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"Das kann durchaus noch mehrere Wochen lang gehen"

"Wir sind gespannt, ob die Arbeitgeber ein Interesse haben, vor der Sommerpause fertig zu werden", sagt Achim Meerkamp. Er verweist auf die immer prekärer gewordene Personalsituation bei den Erziehern - und erwartet, dass die Arbeitgeber von ihrer Positionen abrücken.

Achim Meerkamp im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Erste Warnstreiks Anfang Mai, Mitte des Monats sprach sich die große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder für unbefristete Streiks aus, der Notstand für viele Eltern in ganz Deutschland ist inzwischen fast schon zur Normalität geworden. Wichtig ist allerdings die Einschränkung "fast", denn für viele Eltern sind Beruf und Familie ohne Kindertagesstätte schlicht nicht zu organisieren. Auch heute gehen die Streiks weiter. Konnten sich die Erzieherinnen und Erzieher anfangs noch auf breites Verständnis bei den Eltern stützen, bröckelt diese Nachsicht langsam.
    Darüber sprechen wollen wir mit Achim Meerkamp. Er ist Mitglied im Verdi-Bundesvorstand und mir jetzt telefonisch zugeschaltet. Guten Morgen.

    Achim Meerkamp: Guten Morgen!

    Schulz: Herr Meerkamp, wir haben die Stimmen ja gerade gehört. Verspielt Verdi die wichtigste Währung in dieser Tarifauseinandersetzung, nämlich das Verständnis der Eltern?

    Meerkamp: Nein, das werden wir nicht verspielen. Wir haben in den vergangenen Wochen Rücksicht genommen auf die Eltern. Wir haben nicht nur immer Streiks in Gesamtdeutschland durchgeführt, sondern haben versucht, dass Eltern auch tageweise Entlastung dadurch bekommen, dass wir die Kindergärten geöffnet haben, und das werden wir auch in den kommenden Wochen tun, solange sich der Streik noch hinzieht.

    Schulz: Aber es gibt viele Eltern zwischen Mitte 20 und 40, die arbeiten auf befristeten Verträgen; die fürchten langsam um ihre Jobs. Verstehen Sie die Sorge der Eltern, die das Gefühl haben, dass Erzieherinnen und berufstätige Eltern gegeneinander ausgespielt werden sollen?

    Meerkamp: Na klar. Wir versuchen natürlich nicht, die Eltern gegen die Arbeitgeber auszuspielen, sondern wir wollen versuchen, mit den Eltern zusammen die Politik unter Druck zu setzen, dass sich da langsam was bewegt, weil wir warten natürlich auf eine Reaktion der Arbeitgeber, aber bei personengebunden Dienstleistungen ist das nun mal eben so. Wie wollen sie Druck auf die Arbeitgeberseite ausüben, wenn die Erzieherinnen ganz normal ihren Job erledigen würden?

    Schulz: Diese Frage wollte ich Ihnen gerade stellen, denn die Kommunen geraten mit diesen Streiks ja gerade nicht unter Druck. Im Gegenteil: die sparen noch Geld.

    Meerkamp: So viel Geld sparen sie gar nicht. Die gesamten Infrastrukturkosten bleiben die gleichen. Das einzige was gespart wird sind situativ Personalkosten. Dafür gibt es eben Gewerkschaften. Aber Sinn und Zweck des Streiks ist, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, welchen Wert die Arbeit der Sozialarbeiter und der Erzieherinnen hat, und ich glaube das gelingt uns.

    Schulz: Aber welchen Druck können Sie auf die Arbeitgeberseite ausüben, wenn jetzt sogar das Verständnis der Eltern schwindet?

    Meerkamp: Sie haben doch gehört: wichtig ist, dass wir mit den Eltern in Kontakt mit Oberbürgermeistern und Landräten kommen. Deshalb ist es richtig, nicht zum DGB zu gehen, sondern in die Rathäuser zu gehen, und das ist Aufgabe der nächsten Tage.

    Schulz: Jetzt haben viele Eltern auch irritiert reagiert auf die Form des Protests, wenn da auf den Plakaten zu lesen war "Schreien, Schnuller, Windeln, Zank, unsere Nerven liegen blank". Verstehen Sie, dass es einige Eltern gibt, die den Eindruck haben, so wie die öffentliche Debatte läuft, dass die Erzieherinnen und Erzieher ihren Job als Zumutung empfinden?

    Meerkamp: Das würde ich so nicht sehen, denn Sie müssen wissen, dass sich die Arbeitsbedingungen für die Erzieherinnen insbesondere in den vergangenen Jahren drastisch verändert haben. Die Personalsituation ist immer prekärer geworden. Erkrankungen und Fluktuation sind an der Tagesordnung und es ist klar, dass die Erzieherinnen dann irgendwann mal sagen, jetzt ist genug. Dass dann irgendwann auf den Plakaten etwas steht, was sicherlich ein bisschen dick aufgetragen ist, das kann ich unterschreiben, aber wie wollen sie ansonsten den Protest nach außen tragen, wenn sie nicht irgendwann mal auch deutlich machen, jetzt ist Schluss.

