Archiv


"Das liegt ganz logisch im Wählerwillen"

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles sieht in Hessen ihre Partei in der Regierungsverantwortung. Der brutalstmögliche Absturz von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) zeige eindeutig den Wählerwillen. Deshalb sei es angebracht, sich zunächst um eine Ampelkoalition zu bemühen. Sondierungsgespräche mit den Grünen und der FDP seien angezeigt, betonte Nahles.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Heinlein: So sehen wir betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen. So die Stimmungslage in Hessen. Ratlosigkeit in Wiesbaden, denn der Wähler bescherte den Parteien ein Ergebnis, das die Regierungsbildung äußerst schwierig macht. Das neue Fünf-Parteien-System bringt keine klaren Mehrheiten, denn was rechnerisch möglich ist wird bislang zumindest politisch von der einen oder anderen Seite abgelehnt. In Niedersachsen dagegen klare Verhältnisse.

    Am Telefon begrüße ich jetzt die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles. Guten Morgen!

    Nahles: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Warum ist es für Ihre Partei in Hessen so viel besser gelaufen als in Niedersachsen?

    Nahles: Es gab ganz klar in Niedersachsen keine Wechselstimmung und es hat einen sehr polarisierten Wahlkampf in Hessen gegeben. Die Wahlkämpfe sind sehr unterschiedlich verlaufen und insoweit erkläre ich mir das auch deswegen.

    Heinlein: Braucht die SPD die Polarisierung, einen klaren Gegner auf der rechten Seite, um zu gewinnen?

    Nahles: Ich denke, dass wir die richtigen Themen brauchen, die richtigen Personen und dass wir vor allem eine gute Aufstellung hatten, als Roland Koch versucht hat, den Wahlkampf dann tatsächlich auf eine Ebene zu bringen, ausländerfeindliche Töne in den Wahlkampf kamen. Ich glaube damit hat er sich selber am meisten geschadet.

    Heinlein: Heißt das Wolfgang Jüttner war die falsche Person in Niedersachsen?

    Nahles: Ich habe gesagt es gibt eine Kombination und ich habe überhaupt keinen Grund, jetzt hier Wolfgang Jüttner zu kritisieren. Er hat wunderbar gekämpft. Ich habe sehr viel Wahlkampf auch mit ihm gemacht. Aber es gab eben keine Wechselstimmung. Wulff hat es so gemacht, dass er sich sozialdemokratisierte. Plötzlich war er auch für Mindestlöhne, am Ende sogar für Gesamtschulen. Er hat wirklich keine Angriffsflächen geboten und das war bei Roland Koch in Hessen völlig anders.

    Heinlein: Dennoch müssen Sie erklären: Wolfgang Jüttner und Andrea Ypsilanti haben ja im Wahlkampf auf die gleichen Themen gesetzt. Dennoch höchst unterschiedliche Ergebnisse. Wenn es nicht an der Person Wolfgang Jüttner liegt, woran dann?

    Nahles: Noch mal: Christian Wulff hat sich tatsächlich in den Themen auf die SPD zubewegt. Es war wirklich so, wenn wir etwas gefordert haben, kostenlose Kindergartenbeiträge, hat er das zwei Wochen später übernommen. Das war insoweit eine andere Situation im Wahlkampf und diese strategischen Fragen der Wahlkampfführung von Wulff und Koch haben natürlich auch dann zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Die SPD hat tatsächlich mit den Themen auch in Hessen offensichtlich noch ein bisschen besser den Ton getroffen. Die Wähler sind besser mitgegangen. Warum das so ist, das muss man jetzt auch im Nachhinein noch mal intensiver analysieren.

    Heinlein: Jung, weiblich, links. Ist das die Zukunft der SPD? Ist vielleicht dies die Erklärung?

    Nahles: Ich hätte nichts dagegen! Andrea Ypsilanti hat tatsächlich frischen Wind reingebracht. Sie hat sich wirklich nach oben gekämpft aus einer vermeintlichen Außenseiterposition heraus. Da gilt wirklich der Spruch "nicht unterkriegen lassen". Sie hat das richtig klasse gemacht und ist ganz eindeutig unterschätzt worden.

