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Das Judentum in Schulbüchern
Klischee mit Kippa

Fotos zeigen Männer mit Schläfenlocken und Hut, im Religionsunterricht wird das Neue Testament gegenüber dem Alten aufgewertet - die Darstellung des Judentums in Schulbüchern ist oft problematisch. Der Zentralrat der Juden in Deutschland nimmt sich gemeinsam mit dem Verband Bildungsmedien des Themas an.

Von Michael Hollenbach | 30.01.2020
Ein Schüler der Talmud Tora Schule in Hamburg schreibt das Alphabet auf hebräisch an die Tafel. Unten steht das Wort "lernen".
Forscher kritisieren, dass in Schulbüchern ein verzerrtes Bild des Judentums vermittelt wird (picture alliance / dpa)
"Wir haben ein Lehrwerk, da gab es ein Foto eines ultraorthodoxen Juden, wie man ihn sich vorstellt - mit Schläfenlocken, augenscheinlich nicht in Deutschland aufgenommen, und der dazugehörige Text:
"Schau mal Mama, was ist das für ein seltsamer Mann dort drüben", sagte Florian, als er mit seiner Mutter in Stuttgart über die Straße ging.
"In Stuttgart wird man eine solche Person sicherlich nicht antreffen und die Zuschreibung als 'seltsam' ist eine negative Zuschreibung", sagt Shila Erlbaum.
"Da werden Klischees produziert"
Sie ist Bildungsreferentin beim Zentralrat der Juden in Deutschland. Sie ist bei der Analyse schulischer Religionsbücher des öfteren auf solch klischeehafte Darstellungen des Judentums gestoßen. Shila Erlbaum bereitet die Workshops mit den Schulverlagen vor. Einer der Teilnehmenden war Martin Kloke vom Cornelsen Verlag:
"Das Problem fängt dann an, wenn man Juden heute immer nur unter diesem orthodoxen Muster wahrnimmt und bildlich abbildet mit dem schwarzen Hut und den Schläfenlocken", sagt Kloke. "Da werden Klischees produziert, weil das nur für eine kleine Minderheit gilt."
"Dann haben wir die Problematik, dass Juden als fremd und geheimnisvoll dargestellt werden", sagt Sheila Erlbaum. "Und von da ist es nicht mehr weit, zu sagen, die Juden haben was zu verheimlichen und letzten Ende führt das auch zu Verschwörungsmythen."
Unbewusste Abwertung und falsche Behauptungen
Martin Kloke verantwortet im Cornelsen Verlag den Bereich Ethik, Religion und Philosophie.
"Gerade im Religionsunterricht ist das eine beliebte Stolperfalle", so Kloke, "dass man sich im evangelischen oder katholischen Religionsunterricht auf Kosten des Judentums positiv zu profilieren versucht. Und das sind häufig unbewusste Prozesse, das passiert, dass das Alte Testament dem Neuen Testament gegenübergestellt wird, und schon durch die Begrifflichkeiten alt und neu ist da eine Wertung drin."
Aber es geht nicht nur um unbewusste Prozesse der Profilierung, sondern auch um falsche Behauptungen.
"Etwa an einer Darstellung ging es darum, welche Rolle Jesus im Judentum hat, und da wurde keck behauptet, dass Jesus von den Juden nicht als Messias angesehen wurde, aber als Prophet", sagt Kloke.
Was allerdings der islamischen Sichtweise entspricht.
"Aus jüdischer Perspektive ist er bestenfalls ein Wanderprediger, aber mehr auch nicht."
"Schulbücher sind Leitmedien"
Martin Kloke lobt den interdisziplinären Austausch in den Workshops. So habe es bei den Vertretern des Zentralrats der Juden auch Aha-Erlebnisse gegeben:
"Zum Beispiel zu sehen, wie kompliziert es ist, komplexe Sachverhalte didaktisch zu reduzieren", sagt Kloke. "Und Vereinfachungen bedeutet auch oft, dass etwas nicht ganz exakt ist im Sinne der eigenen Tradition, aber diese Kompromisse muss ein Schulbuch auch eingehen, um verstanden zu werden und anzukommen."
