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Das Karlsruher Urteil zum Kopftuchstreit

Heinlein: Bei mir am Telefon ist jetzt der Islamwissenschaftler Professor Peter Heine von der Berliner Humboldt-Universität. Guten Tag.

    Heine: Guten Tag.

    Heinlein: Wie interpretieren Sie den Richterspruch aus Karlsruhe?

    Heine: Nach den ersten Vorabmeldungen hatte ich gedacht, das Gericht habe sich vor einer Entscheidung gedrückt. Aber aus dem, war wir gerade gehört habe, habe ich doch den Eindruck, dass außerordentlich differenziert auf ein zugegebenermaßen sehr komplexes Problem eingegangen wird. Die Richter haben sicherlich völlig recht, wenn sie sagen, das ist eine politische Entscheidung, die von demokratisch legitimierten Gremien getroffen werden und kann nicht dem Bundesverfassungsgericht oder wem auch immer zugeschoben werden.

    Heinlein: Aber die Diskussion über das Kopftuch dürfte ja nun in den jeweiligen Bundesländern weitergehen und wie sehr schadet denn jetzt dieser möglicherweise politische Streit dem Zusammenleben von Muslimen und Christen hier in Deutschland?

    Heine: Es kann natürlich sein, dass es jetzt zu Konflikten in dieser Sache, das wird es sogar garantiert. Aber im politischen Raum und dann können eben alle gesellschaftlichen Gruppen an solch einer Entscheidungsfindung teilnehmen, auch die Muslime. Insofern könnte es sogar, wie auch immer es ausgeht, einen, wenn man so will, Integrationsaspekt haben, dass deutlich wird, dass auch strittige Dinge im öffentlichen Raum entschieden werden und nicht von irgendwelchen mehr oder weniger legitimierten Autoritäten.

    Heinlein: Drohen Zonen unterschiedlichen Rechts, also ein Verbot des Kopftuchs in Baden-Württemberg und im Gegenzug vielleicht in Nordrhein-Westfalen oder Bremen die Erlaubnis von Kopftüchern für Lehrerinnen an Schulen?

    Heine: Das kann natürlich passieren, ich kenne mich im Schulrecht nicht so aus, aber ich vermute, dass in vielen Bereichen es ja in den unterschiedlichen Ländern an den Schulen unterschiedlich zugeht. Bei manchen ist 13 Jahre Schule, in anderen sind es 12, hier wird mehr Mathematik, da mehr Sport gemacht und so weiter, also dass wir ein ausgesprochen buntes Bild in der Hinsicht haben, ist ja typisch für das deutsche Schulsystem.

    Heinlein: Wäre es denn aus Ihrer Sicht besser gewesen, wenn die Karlsruher Richter mehr Klarheit geschaffen hätten und einheitliches Recht für das gesamte Bundesgebiet?

    Heine: Ich bin mir nicht so ganz sicher. Die Probleme sind in den Ländern sehr unterschiedlich. Nehmen Sie die ganzen neuen Bundesländer, in denen es kaum Muslime gibt, in denen existiert das Problem sozusagen gar nicht, während es beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern oder jetzt wie hier in Baden-Württemberg ganz zentral ist. Die Länder haben immer auf ihre Hoheit, gerade auch im Kultur- und damit auch Schulbereich, Wert gelegt, nun müssen sie auch mit der Situation zurechtkommen, die sie immer für sich einfordern.

    Heinlein: Der Gesetzgeber hat nun zwei Möglichkeiten, entweder totale religiöse Offenheit oder strikte religiöse Neutralität. Was wäre denn aus Ihrer Sicht besser für das Zusammenleben von Christen und Muslimen in der deutschen Gesellschaft?

    Heine: Das ist eine sehr persönliche Ansicht, aber wenn die absolute Neutralität tatsächlich gewahrt würde, wäre das natürlich eine Situation, die dem mehr oder weniger die Religion verloren habenden gesellschaftlichen Kontext entsprechen würde, aber das müsste dann auch konsequent durchgeführt werden und es dürfte nicht so sein, dass so eine muslimische Lehrerein, die ein Kopftuch trägt, nicht eingestellt wird, während eine christliche Lehrerin, die mit einem Kreuz oder sonstigem christlichen Symbol im Unterricht erscheint, eingestellt wird. Dann müsste es wirklich neureal sein.

    Heinlein: Ist denn das Tragen von Kopftüchern schlechthin ein Zeichen für eine besonders konservative islamische Ausrichtung?

    Heine: Nein, ich glaube, das kann man grundsätzlich nicht sagen. Es ist sehr unterschiedlich, warum Frauen, auch in islamischen Ländern, Kopftücher tragen. All das ist offensichtlich in dem Urteil von Karlsruhe jetzt auch gesagt worden. Durch Kopftücher verschaffen sich beispielsweise Frauen sozialen Freiraum. Sie werden dann grundsätzlich als ordentliche Personen sozusagen angesehen, sie müssen nicht in dem Maße auf ihr Erscheinen in der Öffentlichkeit achten, wie sie das ohne Kopftuch vielleicht tun müssten, das ist ein Aspekt. Andererseits gibt es natürlich eine ganze Reihe von Organisationen, die verlangen, dass ihre Mitglieder beziehungsweise deren Frauen Kopftücher tragen und das sogar durch entsprechende finanzielle Leistungen honorieren. Auch da haben wir es mit einer sehr bunten Situation zu tun, die aber wiederum sehr typisch ist für eine multikulturelle Gesellschaft.

    Heinlein: Haben Sie eine Erklärung für das Unbehagen vieler in der deutschen Gesellschaft oder deren Scheu gegenüber dem Islam und dem Kopftuch als Symbol dieser Religion?

    Heine: Ich denke, ganz grundsätzlich wird man sagen müssen, dass Deutschland, ganz im Gegensatz zu England oder Frankreich ein Land ist, dessen Erfahrungen mit fremden Kulturen sehr jung sind. Und dass natürlich auf alles, was fremd ist zunächst einmal mit Abwehr reagiert wird, jedenfalls von vielen Menschen. Wir müssen uns einfach daran gewöhnen, dass nun mehr und mehr Menschen unterschiedlicher Kulturen oder kultureller Hintergründe hierherkommen. Häufig ist uns die Nähe und das, was wir von diesen Kulturen übernommen haben auch gar nicht bewusst, es ist ein sehr umfänglicher Lernprozess, den die Mehrheitsgesellschaft absolvieren muss.

    Heinlein: Und dieser Lernprozess ist dann beendet, wenn es jedem in der Gesellschaft – und damit auch dem Gesetzgeber – wichtiger ist, was im Kopf ist, als auf dem Kopf?

    Heine: So ist es.

    Heinlein: Der Berliner Islamwissenschaftler Peter Heine heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch, auf Wiederhören.

    Heine: Ich danke Ihnen.

    Link: Interview als RealAudio