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"Das könnte Juncker sehr gut"

Nach Ansicht des Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer ist der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker der Richtige für das Amt des nächsten EU-Ratspräsidenten. Juncker könne am besten das "Gesicht Europas" verkörpern.

Reinhard Bütikofer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 29.10.2009
    Friedbert Meurer: Gestern ist Bundeskanzlerin Angela Merkel vereidigt worden für eine zweite Amtszeit als Bundeskanzlerin. Heute reist sie nach Brüssel zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Dort wird sie die Glückwünsche der Kolleginnen und Kollegen erhalten. Aber viel verändert hat sich ja nicht, außer dass Deutschland auch auf europäischer Bühne von einem neuen Außenminister repräsentiert werden wird. Der Gipfel will den Klimagipfel von Kopenhagen im Dezember vorbereiten, hofft auf den letzten Durchbruch für den Vertrag von Lissabon und am Rande, oder vielleicht auch darüber hinaus wird über Personalien geredet, zum Beispiel: Wer wird neuer EU-Präsident. Der frühere Grünen-Chef Reinhard Bütikofer ist inzwischen Europaabgeordneter der Bündnis-Grünen, bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Bütikofer.

    Reinhard Bütikofer: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Um mit den Personalien anzufangen: Haben Sie einen Favoriten für das Amt des EU-Ratspräsidenten?

    Bütikofer: Wenn ich gefragt wäre, würde es mir nicht schwerfallen zu sagen, wer gut wäre. Ich würde mich für den luxemburgischen Regierungschef Jean-Claude Juncker entscheiden. Bloß ob die versammelten Staats- und Regierungshäupter beim Gipfel das gerade so sehen, das ist eben die große Frage. Juncker hat ja doch noch mal ziemlich deutlich in den letzten Tagen erklärt, er würde es machen, wenn er gefragt wird, aber es gibt verschiedene, die massiv dagegen sind. Elmar Brok, der Kollege von der CDU, hat das mal sarkastisch auf die Formel gebracht, "Juncker hat zwei Fehler. Erstens hat er eine Meinung, zweitens sagt er sie auch noch." Das hat er ja auch jüngst wieder getan. Ich glaube, so einen Ratspräsidenten bräuchte man, nicht einen Sekretär, der einfach nur die Rederechte vergibt, sondern einen, der wirklich ein Gesicht Europas würde, und das könnte Juncker sehr gut.

    Meurer: Aber Juncker ist drittens ein Konservativer. Sie sind trotzdem dafür?

    Bütikofer: Er ist ein Christdemokrat aus Luxemburg. Ich habe von anderen Schwarzen im Straßburger Parlament auch den Kommentar gehört, den Juncker können wir auf keinen Fall brauchen, das ist ja ein Sozialist. – Ich glaube, er ist ein guter Europäer, er repräsentiert schon den Kern dessen, was auch das europäische Sozialmodell eigentlich ausmachen müsste.

    Meurer: Die Voraussetzung dafür, dass Jean-Claude Juncker oder ein anderer, Herr Bütikofer, zum EU-Ratspräsidenten gewählt wird – ein neues Amt -, ist ja, dass der Vertrag von Lissabon endlich auch von Vaclav Klaus, dem tschechischen Staatspräsidenten, ratifiziert und unterschrieben wird. Was sagen Sie denn zu der Forderung von Klaus, dass es eine Ausnahmeklausel für Tschechien geben soll, eine Ausnahme bei der EU-Grundrechtecharta? Nur dann will er den Vertrag unterzeichnen.

    Bütikofer: Das ist ebenso unsinnig wie überflüssig. Er will angeblich die Benes-Dekrete damit unter Naturschutz stellen. In Wirklichkeit erstreckt sich die Grundrechtecharta nicht auf die Geschichte, sondern ist Grundlage aktuellen und künftigen Handelns. Das heißt, es wäre gar keine Rechtsgrundlage, die Benes-Dekrete anzuzweifeln. Jetzt lasse ich mal die ganze Diskussion über die Benes-Dekrete einfach weg. Es ist das falsche Thema am falschen Ort vom falschen Mann, der nur versucht, diesen nationalistischen Gaul zu satteln, um seinen Hass auf Europa da noch ein paar Stadien weitertragen zu können.

    Meurer: Aber viele Tschechen stimmen ja ihrem Präsidenten offenbar zu. Können sich beispielsweise die Sudetendeutschen auf die EU-Grundrechtecharta berufen und Entschädigungsansprüche fordern?

