation der Politiker, die dann sagen, also ich hab das jetzt lange genug gemacht, jetzt breche ich auf zu neuen Ufern. Das an sich ist nicht schlimm, nur die Art, wie es teilweise geschieht. Also zuerst einmal, Beust in angetreten 2008, wollte etwas Neues wagen mit Schwarz-Grün und gibt jetzt einfach nach der Hälfte der Legislaturperiode auf. Die Wähler haben ihn für vier Jahre gewählt, er hat um Vertrauen geworben für vier Jahre. Und jetzt sagt er einfach, ich hab jetzt keine Lust mehr. Und wenn das dann noch zusammenfällt mit dem Erreichen des 55. Lebens ..., mit der Vollendung des 55. Lebensjahres und damit dem Erreichen der Altersgrenze, von der an man pensionsberechtigt ist, dann hinterlässt das mehr als einen bitteren Nachgeschmack.

    Schulz: Auf der anderen Seite erscheint es ja keinen ausgeprägten Hang mehr zu geben von Politikern, an ihrem Sessel zu kleben. Wäre das nicht auch für sich genommen eine gute Nachricht?

    Müller-Vogg: Also, es gibt immer zwei Extreme. Das eine Extrem sind die Politiker, die sagen, also ich verlasse dieses Büro, dieses Amtsgebäude nur mit den Füßen voraus, also wenn ich tot 'rausgetragen werde – das ist das eine schlechte Extrem. Das andere schlechte Extrem ist, ich mach es nicht nach Lust und Laune. Wissen Sie, wenn jemand längere Zeit in der Landespolitik ist, und sagt dann, so, das ist meine letzte Legislaturperiode, ich werde ein Jahr vor der nächsten Wahl das Amt abgeben, damit mein Nachfolger Zeit hat, sich einzuarbeiten. Ich glaube, das verstehen auch die Leute, das ist ein geordneter Rückgang. Aber dass man einfach so mitten im Sommer dann sagt, jetzt hör ich auf und in vier Wochen kommt der Nachfolger, das ist einfach schlechter Stil.

    Schulz: Der Publizist und Autor Hugo Müller-Vogg, heute in den "Informationen am Mittag" hier im Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank!

    Müller-Vogg: Gerne!