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"Das Kind ist jetzt im Brunnen"

Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Jochen Hippler haben sich die USA im Irak in eine Sackgasse manövriert. Egal ob die Truppen bleiben oder abziehen, die Lage im Land werde sich nicht ändern, sagte der Wissenschaftler von der Universität Duisburg. Im ersten Jahr nach Kriegsende habe Washington die Chance zu einer Neugestaltung des Landes vertan.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Der Beginn einer neuen Irak-Politik, nun da der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld weg ist? Am Telefon ist der Politikwissenschaftler und Irak-Kenner Jochen Hippler. Herr Hippler, glauben Sie, dass es reicht, Rumsfeld zu ersetzen?

    Jochen Hippler: Nein, das ist viel zu spät. Inzwischen ist die Lage im Irak so verfahren und auch natürlich durch wesentliches Zutun des jetzt ehemaligen Verteidigungsministers, dass ein Austauschen von Personen nicht reichen wird und auch dass man jetzt über eine neue Strategie spricht an sich das Problem noch nicht lösen wird. Das Problem dort geht inzwischen viel tiefer.

    Durak: Nämlich?

    Hippler: Na ja, die ersten, sagen wir mal, sechs bis zwölf Monate nach Kriegsende hätte Washington mit einer klugen und besonnenen Politik den Irak eigentlich gestalten können. Es war halt ein weißes Feld, es waren halt keine Akteure da. Man hätte eigentlich mit dem Irak relativ viel von außen prägen können, hat diese Chance aber durch wirklich ein ganz erstaunliches Maß an Wunschdenken, an schlechter Vorbereitung, an Konzeptionslosigkeit und auch ganz erstaunlicher Unfähigkeit völlig verschenkt. Inzwischen ist der Irak in eine Situation geraten, wo es schon fast nicht mehr wichtig ist, was Washington eigentlich jetzt tut oder lässt. Wenn man die Truppen drin lässt, wird der Konflikt weitergehen; wenn man die Truppen abzieht, wird der Konflikt weitergehen. Diese Chance, den Irak zu gestalten in der kurzen ersten Nachkriegszeit, ist jetzt abgelöst worden von der Situation, wo Washington im Irak eigentlich keine positive Option mehr hat.

    Durak: Also sollten die Truppen doch rasch abgezogen werden?

    Hippler: Wie ich gerade sagte. Ich glaube, dass das für die Entwicklung im Irak keinen großen Unterschied macht.

    Durak: Dann können sie ja auch gehen?

    Hippler: Das ist die innenpolitische Frage. Ich glaube, dass in Washington jetzt im Moment infolge des Wahlkampfes und jetzt auch mit dem Rumsfeld-Rücktritt über zwei völlig verschiedene Dinge diskutiert wird, die aber vermischt werden. Einerseits, was ist gut für den Irak? Wie kann man den Irak stabilisieren? Wie kann man die Gewalt ändern? Da hat weder in Bagdad noch in Washington irgendjemand ein ernsthaftes Konzept, und es ist auch sehr schwer, sich eines vorzustellen. Das Kind ist jetzt im Brunnen. Zweitens aber die Frage, wie kommen wir in Washington heil aus dem Schlamassel heraus, das wir da mal angerichtet haben. Da gibt es natürlich Lösungen, die auf Truppenabzug schrittweise, um sich nicht zu blamieren, schrittweise, um die Folgen für den Irak zu mindern, sicher hinauslaufen. Das hat aber wenig mit dem Irak und sehr viel mit dem amerikanischen Bestreben zu tun, jetzt die eigenen Verluste politisch und menschlich unter Kontrolle zu halten.

    Durak: An einer neuen Irak-Strategie wird ja in den USA schon seit längerem gearbeitet. Auch der neue Verteidigungsminister hat daran gearbeitet. Schauen wir aber mal in den und auf den Irak, Herr Hippler. Sie waren ja dort. Sie kennen sich aus. Was braucht denn der Irak, wenn denn schon keinen schnellen Rückzug, aber auch sonst keine große Einmischung der USA, wenn ich Sie richtig verstehe?