    Schulz: Jetzt hat in der vergangenen Woche die Arbeitgeberseite ja ein Angebot vorgelegt für einen Gesundheitstarifvertrag. Warum hat der nicht ausgereicht?

    Meerkamp: Ich bezeichne das nicht als Angebot. Die Arbeitgeber haben hinter den eigenen Reihen das als Placebo bezeichnet, mehr ist es auch nicht. Der Tarifvertrag, den die vorgelegt haben, beinhaltete keinerlei Rechte, weder für die Einzelpersonen, noch für Personalvertretungen. Darüber lässt sich gar nicht mehr weiter verhandeln. Die Arbeitgeber sollten langsam mal nachdenken, sie sollten sich langsam mal bei den Berufsgenossenschaften erkundigen, bei Werksärzten; die sagen ihnen genau, was zu tun ist. Mehr wollen wir gar nicht.

    Schulz: Was macht den Gesundheitstarifvertrag so wichtig?

    Meerkamp: Wir wollen die Arbeitsbedingungen in den sozialen Berufen verbessern. Das bedeutet aber, dass man sich nicht nur über Bezahlung auseinandersetzt, sondern insgesamt sich die Arbeitsbedingungen anschaut, und das bedeutet, dass wir bei den Arbeitsbedingungen nicht nur auf Rückenbelastungen schauen müssen, nicht nur auf Lärmbelastungen schauen müssen, sondern wir haben feststellen müssen, dass die psychische Belastung eminent gestiegen ist, weil Erzieherinnen, wenn sie demnächst noch Kinder unter drei betreuen, nicht nur drei Aufgaben auf einmal machen müssen, sondern fünf oder sechs Aufgaben, und da ist dringender Handlungsbedarf.

    Schulz: Sie haben es schon angesprochen: die Löhne. Für höhere Löhne darf offiziell im Moment nicht gestreikt werden, weil die Tarifverträge noch bis zum nächsten Jahr gelten und darum die Friedenspflicht herrscht. Welche Rolle spielt denn die Unzufriedenheit mit den Löhnen jetzt in dieser Tarifauseinandersetzung?

    Meerkamp: Das mit dem nicht streiken wegen der Bezahlung würde ich so nicht stehen lassen wollen. Wir werden uns in nächster Zeit auch darüber unterhalten in unserer Organisation, ob wir diese Tarifverhandlungen nicht auch beenden müssen, weil sie keinen Erfolg versprechen. Die Arbeitgeber haben am 31. März des vergangenen Jahres mit uns verabredet, die Bezahlung für Neubeschäftigte zu verändern. Wir sind jetzt über ein Jahr seit diesem Zeitpunkt in Verhandlungen; da tut sich nichts. Aber ich sage überall: wer bestimmte Arbeitsbelastungen glaubt, durch Geld abgelten zu können, der wundert sich in einigen Jahren, weil Geld heilt bestimmte Arbeitsbedingungen nun mal nicht, sondern sie brauchen Entlastungen, sie brauchen Schulungen, sie brauchen Rehamaßnahmen, sie brauchen Verbesserungen von Infrastruktur, und darum geht es momentan in dem Streik.

    Schulz: Wie lange werden die Streiks noch fortgesetzt?

    Meerkamp: Das wird von den Arbeitgebern abhängen. Wenn die Arbeitgeber weiter eine Hinhaltetaktik betreiben, dann muss ich leider sagen, wird sich der Streik noch etwas hinziehen. Aber Sie werden in den nächsten Tagen mitbekommen: wir werden flexibel darauf reagieren und deutschlandweit dafür sorgen, dass die Eltern nicht durchgängig belastet werden, sondern wir werden dann dazu übergehen, dass wir nur tageweise streiken werden.

    Schulz: Und noch etwas hinziehen, was heißt das in Wochen?

    Meerkamp: Das kann ja durchaus noch mehrere Wochen lang gehen. Wir sind gespannt, ob die Arbeitgeber ein Interesse haben, vor der Sommerpause fertig zu werden.

    Schulz: Wie gehen die Gewerkschaften jetzt auf die Arbeitgeberseite zu?

    Meerkamp: Wir haben ja gestern den Arbeitgebern signalisiert, dass wir ihr Angebot, wieder in Verhandlungen einzutreten, gerne annehmen. Wir warten auf Terminangebote und vor allen Dingen warten wir darauf, dass die Arbeitgeber von ihren Positionen abrücken.

    Schulz: Achim Meerkamp im Gespräch heute Morgen mit dem Deutschlandfunk. Er ist Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. Haben Sie vielen Dank!

    Meerkamp: Gerne geschehen. Schönen Tag!