Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


"Das Königsrecht Haushalt tasten wir nicht an"

Muss die EU künftig die Haushalte einzelner Mitgliedsstaaten abstimmen, um den Euro stabil und die Union aus Krisen zu halten? Günther Oettinger, CDU, findet das prüfenswert - setzt aber Grenzen.

14.05.2010
    Gerwald Herter: Nun bin ich mit dem deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger, CDU, verbunden. Guten Morgen, Herr Oettinger!

    Günther Oettinger: Guten Morgen, Herr Herter!

    Herter: Herr Oettinger, glauben auch Sie, dass wir eine europäische Wirtschaftsregierung brauchen?

    Oettinger: Wir sollten prüfen, was wir an Kompetenzen in Europa brauchen und nicht, ob der Begriff, das Schlagwort, so oder so ausgelegt wird. Ich glaube, dass der Streit in der Sache geführt werden muss und da scheint mir klar zu sein, dass die europäische Währung eine stringente, gemeinsame Finanzpolitik braucht und dass wir Instrumente brauchen, um stabile Haushalte in den Mitgliedsstaaten ähnlich wirksam herbeizuführen, denn wir haben in den letzten Jahren die bestehenden Stabilitätsregeln zwar gekannt, aber nicht eingehalten.

    Herter: Eine engere Abstimmung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik – das hört sich etwas lapidar an. Ist es stark genug, um aus so einer tiefen Krise herauszukommen?

    Oettinger: Schauen Sie, unter Wirtschaftsregierung müsste man ja verstehen: gemeinsame Tarifpolitik, gemeinsame Vorgaben für Wirtschafts- und Arbeitswelt. All dies glaube ich nicht, ich glaube, dass Standortfaktoren und dass das Arbeitsrecht und dass der Arbeitsmarkt auch in Zukunft national und in den Händen der Tarifpartner bleiben müssen. Aber wir haben in den letzten Jahren im Grunde genommen nur im Nachhinein bilanziert, welche Schulden gemacht worden sind und haben die Regeln – zum Beispiel drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts als höchste Schuldenberechtigung pro Jahr oder die 60 Prozent für die Schulden überhaupt – zwar gekannt, aber nicht mehr eingehalten und müssen jetzt alles tun, dass die Haushaltspolitik abgestimmt wird, strenger wird, und sich jeder daran hält, denn wenn der eine den Haushalt stringent führt und drei andere nicht, wird der eine genauso bestraft, weil wir in einer Währung leben und die Währung hängt vom gemeinsamen Vorgehen in allen Haushalts- und Finanzfragen ab.

    Herter: Da sind wir voneinander abhängig. Die EU-Kommission, der Sie angehören, hat diese Woche vorgeschlagen, dass der EU-Kommission nationale Haushaltspläne vor der Verabschiedung vorgelegt werden sollen. Erst die Kommission, dann die nationalen Parlamente – ist das wirklich ernst gemeint?

    Oettinger: Ja. In den letzten Jahren haben wir den Haushalt dann bekommen, wenn er vollzogen war, das heißt, nach Rechnungsabschluss, und haben dann eben festgestellt, jawohl, hier vier Prozent Schulden, hier sechs Prozent, hier zehn Prozent, hier 12 Prozent. Hätten wir die Haushalte Griechenlands zum Beispiel oder auch andere Haushalte zuvor gekannt, im Entwurfsstadium, als sie geplant, aber nicht vollzogen waren, bevor die Parlamente darüber beraten haben, hätten wir hineinsehen dürfen, hätten wir auch die entsprechenden Kontrollrechte durch Eurostat vor Ort gehabt, hätte man mit Sicherheit früher und erfolgreich warnen können und der Regierung entsprechende Hilfe geben können, dass solche Haushalte erst gar nicht in Kraft treten.

    Herter: Aber wie würde die Kommission diesen Machtzuwachs nutzen – zum Beispiel sagen, mehr Ausgaben für Bildungspolitik, weniger Sozialausgaben?

    Oettinger: Nein, nicht so weit gehen. Wir würden sagen: Hört mal zu in Athen, ihr habt zwar eine schwierige Lage in der Wirtschaft, aber ihr könnt nicht mit 13 Prozent einen Haushalt aufstellen und vollziehen. Maximal 6 Prozent, 7 Prozent, 8 Prozent sind erlaubt und ihr müsst innerhalb von drei Jahren zurückkehren auf 3 Prozent und dann auf 0 Prozent. Das heißt, wir hätten schon früher Daumenschrauben anlegen können. Was dann konkret gemacht wird – ob man die Steuern erhöht oder ob man die Rente kürzt, ob man Investitionen entsprechend beschränkt –, bleibt Sache der nationalen Gesetzgeber. Das heißt, das Königsrecht Haushalt tasten wir nicht an.

