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"Das ist ja destruktives Verhalten"

Nach Ansicht des hessischen SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel besitzt GM keinerlei Konzept für eine neue Europastrategie. Er forderte von dem Unternehmen schnellstmöglich Klarheit über die Zukunft von Opel.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Opel und Magna, ein Flirt, eine Verlobung und dann kurz vor der Hochzeit das Aus. Die Opel-Mutter sagt "Nein!".
    So weit unsere Einstimmung auf das Gespräch mit Thorsten Schäfer-Gümbel. Er ist jetzt am Telefon, der SPD-Vorsitzende und Oppositionsführer in Hessen. Guten Morgen!

    Thorsten Schäfer-Gümbel: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Hat Jürgen Rüttgers, CDU-Politiker und Regierungschef in Nordrhein-Westfalen, Recht, wenn er sich bei der Entscheidung von GM an das hässliche Gesicht des Turbokapitalismus erinnert fühlt?

    Schäfer-Gümbel: Na ja, wenn Herr Rüttgers das sagt, der ja nun immer als einer der Propheten des Turbokapitalismus in der Vergangenheit aufgetreten ist, entbehrt das nicht einer gewissen Komik.

    Spengler: Also seit er Arbeiterführer hier in Düsseldorf ist, ist das alles ganz anders?

    Schäfer-Gümbel: Ja, ja. Wie überzeugend er in der Rolle ist, dazu könnte ich jetzt viele Sachen machen. Das ist hier nicht unser Thema. Er hat natürlich insofern recht, dass die Entscheidung, die General Motors vorgestern getroffen hat, inakzeptabel ist und ausschließlich den eigenen Interessen folgt, nachdem es vorher andere Zusagen gegeben hat. Deswegen kann ich den Zorn nicht nur verstehen, sondern teile ihn ausdrücklich.

    Spengler: Ist es nicht so: General Motors stand vor dem Abgrund. Es gab die berechtigte Furcht, dass Opel mit abstürzt. Nun aber hat es General Motors gepackt und Opel kann im Konzern bleiben. Wo ist das Problem, wo ist der Grund für Ihre Empörung?

    Schäfer-Gümbel: Erstens muss man mal sehen, dass die Frage, ob General Motors es geschafft hat, nicht entschieden ist. Die haben jetzt das erste Mal wieder bessere Zahlen geschrieben nach einer langen Phase des Absturzes. Es gibt keine Strategie, das ist ja der entscheidende Punkt. Der Verwaltungsrat von General Motors hat vorgestern Nacht die einzige auf dem Tisch liegende Strategie für die Tochter Opel in Europa abgelehnt. Es gibt keinen Sanierungsplan, es gibt kein Restrukturierungskonzept. GM wird daran jetzt erst einmal arbeiten. Natürlich kann GM als Eigentümer jederzeit für sich selber entscheiden, man macht das jetzt alles anders, nur es gibt ja eine Vorgeschichte und diese Vorgeschichte bestand darin, dass wir in einer sehr schwierigen Phase auch als Politik Unterstützung zugesagt haben und in diesem Prozess bestimmte Entscheidungen getroffen wurden, die insbesondere für Opel – und Opel sollte ja nicht aus dem Entwicklungsverbund, aus dem Forschungsverbund herausgelöst werden, sondern es sollte ja weiter eine gemeinsame Zukunft geben, nur die eigenständigen Entwicklungsmöglichkeiten von Opel gestärkt werden. Häufig wurden in der Vergangenheit Entwicklungsmöglichkeiten von Opel durch die Konzernmutter in den USA blockiert, weil die Produktpolitik eine völlig andere ist. Dass jetzt ganz offensichtlich GM in den letzten Tagen gesagt hat, wir wollen eine Astra-Variante auf dem US-Markt platzieren und dazu brauchen wir das Know-how aus Rüsselsheim, das kann ich aus deren Sicht verstehen, aber es ignoriert sozusagen alles, was in den letzten Monaten diskutiert wurde und auch an Unterstützung gegeben wurde.

