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"Das ist keine Lapalie"

Die USA seien angesichts des Skandals um Merkels abgehörtes Handy kein Partner, mit dem man gerne zusammen kuschelt, sagt der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann. Es sei schwierig sich in die Augen zu schauen - auch in Bezug auf das Freihandelsabkommen.

Michael Hartmann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 25.10.2013
    Christoph Heinemann: Zurück noch mal zur Handy-Affäre. Enda Kenny hat vielleicht den klügsten Schluss aus dieser Geschichte gezogen: Ich benutze dieses Telefon immer auf der Grundlage, dass jemand zuhören könnte. Das sagte der irische Premierminister am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. Gesundes Misstrauen also. – Über die Affäre hat mein Kollege Jasper Barenberg mit Michael Hartmann gesprochen, dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, und ihn gefragt, ob er, so wie Christian Ströbele von den Grünen, davon ausgeht, dass die NSA das Telefon der Kanzlerin tatsächlich abgehört hat.

    Michael Hartmann: Mein Eindruck ist auch der, dass es eher wahrscheinlicher denn unwahrscheinlicher ist, dass das Telefon, das Mobiltelefon der Kanzlerin abgehört wurde. Es gibt viele Plausibilitäten, die darauf hinweisen, und auch die Berichte der zuständigen Behörden bestätigen das eher, als sie es negieren. Aber dennoch muss man sich alles ganz genau ansehen, um keine Fehlentscheidungen zu treffen. Ich befürchte aber, auch angesichts dieses Dementis, das keines ist aus den USA, dass die Kanzlerin abgehört wurde.

    Jasper Barenberg: Und damit ist der Vertrauensbruch da?

    Hartmann: Dieser Vertrauensbruch ist schon länger da. Seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe des Herrn Snowden wissen wir, dass die USA ohne Ziel und Maß Telekommunikationsdaten abhorchen und erfassen, und das ist ein Zustand, den wir uns noch nie gefallen lassen durften, Kanzlerin hin oder her. Natürlich erreicht das Ganze noch einmal eine andere Qualität dadurch, dass die Chefin einer wichtigen verbündeten Regierung bewusst abgehört wurde.

    Barenberg: Wie groß macht denn gerade dieser Aspekt die Belastungsprobe für die deutsch-amerikanischen Beziehungen jetzt?

    Hartmann: Das ist keine Lappalie und es erweist sich als Fehler, so nonchalant damit in der Vergangenheit umgegangen zu sein beziehungsweise die ganze Affäre für beendet erklärt zu haben. Jedenfalls ist es jetzt wichtig, dass wir zusammen mit Frankreich und im europäischen Verbund – das Europäische Parlament verhält sich da ja vorbildlich – versuchen, nicht nur Licht ins Dunkel zu bringen, was ist wirklich warum wie lange geschehen, sondern auch für ein Ende zu sorgen. Die USA sind natürlich im Moment kein Partner, mit dem man gerne zusammen kuschelt, bildhaft gesprochen, und sich wechselseitig in die Augen zu schauen, ist auch schwieriger geworden. Das gilt für Freihandelsabkommen, aber auch für viele Sicherheitsvereinbarungen, die gelten.

    Barenberg: Lassen Sie uns über die denkbaren möglichen Konsequenzen gleich noch im Detail ein wenig reden. Zunächst noch mal zurück zu dem, was Sie angesprochen haben, dass Kanzleramtsminister Ronald Pofalla nämlich im Sommer die ganze Affäre für beendet erklärt hat. Ähnlich haben sich ja auch andere Mitglieder der Bundesregierung geäußert. Und jetzt heißt es, die Bundesregierung, die geschäftsführende im Moment, will die gesamte Spähaffäre noch einmal neu aufrollen, alle Aussagen der NSA noch einmal überprüfen lassen. Zeigt sich jetzt – Sie haben das ja auch schon angedeutet -, dass die derzeitig noch regierende, geschäftsführend regierende Bundesregierung die ganze Angelegenheit in der Vergangenheit auf die leichte Schulter genommen hat?

    Hartmann: Nun, auf jeden Fall ist man nicht richtig an die Sache herangegangen und hat jene, die sich kritisch geäußert haben, wie den Vorsitzenden des Kontrollgremiums sogar übelst beschimpft dafür, weil er Licht ins Dunkel bringen wollte. Aber darunter muss man natürlich auch einen Strich ziehen, um weiter agieren zu können. Ich meine damit: Wenn wir jetzt nur mit den Fingern aufeinander herumhacken beziehungsweise mit den Fingern auf den jeweils anderen zeigen, dann hilft das auch nicht weiter. Der Wahlkampf ist vorbei, vermutlich hat das Beschwichtigen von Herrn Pofalla damit auch etwas zu tun gehabt, und jetzt gilt es, endlich das Versäumte nachzuholen, aufzuklären und zu verhindern, dass so was in der Zukunft noch mal geschieht. Dazu müssen wir aber möglichst Seit an Seit marschieren.

    Barenberg: Und das bedeutet auch – und damit kommen wir nun zu den Folgen und möglichen Konsequenzen für die nächste Zeit – grundsätzlich erst mal eine härtere Gangart gegenüber Washington als bisher?

    Hartmann: Härtere Gangart – das sind solche Formulierungen, die einem leicht von den Lippen gehen, auch unser einem oder besonders unser einem, und die dann schwer umzusetzen sind. Die USA sind und bleiben ein wichtiger Partner, auch in Sicherheitsfragen, und dennoch dürfen sie nicht alles tun, denn das verstärkt ja jedes Misstrauen und macht eine gedeihliche Zusammenarbeit, die wir aber brauchen, schwieriger. Ich bin der Meinung, wir müssen selbst auch sicherer werden. Das heißt, im Bereich Spionageabwehr, im Bereich Sicherheit im Cyber-Raum, im Bereich Cyber-Abwehr haben wir noch viel, viel, viel nachzubuttern, um einen Standard zu erreichen, der uns stärker schützt als bisher, leider offensichtlich auch gegenüber unserem größten Verbündeten.

    Barenberg: Was ich meinte mit einer härteren Gangart war beispielsweise der Fragenkatalog, den die Bundesregierung ja Richtung Washington geschickt hat, und auf die Antworten warten wir seitdem immer noch. Muss man nicht jetzt doch darauf drängen, dass es alles, was es an Aufklärung überhaupt geben kann, jetzt rasch geben muss und ziemlich gründlich?

    Hartmann: Sie haben recht, da muss mit Nachdruck agiert werden. Lange Leine ist jetzt bestimmt nicht angebracht und auch die nötige Härte ist erforderlich. Das gilt für die gesamte EU, wobei wir da auch mit unseren britischen Partnern vielleicht das eine oder andere ernste Wort noch zu wechseln haben. Ich bin froh, dass es jetzt Gipfelthema wird. Ich bin froh, dass die Kanzlerin und der französische Präsident den Schulterschluss üben. Und ich bin sehr, sehr froh, dass das Europäische Parlament mit Selbstbewusstsein an das Thema herangeht. Die USA werden merken, dass diese Praxis, die sie bisher geübt haben, allenfalls kurzfristig von Vorteil ist und langfristig die besten Freunde und Partner verprellt. So kann und darf man nicht miteinander umgehen.

    Heinemann: Michael Hartmann ist der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Die Fragen stellte mein Kollege Jasper Barenberg.

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