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"Das kann nicht Klimaschutz sein"

Der Grünen-Politiker Hans-Josef Fell hat die Klimapolitik der Bundesregierung als halbherzig kritisiert. Der Klimagipfel in Berlin könne nur scheitern, weil die Fragen Klimaschutz und Energiesicherheit nicht zusammen gedacht würden. Für Bundeskanzlerin Merkel und Umweltminister Gabriel würden die Interessen der Erzeuger von konventioneller Energie im Vordergrund stehen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist das dritte Mal, dass Angela Merkel Vertreter von Stromkonzernen, Industrie, Umwelt- und Verbraucherschützern zum Energiegipfel ins Bundeskanzleramt eingeladen hat. Das Ziel: die Erstellung eines nationalen Energieplans bis 2020 und der soll sicherstellen, dass die Klimaziele, die sich die Bundesregierung gesetzt hat, auch umgesetzt werden. Schon im Vorfeld ging es darum heftig zur Sache, vor allem zwischen der Industrie und Umweltminister Gabriel. Die Klimaziele der Bundesregierung seien viel zu hochgesteckt, so die Kritik. Noch sitzt man im Kanzleramt zusammen.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Hans-Josef Fell, den energiepolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag!

    Hans-Josef Fell: Guten Tag Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Fell, zwischen Regierung und Industrie geht es heftig zur Sache. Ein Zeichen dafür, dass es der Großen Koalition wirklich ernst ist mit Klimaschutz und Energieeinsparung?

    Fell: Ich kann das nicht bestätigen. So wie die Große Koalition den Energiegipfel und die gesamte Energiepolitik anlegt, kann sie eigentlich nicht zu einem Erfolg kommen. Es werden die zwei zentralen Fragen, nämlich wie sorgen wir für Energiezukunft auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten, also die Energiesicherheitsfrage, und auf der anderen Seite die Frage des Klimaschutzes, nicht zusammengedacht. Die Energieversorgungssicherheit soll mit neuem Erdöl, mit neuem Erdgas, Kohle und auch mit neuem Uran geschaffen werden. Das kann nicht Klimaschutz sein, denn heute ist die Atmosphäre schon zu stark überlastet. Wir haben 100 Parts per Million CO2 mehr in der Atmosphäre als in den letzten eine Million Jahren.

    Wenn man Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien und mit Energieeinsparung zusammendenkt, dann kommt man zu den richtigen Lösungen. Wir haben das als Grüne in unserem Energiekonzept letzte Woche vorgestellt und einen Maßnahmenkatalog aufgelegt, der zielführend ist und sehr weitreichend.

    Heckmann: Ihre Positionierung überrascht mich jetzt, denn Energieeinsparung auf der einen Seite und eben das Umsteigen auch auf regenerative Energien, das ist doch gerade der Ansatz der Großen Koalition.

    Fell: Ja. In der Energieeinsparung sehen wir durchaus Bewegung. Hier sind die drei Prozent jährlich eine Zielmarke, die wir auch unterstützen wollen. Aber es ist halbherzig, was im Bereich der erneuerbaren Energien als Ersatz der konventionellen gedacht ist. Wenn man wie gesagt neues Erdöl und neues Erdgas immer wieder bereitstellen will, was übrigens nicht geht, weil ja die Verknappung auf der Erde schon direkt vor uns steht - übrigens auch nach Berichten der Internationalen Energieagentur, was den Berichten dieses Energiegipfels widerspricht; dort wird noch immer ignorant über das Ressourcenproblem gesprochen und gar nicht wahrgenommen, wie scharf das Problem ist -, dann ist das insofern ein Problem, wenn man dieses nicht zusammenbindet. Deswegen wird der Energiegipfel auch scheitern.

    Heckmann: BASF-Chef Hambrecht spricht von einem unrealistischen Vorhaben, das sich die Große Koalition gesetzt habe. Der BDI warnt vor einer schleichenden Deindustrialisierung. Die Stahl-Lobby spricht von einer Auswanderung energieintensiver Industrien. Also nichts als heiße Luft, diese Kritik aus der Wirtschaft?

    Fell: Nein. Den Vorwurf des Unrealismus haben wir ja schon lange. Es werden immer weit reichende Ausbauziele erneuerbarer und Energieeinsparungen als unrealistisch dargestellt, obwohl längst widerlegt wurde. Dieses Wort "unrealistisch" wurde ja auch genannt im Jahre 2000, als wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg brachten. Niemand hat damals uns Politikern geglaubt, dass wir eine Verdopplung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung bis 12 Prozent bis zum Jahre 2010 schaffen könnten. Wir haben das jetzt schon erreicht, viel früher als es damals für möglich gehalten wurde. Also das Wort "unrealistisch" ist fehl am Platz. Dieses Wort wird eigentlich missbraucht als Bestandsschutz für die konventionellen Verkaufsinteressen der großen Konzerne und wer dieses eben dann in den Vordergrund rückt, wird keinen Klimaschutz und keine Energieversorgungssicherheit bringen können.

