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"Das ist Zweckoptimismus"

Max Otte, Wirtschaftswissenschaftler an der Fachhochschule Worms und Autor des Buchs "Der Crash kommt", rechnet mit einer scharfen Rezession in Deutschland. Die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute seien noch zu positiv, da sie Entwicklungen immer hinterher hinkten. In Deutschland werde besonders der Export geschwächt. Vier bis fünf Jahre müsste man dann wahrscheinlich noch unter den Folgen der Finanzkrise leiden, so Otte.

Max Otte im Gespräch mit Christian Schütte |
    O-Ton Juncker: Wir sollten uns abgewöhnen, wie die Maus vor der Katze auf die täglichen Börsenkurse zu schauen.

    Schütte: So hat Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker heute Morgen im Deutschlandfunk gemahnt. Streng genommen hieße das, wir dürften jetzt nicht zu unserem Börsenkorrespondenten nach Frankfurt schalten. Andererseits: verschweigen sollten wir auch nicht, wie sich die Kurse dort entwickelt haben.

    Die deutsche Wirtschaft war lange Zeit im Aufschwung. Da die Konjunktur in Zyklen verläuft, das Wirtschaftswachstum also mal anzieht, sich dann wieder abschwächt, war klar: Der positive Trend der vergangenen Jahre musste sich irgendwann umkehren. Doch in Verbindung mit den Problemen in der Finanzwelt soll die deutsche Wirtschaft nun einen ordentlichen Dämpfer bekommen. Gerade mal 0,2 Prozent Wachstum im kommenden Jahr. So hatten es mehrere Forschungsinstitute vorgestern vorhergesagt. Bundeswirtschaftsminister Glos beurteilt dies ganz ähnlich in seiner Prognose, die er am Mittag vorgestellt hat, und auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat seine Schlüsse aus der Finanzmarktkrise gezogen.

    Mitgehört hat Max Otte, Wirtschaftswissenschaftler an der Fachhochschule Worms und Autor des Buchs "Der Crash kommt". Guten Tag, Herr Otte.

    Otte: Guten Tag, Herr Schütte.

    Schütte: In Ihrem Buch von 2006 haben Sie die aktuellen Probleme an den Finanzmärkten vorhergesagt. Nur haben Ihnen damals viele nicht so recht geglaubt. Glauben Sie wiederum an die Prognosen, die wir jetzt hören, über die Folgen der Finanzkrise und das Wirtschaftswachstum?

    Otte: Die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute sind meistens das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Das ist auch ganz normal und natürlich so, denn diese Institute hängen ja an Staatsgeldern und letztlich will man natürlich nicht seinem Auftraggeber vors Bein treten und eine schlechte Wirtschaftslage prognostizieren. Wenn Sie in die Vergangenheit schauen: noch nie wurde eigentlich eine ernst zu nehmende Rezession prognostiziert. Aber gelegentlich tauchen die dann doch irgendwie auf und ich denke, diesmal kommen wir auch nicht so leicht darum herum. Wir werden schon eine ziemlich scharfe Rezession bekommen.

    Schütte: Das heißt, um das noch mal konkreter zu machen, jetzt wird gesagt, 0,2 Prozent Wachstum im kommenden Jahr. Das heißt, das ist nicht einmal tief gestapelt, sondern Sie sagen, das ist noch viel zu optimistisch?

    Otte: Das ist Zweckoptimismus. Wirtschaftsforschungsinstitute sind meistens sehr gut darin, ihnen zu prognostizieren, was gerade passiert ist. Das heißt, wenn jetzt die Wirtschaft sich schon abgeschwächt hat, dann wird das in die nächste Prognose übernommen. Und wenn sie sich weiter abschwächt, dann wird es in die übernächste Prognose übernommen. Sie eilen im Prinzip der Entwicklung immer hinterher oder rennen der Entwicklung hinterher. Das heißt, ich denke schon, wir werden eine tatsächliche Kontraktion bekommen. Die ist auch notwendig, denn wir hatten eben sehr starke Kreditgebäude, Exzesse an den Finanzmärkten, und wenn jetzt die Unternehmen wieder mehr Eigenkapital aufbauen, die Konsumenten mehr sparen und so weiter, dann sind das natürlich zunächst einmal kontraktive Effekte.

    Schütte: Was heißt das konkret für Sie an Zahlen? Wagen Sie vielleicht eine Prognose? Wie wird das Wirtschaftswachstum 2009 sein?

    Otte: Ich denke, es gibt einen Konjunktureinbruch, also ein Minuswachstum.

    Schütte: Also Rezession?

    Otte: Rezession.

    Schütte: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hingegen - wir haben es gerade in dem Bericht von Andreas Baum gehört - sagt, das sei alles eine aufgeregte Situation. Die Situation in der Wirtschaft wird von den Unternehmen ganz anders beurteilt.