Dabei ist sich der Vertreter des Cornelsen-Verlages durchaus bewusst, welche Bedeutung Schulbücher für Kinder und Jugendliche haben können:
"Schulbücher sind ja Leitmedien des Unterrichts, Woche für Woche werden Schulbücher aufgeschlagen. Insofern hat das schon eine gewisse normative Funktion und oft ist es auch eine Erstbegegnung mit Judentum in Geschichte und Gegenwart."
"Es fehlt an einer stärkeren Kontextualisierung"
Der Historiker Dirk Sadowski arbeitet im Braunschweiger Georg-Eckert Institut für internationale Schulbuchforschung. Er hat in einer deutsch-israelischen Schulbuchkommission das Bild des Judentums vor allem in Geschichtsbüchern untersucht.
"Wir reden davon, dass sich die Darstellung jüdischer Geschichte vor allem auf die drei Gs fokussieren: Geld, Ghetto und gelber Fleck. Also eben auf diese Schieflage in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur und zum anderen auf Diskriminierung", sagt Sadowski.
Problematisch sei auch die Verwendung antisemitischer Karikaturen von Juden, wie sie im Nationalsozialismus verwendet wurde. Zwar solle so die dahinterstehende Demagogie entlarvt werden, aber:
"Hier fehlt oft eine Einordnung, oft werden diese Bilder nur rein illustrativ verwendet, es fehlt an einer stärkeren Kontextualisierung."
Dirk Sadowski sieht in diesen Darstellungen durchaus eine Gefahr:
"Das wird eher auch latente Vorurteile gegenüber Juden bestärken, wenn da all die diskriminierenden antisemitischen Symboliken abgebildet sind."
Nicht nur Opfer
Die Darstellung jüdischen Lebens sollte – so die Empfehlung des Historikers – wesentlich differenzierter sein und nicht Stereotype vom Judentum reproduzieren:
"Jüdische Geschichte darf nicht als Verfolgungs- und Diskriminierungsgeschichte gezeigt werden, Juden waren nicht nur Opfer in der Geschichte, sondern auch handelnde Subjekte, die Geschichte selbst gestaltet haben", sagt Sadowski.
"Tatsächlich geht es uns darum, eine differenzierte Perspektive einzunehmen auf das Judentum und ein authentisches Judentum darzustellen."
Betont auch Shila Erlbaum vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Und sie verweist auf ein negatives Beispiel aus einem Religionsbuch:
"Das ist eine Darstellung von zwei Nachbarsjungen, die miteinander sprechen: Ein Kind ist jüdisch, ein Kind ist nicht-jüdisch. Der Vater des jüdischen Jungen erzählt, - wohl gemerkt, die leben in Deutschland - wie jüdische Jungen in Israel den Schultag erleben", sagt Erlbaum.
In der Morgenkühle bricht Benjamin zum nahegelegenen Lehrhaus auf. Benjamin freut sich, dass er die Thora lernen darf; während seine Schwester Miriam zu Hause bleiben muss. Sie wird bei der Mutter Frauenarbeiten lernen, Korn mahlen und Brot backen, kochen und weben, waschen und nähen.
"Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun, aber das ist, was Kinder im Religionsunterricht über Juden und Israel lernen", sagt Erlbaum.
"Auch gegenwärtigen Antisemitismus in den Fokus nehmen"
Die Forderung nach einer differenzierteren Darstellung des Judentums unterstützt auch Martin Kloke. Er hat aber noch einen weiteren Wunsch an die Kulturminister, die letztlich für die Lehrpläne zuständig sind:
"Die Lehrpläne in Deutschland sehen es nicht vor, haben keine Antenne für den Antisemitismus nach '45. Das wird als ein historisches Phänomen gesehen, '45 war alles vorbei und seit dieser Zeit ist Antisemitismus im Orkus der Vergangenheit versunken, und wir wissen natürlich, dass das nicht stimmt. Und insofern ist das sicher ein Manko, wo wir als Bildungsmedienverlage dazu anregen würden, hier anzusetzen, und auch den gegenwärtigen Antisemitismus in den Fokus zu nehmen."