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"Das ist keine Revolution"

Heute stellt Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) den so genannten Familienreport vor. Die Geburtenrate sei gestiegen, heißt es dort. Wolfgang Jörg, familienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen, kann darin aber keine Trendwende zu mehr Kinderfreundlichkeit erkennen - und fordert mehr Geld.

Wolfgang Jörg im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels:. Einige Eckdaten sind bereits bekannt geworden. Danach ist die Zahl der Geburten im vergangenen Jahr erneut gestiegen, die Zahl der Scheidungen soll zurückgegangen sein und 50 Prozent der Deutschen sind laut Umfrage der Meinung, dass die Politik die Lage der Familien verbessert habe.
    Das klingt also ein wenig nach Friede, Freude, Eierkuchen und wir wollen mit jemandem sprechen, der die Sicht gerade auf die Kleinkindbetreuung auf Landes- und Kommunalebene gut kennt. Wolfgang Jörg, familienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen, ist uns zugeschaltet. Er ist Diplomsozialarbeiter, hat in gut 100 Veranstaltungen über die Lage gerade bei der Kleinkindbetreuung informiert und erkennt also die Nöte der Trägerverbände und der Eltern. Guten Morgen!

    Wolfgang Jörg: Guten Morgen!

    Engels: Sehen auch Sie einen Zusammenhang zwischen der nun wieder steigenden Geburtenrate und der Familienpolitik?

    Jörg: Sicherlich ist es erst mal zu begrüßen, dass die Geburtenrate wieder steigt. Wir sind allerdings natürlich noch weit von den Zahlen, die wir Anfang des Jahrtausends zu verzeichnen hatten, entfernt. Von daher kann ich nicht sagen, dass es eine Trendwende ist, aber jedes Kind, was mehr geboren wird, können wir begrüßen und wenn die Politik Rahmenbedingungen verändert, zum Beispiel im Ausbau der U3-Betreuung, kann man das nur begrüßen und sagen, richtig gemacht. Ob es eine Trendwende ist, das bezweifle ich.

    Engels: Wie sehen denn Ihre Erfahrungen aus? Wie entwickelt sich denn die Kinderbetreuung gerade der kleinsten?

    Jörg: Durch die rot-grüne Bundesregierung hat ja eine Trendwende stattgefunden im Ausbau der U3-Betreuung. Das ist gut und das ist richtig. Frau von der Leyen reitet jetzt ein Pferd, was andere gesattelt haben, aber da soll man jetzt nicht kleinlich sein. Wichtig ist, der Ausbau war nötig und wird auch – das zeigen alle Zahlen – erheblich nachgefragt. Das war also die richtige Entscheidung.
    Gleichwohl muss man festhalten: Eltern sind vor allen Dingen von finanziellen Rahmenbedingungen abhängig und hier werden Eltern noch zu sehr benachteiligt. Gerade in Nordrhein-Westfalen gibt es sehr hohe Elterngebühren in den Kitas, und das belastet natürlich eine Familienplanung enorm. Wenn das Geld nicht stimmt, wird die soziale Sicherheit angegriffen und das beeindruckt, glaube ich, die allermeisten Eltern, was ihre Familienplanung angeht.

    Engels: Sie arbeiten sehr viel mit Trägern dieser Kleinkindbetreuung. Haben Sie Beispiele aus Ihrer Arbeit, wenn Sie sich unterhalten, mit Trägern, aber auch mit vielen Eltern? Was lässt die Eltern sich für ein Kind entscheiden und was steht dem möglicherweise entgegen?

    Jörg: Eltern entscheiden sich vor allen Dingen, wenn sie in der Betreuung stabile Partner haben, das heißt wenn sie wissen, wenn sie ihr Kind mit einem oder zwei Jahren in die Kita geben, dass sie dort vernünftige Rahmenbedingungen haben. Sie entscheiden sich, wenn sie wissen, dass sie finanziell nicht zu hoch belastet werden, gerade jetzt in den wirtschaftlich unsicher werdenden Zeiten. Das sind Bedingungen, die geklärt werden müssen, und dann entscheiden sich Eltern, auch Kinder zu bekommen.

    Engels: Und ist das jetzt besser geworden?

    Jörg: In der U3-Betreuung – ich sagte es bereits – ist es besser geworden. Da verändert sich etwas. Das ist gut und richtig. Allerdings ist die finanzielle Belastung der Eltern gerade in Nordrhein-Westfalen bei weitem noch nicht so, dass man ihnen da wirklich helfen würde, sondern da gibt es hohe Kita-Gebühren, da gibt es große Belastungen und da muss der Staat, da muss das Land mehr tun.

    Engels: Schauen wir noch auf einen anderen Aspekt, Herr Jörg. Familienministerin von der Leyen lobt beim Elterngeld vor allem die Vätermonate. Wenn, so die Regel, nach den 12 Monaten die Betreuung des Kindes auf den anderen Elternteil übergeht – und das ist meist der Vater -, dann wird das Elterngeld noch zwei Monate länger gezahlt. Frau von der Leyen sieht das nun als stille Revolution in unserer Gesellschaft, denn diese Monate würden gut angenommen werden. Deckt sich das auch mit Ihren Eindrücken?

