Christine Heuer: München heißt der neue Film von Steven Spielberg. Heute kommt er also in die deutschen Kinos. Diskutiert wird über ihn schon viele Wochen, und zwar leidenschaftlich. Die einen werfen Spielberg Verrat an Israel vor. Andere kritisieren, was der Regisseur eine historische Fiktion nennt, habe mit der Wirklichkeit so gut wie nichts zu tun. Die Wirklichkeit, das ist in diesem Fall die Ermordung israelischer Sportler durch palästinensische Extremisten bei den olympischen Sommerspielen 1972 und das ist die von Israel gestartete Vergeltungsaktion nach dem Massaker von München. Am Telefon der Historiker Moshe Zimmermann von der hebräischen Universität in Jerusalem. Guten Morgen, Herr Zimmermann!
Moshe Zimmermann: Guten Morgen!
Heuer: Auch in Israel läuft München heute erst an. Sind die Menschen gespannt auf den Film? Werden viele Israelis ihn sehe?
Zimmermann: Also das nennen die Amerikaner "that is history", das ist schon lange her. Gespannt ist man in Israel eher auf das, was nach den Wahlen in Palästina kommt. Die Hamas hat ja gewonnen und das ist ein wichtiges Element der Spannung. Aber man ist selbstverständlich, wenn man sich für Filme interessiert und für Geschichte interessiert auch auf diesen Film gespannt. Man weiß aber Bescheid was in diesem Film gezeigt wird. Es wurde bereits diskutiert. Es gab schon eine Ausstrahlung vor einer Woche, wo Leute teilnahmen, oder unter den Zuschauern Leute waren, die damals dabei waren und die Diskussion begann schon dann.
Heuer: Regen sich denn die Israelis auch so über Spielbergs Film auf?
Zimmermann: Das ist keine allzu große Aufregung. Selbstverständlich ist ein Film für Israelis keine Lappalie. Filme machen eigentlich das Image der Israelis, Israels Image ist sehr stark vom Film-Exodus geprägt. Ein Film, der vor mehr als 40 Jahren gedreht wurde. Und deswegen hat man immer Angst, wenn ein Film kommt, der so ein Image schadet. Aber, man weiß aber dazu noch, dass Filme im Endeffekt - auch wenn die von Spielberg produziert werden - nicht einen allzu großen Effekt hinterlassen. Man kann es jetzt diskutieren. Man kann die Frage diskutieren, ob die Israelis genauso grausam handelten wie die Palästinenser, eben nach dem Attentat dort in München. Aber ich nehme an, dass in einer Woche, zwei Wochen, also diese Frage nicht mehr diskutiert wird.
Heuer: Es ist ja ein Film über Gewalt und Gegengewalt und seine, eine seiner Thesen ist, dass beides sinnlos sei. War denn die Vergeltungsaktion an den PLO-Attentätern damals ein Fehler?
Zimmermann: Aus der Sicht der israelischen Regierung keineswegs. Aus der Sicht der israelischen Bevölkerung auch nicht. Also man versucht ja Rache zu nehmen oder mindestens Gerechtigkeit zu erreichen. Und das tut man in dem man die Täter von damals verfolgt. Und das tut Israel nicht nur in diesem einzelnen Fall, sondern das tut Israel in der Regel. Und deswegen versuchte man die zu schnappen, diejenigen, die für das Massaker damals verantwortlich waren. Und zum großen Teil war man erfolgreich. Nur aus der Sicht von Spielberg und aus der Sicht, sagen wir mal, der absoluten Gerechtigkeit ist das fragwürdig, ob das richtig war, eben diese Leute auf diese Art und Weise zu verfolgen.
Heuer: Hat sich Israel damals von Deutschland sehr im Stich gelassen gefühlt?
Zimmermann: Das Jahr 1972 war ja ein besonderes Jahr. Das ist ein Jahr vor dem Jom-Kippur-Krieg, das ist die Zeit des israelischen Hybris. Für die Israelis gab es damals zwei Erzfeinde. Der aktuelle Erzfeind, das sind die Araber. Und der historische Erzfeind, die Deutschen. Und das, was in München passierte, verband eben diese zwei Images von Erzfeinden. Man konnte selbstverständlich das unterstreichen, dass so ein Attentat, ausgerechnet in Deutschland stattfand. Dass der Mut zu diesem Attentat vielleicht daher kam, dass eben die Olympiade, die olympischen Spiele in Deutschland stattfanden. Selbstverständlich gab es auch in den Zeitungen damals große Aufregung darüber, dass die deutsche Polizei nicht effektiv genug war, dass das Militär nicht einschreiten wollte und so weiter und sofort. Das heißt in den Augen der meisten Israelis war Deutschland damals mitschuldig oder mitverantwortlich.
