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Das neue Sexualstrafrecht
"Nein heißt Nein"

Seit einem Jahr gilt das neue Sexualstrafrecht mit dem Grundsatz "Nein heißt Nein". Für die Strafbarkeit eines Übergriffes kommt es nicht mehr darauf an, ob mit Gewalt gedroht oder diese angewendet wurde. Entscheidend ist: Das Opfer hat die sexuelle Handlung nicht gewollt. Aber wurden die hohen Erwartungen tatsächlich erfüllt?

Von Peggy Fiebig | 09.11.2017
    Eine Demo in Berlin, in der Mitte hält eine junge Frau ein Schild mit der Aufschrift "Nein heißt Nein" hoch.
    Der Bundestag hatte einstimmig der Verschärfung des Sexualstrafrechts zugestimmt. Doch in der Realität ist die Beweislage oft sehr schwierig, wie sich an konkreten Verfahren bei der Staatsanwaltschaft zeigt. (Imago/ Christian Mang)
    Eindrücke von der Kölner Silvesternacht 2015/2016, eingefangen für eine Sendung des WDR. Die Nacht wird in Erinnerung bleiben als die Nacht, in der vieles außer Kontrolle geriet: Es kam massenhaft zu Diebstählen, Körperverletzungen und vor allem zu sexuellen Übergriffen. Laut eines im Juli 2016 veröffentlichten Abschlussberichts des Bundeskriminalamtes sind in dieser Nacht in Köln etwa 650 Mädchen und Frauen Opfer von Sexualdelikten geworden.
    Nur wenige Monate später hat der Bundestag ein neues Sexualstrafrecht verabschiedet. Das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung trat am 10. November 2016 in Kraft. Wichtigste Änderung: Seitdem gilt der Grundsatz "Nein heißt Nein". Die Berliner Rechtsanwältin Margarete von Galen vertritt Opfer von Sexualstraftaten und erklärt, was sich genau geändert hat:
    "Der wesentliche Unterschied ist, dass wir vorher - in der alten Rechtslage - immer ein Gewaltelement brauchten. Und jetzt brauchen wir kein Gewaltelement mehr, um jetzt theoretisch zu einer Verurteilung wegen eines Sexualdeliktes bei Erwachsenen zu kommen, sondern es braucht nur - nur in Anführungsstrichen - eine Handlung gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person."
    Egal, ob Gewalt nur angedroht oder angewandt wurde
    Im Klartext heißt das, dass es für die Strafbarkeit eines sexuellen Übergriffes jetzt nicht mehr darauf ankommt, ob der Täter dem Opfer mit Gewalt gedroht hat oder ob Gewalt angewendet wurde. Und vor allem kommt es nicht mehr darauf an, ob sich die betroffene Person gegen den Übergriff körperlich gewehrt hat. Entscheidend ist jetzt, dass die sexuelle Handlung nicht gewollt war und dass das für den Täter auch erkennbar war - beispielsweise, weil das Opfer geweint hat.
    Damit sind vom neuen Sexualstrafrecht zahlreiche Fälle erfasst, die vorher nicht geahndet wurden - weil sich das Opfer nicht gewehrt hatte oder sich nicht wehren konnte. Zum Beispiel, weil es im Schockzustand buchstäblich "starr vor Angst war". In diesen Fällen waren Polizei und Staatsanwaltschaften früher die Hände gebunden. Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland – kurz bff - hat typische Konstellationen zusammengestellt, bei denen bislang Schutzlücken bestanden. Katja Grieger vom bff erläutert ein Beispiel:
    "Wir hatten immer wieder mit Fällen zu tun gehabt, wo Frauen gesagt haben, ich habe geweint, ich habe gefleht, ich habe gewimmert, ich habe gesagt, hör auf, lass das. Aber zum Beispiel ich habe nicht laut geschrien, weil meine Kinder im Nachbarzimmer geschlafen haben und ich wollte nicht, dass die mich in so einer Situation sehen. Hinterher haben sie das dann angezeigt und es wurde eingestellt mit der Begründung, sie hätte ja nur Nein gesagt und das wäre in Deutschland nicht strafbar."
