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Das Kinderbetreuungsgesetz "ist mit allen am Tisch besprochen worden"

Prestigeobjekte statt Kinderbetreuung: Die FDP-Politikerin Miriam Gruß wirft den Kommunen Geldverschwendung vor. Das Datum für den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige komme für die Kommunen nicht überraschend - genauso wenig wie deren Finanzierungsbedarf.

Miriam Gruß im Gespräch mit Gerd Breker | 05.01.2010
    Gerd Breker: Der ab 2013 geltende Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter dreijährige Kinder kann nach Einschätzung der Kommunen nicht erfüllt werden: zum einen, weil mehr Eltern als vorhergesagt ihren Nachwuchs in die Krippe schicken wollen, und zum anderen, weil 150.000 zusätzliche Erzieher fehlen und wenn man sie hätte, so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg gestern in Berlin, dann könne man sie nicht bezahlen. Am Telefon bin ich nun verbunden mit der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der FDP, mit Miriam Gruß. Sie ist zugleich für ihre Partei im Familienausschuss. Guten Tag, Frau Gruß.

    Miriam Gruß: Schönen guten Tag!

    Breker: Frau Gruß, sagen Sie mir bitte, dass Gerd Landsberg Unrecht hat.

    Gruß: Es ist tatsächlich so, dass wir ja fast vier Jahre darüber diskutiert haben, dass wir die Kinderbetreuung ausbauen wollen, flächendeckend in Deutschland, und das Datum 2013 kommt ganz und gar nicht überraschend. Und ganz ehrlich: Ich kenne viele Kommunen und ich kenne viele Länder, wo der Rechtsanspruch durchgesetzt werden kann, derzeit jetzt schon, aber auch erst recht ab 2013. Von daher müssen sich natürlich die Kommunen und die Länder fragen, die noch nicht so weit sind, wo haben sie denn die Prioritäten gesetzt in den letzten Jahren, und da haben sie wohl die Prioritäten an andere Stellen gesetzt.

    Breker: Also die Tatsache, Frau Gruß, dass 150.000 Erzieherinnen fehlen, die können Sie bestätigen?

    Gruß: Es ist nicht so, dass wir bestätigen könnten, dass überhaupt niemand fehlt. Es ist nur so, dass wir ein Ungleichgewicht haben. Man kann jetzt nicht sagen, deutschlandweit ist es so; es gibt tatsächlich Kommunen, wo die tatsächlich fehlen, damit wir natürlich auch die Qualität gewährleisten können, die natürlich auch einhergeht mit einer Erhöhung des Betreuungsschlüssels, das heißt mehr Erziehern. Aber es gibt auch Kommunen, die es geschafft haben, so zu arbeiten, dass jetzt schon die Eltern den Anspruch erheben können, die Kinder gut betreut werden und auch entsprechender Personalschlüssel zur Verfügung gestellt werden kann. Von daher ist es so, dass wir nicht flächendeckend über Deutschland reden können, sondern es gibt Kommunen, die haben dort Defizite, und es gibt Kommunen, die die Defizite haben und die deswegen jetzt sich fragen müssen, wie sie die Prioritäten wohl falsch gesetzt haben.

    Breker: Der Bund, Frau Gruß, beschließt diesen Rechtsanspruch und lässt dann die Kommunen damit allein?

    Gruß: Nein! Schon während der Verhandlungen, wobei ich da ja oder unsere Fraktion natürlich nicht beteiligt war, sondern wir waren da noch in der Opposition, aber wir haben das natürlich begleitet, hat man während der Verhandlungen – und deshalb haben sie ja auch so lange gedauert – immer mit den Ländern gesprochen und auch mit den Kommunen gesprochen, weil es natürlich nur eine gemeinsame Kraftanstrengung sein kann. Deswegen gilt: Das Gesetz, was jetzt zustande gekommen ist, das ab 2013 gilt, ist mit allen am Tisch besprochen worden wie auch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit den schwarz-gelben Ländern und kommunalen Vertretern auch besprochen wurde. Es saßen alle mit am Tisch und es kann sich jetzt keiner beschweren, dass 2013 für sie überraschend kommt.

    Breker: Aber wenn das Geld fehlt, fehlt das Geld.

