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"Das ist Symbolpolitik"

Zugunsten der syrischen Opposition haben die EU-Außenminister die Sanktionen gegen das Land teilweise aufgehoben. Omid Nouripour, Verteidigungspolitiker der Grünen, dämpft die Erwartungen an diese Maßnahme. Und er warnt davor, die Rebellen in Syrien mit Waffen zu beliefern.

Omid Nouripour im Gespräch mit Bettina Klein | 23.04.2013
    Bettina Klein: Die EU-Außenminister haben gestern das Ölembargo gegen Syrien teilweise gelockert. Über mögliche Waffenlieferungen, wie von Großbritannien und Frankreich gefordert, wurde nicht entschieden. Wird das Thema heute bei den NATO-Außenministern noch einmal auf den Tisch kommen? Die NATO setzt jedenfalls für ihren Beitrag eigentlich nur auf die Zeit nach Assad.

    Am Telefon ist jetzt Omid Nouripour, für die Bündnis-Grünen im Bundestag und dort Mitglied im Verteidigungsausschuss. Guten Morgen!

    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Herr Nouripour, schauen wir noch mal auf die Entscheidung der EU-Außenminister gestern, das Ölembargo gegen Syrien teilweise zumindest zu lockern. Wie viel weiter sind wir mit diesem Schritt?

    Nouripour: Das ist Symbolpolitik. Das ist manchmal auch nicht falsch, Symbolpolitik zu betreiben, aber man sollte das nicht überbewerten. Das was an Volumina an Erdöl tatsächlich exportiert werden kann, hat nicht eine Größenordnung, die tatsächlich wirtschaftlich oder aber auch im Bereich Waffenkäufe den Rebellen hilft. Also das ist ein Symbol gewesen nach meinem Verständnis, um klar zu machen, wir stehen auf der Seite der Rebellen und wir sind gegen Assad, und das ist auch eine Konzession Deutschlands gewesen, denn Deutschland ist ja im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien gegen Waffenlieferungen an die Rebellen, um klar zu machen, wir sind bereit, irgendwas zu tun. Aber mehr als das sehe ich ehrlich gesagt nicht.

    Klein: Und Sie kritisieren diese Haltung Deutschlands?

    Nouripour: Ich kritisiere keineswegs, dass Deutschland nicht bereit ist, Waffen mitzuliefern. Ich finde, die Länder, die die Waffen liefern wollen, sollen zwei Fragen zuerst beantworten. Erstens: Wer sammelt denn post Assad die Waffen wieder ein, wie soll das gehen? Und zweitens: Wie verhindert man denn, dass mit diesen Waffen gerade nach Assad es zu einem Massaker kommt an vielen verschiedenen Minderheiten, beginnend mit den Aleviten und endend mit den Christen im Land? Die Fragen sind nicht beantwortet. Wir haben nicht die Situation, dass es zu wenig Waffen gibt im Land. Wir haben so was wie ein Gleichgewicht des Schreckens und ja, es ist unerträglich zu sehen, dass es da nicht vorangeht und so viele Menschen zu Schaden kommen und brutal ermordet werden. Aber je mehr Waffen ins Land kommen, desto schlimmer wird es nach Assad, und deshalb finde ich das falsch.

    Klein: Herr Nouripour, über die Waffenlieferungen wurde ja gestern gar nicht gesprochen, auch nicht entschieden. Das Verbot von Waffenlieferungen nach Syrien ist bis Ende Mai befristet, es kann offenbar nur einstimmig verlängert werden. Aber wenn ein oder zwei Staaten wie Großbritannien und Frankreich sich weiter dafür stark machen, sehen Sie dann noch eine Möglichkeit, dass man sich nun doch darauf verständigt?

    Nouripour: Ich glaube nicht. Aber ehrlich gesagt, auch das ist Symbolik, weil viele der Länder, die jetzt ganz laut rufen, dass man Waffen liefern soll, es ja längst tun. Deshalb geht es um eine offizielle EU-Linie, die zwar total wichtig ist, um auch auszustrahlen, was man politisch will. Aber an der Situation in Syrien ändert das nicht viel. Das besonders Dramatische daran ist, dass das wichtigste, was jetzt geliefert werden müsste, Medikamente sind, und das kriegt die EU nicht hin. Das ist das Problem.

    Klein: Warum kriegt sie das nicht hin?

    Nouripour: Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen überfragt. Es gibt ein paar Zollbestimmungen zum Beispiel, über die man reden müsste. Es gibt sehr viele NGOs, die sowohl die Kapazitäten hätten zu liefern, als auch vor Ort Distributionsnetzwerke hätten. Es kriegt die EU nicht hin, diesen NGOs zu helfen und unter die Arme zu greifen, und das, finde ich, wäre viel notwendiger jetzt ganz oben auf der Tagesordnung der EU als die Frage der Waffenlieferung.