    Otte: Ich fand das auch sehr mutig. Die deutschen Unternehmen sind gut aufgestellt, aber sie hängen natürlich sehr stark am Export und es gibt ja keinen Zweifel, dass in Amerika wirklich die Krise sehr scharfe Ausmaße angenommen hat, dass dort die Häuserpreise weiter fallen werden und verschiedene andere Dinge passieren werden. Das heißt ich denke, dass unsere Exportkonjunktur auch massiv einbrechen wird. Wir hatten fünf, sechs Jahre eine hervorragende Exportkonjunktur. Das kann nicht immer so weitergehen.

    Schütte: Das heißt, das wäre für Sie auch der Hauptgrund, warum es in Deutschland zu einer Rezession kommen könnte?

    Otte: Ja. Exportkonjunktur im Automobilsektor, im Maschinenbau, natürlich auch eine gewisse Kreditklemme, wobei gute Schuldner auch in Zukunft Kredite bekommen werden, und wir haben in Deutschland zum Glück mehr gute Schuldner, also solvente Schuldner als in den USA. Das heißt, die Kreditklemme als solche ist vielleicht bei uns nicht so maßgeblich.

    Schütte: Sie scheinen da sehr sicher zu sein. Warum gibt es trotzdem diese unterschiedlichen Einschätzungen, jetzt nicht nur aus der Politik, sondern auch unterhalb der Wirtschaftsforscher?

    Otte: Ja, gut. Ein bisschen ist das natürlich Show. Der eine ist ein bisschen höher, der andere ist ein bisschen niedriger in seiner Prognose. Aber wie gesagt: sie unterliegen alle dem Systemzwang, grundsätzlich zu positiv zu prognostizieren und grundsätzlich der wirtschaftlichen Entwicklung hinterherzurennen und eben nicht in die Zukunft zu schauen.

    Erstaunt hat mich eben in der Tat die Einschätzung aus der Industrie, aber da kann man vielleicht das damit begründen, dass es im Moment der Industrie noch sehr gut geht, und wenn die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich nicht massiv ändern würden, würde die Industrie das, glaube ich, auch ganz gut überstehen. Insofern kann ich die Argumentation nachvollziehen.

    Schütte: Gut. Also: wir haben Prognosen. Wir wissen nicht, wie sich die Situation entwickeln wird. Das kann man seriöserweise natürlich nicht ganz genau vorhersagen. Darum frage ich Sie nach Ihrer Einschätzung, Herr Otte. Mit welchen Folgen für Deutschland rechnen Sie konkret, vielleicht einmal betrachtet bis zum Jahresende?

    Otte: So schnell oder so kurzfristig kann man das schlecht sagen. Aber ich denke, wir knacken drei, vier, fünf Jahre an dieser Sache, denn es werden Schulden abgebaut, es werden nach wie vor schlechte Finanzprodukte in den Bilanzen mitgeschleppt, wir bekommen Dämpfer von der Weltwirtschaft. Ich denke, es wird ein Anpassungsprozess über mehrere Jahre sein, bis wir ein neues Gleichgewicht gefunden haben. Das heißt nicht, dass wir jetzt vier, fünf Jahre Kontraktion haben. Ich denke, eher so zwei Jahre, wo wir eine Rezession haben. Aber wir werden eben länger an den Folgen zu knacken haben.

    Schütte: Das heißt, die Hoffnung, die ja vor einigen Tagen laut geworden ist, dass die schwächelnde Weltwirtschaft sich Ende 2009 erholen könnte, diese Hoffnung teilen Sie nicht?

    Otte: Das, denke ich, ist in der Tat verfrüht. Ich denke aber, dass wir zumindest den Brand der Finanzkrise jetzt gelöscht haben.

    Schütte: Was heißt das für Deutschland, für den Arbeitsmarkt?

    Otte: Ich denke schon, dass wir da in der Tat wieder steigende Arbeitslosenzahlen haben werden, dass auf dem Arbeitsmarkt wieder größere Probleme auftreten werden.

    Schütte: Und konkret?

    Otte: In Zahlen möchte ich das ungern sagen. Das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Aber wie gesagt, die Arbeitslosigkeit dürfte schon um einige Prozentpunkte wieder steigen.

    Schütte: Es wird wieder diskutiert - nicht nur über Hilfsmaßnahmen für den Arbeitsmarkt, auch über Steuersenkungen wird geredet, über Konjunkturprogramme, über Antirezessionsprogramme. Welche Empfehlungen haben Sie an die Politik?

    Otte: Na ja, die Wirtschaft ist nun mal nicht etwas, was sich per Knopfdruck und per Konjunkturprogramm wieder ankurbeln lässt. Diesem Irrglauben haben wir nach 2001 unterlegen und haben zum Teil durch die amerikanische Notenbank die aufgeblähten Finanzmärkte und die Probleme geschaffen. Also es wäre sicherlich falsch, einen starken Sparkurs zu fahren. Der Haushalt hat ja so genannte automatische Stabilisatoren. Wenn es krisenhafter wird, steigen die Ausgaben, die Einnahmen fallen. Das ist auch richtig so, dass das Defizit in der Krise etwas steigt. Darüber hinaus, denke ich, müsste man aber nicht allzu viel tun, denn um diesen reinigenden Prozess kommen wir jetzt nicht herum, dass mehr Eigenkapital aufgebaut wird, dass sich einige ungesunde Strukturen umbauen und abbauen. Das muss bis zu einem gewissen Grade auch seinen Lauf nehmen.

