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"Das ist überhaupt kein Sicherheitsniveau"

Das gegenwärtige Kontrollsystem der Europäischen Union bei der Luftfracht hält Jörg Handwerg, Lufthansa-Flugkapitän und Vorstandsmitglied der Vereinigung Cockpit, für nicht ausreichend. Der Status "bekannter Versender" gaukle Vertrauenswürdigkeit vor - wirksame Standards und Kontrollen fehlten aber.

Jörg Handwerg im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Die Paketbomben aus dem Jemen haben es deutlich gemacht: im internationalen Flugverkehr können Passagiere noch so penibel kontrolliert werden, solange ähnliche Bestimmungen für Luftfracht fehlen, bestehen erhebliche Sicherheitslücken. Die Innen- und die Verkehrsminister der Europäischen Union werden heute in Brüssel über schärfere Bestimmungen sprechen.

    Jetzt bin ich mit Jörg Handwerg von der Vereinigung Cockpit verbunden. Er ist Flugkapitän der Lufthansa. Guten Morgen, Herr Handwerg.

    Jörg Handwerg: Schönen guten Morgen!

    Herter: Herr Handwerg, Sie fliegen auch Ziele in Nordafrika an. Haben Sie dabei ein ganz sicheres Gefühl, wenn Sie an die offenbar doch lückenhaften Kontrollen der Luftfracht denken?

    Handwerg: Na ja, ich habe sicherlich nicht so ein sicheres Gefühl wie ich gerne hätte, um es mal so zu sagen. 100 Prozent Sicherheit gibt es allerdings nirgends und dieses Risikos ist sich, glaube ich, auch jeder Pilot bewusst.

    Herter: Was würden Sie Ihren Passagieren sagen? Ist es trotzdem lohnend zu fliegen?

    Handwerg: Ja, natürlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass man hier von einem Attentat betroffen ist, die ist ja weitaus geringer, als von einem Autounfall betroffen zu sein auf dem Weg zum Flughafen. Insofern: Man muss es in der Relation sehen. Es ist halt sehr schwierig für den Menschen, da er kein Organ hat, um Risiken einzuschätzen, die Relationen zu wahren.

    Herter: Schauen wir uns mal den Ist-Zustand an. Da gibt es das Konzept des sogenannten "bekannten Versenders" von Luftfracht. Wenn der ein Frachtgut auf den Weg bringt, soll man ihm vertrauen können. Ist das nicht ein bisschen naiv?

    Handwerg: Dieses innerhalb der Europäischen Union angewendete System, wir halten es auch, wie Sie gesagt haben, für naiv. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wenn man Sicherheit schaffen will, kann man nicht nur einfach auf die Aussagen des Versenders vertrauen, sondern dann muss auch ein System her, was eben genaue Vorgaben macht, was als vertrauenswürdig gilt, welche Voraussetzungen gelten, wie die Sicherheitsbereiche abgeschirmt sind, wie das Personal überprüft wird. etc. etc.

    Herter: Das Luftfahrtbundesamt hat nach Kontrollen mehreren Firmen dieses Prädikat "bekannter Versender" aberkannt. Das sind doch einige Fortschritte, die da inzwischen gemacht worden sind, oder nicht?

    Handwerg: Ja, Fortschritte? – Das Traurige ist natürlich, dass erst so was passieren musste jetzt, wie die Bomben aus dem Jemen, dass man überhaupt hier reagiert. Wir haben bereits nach 2001 ja angemahnt, dass hier eklatante Lücken sind, und man wollte nicht zuhören. Jetzt, wo der öffentliche Druck da ist, dann macht man natürlich mal ein bisschen was. Aber bei 65.000 bekannten Versendern, so weit mir bekannt, die wir hier haben in Europa, da ist natürlich dann, mal zwei, drei Versendern den Status abzuerkennen, ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen grundsätzlich ein System, was sicherstellt, dass nur der als bekannter Versender gilt, der eben auch wirklich Sicherheit gewährleistet.

    Herter: Und wie läuft es bisher? Kann jeder "bekannter Versender" werden?

    Handwerg: Im Prinzip ja. Es gibt ein Formular, was man ausfüllt. Da steht dann so flapsig gesagt drauf, hiermit bestätige ich, dass wir sicher sind, und dann gelten sie als "bekannter Versender", und das ist überhaupt kein Sicherheitsniveau.

    Herter: Brauchen wir stattdessen so eine Art Rasterfahndung nach Gepäckstücken, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, müssen die kontrolliert werden?