    Jörg: Na ja, das zeigt eher, was sich Frau von der Leyen unter Revolution vorstellt. Ich sehe das nicht so. Ich glaube, dass das auch ein gutes Angebot ist, dass es ein Mosaiksteinchen ist, dass es in manchen individuellen Situationen passt, und da wo es passt machen es Eltern auch aus finanziellen Gründen. Aber von einer Revolution oder von einer Trendwende, dass jetzt immer mehr Männer zu Hause bleiben, das sehe ich nicht. Da gibt es vereinzelte Beispiele, das ist gut, und wenn das mehr wird, kann ich das nur begrüßen, aber das ist keine Revolution.

    Engels: Warum entfalten denn diese Monate Ihrer Ansicht nach nicht die gewünschte Wirkung?

    Jörg: Weil es letztendlich darauf ankommt, wie viel Einkommen Familien haben. In der Regel ist es so, dass die Männer noch mehr Geld verdienen als die Frauen und dass danach entschieden wird, wer zu Hause bleibt oder wer nicht. In einzelnen Fällen kann es so sein, dass entschieden wird, aha, die Frau verdient mehr, ich bleibe zu Hause als Mann und kann die Zeit dann besser überbrücken. Das ist, glaube ich, vor allen Dingen auch einen finanzielle Frage.

    Engels: Frau von der Leyen möchte das zum Wahlkampfthema machen und sie möchte möglicherweise mehr Vätermonate ermöglichen. Würde das der Sache helfen?

    Jörg: Wenn man das zum Wahlkampfthema macht, ich weiß nicht, ob es der CDU helfen wird. Ich habe da nichts gegen, aber ich glaube nicht, dass das wirklich der Renner im Wahlkampf sein wird, weil die Fallbeispiele dafür sind einfach zu gering, um zu sagen, da mache ich jetzt ein Thema, was flächendeckend mir Punkte beim Wahlkampf bringt.

    Engels: Dann schauen wir nicht so sehr auf den Wahlkampf, aber den Sinn dieser Möglichkeit. Mehr Monate für die Väter?

    Jörg: Ja, das wäre prinzipiell okay, weil wir immer mehr individuelle Lösungen für Familien bieten müssen. Das ist ein kleiner Baustein, ein Mosaikstein, um insgesamt das Bild zu verbessern. Das begrüße ich auf jeden Fall. Ich glaube nur nicht, dass das flächendeckend dazu führt, dass sich Männer entscheiden, zu Hause zu bleiben.

    Engels: Welches wären denn Ihrer Ansicht nach die wichtigen Weichen, die Frau von der Leyen noch stellen müsste?

    Jörg: Wir brauchen dringend weitere Entlastungen, vor allen Dingen finanzielle Entlastungen für die Familien. Da kann man steuerlich sicherlich noch etwas machen. Wir müssen über Kita-Gebühren reden. Wie gesagt, gerade in Nordrhein-Westfalen ist das eine enorme Belastung für Familien. Und wir müssen vor allen Dingen darüber reden, wie wir Familien, die nicht so gut zurecht kommen, auch in ihrer eigenen sozialen, beruflichen Planung helfen können. Dazu brauchen wir mehr Angebote an Familienberatung, dazu brauchen wir mehr Räume, in denen sich Familien austauschen können und Hilfe vom Staat annehmen können, um ihre Situation zu meistern. Es gibt ein passendes Sprichwort, wenn ich das sagen darf: Es braucht ein ganzes Dorf, ein Kind zu erziehen, und dieses Dorf gibt es im übertragenen Sinne nicht mehr in unseren Großfamilien, sondern da müssen wir als Staat helfen.

    Engels: Das sind die finanziellen Rahmenbedingungen, aber hat die gesamte Familiendiskussion nicht alleine positiven Schwung gebracht – dadurch, dass ja offenbar auch viele Familien mittlerweile denken, der Staat tut zumindest etwas?

    Jörg: Das ist gut! Das ist gut und das ist richtig. Das unterstütze ich ausdrücklich. Wie gesagt, ich glaube nur, es reicht bei weitem nicht, denn die Zahlen zeigen auch deutlich, es sind bei weitem nicht so viele. Es geht um hundert Tausende, die nicht geboren werden, wie im Vergleich zu den Jahren um 2000 herum, und das kann man jetzt nicht als Trendwende bezeichnen, wenn man sagt, wir haben jetzt ein bisschen was getan, es gibt ein bisschen mehr Geburten und das ganze ist eine Trendwende und das liegt daran, weil die Politik alles richtig gemacht hat. Ich glaube, einige Weichenstellungen sind richtig – U3-Betreuung, ich habe das gesagt -, aber insgesamt ist es noch zu wenig. Die Familien sind noch zu sehr belastet. Es ist immer noch einfacher, keine Kinder zu bekommen, als sich zu entscheiden, wir bekommen Kinder. Kinder sind immer noch – und das ist der Skandal in unserer Gesellschaft – der häufigste Armutsgrund.

    Engels: Wolfgang Jörg, familienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Gespräch.

    Jörg: Gerne!