    Schütte: Das heißt, die Politik soll jetzt einfach die Hände in den Schoß legen?

    Otte: Nein. Die Politik sollte Rückgrat zeigen gegenüber der Finanzbranche und dort Bremsen einbauen, scharfe Kontrollen, dass so etwas nicht mehr passieren kann. Sie muss vorausschauend agieren und die Rahmenbedingungen für die nächsten 10 bis 20 Jahre setzen, was sie von 2000 oder eigentlich von 1982 bis 2007 verpasst hat und insbesondere in den letzten Jahren verpasst hat. Man muss dort vorausschauend agieren und Regeln für die Finanzmärkte finden.

    Schütte: Sie sagen also, auf dem Finanzmarkt eingreifen, einschreiten, Regelungen finden, aber die Wirtschaft gewissermaßen sich selbst überlassen?

    Otte: Im großen und ganzen ja. Man kann sicherlich hier und da über flankierende Maßnahmen auch im Konjunkturbereich nachdenken, aber ich denke nicht, dass dort massiver Aktionismus jetzt viel rausreißen würde.

    Schütte: Dann reden wir noch mal über den Finanzmarkt. Wir sollten aus der Krise lernen, so hieß es ja aus der Politik. Das heißt, die Kontrolle soll verbessert werden. Die Bundeskanzlerin sprach von einer neuen Finanzmarkt-Verfassung, und ausgestalten sollte diese unter anderem (ausgerechnet könnte man sagen) Hans Tietmeyer, Mitglied im Aufsichtsrat der berühmt- berüchtigten Hypo Real Estate. Haben wir überhaupt in Deutschland das Personal für ein neues Finanzsystem?

    Otte: Das ist es! Das Personal war ja in den letzten Jahren vor allem bei den Investmentbanken. Da gingen die talentierten Leute hin, da wurden die hohen Gehälter gezahlt. Also man sieht jetzt schon wieder, dass die Politik zwar große Worte schwingt, die Brandbeschleuniger entfernen und Brandschutzmauern einziehen will und so weiter und so fort, aber in der Ausgestaltung der Ordnung dann wieder auf Lobbyisten und auch auf diejenigen zurückgreift, die zum Teil das mit verschuldet haben. Herr Tietmeyer ist sicherlich ein honoriger Mann, aber er ist ein Marktliberaler und extremer Marktliberaler und ich glaube nicht, dass er jetzt einen starken Ordnungsrahmen schaffen würde. Da haben wir in der Tat ein personelles Problem. Das ist so!

    Schütte: Wer kann oder wer soll denn einen Ordnungsrahmen schaffen? Heißt das mehr Politiker in die Aufsichtsräte?

    Otte: Zum Teil ja, Politiker durchaus in die Aufsichtsräte. Auch da muss man natürlich dann überlegen, wie wird so eine Aufsichtsratsposition ausgestaltet, wie ist die Haftung, welchen Codex hat man dort. Da gibt es sehr viel Arbeit dann auch im Detail. Im Moment ist es ja so, dass die so genannte Verstaatlichung oder Teilverstaatlichung der Banken eigentlich gar keine ist. Die Regierungen beteiligen sich ja zum Teil mit Eigenkapital, was Verstaatlichung wäre, aber es sind stimmrechtslose Vorzugsaktien, die dann auch noch (zumindest in Deutschland nach dem Plan) irgendwann von den Banken wieder zurückgekauft werden können, so dass der Staat dann wieder heraus ist.

    Schütte: Wenn Sie sagen, Politiker in die Aufsichtsräte - ich möchte das noch einmal aufgreifen -, war nicht genau dies das Problem, das benannt wurde, als die Landesbanken vor einigen Monaten in Schieflage gerieten? Da hieß es, das kommt eben davon, wenn man Politiker die Aufsicht und Kontrolle über die Banken überlässt.

    Otte: Das ist eine gute Frage. Letztlich ist die Frage Politiker oder Privatpersonen nicht so entscheidend. Es kommt auf die individuelle Moral an, und Moralität und Ehrbarkeit haben leider in den letzten Jahrzehnten gelitten. Es sind Dinge möglich geworden, wo man vor 20, 30 Jahren noch den Kopf geschüttelt hätte, von Bestechungsaffären über alle möglichen Dinge und Schmiergeldzahlungen. Da muss insgesamt natürlich ein Umdenken erfolgen. Aber sicherlich wäre ein staatlicher Einfluss in der Finanzbranche nicht verkehrt, denn Banken sollten zunächst einmal auf Sicherheit achten und nicht zunächst das Gewinnstreben in den Vordergrund stellen. Das sagt übrigens Erzkapitalist Warren Basit. Erste Aufgabe ist Sicherheit und guter Umgang mit dem Geld und dann kann man an die Gewinne denken. Da müssen natürlich insgesamt die Rahmenbedingungen geschaffen werden.

    Schütte: Max Otte, Wirtschaftswissenschaftler an der Fachhochschule Worms und Autor des Buchs "Der Crash kommt". Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Otte: Vielen Dank, Herr Schütte.