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"Das ist schon ein Stück Absurdistan"

Ulrich Kirsch, ab Januar Nachfolger des scheidenden Bundeswehrverbandchefs Bernhard Gertz, sieht Fortschritte bei der Ausstattung der Truppe. Dennoch fehlten oft einfachste Ausrüstungsgegenstände, es herrsche Ärztemangel. Für den Einsatz gegen Piraten müssten zudem die Soldaten mehr Befugnisse bekommen, sagte Kirsch. Das Bundeskabinett will heute darüber beraten.

    Dirk Müller: Warum tut sich die Bundeswehr so schwer, am Horn von Afrika gegen die Piraten vorzugehen? Das Gesetz ist Schuld, könnte man schlichtweg sagen. Das Bundeskabinett will heute aber die Voraussetzungen auf den Weg bringen, dass die deutschen Soldaten künftig energischer vor der Küste Somalias agieren können. Zugleich bleibt das Thema Afghanistan auf der Tagesordnung, auf der politischen Tagesordnung. Die Taliban sind so aktiv, militärisch so erfolgreich wie seit sieben Jahren nicht mehr. Immer mehr Stimmen äußern sich auch in Deutschland, die klipp und klar sagen, der Einsatz der internationalen Schutztruppe ist gescheitert. Die deutschen Soldaten stehen aber noch vor ganz anderen praktischen Schwierigkeiten.
    Am Telefon ist nun Ulrich Kirsch, der neue Vorsitzende des Bundeswehrverbandes. Guten Morgen!

    Ulrich Kirsch: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Kirsch, warum ist das für Sie so wichtig festzustellen, in Afghanistan ist Krieg?

    Kirsch: Wir wollen keinen Krieg um Worte. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass es kriegsähnliche Zustände in Afghanistan gibt, dass wir von Kampf reden müssen, dass wir davon reden müssen, dass Soldaten dort fallen und verwundet werden, um in der Sprache klar zu sein, denn nur wenn wir eine klare Sprache sprechen, werden wir auch eine Chance haben, dass diese Situation in der Gesellschaft in Deutschland ankommt, was noch nicht nachhaltig genug passiert ist.

    Müller: Jetzt sagen Sie, Herr Kirsch, kriegsähnlich. Ist das eine klare Sprache?

    Kirsch: Das ist insofern eine klare Sprache, weil ich gerade im Juli in Afghanistan war und festzustellen ist, dass es in Afghanistan Regionen gibt, wo kein Kampf stattfindet, und an anderen Stellen finden Kämpfe statt. Und wer in einem Kampfgeschehen ist, der befindet sich nach seinem Empfinden – das ist doch ganz logisch – im Krieg.

    Müller: Dennoch können deutsche Soldaten jeden Tag sterben.

    Kirsch: So ist es.

    Müller: Herr Kirsch, es hat in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben, wie gut die deutschen Soldaten überall, wo sie im Ausland im Einsatz tätig sind, ausgerüstet sind. In Afghanistan fehlt es besonders oder es soll besonders fehlen an guter entsprechender Ausrüstung. Was fehlt?

    Kirsch: Zunächst einmal ist festzustellen, dass unsere Frauen und Männer, egal wo sie im Einsatz sind, eine exzellente Arbeit leisten. Das können sie natürlich immer nur so gut tun, wie auch die Ausrüstung gegeben ist, und hier ist eine Menge getan worden in der vergangenen Zeit. Das darf man auch wirklich nicht klein reden. Trotzdem fehlen uns zum Beispiel geschützte Führungs- und Funktionsfahrzeuge der Klasse 1. Das sind die kleinen Fahrzeuge. Im Moment sind wir mit den Mercedes-Jeeps unterwegs. Ich nehme das mal als Beispiel. Diese geschützten Führungs- und Funktionsfahrzeuge der Klasse 1 müssen aber zum Teil erst noch entwickelt werden. Hier muss also richtig Geld in die Hand genommen werden für Forschung und Technik und Forschung und Entwicklung.

    Müller: Geben Sie uns noch ein Beispiel, was man jetzt bezahlen könnte, was man jetzt nach Afghanistan schicken könnte.