    Kölner Silvesternacht hat Gesetzesverschärfung beeinflusst
    Die Silvesternacht von Köln war zwar nicht Auslöser der Gesetzesänderung, hat aber die Verschärfung des Sexualstrafrechts entscheidend beeinflusst und vor allem beschleunigt. Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfrauenministerium Elke Ferner, die das Verfahren von Anbeginn an begleitet hat:
    "Also, das Bundesjustizministerium hatte ja schon sehr früh im Jahr 2015 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der lag dann im Kanzleramt bis kurz vor Silvester. Irgendeiner göttlichen Eingebung folgend hat das Kanzleramt diesen Gesetzentwurf dann in die Ressortabstimmung gegeben. Nach der Silvesternacht in Köln hat das natürlich an Fahrt aufgenommen."
    Man sieht viele Menschen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht, im Hintergrund die Freitreppe zum Dom.
    In der Silvesternacht wurden am Kölner Hauptbahnhof Hunderte Frauen sexuell belästigt worden. (picture-alliance / dpa / Markus Boehm)
    Der Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas, von dem hier die Rede ist, erfüllte zwar noch nicht alle Erwartungen. Er war aber wichtig, wie Katja Grieger vom Berufsverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland betont. Weil er:
    "Zum ersten Mal tatsächlich in der Einleitung davon sprach, dass es wohl Schutzlücken gäbe. Die ganzen Monate oder Jahre zuvor hatte das Justizministerium immer gesagt, es gibt keine Schutzlücken. Es gibt vielleicht unglückliche Einzelfälle und Gerichte haben auch nicht immer recht und so, aber es gibt keine systematischen Schutzlücken. Und das war wirklich der Meilenstein, dass sie in diesem Entwurf erstmals selber von Schutzlücken sprachen."
    Einstimmige Verabschiedung durch alle Parteien
    Der Grundsatz "Nein heißt Nein" aber war in dem Maas'schen Vorschlag noch nicht enthalten: Das hat auch die Abgeordnete der Fraktion der Grünen, Ulle Schauws, damals in der ersten Lesung im Bundestag kritisiert:
    "Sie wollen einige Schutzlücken schließen; das ist gut. Aber was Sie nicht ändern, dass Sie weiter auf die Frage abstellen, ob oder warum das Opfer keinen Widerstand geleistet hat. Grundsätzlich reicht es Ihnen nicht aus, wenn das Opfer Nein sagt und der Täter das auch versteht. Das machen Sie in Ihrem Gesetzentwurf deutlich. Und damit - das sage ich in aller Deutlichkeit - wird das Rechtsgut auf sexuelle Selbstbestimmung weder ausnahmslos geschützt noch alle Schutzlücken geschlossen. Das reicht nicht; das ist zu wenig."
    Eine Demonstrantin hält während einer Demonstration nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht am 09.01.2016 in Köln (Nordrhein-Westfalen) vor dem Hauptbahnhof ein Schild mit der Aufschrift "Nein heißt Nein!"
    Der Grundsatz "Nein heißt Nein" wurde im Sexualstrafrecht verankert. (dpa / picture alliance / Oliver Berg)
    Im Juli 2016 verabschiedete der Bundestag dann das Gesetz, das auch den Grundsatz "Nein heißt Nein" enthält. Und zwar mit den Stimmen aller Abgeordneten. Unter ihnen auch die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Keul:
    "Es ist schon etwas sehr Besonderes, wenn dann im Deutschen Bundestag so ein Gesetz einstimmig durch alle Parteien ohne eine einzige Gegenstimme verabschiedet wird. Das war schon etwas Besonderes in der letzten Legislatur."
    Frauen- und Menschenrechtsverbände jubelten: Ein historischer Erfolg sei gelungen, kommentierte der Deutsche Frauenrat. Ein Paradigmenwechsel, hieß es beim Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland.
    Mehr Anzeigen, meist gegen bereits auffällige Täter
    Aber wurden die hohen Erwartungen tatsächlich erfüllt? Hat sich die Situation für Betroffene wirklich verbessert? Es gibt bisher erst wenige Gerichtsverfahren, die Zahl der Anzeigen hat aber auf jeden Fall deutlich zugenommen, berichtet die Berliner Oberstaatsanwältin Ines Karl. Sie leitet eine Abteilung für Sexualstraftaten.
    "Wir haben insgesamt auf jeden Fall eine Zunahme von Anzeigen zu verzeichnen, die sich auch ausdrücklich auf diese Regelung 'Nein heißt Nein' berufen. Damit haben wir auch gerechnet, wobei wir nicht damit gerechnet haben, dass auch in der Öffentlichkeit so eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema stattfindet."