    Bütikofer: Nein, können sie nicht. Das ist ausgeschlossen und insofern sage ich noch mal: Dass Tschechen jetzt da empfindsam reagieren, wenn Klaus seine Taktik ändert, der hat jahrelang gegen Europa mobilisiert, da haben die Tschechen gesagt, du hast sie nicht alle, wir finden Europa klasse, wir sind dafür, das hat er endlich begriffen und versucht jetzt, mit tschechischem Nationalismus die Sache aufzuhalten. Er wird es trotzdem nicht aufhalten. Deswegen bin ich da relativ gelassen.

    Meurer: Wird es darauf hinauslaufen, Herr Bütikofer, dass Klaus einen kleinen Appendix an den Vertrag bekommt, noch mal in anderer Form formuliert, was ohnehin in der Charta steht?

    Bütikofer: Er kriegt eine Fußnote und fertig.

    Meurer: Gehen Sie davon aus, nächste Woche ist endlich alles klar und der Vertrag von Lissabon unter Dach und Fach?

    Bütikofer: Na ja, nächste Woche, das wäre vielleicht jetzt sehr eng gestrickt. Das Verfassungsgericht in Tschechien will, glaube ich, am 3. November in der Klage, die da anhängig ist, entscheiden.

    Meurer: Das wäre nächsten Dienstag.

    Bütikofer: Dann sollte man dem Präsidenten Tschechiens noch mal eine Gesichtswahrungsfrist einräumen. Ich glaube nicht, dass es da jetzt hilfreich ist, über Daten zu spekulieren und Stöckchen hinzuhalten, über die dann irgendeiner springen muss. Ich glaube, wir kriegen es unter Dach und Fach.

    Meurer: Thema beim EU-Gipfel heute und morgen in Brüssel wird der Klimaschutz sein. Am 7. Dezember beginnt die internationale Klimakonferenz in Kopenhagen. Wichtiges Thema, Herr Bütikofer, ist die Frage, wie viel Geld sollen die Entwicklungsländer erhalten. Wie viel Geld soll die EU zur Unterstützung ausgeben?

    Bütikofer: Die EU hat ja selber eine Kalkulation gemacht, wie viel da notwendig wäre, und verschiedene unabhängige Institutionen haben Kalkulationen gemacht. Die EU selber ist auf einen dreistelligen Milliardenbetrag gekommen, also über 100 Milliarden, jährlich wohl gemerkt. Jetzt kann man ja fragen, angenommen die Zahl stimmt, wer soll denn das finanzieren? Alleine werden es die Amerikaner nicht machen. Da wären eventuell noch die Japaner und die Australier, die man fragen könnte, die Kanadier, aber dann kommt offenkundig auf die Europäer ein erheblicher Anteil zu. Jetzt hat die Kommission vorgeschlagen, 15 Milliarden zur Verfügung zu stellen. Das ist den Regierungschefs bis jetzt in Europa noch zu üppig gewesen. Auch Frau Merkel ist da eisern auf der Bremse gestanden. Wir glauben, dass der EU eher ein Anteil von 35 Milliarden mindestens zukommen würde. Man muss schlicht sehen, das ist eigentlich keine Großzügigkeit. Das ist Entschädigung für zugefügte Nachteile.

    Meurer: Inwiefern? Wie meinen Sie das? Welche Entschädigung?

    Bütikofer: Was wir hier tun mit der Klimabelastung durch massive CO2-Ausstöße - und das sind nun mal die Industrieländer, die den Löwenanteil davon bis jetzt verursacht haben -, das schlägt sich in den armen Ländern des Südens in entsprechenden negativen Konsequenzen nieder, in Überflutungen, Überschwemmungen, Wasserknappheit, Veränderungen der Regelmäßigkeit der Flüsse etc. etc. Das heißt, wir sind die "long-distance-Verursacher" von vielen massiven Entwicklungsschwierigkeiten in den Entwicklungsländern heute, und dass sie dafür von den reichen Industrieländern einen Beitrag verlangen, das ist nicht mehr als recht und billig.

    Meurer: Reinhard Bütikofer, grüner Europaabgeordneter, bis vor Kurzem noch Parteivorsitzender der Grünen, vor dem EU-Gipfel heute und morgen in Brüssel. Danke schön, Herr Bütikofer, und auf Wiederhören.

    Bütikofer: Danke Ihnen, Herr Meurer.