Donnerstag, 18. April 2024

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Das kleine Guantanamo der EU in Mauretanien

In Mauretanien existiert ein Flüchtlingslager, das mittlerweile Guantanamito, kleines Guantanamo, heißt - und laut Rupert Neudeck indirekt mit EU-Geldern unterhalten wird. Wer dort landet, kann sich sicher sein: Der Fluchtversuch nach Europa ist beendet.

19.02.2010
    Friedbert Meurer: Flüchtlinge aus Afrika, sie scheuen kaum ein Risiko, um hier zu uns ins gelobte Europa zu kommen. Es scheint so zu sein: Umso mehr Europa sich abschottet und selbst innerhalb Nordafrikas einen Riegel vorschiebt, desto waghalsiger werden die Fluchtmanöver. Seit Libyen oder Marokko zum Beispiel kaum mehr Flüchtlinge von Süden her durchlassen, wählen Afrikaner eben den Weg über Mauretanien. Das liegt südlich von Afrika an der Nordwestküste des Kontinents. Fünf Tage und Nächte dauert von dort, von der Hafenstadt Nuadhibu aus, etwa die Überfahrt zu den Kanarischen Inseln. – Und in Nuadhibu in Mauretanien bin ich verbunden mit dem Chef der Hilfsorganisation Grünhelme, Rupert Neudeck. Guten Morgen, Herr Neudeck!

    Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Es gibt in der Stadt zahlreiche Flüchtlinge, die auf die Überfahrt warten, und es gibt auch ein Lager, in dem Bootsflüchtlinge untergebracht sind, die von der Polizei aufgegriffen worden sind. Dieses Lager haben Sie gesehen, hat eine Delegation von EU-Parlamentariern kürzlich besucht. Wie sind die Zustände dort?

    Neudeck: Diese Delegation ist jetzt Gott sei Dank in dieses Lager, das den schönen Namen Guantanamito, also kleines Guantanamo heißt, reingekommen und diese vier Abgeordneten des Europaparlaments sind wirklich ganz entsetzt gewesen über das, was sie da gesehen haben. Das sind nicht Flüchtlinge, also Migranten, die losgehen wollen, sondern solche, die auf Gran Canaria, Teneriffa oder Lanzarote aufgegriffen werden, noch einen Pass haben oder eine nationale Identität, und die dann hier zurückgeschoben werden, hier einfach in eine Art Gefängnis aufgehalten werden, aufgenommen werden und dann irgendwo an die Grenze von Mauretanien in die Wüste von Mali oder dem Senegal oder Guinea zurückgeschoben werden. Das ist eigentlich ein ziemlicher menschenrechtlicher, menschenrechtswidriger Skandal, und den haben diese Abgeordneten mitbekommen, zumal sie hier mit dem Pfarrer, dem jungen Pfarrer Paul Ork gesprochen haben. Der hat sie gezwungen, mit Migranten zu sprechen, und auch davon waren sie sehr beeindruckt. Sie haben eigentlich das Versprechen gegeben, dass dieses Lager, das ja mit EU-Geldern unterhalten wird, deshalb eigentlich eine Produktion der europäischen Unionspolitik ist, geschlossen wird, denn das stellt wirklich hier innerhalb von Mauretanien einen ziemlichen Skandal dar.

    Meurer: Aber das Lager, Herr Neudeck, wird nicht von der Europäischen Union in irgendeiner Form finanziert oder unterstützt?

    Neudeck: Nein. Es wird indirekt natürlich schon finanziert von der Europäischen Union, weil Mauretanien wie Marokko Geld bekommen von der Europäischen Union, um eben diese Politik durchzuführen der Rückführung von Migranten aus den Lagern, und deshalb meine ich schon, dass die Europäische Union – und die Delegation hat das auch so akzeptiert – eigentlich die Hauptverantwortung dafür tragen.

    Meurer: Wird potenziell von der mauretanischen Polizei jeder Flüchtling, der aus Ghana, Kamerun oder woher auch immer kommt, versucht die Polizei jeden dieser Flüchtlinge in dieses Lager zu bringen, oder ihn zumindest festzunehmen?

    Neudeck: Nein. In dieses Lager kommen nur die von der europäischen Taskforce in den Kanarischen Inseln aufgegriffenen Migranten, denen man eine eindeutige nationale Identität nachweisen kann, und dann kommen sie hier in dieses Lager auf Zeit, auf Transit, um dann zurückgeschoben zu werden in LKW. Das führt Mauretanien natürlich alles durch, weil es dafür eine ganze Menge Geld von der Europäischen Union bekommt.