    In Berlin ist allein in den ersten zwei Monaten des Jahres 2017 die Zahl der Verfahrenseingänge wegen des Verdachtes auf Vergewaltigung und sexueller Nötigung um etwa 25 Prozent gestiegen. Die Anzeigen werden sowohl von Frauen als auch von Männern erstattet, erläutert die Staatsanwältin. Häufig fallen Verdächtige auch mehrfach auf.
    "Wir haben auch festgestellt, dass manchmal auch Personen, die mit der sexuellen Belästigung übergriffig geworden sind, bei uns auch als Täter von Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen schon bekannt sind oder danach mit einer solchen auffallen. Also, dass da auch Steigerungen möglich sind, häufig auch nach dem Grad der Alkoholisierung oder anderer Beeinflussung, aber wir haben festgestellt, dass es sich häufig um dieselben Tätergruppen handelt. Also, dass einfach die Tendenz sexuell übergriffig zu werden, sei es jetzt gegenüber Kinder oder Jugendlichen oder Frauen oder auch Männern, dass die offenbar ganz stark verwurzelt ist in der Persönlichkeit."
    "Beweislage oft sehr schwierig"
    Mehr Anzeigen heißt aber nicht automatisch auch mehr Verurteilungen. Bei den Gerichten sind die meisten Verfahren noch gar nicht angekommen. Eines kann man aber jetzt schon sagen: Einfacher wird die Arbeit für Polizei und Staatsanwaltschaften nicht.
    "Da ist ja auch die Problematik, die wir von Anfang an in den Stellungnahmen gegenüber dem Gesetzgeber vor dem Inkrafttreten angegeben haben, wieder feststellbar: Dass wir mit Sicherheit ein erhöhtes Anzeigeaufkommen haben, auch eine Vielzahl von Verfahren zusätzlich bearbeiten müssen, dass aber die Beweislage oft sehr schwierig ist. Und das zeigt sich auch jetzt an den konkreten Verfahren, die wir von der Polizei bekommen."
    Vor gut einem Jahr noch konnte sich die Polizei und Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen zwar nicht immer, aber doch häufig auf Abwehrverletzungen stützen. Nach dem neuen Recht ist es aber nicht mehr erforderlich, dass sich das Opfer wehrt. Wie aber soll die Staatsanwaltschaft nun nachweisen, dass es, wie es der Tatbestand jetzt fordert, einen entgegenstehenden Willen des Opfers gab? Hier wird in der Regel Aussage gegen Aussage stehen. Laut Ines Karl muss dazu künftig der gesamte Kommunikationsvorgang zwischen Täter und Opfer rekapituliert werden: Wer hat wann was gesagt? Wer hat sich wie bewegt? Welche Zeichen gab es? Welche Gestik, welche Mimik? Und auch der Grad der Alkoholisierung - auf beiden Seiten - spielt eine wichtige Rolle. Polizei und Staatsanwaltschaften werden daher künftig mutmaßliche Opfer von Sexualstraftaten noch stärker als bisher in die Mangel nehmen, befürchtet die Rechtsanwältin Margarete von Galen.
    "Das ist für die Betroffenen wahnsinnig schwer, da den Faden zu behalten und - ich sage mal - nicht unter der Befragung einzubrechen. Nicht weil sie lügen, sondern weil sie einfach nicht mehr verstehen, was hier eigentlich abläuft."
    Stabilität der Opfer wichtig für den Prozess
    Besonders schwierig wird die Befragung durch die Ermittlungsbehörden, wenn die Tat vom Opfer nicht sofort angezeigt wird, sondern womöglich erst nach ein paar Tagen.
    "Nach zwei, drei Tagen und Schock oder man könnte sogar sagen alkoholisiert, deswegen vielleicht auch nicht ganz sicher, was da passiert ist. Nur dass da was passiert ist, was man überhaupt nicht wollte. Und wenn dann akribisch gefragt wird, dann kann das für das Opfer echt eine Tortur sein."
    Carola Klein steht in solchen Fällen Opfern zur Seite. Sie ist psychosoziale Prozessbegleiterin und arbeitet bei der Berliner Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen. Sie sagt, es gehe bei der psychosozialen Prozessbegleitung nicht darum, Aussagen "passend zu machen", auch eine rechtliche Beratung finde nicht statt, "sondern es geht wirklich um die Stabilität, es geht darum, dass die Frauen sich gestärkt fühlen für diesen Prozess. Dass sie verstehen, was da passiert, dass sie wissen, wo sie sitzen, wer was tut, was im Vorfeld gerade der Stand ist und wie sie an sich arbeiten können, dass sie in einen stabilen ressourcenvollen Zustand sich selber bringen."
