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"Das ist ohne Alternative"

Hessens Innenminister Bouffier hat die islamischen Verbände aufgefordert, sich eindeutiger zu den Regeln zu bekennen, die in Deutschland gelten. Beispielsweise sollten sie bei muslimischen Eltern für eine Teilnahme der Kinder an Klassenfahrten werben. Zudem sprach sich der CDU-Politiker für eine Fortsetzung der Deutschen Islamkonferenz aus, die heute in Berlin zu ihrer vorerst letzten Sitzung zusammentritt.

Volker Bouffier im Gespräch mit Bettina Klein | 25.06.2009
    Bettina Klein: Die Islamkonferenz trifft heute in Berlin zu ihrer vierten und vorerst letzten Plenarsitzung zusammen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte die Konferenz vor drei Jahren (2006) ins Leben gerufen, ohne einen konkreten Abschluss festzulegen. Er sprach sich aber bereits für eine Fortsetzung der Dialogrunde in der kommenden Legislaturperiode aus.

    Volker Bouffier ist Innenminister des Landes Hessen, er gehört der CDU an und er ist einer der beiden Vertreter der Innenministerkonferenz bei der Islamkonferenz heute und ich begrüße ihn jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Bouffier.

    Volker Bouffier: Guten Morgen, Frau Klein. Ich grüße Sie.

    Klein: Wir ertragen uns, hat Ihr Kollege auf Bundesebene, Wolfgang Schäuble, gesagt. Wir haben es gerade im Bericht gehört. Ist das schon der entscheidende Erfolg dieser Konferenz?

    Bouffier: Na ja, ich glaube, das wäre zu wenig. Das ist eine Bemerkung, die man nachvollziehen kann, wenn man zum Beispiel erlebt hat, wie unter den islamischen Teilnehmern, islamischgläubigen Teilnehmern teilweise ein Streit geführt wird, der für uns nun wirklich außergewöhnlich war. Also ich würde weitergehen. Wir ertragen uns nicht nur, sondern wir haben ein Forum gefunden, wo wir in organisierter Form begonnen haben, einen Weg zu beschreiten, auf dem wir vom Ziel noch sehr lange weg sind, aber wenigstens haben wir eine gemeinsame Sitzordnung, wir haben Themen und wir arbeiten uns langsam vor. Ich glaube, das ist ohne Alternative, und ich bin auch sehr dafür, dass es fortgesetzt wird, und man darf das nicht überfrachten. Ich glaube, Herr Toprak hat es gerade in dem Beitrag gesagt. Nach so vielen Jahren dauert es ziemlich lange, bis man an den Kern vorstößt, und wenn wir das vielleicht vor 20 Jahren gemacht hätten, wären wir heute weiter.

    Klein: Was ist denn der Kern, zu dem Sie noch vorstoßen müssen?

    Bouffier: Ich hätte gerne, dass wir sehr viel klarer, sehr viel prägnanter auch, na sagen wir wenigstens, zu Empfehlungen kommen. Wir können ja dort nichts rechtlich Bindendes beschließen, aber wir haben die Situation aus meiner Sicht, dass wir zum Beispiel eine Reihe von Verbänden dort haben, die für sich in Anspruch nehmen, für die Muslime zu sprechen, von denen wir aber wissen, dass sie nur sehr wenige Menschen eigentlich vertreten. Aus der neuesten Studie des Bundesamts für Migration und Zuwanderung wissen wir jetzt, etwa 4 bis 4,3 Millionen Menschen in Deutschland sind muslimgläubig und fühlen sich von diesen Verbänden, die wir dort haben, vielleicht zu 10, 15 Prozent vertreten.

    Klein: Was wäre der Ausweg?

    Bouffier: Der Ausweg ist in der Konferenzteilnehmerliste schon ein bisschen gesucht worden und ich halte das auch für richtig, dass wir eben auch Repräsentanten muslimgläubiger Menschen in Deutschland dort in dieser Konferenz haben und sie sich auch deutlich artikulieren, die eben nicht zu den Verbänden gehören.

    Klein: Aber das gibt es ja schon! Es gibt ja einzelne Vertreter, die eben nicht organisiert sind.

    Bouffier: Ja und das muss auch so fortgesetzt werden. Darin liegt natürlich ein Konflikt. Die Verbände haben das natürlich nicht gerne gesehen. Sie vertreten die Auffassung, dass sie sozusagen einen Exklusivanspruch haben. Es wird ja schon im Namen deutlich, Islamrat oder Zentralrat. Sie sind eine der wichtigen Sprecher und Organisationen, aber sie dürfen keinen Exklusivanspruch haben. Also wir müssen Wert darauf legen, dass wir in die Breite der muslimischen Gesellschaft hineinkommen und auch dort hineinwirken, und dort haben wir noch einen langen Weg vor uns.

    Klein: Aber noch mal nachgefragt. Es sitzen Vertreter von Organisationen am Tisch und es sitzen Einzelpersonen am Tisch wie die gerade gehörte Necla Kelek auch, die sich eben nicht vertreten fühlen. Was noch muss passieren, dass Sie sagen, es gibt einen Fortschritt in der Hinsicht?