    Kirsch: Eine ganz einfache Geschichte. Das ist zum Beispiel unser Gehörschutz. Da gibt es einen Gehörschutz, der Geräusche durchlässt, der aber nur die Geräusche durchlässt, die man braucht, um sich zu verständigen, und die abhält, die letztendlich die Gehörschäden erzeugen. Und alle diejenigen, die in der Nähe eines Sprengsatzes waren, müssen anschließend Hörgeräte tragen, weil das Trommelfell kaputt ist beziehungsweise die Härchen, die im Ohr sind, abgeknickt sind und nicht mehr nachwachsen. Das ist ein ganz triviales simples Beispiel und hier haben wir nicht den Gehörschutz, den wir eigentlich bräuchten, und das ist ein Mangel und das ist unverständlich, weil das für relativ wenig Geld zu bekommen ist.

    Müller: Um da noch mal nachzufragen. Für den Laien selbst in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise hört sich das ja finanzierbar an. Warum sperrt sich denn der Verteidigungsminister?

    Kirsch: Der Verteidigungsminister sperrt sich da nicht; da sperren sich vor allen Dingen bürokratische Verfahren, die wir haben, komplizierte Verfahren, bis so was eingeführt ist.

    Müller: Und die kann der Verteidigungsminister auch nicht beschleunigen?

    Kirsch: Das vermag ich jetzt hier heute Morgen um die Uhrzeit noch nicht so ganz abschließend zu beurteilen. Aber da muss man einfach Geld in die Hand nehmen und das Geld ist nach wie vor ein Riesenthema für uns. Wir wissen alle, dass die Streitkräfte über einen langen Zeitraum unterfinanziert waren und die Anschubfinanzierung gefehlt hat, um die Transformation nicht nur strukturell durchzuführen, sondern vor allen Dingen auch die Transformation der sozialen Rahmenbedingungen so durchzuführen, damit wir als Streitkräfte attraktiv für Nachwuchs bleiben.

    Müller: Dann könnten wir, Herr Kirsch, hier im Deutschlandfunk heute Morgen zumindest den Satz unterschreiben oder Sie könnten ihn unterschreiben, die Bundesregierung gibt nach wie vor zu wenig Geld für die Sicherheit ihrer Soldaten aus?

    Kirsch: Den Satz kann ich unterschreiben.

    Müller: Und woran liegt das?

    Kirsch: Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass wir uns nicht genügend durchsetzen, wenn es um die Finanzen geht. Wir haben die Auftragslage auf der einen Seite und müssen, wenn wir die Auftragslage nehmen, natürlich die notwendige Finanzierung auf der anderen Seite sehen und die gegenüberstellen, und das hat nicht in genügendem Maße stattgefunden. Vor allen Dingen hat bei der ganzen Transformation, die wir begonnen haben, die Anschubfinanzierung gefehlt und ich kann kein Unternehmen verändern, umgliedern, mit neuen Aufgaben versehen, wenn ich nicht zunächst eine Anschubfinanzierung durchführe.

    Müller: Gehen die Ausrüstungsdefizite gerade im konkreten Beispiel Afghanistan so weit, dass das Leben unnötig gefährdet ist?

    Kirsch: Nein. So weit will ich nicht gehen, weil wir ja insbesondere jetzt viele neue geschützte Fahrzeuge bekommen haben. Das ist ja der richtige Weg. Und eins ist ja auch klar: Wenn sie ihre Aufgabe in Afghanistan wahrnehmen wollen, dann müssen sie irgendwann von ihrem Fahrzeug absitzen. Das bleibt ja nicht aus, denn wir müssen ja die Verbindung zu der Bevölkerung, zu den Verantwortlichen immer wieder herstellen, und irgendwann muss man absitzen und gerade dann ist man natürlich besonders gefährdet. Aber das bleibt nicht aus und einen hundertprozentigen Schutz – das muss man sich auch immer wieder vor Augen halten – gibt es eben nicht.

    Müller: Haben Sie im Verteidigungsminister einen Lobbyisten, der für Ihre Interessen sich stark genug einsetzt im Kabinett?