    "Erst nach Jahren die Kraft, über das Geschehene zu sprechen"
    Die Sozialpädagogin kennt aus der Beratungspraxis die psychische Belastung, die vergewaltigte Frauen mit sich herumtragen. In vielen Fällen finden sie auch erst nach Jahren den Mut und die Kraft, über das Geschehene zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Häufig kenne die Frau den Täter bereits aus ihrem weiteren oder engeren Umfeld, berichtet Carola Klein.
    "Also das sind meistens Vergewaltigungen, in manchen Fällen eben auch versuchte Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen, Angrapschen. Dann kommen wir auch in diesen Bereich häuslicher Gewalt: Ein Drittel der sexuellen Übergriffe passiert durch nahe Lebenspartner, Ex-Lebenspartner, in der Ehe. Das ist ein großer Bereich, diese Frauen tun sich oftmals noch viel schwerer, das zu öffnen, weil je näher der Täter dem Opfer steht, desto schwieriger fällt es, das auch anzuzeigen."
    Nicht gerade ermutigend wirkt in diesem Zusammenhang die Zahl der tatsächlichen Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung. Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland geht davon aus, dass überhaupt nur zehn Prozent der Anzeigen tatsächlich in einer Verurteilung des Täters führen. Die meisten Verfahren werden bereits von den Staatsanwaltschaften eingestellt und landen erst gar nicht vor Gericht. Rechtsanwältin von Galen vermutet, dass Staatsanwälte gerade in Sexualstrafverfahren eher auf "Nummer sicher" gehen. Und Anklage nur dann erheben, wenn die Beweislage 100-prozentig fest ist. An dieser Situation konnte auch das neue Gesetz nichts ändern. Das sei aber auch nicht die Intention gewesen, sagt Katja Keul, die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion:
    "Wir haben immer von Anfang an gesagt, das Beweisproblem, das wird am Ende immer bleiben, das können wir durch eine Änderung des Straftatbestandes nicht aus der Welt schaffen."
    Skepsis und positive Reaktionen zur Neuregelung
    Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat das Gesetzgebungsverfahren wie sie selbst sagt "aus kritischer Distanz" begleitet. Sie sieht die Neuregelung mit Skepsis:
    "Für mich war immer bei allen strafrechtlichen Änderungen in diesem sensiblen und gerade für die Opfer so wichtigen Bereich entscheidend, dass es in der Realität Verbesserungen gibt. Und da glaube ich, kann man allein nach diesen Änderungen jetzt im Moment nicht von ausgehen. Ob es Enttäuschungen geben wird, wird sich zeigen. Dann hätte man das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich die Absicht von denjenigen war, die diese Gesetzesänderung befördert und dann am Ende auch verabschiedet haben."
    Deutlich positiver sieht das der Hamburger Justizsenator Till Steffen. Gemeinsam mit Niedersachsen und Bremen hatte sich Hamburg von Anfang an für die "Nein heißt Nein"-Lösung starkgemacht.
    "Das ist ein ganz wichtiger Wechsel, der ja auch tatsächlich deutlich gemacht hat, dass wir im Sexualstrafrecht eine andere Wertung brauchen; dass die sexuelle Selbstbestimmung in den Vordergrund gestellt werden soll der Frauen und das ist ja die Grundidee gewesen und das ist ja ein ganz großer Schritt, der nach wie vor auch wirkt."
    "Wertungswidersprüche bei Strafandrohungen beseitigen"
    Der Justizsenator will aber weiter gehen: Auf seine Initiative hin hat die Konferenz der Landesjustizminister am Donnerstag beschlossen, das gesamte Sexualstrafrecht erneut auf den Prüfstand zu stellen. Dabei bezieht sich Steffen auf die Reformkommission zum Sexualstrafrecht, die vor gut zweieinhalb Jahren von Bundesjustizminister Maas eingesetzt worden war. Im Juli haben die zwölf Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis ihren Abschlussbericht vorgelegt. Darin werden umfangreiche Änderungen vorgeschlagen. Es geht dabei auch darum, Wertungswidersprüche bei den Strafandrohungen der verschiedenen Delikte zu beseitigen.
    "Wir haben punktuell dieses Thema 'Nein heißt Nein' einbringen können, aber insgesamt ist die Systematik des Sexualstrafrechts überarbeitungsbedürftig."