Heuer: Herr Zimmermann, wir haben jetzt viel zurückgeschaut auf die Ereignisse, wie sie sich damals zugetragen haben. Spielt denn der September 72 im öffentlichen Erinnern, im Gedächtnis der Israelis heute noch eine gravierende Rolle?
Zimmermann: Eine Rolle schon, gravierend nicht mehr. Man erinnert sich immer an die elf ermordeten Sportler. Und jedes Mal, wo die olympischen Spiele stattfinden, erinnert man sich etwas intensiver daran. Aber es gibt andere Ereignisse in der israelischen, in der jüdischen Vergangenheit, die eine größere Rolle spielen. Und das ändert sich von Zeit zu Zeit. Man gedenkt jetzt der Befreiung von Auschwitz, das war früher kein Gedenktag. Jetzt ist es ein Gedenktag. Und so ein Gedenktag überschattet bestimmt die Erinnerung an das Ereignis im September 72, nämlich die Ermordung der jüdischen Sportler in München.
Heuer: Spielberg hat diesen Film ja nicht zufällig in diesen Zeiten, in diesen Jahren, die wie gerade erleben, gedreht. Haben der Herbst 72 und seine Folgen die Gewaltspirale im Nahen Osten erst richtig in Gang gesetzt?
Zimmermann: Nicht in Gang gesetzt, sondern demonstriert, das zeigt die Dynamik der Auseinandersetzung hier im Nahen Osten. Es geht immer um die Vergeltung. Und jeder betrachtet seine eigene Aktion als Vergeltung für das, was die Anderen getan haben. Und so hat man eben diese Spirale der Gewalt, die sich immer weiter entwickelt. Das ist ein Beispiel dafür, aber dafür haben wir auch viele andere Beispiele.
Heuer: Der Film erscheint ja auch mitten im Antiterrorkampf der Vereinigten Staaten. Gibt es so etwas wie eine Linie zwischen München 72 und den Anschlägen vom 11. September 2001. Oder wäre das zu weit gedacht?
Zimmermann: Also, als Historiker kann man sagen, gibt es eine solche Linie. Der Terror lebt davon, dass er von den Medien aufgegriffen wird. Das war die Idee, der Gedanke hinter dem Anschlag im September 72. Das ist auch die Idee hinter dem Anschlag am 11. September 2001. Also die versuchen mit Hilfe der Medien ihre Sachen zu betreiben. Und da kann man sagen, dass was im Jahr 72 geschehen ist, der Anfang von dem ist, was wir heute erleben.
Heuer: Herr Zimmermann, Sie haben eingangs die Wahlen zum palästinensischen Parlament erwähnt und die Spannung mit der diese Wahlen auch in Israel beobachtet werden. Es sieht nun wirklich so aus, als habe die Hamas diese Wahlen gewonnen und sei nun die stärkste Kraft bei den Palästinensern. Was bedeutet das denn aus israelischer, aus Ihrer Sicht?
Zimmermann: Das bedeutet, dass Israel sich reorganisieren muss. Man hat wieder auf der anderen Seite einen Partner, den man nicht für einen Partner hält. Und da muss man neu überlegen, welche Fehler man gemacht hat in der Vergangenheit, um dazu zu führen, dass am Ende Hamas und nicht Fatah die Wahlen gewinnt. Das ist das entscheidende hier.
Heuer: Ignorieren hilft da gar nicht?
Zimmermann: Ignorieren kann man nicht. Also man lebt ja noch immer mit den Palästinensern. Die Palästinenser sind unter israelischer Besatzung. Und man muss irgendwo einen Weg finden. Und der Weg führt wahrscheinlich nicht an einer Verständigung, sogar mit der Hamas, vorbei.
Heuer: Ist das ein schwerer Rückschlag für den Friedensprozess?
Zimmermann: Das ist ein schwerer Rückschlag für die israelische Politik. Und das war zu erwarten.
Heuer: Rechnen Sie damit, dass Israel diese, also sich neu positionieren kann, auch in absehbarer Zeit?
Zimmermann: Israel kann sich neu positionieren mit Hilfe der Welt. Am Sonntag kommt die Frau Merkel nach Israel. Ich nehme an, dass sie auch versuchen wird irgendwie eine Brücke zu schlagen zwischen der israelischen Politik, der israelischen Regierung und der neuen palästinensischen Regierung. Aber die Amerikaner werden hier die entscheidende Rolle spielen wie immer.
