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Das KKW Temlin und das österreichische Volksbegehren

Probst: Guten Tag, Herr Verheugen.

    Verheugen: Guten Tag.

    Probst: Es gab ja die Vereinbarung vom vergangenen November zwischen den Regierungschefs beider Länder über Sicherheitsstandards in Temelin bzw. Nachbesserungen. Damit war das Thema ja für die EU eigentlich erledigt. Jetzt, mit diesem Ergebnis des Volksbegehrens, ist es wieder auf der Tagesordnung?

    Verheugen: Nein, für uns nicht. Das ist ein österreichisches innenpolitisches Thema, das Volksbegehren bestätigt, dass es in Österreich eine massive Opposition gegen die Nutzung der Kernenergie gibt, das ist aber für niemanden überraschend. Es bestätigt aber auch, dass man die Österreicher nicht mobilisieren kann für eine Politik, die sich gegen den EU-Beitritt eines Nachbarn Österreichs wendet und deshalb glaube ich, dass jetzt das österreichische Parlament sich mit der Situation befassen wird und dabei selbstverständlich beachten wird, was damals unter meiner Vermittlung zwischen den beiden Ländern vereinbart worden ist und was im Ergebnis bedeutet, dass keine österreichischen Wünsche hinsichtlich der Transparenz und der Sicherheit des Kernkraftwerks Temelin offengeblieben sind.

    Probst: Aber die Forderung Jörg Haiders liegt ja schon klar auf dem Tisch: Nachverhandlung.

    Verheugen: Ja. Haider will nicht nachverhandeln. Man muss ganz deutlich sagen: diejenigen, die in Österreich das nach einem einjährigen von hunderten von Experten betriebenen Prozess erreichte Ergebnis nicht akzeptieren wollen, die wollen nicht ein besseres Verhandlungsergebnis, die können nur ein einziges Ergebnis akzeptieren: nämlich dass die tschechische Republik auf die Nutzung der Kernenergie verzichtet. Und das ist kein Ausgangspunkt für Gespräche, aus denen etwas herauskommen kann. Die tschechische Seite steht für solche Gespräche nicht zur Verfügung und die tschechische Republik hat, wie Deutschland und jedes andere Land in Europa das Recht, frei darüber zu entscheiden, welche Energieart es benutzen will. Die einzige Verpflichtung, die es hat ist dabei die in Europa geltenden Standards zu beachten und das tut Tschechien.

    Probst: Abgesehen davon, dass nach einer Studie der Energieagentur ja auch andere am Netz befindliche Atomkraftwerke nicht die hohen oder die Standards aufweisen, die Temelin beispielsweise hat. Aber das nur nebenbei, Herr Verheugen...

    Verheugen: Man muss das deutlich sagen, weil ja auch in Deutschland sehr viel Fehlinformation im Umlauf ist. Temelin, wenn es ans Netz geht, wird das neueste und modernste Kernkraftwerk in Europa sein und es gibt nichts, auch aus deutscher Sicht zum Beispiel, was man an den Sicherheitsstandards auszusetzen haben kann.

    Probst: Tatsache, Herr Verheugen, ist auf der anderen Seite aber: das österreichische Parlament wird sich jetzt mit diesem Thema befassen müssen. Muss man da nicht eben auch dann negative, zumindest im atmosphärischen negative Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen Wien-Prag und damit eben auch auf den Verhandlungsprozess EU-mäßig, erwarten und befürchten?

    Verheugen: Also die bilateralen Beziehungen sind natürlich im Augenblick etwas eingetrübt zwischen Österreich und Tschechien durch die sehr emotionale Auseinandersetzung, die im Zusammenhang mit dem Volksbegehren stattgefunden hat. Im übrigen muss ich aber sagen, dass die über einjährige Diskussion, die wir in der Frage Temelin hatten, nicht dazu geführt hat, dass der Erweiterungsprozess, auch nicht mit Tschechien, in irgendeiner Weise verlangsamt oder beeinträchtigt worden wäre. Ich rechne damit auch in der Zukunft nicht, teile die Ansicht der österreichischen Politiker, die gesagt haben, es gibt in Österreich keine Mehrheit gegen die Erweiterung der europäischen Union und ich will Ihnen den Grund noch nennen: weil es eben kein anderes Land in Europa gibt, das von der Erweiterung mehr Vorteile haben wird als Österreich und zwar sowohl politisch wie auch wirtschaftlich.

    Probst: Wenn man da auf die Stimmungs- und Stimmenbilder schaut, Herr Verheugen, dann scheint das aber bei weitem nicht überall so zu sein. Besonders populär ist die Erweiterungsrunde ja weder in Österreich noch beispielsweise eben auch hier in Deutschland.

    Verheugen: Das hat sich deutlich geändert. Die jüngsten Forschungsergebnisse, die wir haben, zeigen einen geradezu sprunghaften Anstieg der Zustimmung zur Erweiterung der Europäischen Union, gerade in beiden Ländern, in Deutschland und Österreich haben wir sogar eine starke Mehrheit für die Erweiterung und in Deutschland eine Mehrheit von deutlich über 50 Prozent.

    Probst: Und wenn, wie Kommentatoren glauben, Haiders Ziel innenpolitischen Sprengstoff birgt, - da stehen im nächsten Jahr dann Wahlen an - die Koalition platzen sollte, auch da sehen Sie keine Auswirkungen durch Instabilität auf den Prozess?

    Verheugen: Es ist ja nicht meines Amtes über die Koalition in Österreich zu spekulieren...

    Probst: Nein, ich rede ja auch vom Erweiterungsprozess...

    Verheugen: ... aber was ich Ihnen sagen kann ist, dass die Österreichische Volkspartei, die Sozialdemokratische Partei Österreichs und die Grünen in Österreich klar und eindeutig zu Europa stehen und für die Erweiterung der Europäischen Union im Rahmen des Fahrplans sind, den wir haben. Das ist eine klare und eindeutige politische Mehrheit. was das jetzt für Auswirkungen hat auf das Zusammenleben von zwei Koalitionsparteien, geht uns hier in Brüssel nichts an.

    Probst: Günter Verheugen war das, in der EU-Kommission zuständig für die EU-Erweiterung, danke Ihnen.