    Meurer: Wie viele Flüchtlinge werden Ihrer Meinung nach, die es bis zu den Kanarischen Inseln geschafft haben, wieder nach Mauretanien zurückverschifft?

    Neudeck: Die Zahlen sind hier natürlich nicht bekannt, aber der Pfarrer, der hier in Nuadhibu ist und wahrscheinlich den besten Zugang hat zu diesen Menschen, weil er sich um sie kümmert, weil er sein Haus hier für sie offen hat, weil er seine Kurse für sie macht, der spricht davon, dass es eine Zahl von fünf bis zehn Prozent von diesen Menschen sind, die zurückkommen, die dann über die Grenze abgeschoben werden, manchmal aber eben – er kennt diese Menschen ja alle – den zweiten, den dritten, den vierten Versuch machen, weil mit dieser Politik der reinen Abschottung und Abschreckung wird man dieses Problem von Europa aus nicht lösen können.

    Meurer: Die Europäische Union, die Sie kritisieren, Herr Neudeck, hat ja die Entwicklungszahlungen für Mauretanien wieder aufgenommen. Die waren ausgesetzt, weil es in Mauretanien einen Putsch gegeben hat. Ist die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit eine richtige Entscheidung der EU?

    Neudeck: Ich glaube, das ist ein richtiges Signal, weil die europäische Politik immer sehr dogmatisch geguckt hat, ob jemand nach formalen Voraussetzungen eine demokratische Struktur aufrechterhält oder nicht. Ein Putsch muss nicht unbedingt für die Bevölkerung eines Landes bedeuten, dass es dann schlechter geht. Das wissen wir von der großartigen Entwicklung, die Ghana genommen hat, wo es zweimal einen Militärdiktator gab, der aber dann bereit war – das war Rawlings, ein ganz berühmter Mann -, der zweimal seine Militärherrschaft aufgegeben hat. So muss man das hier auch sehen. Dieser Militärherrscher Ould Abdul Aziz hat im Juli letzten Jahres sich von einer demokratischen Wahl legitimieren lassen. Ich halte das für richtig, dass Mauretanien nicht weiter in die Ecke geschoben wird und als Sünder markiert wird, sondern dass die normalen Beziehungen, die europäische Länder mit diesem wichtigen Land Westafrikas haben, jetzt wieder in aller Stärke und Kraft aufgenommen werden.

    Meurer: Auf Entwicklungszusammenarbeit setzen ja auch die Grünhelme, Ihre Organisation, Herr Neudeck. Sie haben eine Art Ausbildungszentrum in Mauretanien in Nuadhibu, wo Sie im Moment sind, in der Hafenstadt aufgebaut. Dort sollen Flüchtlinge von der Flucht zu den Kanarischen Inseln abgehalten werden, indem man ihnen in Ihrem Zentrum was anbietet?

    Neudeck: Das ist ein kleiner Versuch, die Dinge in die richtige Richtung zurückzudrehen. Diese jungen Leute haben natürlich keine Perspektive, deshalb sind sie ja auf dem Wege in dieses Land, um weiterzukommen. Hier der junge Pfarrer, der in Nuadhibu diese Ausbildungsstätte aufgebaut hat, der ist wirklich mit vollen Kursen – wir haben das gestern Abend wieder gesehen – hier. Hier wird gelernt an Computern, hier wird gelernt, hier werden Sprachen gelernt, hier wird alphabetisiert. Die Menschen sind wirklich dabei, hier diese Kurse ganz voll zu belegen. Wir sind jetzt dabei, eine Solaranlage hier zu installieren, damit auch die wichtigste Zukunftstechnologie in diesen Sonnenstaat Afrikas eingeführt werden kann, nämlich Solarenergie und Windenergie, und dafür braucht man in solchen Ländern unbedingt Experten, die man in Deutschland auch mittlerweile mit einer neuen Berufsbezeichnung Solateure nennt, also Solaringenieure. Das wollen wir hier als Studiengang sowohl in Nuadhibu wie möglicherweise auch in der Hauptstadt des Landes Nouakchott einrichten. Das wird ein Hilfsmittel sein, mit denen diese Menschen zurückgehen können, denn sie brauchen etwas, das sie ihren Familien und ihren Dörfern in den Herkunftsländern vorweisen können.

    Meurer: Ein Hilfsprojekt der Organisation Grünhelme, von Rupert Neudeck vorgestellt bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Entschuldigung, dass uns die Zeit davonrast. Es ging um die Situation der afrikanischen Flüchtlinge in Mauretanien. Danke schön nach Nuadhibu an Rupert Neudeck.