Heuer: Spannende Zeiten im Nahen Osten. Moshe Zimmermann, Historiker an der hebräischen Universität in Jerusalem. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Zimmermann.
Zimmermann: Ich bedanke mich.
Moshe Zimmermann: Guten Morgen!
Heuer: Auch in Israel läuft München heute erst an. Sind die Menschen gespannt auf den Film? Werden viele Israelis ihn sehe?
Zimmermann: Also das nennen die Amerikaner "that is history", das ist schon lange her. Gespannt ist man in Israel eher auf das, was nach den Wahlen in Palästina kommt. Die Hamas hat ja gewonnen und das ist ein wichtiges Element der Spannung. Aber man ist selbstverständlich, wenn man sich für Filme interessiert und für Geschichte interessiert auch auf diesen Film gespannt. Man weiß aber Bescheid was in diesem Film gezeigt wird. Es wurde bereits diskutiert. Es gab schon eine Ausstrahlung vor einer Woche, wo Leute teilnahmen, oder unter den Zuschauern Leute waren, die damals dabei waren und die Diskussion begann schon dann.
Heuer: Regen sich denn die Israelis auch so über Spielbergs Film auf?
Zimmermann: Das ist keine allzu große Aufregung. Selbstverständlich ist ein Film für Israelis keine Lappalie. Filme machen eigentlich das Image der Israelis, Israels Image ist sehr stark vom Film-Exodus geprägt. Ein Film, der vor mehr als 40 Jahren gedreht wurde. Und deswegen hat man immer Angst, wenn ein Film kommt, der so ein Image schadet. Aber, man weiß aber dazu noch, dass Filme im Endeffekt - auch wenn die von Spielberg produziert werden - nicht einen allzu großen Effekt hinterlassen. Man kann es jetzt diskutieren. Man kann die Frage diskutieren, ob die Israelis genauso grausam handelten wie die Palästinenser, eben nach dem Attentat dort in München. Aber ich nehme an, dass in einer Woche, zwei Wochen, also diese Frage nicht mehr diskutiert wird.
Heuer: Es ist ja ein Film über Gewalt und Gegengewalt und seine, eine seiner Thesen ist, dass beides sinnlos sei. War denn die Vergeltungsaktion an den PLO-Attentätern damals ein Fehler?
Zimmermann: Aus der Sicht der israelischen Regierung keineswegs. Aus der Sicht der israelischen Bevölkerung auch nicht. Also man versucht ja Rache zu nehmen oder mindestens Gerechtigkeit zu erreichen. Und das tut man in dem man die Täter von damals verfolgt. Und das tut Israel nicht nur in diesem einzelnen Fall, sondern das tut Israel in der Regel. Und deswegen versuchte man die zu schnappen, diejenigen, die für das Massaker damals verantwortlich waren. Und zum großen Teil war man erfolgreich. Nur aus der Sicht von Spielberg und aus der Sicht, sagen wir mal, der absoluten Gerechtigkeit ist das fragwürdig, ob das richtig war, eben diese Leute auf diese Art und Weise zu verfolgen.
Heuer: Hat sich Israel damals von Deutschland sehr im Stich gelassen gefühlt?
Zimmermann: Das Jahr 1972 war ja ein besonderes Jahr. Das ist ein Jahr vor dem Jom-Kippur-Krieg, das ist die Zeit des israelischen Hybris. Für die Israelis gab es damals zwei Erzfeinde. Der aktuelle Erzfeind, das sind die Araber. Und der historische Erzfeind, die Deutschen. Und das, was in München passierte, verband eben diese zwei Images von Erzfeinden. Man konnte selbstverständlich das unterstreichen, dass so ein Attentat, ausgerechnet in Deutschland stattfand. Dass der Mut zu diesem Attentat vielleicht daher kam, dass eben die Olympiade, die olympischen Spiele in Deutschland stattfanden. Selbstverständlich gab es auch in den Zeitungen damals große Aufregung darüber, dass die deutsche Polizei nicht effektiv genug war, dass das Militär nicht einschreiten wollte und so weiter und sofort. Das heißt in den Augen der meisten Israelis war Deutschland damals mitschuldig oder mitverantwortlich.