    Spengler: Hat die Politik nicht den Mund zu voll genommen, als sie versprach, Opel zu retten, und als sie so getan hat, als könne sie den Eigentümer GM zu einem Verkauf zwingen?

    Schäfer-Gümbel: Das ist sicherlich einer der spannenden Punkte, die wir in den nächsten Wochen und Monaten noch mal nachzuarbeiten haben bei der Fehleranalyse.

    Spengler: Sie haben jetzt die Gelegenheit für eine Minute Selbstkritik.

    Schäfer-Gümbel: Das steht sozusagen jetzt nicht im Zentrum, weil jetzt geht es erst mal darum zu gucken, was ist die Zukunft von Opel, was heißt das für das Konzept, können wir uns da überhaupt noch einmischen. Dahinter gibt es natürlich klare Fehleranalysen, die auch in der Politik zu suchen sind, und das ist ein Fiasko, dass Politik mit zu verantworten hat, weil erstens das ein klassisches Beispiel dafür ist, dass die EU-Wettbewerbspolitik gescheitert ist.

    Spengler: Wieso?

    Schäfer-Gümbel: Weil sie ideologisch ist. Im Kern hat die EU-Kommission in den letzten Wochen alles torpediert und hat verlangt, dass General Motors die gleichen Bürgschaftsrahmen bekommt wie Magna, unter der Bedingung, dass das GM-Konzept unterm Strich ganz deutlich mehr Arbeitsplatzverluste bedeutet, und das halte ich für völlig absurd.

    Spengler: Herr Schäfer-Gümbel, darf ich kurz einhaken. Die EU-Kommission muss ja gucken, dass es keine Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas gibt, und in Polen und Großbritannien jubeln jetzt die Opelmitarbeiter. Haben die weniger Anspruch auf sichere Arbeitsplätze als die Deutschen?

    Schäfer-Gümbel: Nein, das ist nicht der Konflikt gewesen. Im Übrigen werden wir noch mal sehen, welche Standorte alle abgeräumt werden. Dazu gibt es ja ein paar Hinweise. Ob das da wirklich besser geworden ist mit der Entscheidung von gestern Nacht, da habe ich erhebliche Zweifel. Insbesondere die Gewerkschaft und der Betriebsrat haben ja ganz bewusst darauf geachtet, dass die Werke nicht gegeneinander ausgespielt werden, auch in der europäischen Solidarität. Der Punkt ist nur, dass die EU-Kommission versucht hat, die industriepolitische Entscheidung mit einer sehr formalen Betrachtung zu unterlaufen, und diese formale Betrachtung hinterfrage ich ganz dezidiert.

    Spengler: Aber die deutsche Staatshilfe abhängig zu machen von der Sicherung deutscher Standorte, das geht in der EU nicht?

    Schäfer-Gümbel: Ja. Sehen Sie, aber genau das hat ja Deutschland in dieser Form gar nicht gemacht. Es ging um einen privilegierten Bieter, der ein Konzept vorgelegt hat, das im europäischen Verbund war, und insofern ist da öffentlich teilweise etwas kommentiert worden, was in der Form überhaupt nicht war, weil da hinter den Kulissen natürlich auch andere Interessen gespielt haben. Das ist der zweite politische Punkt. Es gab im Frühjahr ganz dezidiert ein Zeitfenster, wo wir im Rahmen der Bürgschaftsentscheidungen mit der Übertragung als Sicherheit von Anteilen, die Verhandlungsposition hätten deutlich stärken können und den Sack zumachen können, aber ganz dezidiert Herr zu Guttenberg all diese Strategien in dieser Phase dezidiert unterlaufen hat, sie torpediert hat, und deswegen Mitverantwortung dafür trägt, dass wir den Sack nicht zumachen konnten. Frau Merkel hat ja auch in Ihrem Vorspann noch mal deutlich gesagt, nach dem Motto, in der Gesamtschau kann er das mittragen, aber er hat vorher an vielen Stellen falsch gespielt und damit die Probleme eher verschärft. Und wenn dann Herr Brüderle gestern erklärt, das sei eine unerträgliche Entscheidung von General Motors, erinnere ich daran, dass Herr Brüderle der war, der die ganzen letzten Monate ständig durch die Gegend gerannt ist und gesagt hat, wir mischen uns nicht ein. Sie können natürlich in Verhandlungen keine gute Position aufbauen, wenn Teile der eigenen Bundesregierung, Teile von Länderregierungen hinter den Kulissen permanent auch öffentlich erklären, dass sie das alles für Quatsch halten.