    Herter: Sie sagen, man hätte früher reagieren können, aber es hat sich gezeigt: Die Märkte sind immer schneller. Ist es also ein Patentrezept gegen künftige Krisen?

    Oettinger: Patentrezepte gibt es nicht, aber uns allen muss klar geworden sein, dass in den letzten Jahren die Ausgaben in den europäischen Mitgliedsstaaten zu stark gestiegen sind und die Einnahmen, wenn die Wirtschaft nicht wächst, nicht mithalten. Und deswegen: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt, ich glaube, diese Erkenntnis ist weit verbreitet. Deswegen muss jetzt jeder seine Haushalte konsolidieren. Das gilt für die Sorgenkinder wie Griechenland, Spanien, Lissabon, das gilt aber auch für die großen Volkswirtschaften wie Deutschland, Italien, Frankreich.

    Herter: Ist es da nicht sehr schade, dass die Bundesregierung hier nicht geschlossen ist? Die CDU, Ihre Partei, ist einverstanden mit dieser Idee, die Haushaltspläne der EU-Kommission vorzulegen, die FDP ist es nicht.

    Oettinger: Gut, Herr Westerwelle hat ja Sorge, ob man in die Haushaltsberatungen zu stark eingreift und zu konkrete Vorgaben für Haushaltsentscheidungen macht. Die Sorge können wir ihm nehmen, und ich bin sicher, dass Guido Westerwelle, wie wir, bereit sein wird, einen klaren Kurs zur Konsolidierung zu akzeptieren, dafür allgemeine Vorgaben und frühe Warnungen der EU-Kommission hinzunehmen und dann auf der Grundlage zu entscheiden, wo man kürzt und wie man kürzt.

    Herter: Aber als Ministerpräsident von Baden-Württemberg hätten Sie solch einen Vorschlag, solch einen Eingriff in die Souveränität doch abgelehnt, oder?

    Oettinger: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben in Baden-Württemberg vor einiger Zeit den Haushalt saniert, zumindest einiges gemacht, um einzusparen. Wir haben zwei Jahre keine Schulden gemacht, machen jetzt wieder Schulden, aber erleben, dass Deutschland eben, genauso von 16 Ländern wie vom Bund, eine gemeinsame Haushaltspolitik benötigt, und da ist mir mancher Ratschlag und manche frühe Warnung und auch der Sachverstand der Europäischen Kommission willkommen.

    Herter: Auch Ratschläge aus Frankreich? Die französische Finanzministerin Lagarde hat gesagt, dass bestimmte Regionen in Europa zu wettbewerbsfähig sind, andere zu wenig wettbewerbsfähig, dass dadurch Spannungen entstehen. Soll man in Baden-Württemberg die Löhne erhöhen und weniger arbeiten?

    Oettinger: Wenn Sie Deutschland mit Krisenländern vergleichen, dann sind wir technologisch und in unseren Produkten mit Sicherheit sehr stark. Wenn Sie Deutschland mit China vergleichen, dann laufen wir Gefahr, dass wir im Wettbewerb nicht mithalten. Das heißt, wir müssen doch sehen, dass die Europäische Union insgesamt in Gefahr ist, ihre wirtschaftliche Bedeutung in der Welt zu verlieren. Und dann kann doch die Lösung nicht sein, dass die noch halbwegs Starken sich schwächen, um mit den Schwachen gleich zu werden, sondern die Schwachen müssen stärker werden und die halbwegs Starken müssen in der Weltliste bleiben. Wir müssen insgesamt besser werden und nicht uns auf dem Niveau der schlechteren Länder wiedertreffen.

    Herter: Zum Schluss, Herr Oettinger, mit der Bitte um eine kurze Antwort: Wäre es nicht besser gewesen, in dieser Krise rascher zu reagieren, und muss das nicht auch die Bundesregierung erkennen, die EU-Staaten und die Kommission?

    Oettinger: Der Prozess hat einige Wochen gedauert, aber erst jetzt ist, glaube ich, Bereitschaft zu drastischen Maßnahmen da. Das, was Griechenland jetzt zumutet und auch dem Haushalt hilft, wäre vor acht Wochen undenkbar gewesen.

    Herter: Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger war das im Deutschlandfunk zur Eurokrise. Herr Oettinger, danke für das Gespräch!

    Oettinger: Danke auch!

    Euro in der Krise- Tägliche DLF-Reihe über Risiken und Zukunft unserer Währung