Heuer: Herr Zimmermann, wir haben jetzt viel zurückgeschaut auf die Ereignisse, wie sie sich damals zugetragen haben. Spielt denn der September 72 im öffentlichen Erinnern, im Gedächtnis der Israelis heute noch eine gravierende Rolle?
Zimmermann: Eine Rolle schon, gravierend nicht mehr. Man erinnert sich immer an die elf ermordeten Sportler. Und jedes Mal, wo die olympischen Spiele stattfinden, erinnert man sich etwas intensiver daran. Aber es gibt andere Ereignisse in der israelischen, in der jüdischen Vergangenheit, die eine größere Rolle spielen. Und das ändert sich von Zeit zu Zeit. Man gedenkt jetzt der Befreiung von Auschwitz, das war früher kein Gedenktag. Jetzt ist es ein Gedenktag. Und so ein Gedenktag überschattet bestimmt die Erinnerung an das Ereignis im September 72, nämlich die Ermordung der jüdischen Sportler in München.
Heuer: Spielberg hat diesen Film ja nicht zufällig in diesen Zeiten, in diesen Jahren, die wie gerade erleben, gedreht. Haben der Herbst 72 und seine Folgen die Gewaltspirale im Nahen Osten erst richtig in Gang gesetzt?
Zimmermann: Nicht in Gang gesetzt, sondern demonstriert, das zeigt die Dynamik der Auseinandersetzung hier im Nahen Osten. Es geht immer um die Vergeltung. Und jeder betrachtet seine eigene Aktion als Vergeltung für das, was die Anderen getan haben. Und so hat man eben diese Spirale der Gewalt, die sich immer weiter entwickelt. Das ist ein Beispiel dafür, aber dafür haben wir auch viele andere Beispiele.
Heuer: Der Film erscheint ja auch mitten im Antiterrorkampf der Vereinigten Staaten. Gibt es so etwas wie eine Linie zwischen München 72 und den Anschlägen vom 11. September 2001. Oder wäre das zu weit gedacht?
Zimmermann: Also, als Historiker kann man sagen, gibt es eine solche Linie. Der Terror lebt davon, dass er von den Medien aufgegriffen wird. Das war die Idee, der Gedanke hinter dem Anschlag im September 72. Das ist auch die Idee hinter dem Anschlag am 11. September 2001. Also die versuchen mit Hilfe der Medien ihre Sachen zu betreiben. Und da kann man sagen, dass was im Jahr 72 geschehen ist, der Anfang von dem ist, was wir heute erleben.
Heuer: Herr Zimmermann, Sie haben eingangs die Wahlen zum palästinensischen Parlament erwähnt und die Spannung mit der diese Wahlen auch in Israel beobachtet werden. Es sieht nun wirklich so aus, als habe die Hamas diese Wahlen gewonnen und sei nun die stärkste Kraft bei den Palästinensern. Was bedeutet das denn aus israelischer, aus Ihrer Sicht?
Zimmermann: Das bedeutet, dass Israel sich reorganisieren muss. Man hat wieder auf der anderen Seite einen Partner, den man nicht für einen Partner hält. Und da muss man neu überlegen, welche Fehler man gemacht hat in der Vergangenheit, um dazu zu führen, dass am Ende Hamas und nicht Fatah die Wahlen gewinnt. Das ist das entscheidende hier.
Heuer: Ignorieren hilft da gar nicht?
Zimmermann: Ignorieren kann man nicht. Also man lebt ja noch immer mit den Palästinensern. Die Palästinenser sind unter israelischer Besatzung. Und man muss irgendwo einen Weg finden. Und der Weg führt wahrscheinlich nicht an einer Verständigung, sogar mit der Hamas, vorbei.
Heuer: Ist das ein schwerer Rückschlag für den Friedensprozess?
Zimmermann: Das ist ein schwerer Rückschlag für die israelische Politik. Und das war zu erwarten.
Heuer: Rechnen Sie damit, dass Israel diese, also sich neu positionieren kann, auch in absehbarer Zeit?
Zimmermann: Israel kann sich neu positionieren mit Hilfe der Welt. Am Sonntag kommt die Frau Merkel nach Israel. Ich nehme an, dass sie auch versuchen wird irgendwie eine Brücke zu schlagen zwischen der israelischen Politik, der israelischen Regierung und der neuen palästinensischen Regierung. Aber die Amerikaner werden hier die entscheidende Rolle spielen wie immer.
Heuer: Spannende Zeiten im Nahen Osten. Moshe Zimmermann, Historiker an der hebräischen Universität in Jerusalem. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Zimmermann.
Zimmermann: Ich bedanke mich.