    Gruß: Ich höre immer, dass das Geld bei der Kinderbetreuung fehlt. Auf der anderen Seite höre ich nicht, dass bei den Kommunen Geld für andere Prestigeobjekte oder Sportstätten fehlt. Wenn die Kommunen immer wieder sagen, wir könnten nicht sparen, dann müssen sie mir mal ganz klar sagen, wo sie denn versuchen, auch vor Ort tatsächlich zu sparen und wo sie vielleicht auch beim Bürger das eine oder andere vielleicht noch rausholen könnten beziehungsweise auch in den eigenen Haushalten. Ich glaube nicht, dass alle Länder beziehungsweise alle Kommunen jetzt schon auf dem neuesten Stand sind, was deren Haushalte anbelangt, und dass die Verwaltungen schon in den letzten Jahren immer da so gearbeitet hätten, dass man sich nicht noch Einsparpotenziale vorstellen könnte. Das ist mir zu einfach gesprungen.

    Breker: Sie finden, die Städte jammern auf einem hohen Niveau. – Frau Gruß, die Ausbildung einer Erzieherin dauert vier Jahre. Der Rechtsanspruch gilt in drei Jahren.

    Gruß: Das ist klar und wir haben ja auch immer gesagt, man muss auch mal überlegen, ob die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher noch zeitgemäß ist. Auch andere Länder sind da inzwischen fortschrittlicher, haben auch ein sehr viel modulareres System, sodass man nicht en bloc vier Jahre weg ist, quasi eine Ausbildung macht, um dann zum Kind zu kommen, sondern dass man auch wieder während des Betriebes schon aufbauen kann und seine Fortbildungen machen kann, was im Übrigen, glaube ich, auch spannend ist für Erzieherinnen und Erzieher. Wir müssen natürlich zum einen an die Ausbildung heran und zum anderen betone ich noch mal, das Jahr 2013 kommt nicht überraschend. Auch wenn es jetzt näher kommt, ist es nicht so, dass wir in den letzten drei bis vier Jahren darüber geschwiegen hätten. Alle Beteiligten wussten immer, der Ausbau muss kommen, auch die Qualität muss kommen, und deswegen müssen jetzt auch die Anstrengungen erfolgen und wer jetzt noch nicht so weit gekommen ist, muss jetzt schleunigst alle Hebel in Bewegung setzen, dass auch dieses Gesetz 2013 tatsächlich starten kann.

    Breker: Ist man denn, Frau Gruß, überhaupt von den richtigen Zahlen ausgegangen? Man hat ja gedacht, 35 Prozent der Eltern wollen ihre Kinder in die Krippe schicken. Inzwischen gibt es Umfragen, die sagen, dass rund 66 Prozent der Eltern ihr Kleinkind in die Kita schicken wollen. Also müsste nicht auch nachgebessert werden?

    Gruß: Zunächst mal ist es so, dass natürlich solche Zahlen immer ganz unterschiedlich behandelt werden müssen, denn auch da ist es nicht so, dass ganz Deutschland einheitlich ist. Sicherlich gibt es Kommunen, wo 66 Prozent ihre Kinder in Betreuung geben würden, und dann gibt es andere Kommunen, wo vielleicht zehn oder 15 Prozent die Betreuung in Anspruch nehmen würden. Von daher muss man dann schon ganz genau hinschauen. Auf der anderen Seite ist natürlich eine Zahl noch völlig unberücksichtigt geblieben, nämlich die Zahl derer, der Kinder, die keine Betreuung in Anspruch nehmen müssen, weil sie gar nicht mehr geboren werden. Das heißt, auch das müssen die Kommunen bedenken: Immer weniger Kinder werden geboren, immer weniger Kinder brauchen de facto eine Betreuung. Last but not least muss ich abschließend sagen: Es ist doch schön, wenn die Kinder in die Betreuung geschickt werden sollen und von der frühkindlichen Bildung profitieren können. Da müssen die Kommunen eben entsprechend ihre Hausaufgaben machen.

    Breker: Und wenn sie das nicht tun, dann steht eine Klagewelle der Eltern ins Haus. Frau Gruß, Sie haben eben gesagt, die FDP war nicht daran beteiligt, als dieses Gesetz gemacht wurde und der Rechtsanspruch entstanden ist. Aber die schwarz-gelbe Bundesregierung muss dafür geradestehen!

    Gruß: Wir stehen natürlich zum Ausbau der Betreuung, wir stehen auch zum qualitativen Ausbau der Betreuung, aber wir haben auch Ideen, wie es noch schneller oder besser hätte gehen können oder auch jetzt gehen kann, beispielsweise wenn man endlich überall flächendeckend in allen Ländern etwa die Gleichstellung der privaten und gewerblichen Träger bewerkstelligen könnte. Auch da gäbe es Lösungen, um sehr schnell und sehr flexibel den Betreuungsausbau voranzubringen. Von daher steckt noch viel Musik drin, es gibt noch viele Möglichkeiten und Chancen, die jetzt genutzt werden sollten.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Miriam Gruß. Frau Gruß, danke für dieses Gespräch.

    Gruß: Vielen Dank! Gleichfalls.