    Kirsch: Ich habe den Eindruck, dass das zunehmend der Fall ist. Ich habe unseren Minister letzte Woche bei einer Veranstaltung gehört, wo er sich doch ganz, ganz viele Punkte, die wir auch in letzter Zeit bemängelt haben, insbesondere was die Schieflage bezüglich des zivilen Wiederaufbaus in Afghanistan betrifft, um ein Beispiel zu nehmen, zu eigen gemacht hat, auch was die Sprache angeht. Sie haben das ja mitbekommen. Minister Jung spricht von gefallenen Soldaten. Das ist ganz entscheidend, um der Gesellschaft deutlich zu machen, worum es geht.

    Müller: Aber Sie haben als Chef des Bundeswehrverbandes immer noch ein schlechtes Gewissen, die Soldaten ins Ausland zu schicken?

    Kirsch: Was heißt ein schlechtes Gewissen? Das ist unser Auftrag und wir müssen nur die Rahmenbedingungen dementsprechend positiv beeinflussen. Sie hatten vorhin das Beispiel Piraterie. Wenn man sich mal anschaut, welche Rechtsunklarheit sich dort für uns ergeben hat, dann wird eben auch deutlich, in welche Situation wir unsere Soldaten schicken. Ein Kommandant eines Schiffes muss Rechtssicherheit haben, wie er sich dort verhalten soll, und das darf sich nicht nur auf die Nothilfe beziehen, sondern da muss viel mehr dahinter stehen. Sie hatten es vorhin in Ihrem Beitrag angedeutet. Diese Rechtsklarheit, die klagen wir ein und insofern brauchen wir auch die Transformation der rechtlichen Rahmenbedingungen, denn es ist schon ein Stück Absurdistan, wenn ich einen Haftrichter, einen Staatsanwalt und einen Polizisten auf einem Schiff brauche, denn dann kann der Auftrag nicht so erfüllt werden, dass er wirklich zielgerichtet läuft. Das deutsche Recht gibt aber auf der anderen Seite nicht mehr her. Damit müssen wir umgehen. Aber die Frage muss natürlich erlaubt sein, wie sieht es denn mit der Transformation der rechtlichen Rahmenbedingungen aus und welche Vorsorge haben wir dort getroffen.

    Müller: Nach jüngsten Medienberichten, Herr Kirsch, hat die Bundeswehr demnächst zu wenig Ärzte. Stimmt das?

    Kirsch: Ja. – Ja, das stimmt. Wir haben in diesem Jahr 67 Kündigungen. Das dürften inzwischen wahrscheinlich auch schon ein paar mehr sein. Viele zuständige Verantwortliche haben in der Vergangenheit hierzu Kritik geübt. Diese Kritik ist überwiegend, zum überwiegenden Teil, ignoriert worden.

    Müller: Von wem?

    Kirsch: Zum Beispiel vom Forum Sanitätsoffiziere, also aus dem Bereich der Sanitätsoffiziere heraus. Da gibt es einen Oberfeldarzt Dr. Petersen, der die Finger in alle Wunden hineingelegt hat und berechtigt Kritik geübt hat. Die ist zum Teil eben ignoriert worden und wenn man diese Dinge ignoriert, dann gibt es irgendwann diesen Bumerang und der Bumerang spiegelt sich jetzt wieder in den Kündigungen. Hinzu kommt, dass unsere Ärzte darüber klagen, dass sie eine überbordende Bürokratie haben. Unsere Ärzte klagen darüber, dass sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht mehr hinkriegen, insbesondere durch die vielen, vielen Einsätze, denn die Sanitäter sind ganz besonders belastet – das kann man sich vorstellen – durch die Einsätze, und mangelnde Karriereaussichten. Das sind die Dinge, die von unseren Ärzten angesprochen werden, und jetzt versucht man mit einer Zulage von 600 Euro, die befristet ist und auch nicht Ruhegehaltsfähig, da noch ein bisschen was zu retten.

    Müller: Herr Kirsch, wir müssen leider zum Ende kommen. – Ulrich Kirsch, der neue Vorsitzende des Bundeswehrverbandes. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kirsch: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.