    Hippler: Na ja, es braucht halt einen inneren Prozess. Stellen Sie sich vor: Sie haben im Irak mehrere Konflikte, die sich überlagern. Sie haben eben nicht nur äußere Extremisten, die aus den arabischen Nachbarländern einsickern. Das sind vielleicht fünf Prozent, wahrscheinlich weniger der Aufständischen. Das sind ja spektakuläre Leute, aber das ist nicht das Problem. Sie haben Konflikte zwischen sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsteilen, und sie haben aber auch zunehmend auch bewaffnete Konflikte innerhalb der schiitischen und innerhalb der sunnitischen Bevölkerungsteile, und sie haben diese Ausstiegsoption der Kurden in ihrem Autonomiegebiet im Norden. Da ist es tatsächlich notwendig, einen Prozess der Deeskalation herbeizuführen. Den kriegen aber ausländische Kräfte, auch so eine starke Macht wie die USA, jetzt nicht mehr initiiert, weil keiner ihn in dieser innerirakischen Frage im Moment für wichtig hält.

    Da kommt es darauf an, die Wirtschaft zu stabilisieren. Das geht aber in einer solchen Konfliktsituation sehr, sehr schlecht. Es kommt auch darauf an, den Staatsapparat stark und sicher zu etablieren, damit er für Ordnung sorgen kann. Das geht zum Teil nicht, weil er von diesen Milizen auch durchsetzt wird und zum Teil bestimmte Teile des Staatsapparates von diesen gewalttätigen Milizen auch missbraucht, kontrolliert oder sonst was werden. Das heißt, Sie haben wirklich lauter denkbare Ansatzpunkte, nämlich wirtschaftliche Entwicklung oder eine demokratische Staatlichkeit. Dazu sind die Türen aber in den letzten drei Jahren verschlossen worden.

    Durak: Aber vielleicht - pardon, Herr Hippler - nur für die amerikanischen Politiker. Vielleicht könnte Europa jetzt hier sozusagen zu einem ebenbürtigen Partner aufwachsen für die USA. Wenn man schon keine Truppen schicken will und auch weiter keine Truppen schicken will, könnte doch da Europa eingreifen?

    Hippler: Das ist richtig. Es gibt jetzt tatsächlich die Tendenz, dass Washington das auch zunehmend anerkennt, dass Washington (sic!) eine vielleicht nicht gleichberechtigte, aber so was in die Richtung gehende stärkere Rolle spielen soll. Das ist aber nicht so sehr ein Zeichen der Stärke und der besonderen Einfallskraft der europäischen Politik, sondern der Schwäche der amerikanischen. Das heißt, die wissen mit ihrem militärischen Weg nicht mehr weiter und suchen natürlich jetzt Bündnispartner in Europa, die mit finanziellem Engagement und mit politischen Interessen, politischer Vermittlung möglicherweise ins Spiel gebracht werden können. Das ist sicher wichtig, wird aber das Kernproblem im Irak ebenfalls nur ganz leicht dämpfen können, aber nicht lösen.

    Durak: Sie klingen sehr pessimistisch, Herr Hippler?

    Hippler: Ich bin sehr pessimistisch. Ich bin, weil ich den Irak sehr mag, auch sehr verzweifelt. Das Land ist wirklich in einer Situation, wo ich in den nächsten zwei bis fünf Jahren keine Lösung, sondern nur ein Auf und Ab sehe. Es wird mal ein bisschen blutiger und mal ein bisschen weniger blutig abgehen. Ich kann aber im Moment tatsächlich weder mit äußerer noch ohne äußere Hilfe für dieses gequälte Land eine Lösung mir vorstellen. Das ist wahr.

    Durak: Jochen Hippler, Politikwissenschaftler und Irak-Experte. Besten Dank für das Gespräch.