    Bouffier: Ich wünschte mir, dass diese Verbände sich öffnen, dass sie sich eindeutig und klar zu dem Ziel bekennen, das Wolfgang Schäuble da ja auch benannt hat: Wer hier auf Dauer für sich und seine Kinder leben will, der muss auch klar begreifen und dafür werben, dass das nach den Regeln gehen muss, die hier gelten. Das bedeutet keine Zwangsgermanisierung, das bedeutet nicht, dass man die Leute zwangsweise in irgendeinen Topf steckt, aber das bedeutet zum Beispiel, wenn wir heute über solche Fragen reden wie Teilnahme an Klassenfahrten, an Sexualkundeunterricht und Ähnlichem, dass diese Verbände dafür werben, für Einsicht, dass Eltern, die muslimische Kinder haben, begreifen, wenn ihre Kinder hier eine gute Zukunft haben sollen, dass sie zum Beispiel an Klassenfahrten teilnehmen, weil das mit die prägendsten und schönsten Dinge sind, die Schüler in ihrem Schulleben haben. Wenn sie das ihren Kindern immer vorenthalten, dann werden ihre Kinder häufig Außenseiter bleiben und eine Gesellschaft kann kein Interesse daran haben, massenweise Außenseiter zu produzieren. Das hätte ich gerne klar und deutlich von denen auch gehört und nicht so lange diskutieren, dass die dann immer sagen, ja wir wollen aber nicht, dass ihr die Eltern so beratet, sondern wir wollen, dass ihr respektiert, dass die Eltern sagen "Nein!". Verfassungsrechtlich richtig, integrationspolitisch falsch.

    Klein: Wolfgang Schäuble hat auch gesagt, sein Ziel sei eine gewisse Gleichstellung der muslimischen Gemeinschaften mit den christlichen Kirchen. In welcher Hinsicht sind die denn nicht gleichberechtigt?

    Bouffier: Nun, wir haben eine Situation, die kann man nicht vergleichen. Die katholischen und evangelischen Christen, so wie wir das kennen, die haben eine Organisation, die haben einen Bischof, die haben eine Synode, die haben feste Regeln, an die sich auch der Staat halten kann. Er hat Ansprechpartner, es gibt also so ein klassisches Staatskirchenrecht. Bei den muslimischen Gemeinden haben wir das alles nicht. Da ist jede Gemeinde für sich selbstständig. Dort gibt es keine Ansprechpartner, die für eine andere Gemeinde mitsprechen könnten. Das heißt, sie haben eine bunte Wiese, die jeder für sich mäht. Daraus folgt, dass wir in Deutschland bis heute keinen Ansprechpartner für Religionsunterricht gefunden haben. Dann sind die untereinander sehr streitig und insofern kann man nicht sagen, wir wollen die gleichstellen in der Form, dass wir sie staatskirchenrechtlich alle gleichstellen.

    Was wir machen müssen ist aus meiner Sicht, dass wir akzeptieren, dass ein beachtlicher Teil der Bevölkerung muslimgläubig ist und dass sie ihren Glauben genauso leben können müssen wie Menschen, die einen anderen Glauben haben, aber dazu brauchen wir eine Entwicklung, dass auch die muslimischen Gemeinden sich organisieren und dass sie die Grundbedingungen erfüllen: das heißt Lehrer, das heißt Lehrpläne, das heißt Unterricht in Deutsch, das heißt eine deutsche Schulaufsicht (zum Beispiel für Religionsunterricht) und das heißt Ansprechpartner, die auch dafür garantieren, dass das was in den diesen Schulen dort gelehrt wird im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.

    Klein: Lassen Sie uns bei diesem Stichwort mal kurz noch bleiben, denn es ist ja ein zentraler Punkt gewesen, wird es wohl auch heute sein, die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache und durch in Deutschland ausgebildete Lehrer. Wie weit ist das gediehen?

    Bouffier: Dort hat man begonnen. Das ist ja Sache der Länder. Es gibt in einer Reihe von Ländern Modellversuche, das werden wir auch in Hessen machen. Aber wir haben zum Beispiel an den Hochschulen erste zaghafte Ansätze mit der Ausbildung dieser Studenten und Lehrer. Bisher lebten wir in der Regel davon, dass diese Prediger und Geistlichen meistens aus der Türkei kamen, häufig kein Deutsch konnten und hier dann unterrichteten. Das ist keine gute Situation, aber darüber streiten wir, glaube ich, nicht mehr. Einen Erfolg dieser Konferenz sehe ich darin, dass klar definiert wurde, was man braucht, wenn man Religionsgemeinschaft sein will, und das ist etwas, was die Verbände sehr schwer zunächst aufgenommen haben, dass sie jedenfalls keine sind, und das war ja ein Ziel, dass sie sozusagen auch inhaltlich für den Religionsunterricht zuständig werden wollen. Ich glaube, wenn man die Konferenzdokumente sorgfältig sich anschaut - und wir haben auch nie einen Zweifel gelassen -, so wie die derzeit verfasst sind, können sie das nicht.

    Klein: Unter dem Strich, Herr Bouffier, kommt von gewissen Fortschritten, die Sie auch sehen in dieser Konferenz, durch die Konferenz etwas an in den muslimischen Communities?

    Bouffier: Ja, weniger als wir gemeinhin glauben. Das liegt an vielem. Meistens sind die, über die wir dort reden, nicht dabei. Meistens nehmen die, gerade wenn sie über die türkischen Zuwanderer sprechen, deutsche Medien nur ganz am Rande zur Kenntnis. Die große Rolle der Medien muss vertieft bearbeitet werden. Wenn ich immer nur andere Sender höre, andere Zeitungen lese, dann geht die deutsche Debatte ziemlich an mir vorbei, beziehungsweise ich bin abhängig davon, was in anderen heimatsprachlichen Medien darüber berichtet wird. Ich glaube, das ist ein Punkt, um den wir uns noch sehr viel intensiver kümmern müssen.

    Klein: Volker Bouffier, Innenminister des Landes Hessen, zur heutigen vierten und vorerst letzten Runde der deutschen Islamkonferenz. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Bouffier.

    Bouffier: Ja, Frau Klein. Danke Ihnen ebenso. Tschüß!