    Klein: Lassen Sie uns noch mal auf das schauen, was gestern beschlossen wurde, nämlich die Lockerung des Ölembargos. Sie haben schon gesagt, das sei eigentlich Symbolpolitik, was nicht immer falsch ist. Aber die Frage nach dem praktischen Nutzen stellt sich ja. Wie sauber lässt sich das dann trennen, ein Embargo gegen das Regime, aber eben nicht gegen die Opposition?

    Nouripour: Ich glaube schon, dass das geht, weil es tatsächlich um die Standorte geht. Sie haben ja die Standorte gestern benannt, die von den Sanktionen ausgenommen werden sollen. Das Problem aber auch wiederum dabei ist: Der deutsche Außenminister sagt, dass die Vertreter der Opposition sich glasklar vom Extremismus distanziert hätten. Es sind sehr honorige Leute dabei, das ist richtig, und ja, die können sich auch glaubhaft vom Extremismus distanzieren. Aber wenn man sich die Lage in Syrien selbst in diesen befreiten Gebieten anschaut, dann muss man feststellen, dass diese Leute glücklich sein können, wenn sie nach Assad ins Land gehen, ohne dass sie sofort an die Wand gestellt werden von den Extremisten. Wir haben es mit mindestens zwei sehr großen, sehr klar islamistischen Gruppen zu tun, die derzeit die stärksten Kräfte sind innerhalb der Opposition. Das heißt, diese Distanzierung ist sehr löblich, aber praktisch nicht machbar, und das ist das Problem.

    Klein: Aber, Herr Nouripour, wir diskutieren darüber seit Wochen und Monaten und wir hören jetzt auch aus der NATO, dass die im Grunde genommen erst mal wartet, bis Assad weg ist, um dann eventuell eine Nachfolgelösung für Syrien mit zu unterstützen. Man muss das ja nicht kritisieren, aber die Frage stellt sich natürlich schon: Ist die Staatengemeinschaft weiterhin dazu verurteilt zuzuschauen?

    Nouripour: Frau Klein, die Frage ist völlig berechtigt. Und noch mal: Es ist kaum erträglich zuzugucken, was da gerade passiert. Und ja, ich bin sehr, sehr einverstanden mit allen, die sagen, man muss was tun. Aber ehrlich gesagt, ich suche seit zwei Jahren irgendeinen klugen Kopf, der irgendeine plausible Lösung hat. Ich habe bisher niemanden gefunden und diese Ratlosigkeit muss ich hier einfach zum Ausdruck bringen, auch wenn das nicht unbedingt befriedigend ist.

    Klein: Wir haben heute schon die Kritik Russlands gehört, das ja bis jetzt noch an der Seite des syrischen Machthabers Assad fest steht und damit auch immer wieder UNO-Resolutionen verhindert. Russland hat diese teilweise Aufhebung des Ölembargos kritisiert. Alles hängt jetzt im Grunde genommen davon ab, ob es auf UNO-Ebene zu einer Lösung, zu einer Resolution zum Beispiel kommt. Sehen Sie denn Einflussmöglichkeiten, was Russland angeht?

    Nouripour: Die Russen vertun eine riesengroße Chance zurzeit, auch ihren Ruf ein bisschen aufzupolieren in der arabischen Welt. Jetzt sehr böse gesagt: Das ist das erste Mal seit Hunderten von Jahren, dass die Russen in der arabischen Welt mehr verhasst sind als die Amerikaner. Und das muss man denen einfach aufs Brot schmieren. Es ist nicht hilfreich, immer wieder mit dem Finger auf sie zu zeigen und zu sagen, an euch liegt es (das stimmt, die Russen hätten im Sicherheitsrat deutlich früher für eine größere Deeskalation sorgen können). Aber jetzt muss man sie fragen, ob sie überhaupt noch wissen, wie sehr sie ihre eigenen Interessen schädigen. Vielleicht geht es ja darüber. Natürlich wären wir einen Riesenschritt weiter, wenn es im Sicherheitsrat Bewegung gäbe und die Russen sich bewegen würden.

    Klein: Und da wird genug gefragt von Seiten der Bundesregierung?

    Nouripour: Ich habe das Gefühl, dass genug gefragt wird, aber die Tonalität nicht unbedingt so ist, dass die Russen sich bewegen können. Das ist immer wieder eine mächtige Schuldzuweisung und weniger die Frage von Interessen und wie man denn miteinander übereinkommen kann. Das ist vielleicht eine Frage der Tonlage. Ich sage nicht, dass eine sehr nette Tonlage die Russen bewegen würde. Aber so, wie es bisher passiert, ist die Wahrscheinlichkeit sehr klein, dass die Russen tatsächlich bereit sind, sich auf uns zuzubewegen.

    Klein: Omid Nouripour, für die Bündnis-Grünen im Bundestag und dort Mitglied im Verteidigungsausschuss, zum gelockerten Ölembargo gegen Syrien. Danke Ihnen für das Gespräch heute Morgen, Herr Nouripour.

    Nouripour: Danke Ihnen, Frau Klein.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.