    Handwerg: Das ist genau der Ansatz. Dass man nun jedes Gepäckstück, jedes Frachtstück komplett durch den Scanner schickt, das ist einfach nicht mehr leistbar und das wird immer schwerer werden, weil das Frachtaufkommen einfach immer weiter steigt. Insofern brauchen wir intelligente Systeme, das heißt eine Art Profiling bei der Fracht, wo kommt das Gepäckstück her, wo soll es hin, das Frachtstück, und macht das überhaupt Sinn, was dort angeblich verschickt wird. Hier muss man sicherlich auch nach Absendeort unterschiedliche Risikostufen schaffen, in die man das Stück einordnet, und dann eben unterschiedlich intensiv kontrollieren.

    Herter: Das hieße also zum Beispiel, wenn ein gebrauchtes Gerät aus dem Jemen in Richtung USA verschickt wird, müsste man hellhörig werden?

    Handwerg: So kann man das sagen. Es ist sicherlich was anderes, wenn ich von einem Hersteller, einem renommierten, eine Neuproduktion verschicke, dann ist das sicherlich anders einzustufen, als wenn von irgendeinem Privatmenschen aus einer Region, die dafür bekannt ist, dass dort, sage ich mal, erhöhte Terrorgefahr herrscht, Einzelpakete verschickt werden, noch dazu mit Geräten, die es eigentlich vor Ort doch viel günstiger gibt. Ich meine, so günstig ist der Lufttransport nicht. Dann müssen natürlich schon andere Kontrollmaßnahmen greifen, als eben bei einem Hersteller, der tagtäglich immer die gleichen Dinge an die gleichen Lieferanten, an die gleichen Adressaten schickt.

    Herter: Aber da müsste man sich auf Kriterien einigen, zwar international, und weil Terroristen immer die Lücken suchen, müssten diese Vereinbarungen geheim bleiben. Halten Sie das für realistisch?

    Handwerg: Nein, das ist so sicherlich nicht realistisch. Deswegen ist auch ein Element nie zu vernachlässigen, und das ist der Zufall. Es muss immer in jedem System, ansonsten können sie es zu leicht aushebeln, Zufallsproben, Stichproben geben und es muss ergänzt werden auch durch geheimdienstliche Informationen. Auch im Fall der Luftfracht aus dem Jemen waren es letzten Endes die Geheimdienstinformationen, die dazu geführt haben, dass man die Päckchen gefunden hat, und nicht das reine Scannen. Auch das Scannen ist ja nicht 100 Prozent sicher. Eine Forderung jetzt aufzustellen, man schickt einfach alles durch den Scanner und dann können wir uns beruhigt zurücklehnen, ist unrealistisch.

    Herter: Es wird 6:57 Uhr, Sie hören den Deutschlandfunk, ein Interview mit Jörg Handwerg von der Vereinigung Cockpit über Luftfrachtsicherheit. – Herr Handwerg, was ist denn mit Frachtmitarbeitern? Das sind bisher keine Sicherheitszonen, diese Frachtzentren. Was muss sich da ändern?

    Handwerg: Wir brauchen auf jeden Fall eine Definition, was ist als Sicherheitszone zu verstehen. Dann muss genau definiert sein, wie dort der Zugang geregelt ist, und die Leute, die dort Zugang haben, die müssen überprüft sein. Wir brauchen darüber Simulationskammern, Echtzeitsimulationen. Das Personal muss eben einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Die Transport- und Ladegeräte der Frachtabfertigung sind zu überwachen. Die Frachtbegleiter sollten Sicherheitskontrollen unterzogen werden, explosionshemmende Frachtcontainer sind sinnvoll und im Ausland muss das natürlich genauso wie im Ursprungsland gelten.

    Herter: Und wie hoch werden die Kosten nach Ihren Schätzungen sein?

    Handwerg: Na ja, die Kosten? – Sicherheit kostet Geld, sage ich mal; keine Sicherheit kostet Menschenleben. Also da muss man sich entscheiden, wie viel Sicherheit man eben gewährleisten will und was man dafür ausgeben will. Aber umsonst wird es sicherlich nicht zu haben sein.

    Herter: Wer soll die Kosten übernehmen?

    Handwerg: Letzten Endes zahlt es doch immer der Kunde, da dürfen wir uns nichts vormachen.

    Herter: Der Steuerzahler zahlt es unter Umständen, wenn das in öffentlicher Hand bleibt.

    Handwerg: Sicherlich zu einem gewissen Maße mag das sein, aber es ist eigentlich auch eine hoheitliche Aufgabe, die Sicherheit seiner Bewohner herzustellen, und insofern ist das auch legitim. Auch in anderen Bereichen trägt ja die Allgemeinheit die Kosten für die Sicherheit.

    Herter: Jörg Handwerg war das, Flugkapitän und Vorstandsmitglied der Vereinigung Cockpit, über bessere Luftfrachtkontrollen. Darüber beraten heute in Brüssel die Innen- und die Verkehrsminister der EU. Herr Handwerg, vielen Dank!

    Handwerg: Gerne geschehen!