    Heinlein: Ist es also ein eher landespolitischer Erfolg für Andrea Ypsilanti, oder kann Kurt Beck, der Parteivorsitzende, sich auch eine Scheibe dieses guten Erfolges in Hessen abschneiden?

    Nahles: Es gab ja eine sehr große Harmonie, eine große Übereinstimmung auch bei den inhaltlichen Schwerpunktsetzungen mit Mindestlohn und dem Thema soziale Gerechtigkeit zwischen der Bundespartei und den Landesparteien. Insoweit ist das auch ein gemeinsamer Erfolg, aber er gilt natürlich in erster Linie Andrea Ypsilanti und ihrem Team.

    Heinlein: Nun ist die SPD mit Andrea Ypsilanti und Kurt Beck nach links gerückt. Dennoch hat die Linkspartei deutlich hinzugewonnen: Sowohl in Hessen als auch in Niedersachsen ist die Linkspartei im Parlament vertreten. Warum gelingt es denn der SPD nicht, die linke Konkurrenz im Schach zu halten?

    Nahles: Das ist nicht nur unsere Aufgabe, sondern die Aufgabe aller Parteien. Trotzdem ist das ein Wehrmutstropfen; das ist ganz richtig. Wir haben sehr gut punkten können bei den Angestellten, auch bei Selbständigen. Es gibt allerdings bei der Gruppe der Arbeiter weiterhin noch Skepsis und insoweit haben wir noch einige Hausaufgaben zu tun bis 2009. Aber ich denke, dass die Linie, die aufgemacht wurde, richtig ist und auch bestätigt wurde durch die Wahlen gestern.

    Heinlein: Welche Hausaufgaben meinen Sie denn? Noch weiter nach links?

    Nahles: Ich glaube, dass es keinen Linksruck gegeben hat. Ich widerspreche dieser These auch nachdrücklich. Es gibt allerdings sehr wohl Schwerpunktsetzungen in Richtung "Aufschwung muss für alle da sein" und "Mindestlöhne sind eine Notwendigkeit". Das haben wir unter Kurt Beck in den Mittelpunkt gerückt. Das hat aber die gesamte Partei gemacht und insoweit ist es eine Schwerpunktverlagerung. Linksruck ist ein Begriff, den ich mir nicht zu eigen mache.

    Heinlein: Ist denn ein Linksbündnis mit Grünen und Linkspartei dauerhaft eine Option, die Ihre Partei ausschließen muss, ausschließen kann?

    Nahles: Ich sehe keinen Anlass, von dieser Position abzuweichen. Frau Ypsilanti hat auch gestern nach der Wahl genau das gesagt, was sie vor der Wahl gesagt hat. Das hat damit zu tun, dass die Linkspartei in Hessen, aber auch in Niedersachsen in ihrer personellen Zusammensetzung und in ihrer programmatischen Ausrichtung keine stabile Regierung mit bilden werden kann. Deswegen werden wir das auch nicht tun.

    Heinlein: Also Andrea Ypsilanti sollte lieber in die Opposition gehen, als mit der Linkspartei zu koalieren oder vielleicht eine Tolerierung einzugehen?

    Nahles: Es ist nicht die Wahl, vor der sie steht. Wir haben andere Optionen, insbesondere die Ampel, und natürlich bleibt es bei dieser klaren Aussage "nein, keine Koalition mit der Linkspartei". Das bedeutet, dass die Mehrheiten mit den anderen Parteien gesucht werden müssen, und da eine Große Koalition nach diesem brutalst möglichen Absturz von Roland Koch mit der Union nicht möglich ist, werden wir auf jeden Fall in erster Linie uns bemühen, Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP zu führen.

    Heinlein: Andrea Ypsilanti sollte nun offensiv um eine Ampel, um die FDP werben?