    Spengler: Wir sprechen im Deutschlandfunk mit Thorsten Schäfer-Gümbel, dem SPD-Vorsitzenden in Hessen. – Herr Schäfer-Gümbel, könnte Opel unter dem GM-Dach nicht sogar eine bessere Zukunft haben als unter dem Magna-Dach?

    Schäfer-Gümbel: Dazu müssten wir erst mal wissen, was GM eigentlich will an Strategie, und da wiederhole ich mich. Es gibt keine! Es gibt keinen Beschluss des Verwaltungsrats, keinen Beschluss des Vorstands, was die Strategie für Europa ist. Was vorgestern passiert ist, das ist ja dieses destruktive Verhalten. Diese Chaosstrategie ist, dass die einzig auf dem Tisch liegende Strategie abgelehnt wurde, und wir wissen überhaupt nicht, was General Motors will. Deswegen ist das eine Frage, da können Sie eine Glaskugel nehmen.

    Spengler: Was sollen Bund und Land jetzt tun?

    Schäfer-Gümbel: Der entscheidende Punkt ist jetzt, noch einmal den Druck aufzubauen, zu sagen, wir wollen jetzt möglichst schnell Klarheit haben. Der Ball liegt aber ganz klar jetzt beim Unternehmen, weil die gesagt haben, sie wollen das weiter behalten, und deswegen müssen die jetzt auch erst einmal liefern. Der zweite Punkt, den wir machen können, ist natürlich auch die Gewerkschaften und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem stärken, was sie jetzt tun. Auch die bauen jetzt Druck auf, indem sie sagen, die Zusagen in der Frage von Löhnen, Gehältern, Beteiligungen werden zurückgenommen, um die Verhandlungsposition zu stärken, weil alle befürchten, dass es jetzt ein großes Tabula Rasa geben wird im Konzern selbst, weil da ging es ja auch um große Auseinandersetzungen, und natürlich auch für die Standorte.

    Spengler: Sollte General Motors ebenso Staatshilfen bekommen für die Sanierung von Opel wie Magna?

    Schäfer-Gümbel: Es ist formal ganz einfach so, dass jeder Investor, der einen Antrag stellt, dass der Antrag zu prüfen ist. Wir haben immer gesagt, für Bürgschaften gibt es vier Kriterien: erstens Standortsicherung, zweitens Mitarbeiter-, also Beschäftigungssicherung, drittens Zukunftsinvestitionen insbesondere in neue Technologien und viertens keinen Mittelabfluss in die Vereinigten Staaten. Für mich kommt seit vorgestern Nacht ein fünftes Kriterium dazu, das ist die Zuverlässigkeit des Investors. Diese fünf Kriterien sind bei jedem Antrag zu prüfen, wenn er kommt. Das gilt dann auch für General Motors.

    Spengler: Müssten Sie als Politiker jetzt nicht der Belegschaft raten, sich schnell und mit großem Selbstbewusstsein auf die neue Situation einzustellen, statt dagegen zu protestieren?

    Schäfer-Gümbel: Es geht auch bei uns als Politik nicht um Chaosstrategie. Natürlich muss man sich auf die neue Situation einstellen und wir haben alle kein Interesse daran, dass das jetzt hier ins große Chaos abdriftet. Deswegen habe ich eben schon mal gesagt, es kommt darauf an, dass wir in Solidarität mit den Beschäftigten jetzt deren Verhandlungsposition stärken, weil wir gar nicht wissen, was General Motors will.

    Spengler: ... , sagt Thorsten Schäfer-Gümbel, der hessische SPD-Vorsitzende und Oppositionsführer im Wiesbadener Landtag. Danke, Herr Schäfer-Gümbel, für das Gespräch.

    Schäfer-Gümbel: Danke schön!