    Heckmann: Die Energieeffizienz soll jährlich um drei Prozent gesteigert werden. Viele halten das für illusorisch wie zum Beispiel auch der Gewerkschaftsvorsitzende Schmoldt von der IG BCE heute früh bei uns im Programm. Auch diese Kritik halten Sie für überzogen?

    Fell: Ja! Ich würde mit Herrn Schmoldt sehr gerne die Details unseres Energiekonzeptes 2.0 der Grünen-Bundestagsfraktion durchdiskutieren. Da sind eine Fülle von Maßnahmen drin, die wir dann zusammengebunden haben und auch berechnet haben. Wenn man ernst rangeht an diese vielen Einzelmaßnahmen, dann wird die Summe dieser Maßnahmen sehr wohl eine solche Energieeffizienz herbeibringen können.

    Heckmann: Die erneuerbaren Energien sollen nach Ihrem Vorschlag die Lücke füllen für den Strom, der aus Atomkraft bisher noch gewonnen wird. Viele Kritiker sagen allerdings das ist völlig illusorisch, dass das in dieser Zeitspanne erreicht werden kann.

    Fell: Wir können sogar noch mehr mit erneuerbaren Energien leisten. Die Wachstumsraten sind so hoch. Das hat selbst der wissenschaftliche Beirat für globale Umweltfragen im Februargutachten der Bundesregierung empfohlen. Die Wachstumsraten der Branche erneuerbare Energien können global bis zum Jahre 2025 zwei Drittel der Stromerzeugung weltweit erzeugen. Die Industrie ist so potent. Sie schafft es und sie hat es bewiesen in den letzten Jahren mit hohem Investment. Warum sollen wir da eigentlich zurücktreten? Dem stehen nur die Verkaufsinteressen der konventionellen Konzerne entgegen. Und wenn dann das Kostenargument kommt, das heißt zu teuer, dies ist auch längst widerlegt. Beispielsweise sind die vermiedenen Kosten für den Bezug von Erdöl, von Erdgas, Kohle und Uran im letzten Jahr ungefähr doppelt so hoch gewesen wie die Kosten für die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wir haben also jetzt schon volkswirtschaftliche Vorteile mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien zur Entlastung der Bürger. Von daher kann ich keine Frage in dieser Richtung, das sei unrealistisch oder zu teuer, anerkennen.

    Heckmann: Die Energiekonzerne und die Union pochen auf eine Verlängerung der Laufzeiten bei den Atomkraftwerken. Denken Sie, dass die SPD da standhaft bleibt bei ihrer Ablehnung?

    Fell: Es würde die SPD zerreißen und sicherlich diese Partei dann in ein wirkliches Desaster drücken. Deswegen glaube ich, dass die SPD da stehen wird und vor allem auch, weil die Sachlage es ja nicht anders erfordert. Wir können den Atomausstieg zusammenbinden, übrigens auch mit dem Nichtbau neuer Kohlekraftwerke. Das ist etwas, was Umweltminister Gabriel ja nicht im Blick hat. Er spricht immer noch, weil er aus der Kohlepartei kommt, sehr stark für die Kohlekraftwerke, hat einen Benchmark für Kohle, also eine Unterstützung im Emissionshandel eingeführt und auch im Bundestag durchgedrückt. Dies hat nichts mit einer Klimaschutzpolitik zu tun. Wir wissen, dass wir den Atomausstieg ohne den Neubau von Kohlekraftwerken hinbekommen und damit Energieversorgungssicherheit und Klimaschutz zusammenbinden können mit ambitionierten Zielen.

    Heckmann: Kurz noch zum Schluss, Herr Fell. Was erwarten Sie von dem Gipfel heute, möglicherweise auch einen Kompromiss zu Lasten Dritter, also der Verbraucher oder der Umwelt?

    Fell: Wenn es ein Ergebnis gäbe, den Ausbau erneuerbarer Energien und Energieeffizienz und Einsparung voll zu pushen und nach vorne zu treiben, dann würden die Verbraucher enorm davon profitieren. Sie stöhnen heute schon unter steigenden Erdölpreisen, unter steigenden Gaspreisen, unter steigenden Uranpreisen indirekt durch Strompreiserhöhungen und auch die Kohlepreise ziehen richtig an. Wenn wir da schnell rausgehen würden, würde dieser Energiegipfel natürlich auch eine Chance für die Verbraucherinnen und Verbraucher sein. Ich erwarte es aber nicht, weil die Bestandsschutzinteressen für die konventionellen Energien für Kanzlerin Merkel und Umweltminister Gabriel im Vordergrund stehen.

    Heckmann: Hans-Josef Fell war das, der Energieexperte der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Fell, danke Ihnen für das Gespräch!

    Fell: Danke Herr Heckmann!