    Nahles: Das ist meine Auffassung. Ich glaube das ist auch das, was sie vorhat. Das liegt auch ganz logisch im Wählerwillen, die klar gesagt haben über 12 Prozent Minus für Roland Koch, wir wollen den Wechsel. Wir fühlen uns da auch als Sozialdemokraten in der Verantwortung, jetzt eine stabile Regierung zu bilden, und das geht eben nur mit einer Ampel.

    Heinlein: Stabil wäre aber auch eine Große Koalition?

    Nahles: Ich habe schon gesagt, dass ich das angesichts der Differenzen nicht für richtig halte.

    Heinlein: Wo sind denn die Differenzen, persönlich oder inhaltlich?

    Nahles: Beides! Es ist in erster Linie aber vor allem die inhaltliche Auseinandersetzung, die sich bei der Bildungspolitik festgemacht hat, aber insbesondere in dem mit ausländerfeindlichen Tönen untersetzten Wahlkampf, der wirklich an die Grenze dessen ging, was eine Union auch noch als Volkspartei offensichtlich aushält, weil es gab ja gerade in den Hochburgen der Union einen massiven Einbruch. Da hat es offensichtlich Roland Koch überzogen und das ist auch noch nicht vergessen. Insoweit ist unsere ganz klare Ansage: wir wollen eine Ampel. Die FDP hat - ich komme aus Rheinland-Pfalz - auch schon mit der SPD erfolgreich regiert. Es ist sicherlich Neuland, das hier mit einer Ampel betreten wird, aber ich denke die Zeit und das knappe Ergebnis spricht eben dafür, dass wir jetzt auch neue Wege gehen.

    Heinlein: Sie haben mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der FDP als mit der Union?

    Nahles: Wir müssen Koalitionsverhandlungen führen. Einfach wird es auf keinen Fall. Der Wähler hat es uns nicht einfach gemacht. Aber er will natürlich auch eine stabile Regierung und trotz aller Differenzen hoffe ich, dass es in der FDP Bewegung gibt. Es gibt auch da unterschiedliche Flügel und unterschiedliche Debatten und man wird abwarten müssen, wie sich das auch innerhalb der FDP in den nächsten Tagen, vielleicht Wochen entwickelt.

    Heinlein: Blicken wir abschließend, Frau Nahles, auf Berlin und die Arbeit der Koalition. Werden nun dort nach der Wahl und den Gewinnen für Ihre Partei zumindest in Hessen die Karten neu gemischt?

    Nahles: Es ist ja für die Große Koalition eigentlich kann man sagen auch ein Patt gewesen. In dem einen Land Riesenabsturz für die Union, in dem anderen ein schlechtes Ergebnis auch für uns. Das heißt ich denke es wird eher kaum Auswirkungen auf die Große Koalition haben. Wir sind selbstbewusst als Sozialdemokraten, aber nicht übermütig und genau das will ich doch auch hoffen gilt für die Union.

    Heinlein: Heißt eine selbstbewusste SPD, Kurt Beck wird noch stärker darauf achten, dass das sozialdemokratische Profil innerhalb der Koalition betont wird?

    Nahles: Das sicher, aber Frau Merkel ist auch nicht gerade durch Zurückhaltung in den letzten Wochen aufgefallen. Sie hat sich ja auch klar hinter die Kampagne von Roland Koch gestellt. Der Wahlkampf ist jetzt vorbei. Schauen wir mal!

    Heinlein: Werden sich denn noch Dinge bewegen in den kommenden Monaten bis zur Bundestagswahl, oder werden wir Stillstand erleben?

    Nahles: Das will ich doch stark hoffen. Wir haben eine ganze Reihe von Gesetzen, von der Erbschaftssteuer bis hin zu Mindestlöhnen, aber auch Verbesserungen der Situation für Kinder, die in Armut leben. Das alles steht noch auf dem abzuarbeitenden Programm, was die Große Koalition sich vorgenommen hat. Insoweit denke ich doch, dass wir noch einiges anpacken.

    Heinlein: Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Frau Nahles, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Nahles: Vielen Dank!