    Um ein Beispiel zu nennen: Wird das Opfer durch Alkohol oder K. o.-Tropfen willenlos gemacht, droht dem Täter derzeit eine Mindeststrafe vom sechs Monaten. Steffen will das aber genauso hart bestraft wissen wie den Fall, in dem der Täter den Willen des Opfers durch Gewalt überwindet - nämlich mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe. Auch die ehemalige Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meint, dass das Sexualstrafrecht grundsätzlich einer Revision bedarf. Sie warnt aber gleichzeitig auch vor einer Überfrachtung des Strafrechts.
    "Man darf Strafrecht aber nicht aktionistisch benutzen. Wenn man zu sehr aktionistisch Strafrecht für sehr weit gelagerte Sachverhalte, die in der Realität vorkommen, zum Einsatz bringt, dann wird man am Ende merken, dass man wahrscheinlich nicht mehr Sicherheit hat, aber das Strafrecht sich einfach abnutzt und mit Strafrecht auch nicht in dem Sinne mehr Schutz verbunden wird. Viele Frauen erhoffen sich jetzt sehr, sehr viel. Aber wenn diese Hoffnungen nicht erfüllt werden, wegen schwieriger Beweislage, die sich nicht ändert gegenüber den früheren Straftatbeständen, dann kann dieser großen Erwartung auch eine große Enttäuschung folgen. Und dann geht Vertrauen in den Rechtsstaat ein Stück weit weiter verloren."
    Zwischen moralischem Fehlverhalten und zu ahnenden Straftaten
    Strafrecht könne nicht die grundsätzlichen gesellschaftlichen Probleme lösen. Das zeigt sich auch und gerade in der aktuellen Debatte zum #Metoo, unter dem im Internet sexuelle Belästigungen und sexuelle Übergriffe angeprangert werden. Die Grenze zwischen moralischem Fehlverhalten und tatsächlich gesetzlich zu ahnenden Straftaten scheint hier zu verschwimmen. Aber alles mit den Mitteln des Strafrechtes lösen zu wollen, davor warnt auch die Berliner Staatsanwältin Ines Karl.
    "Als Strafrechtlerin finde ich das auch richtig, dass nicht alle Fehlverhalten sich tatsächlich auch im Strafgesetzbuch wiederfinden und auch dort mit Sanktionen belegt sind. Ich denke, dass es eine große Bandbreite gibt, über die sich die Beteiligten auch verständigen müssen. Und da ist jetzt diese große Debatte "#Metoo" auch Anlass darüber nachzudenken, warum diese ganzen aufgezählten vielfältigen Verstöße häufig ja nach Jahren und dann in einem solchen Zusammenhang angesprochen werden und nicht in dem Zusammenhang, in den sie aus meiner Sicht gehören – nämlich damals, als sie passiert sind oder jetzt, wenn sie passieren, in dem Umfeld, in dem sie passieren."
    Ein Smartphone mit dem Hashtag "#MeToo"
    Mit einem Skandal in Hollywood hat es angefangen - inzwischen wird weltweit über Sexismus diskutiert (dpa-Zentralbild)
    Und sie rät allen Frauen, Grenzüberschreitungen - vor allem auch im sexuellen Bereich - sofort zu thematisieren.
    "Aus meiner Sicht ist immer ganz wichtig, dass man tatsächlich auch schaut, was bieten sich, für Möglichkeiten sich sofort an die Antidiskrimierungsstelle oder den Arbeitgeber oder wen auch immer zu wenden, um solche Dinge tatsächlich dann zu diskutieren, wenn sie auf den Tisch gehören. Und ich denke, wenn das Ergebnis dieser Debatte ist, dann wäre das sehr gewinnbringend, weil es einfach auch deutlich macht, dass Verhaltensänderungen eben nicht nur dem Strafrecht abverlangt werden können, sondern dass sie die gesamte Gesellschaft betreffen und dass da Prozesse in Gang gebracht werden müssen, die man nicht in die Gerichtssäle verlagern kann."
    In Schweden will man im Übrigen noch einen Schritt weitergehen. Dort soll demnächst ein Gesetz verabschiedet werden, nachdem bei sexuellen Handlungen die Zustimmung - ausdrücklich oder körperlich - erforderlich ist. Und zwar vorher. Ein strafbarer sexueller Übergriff könnte danach auch dann vorliegen, wenn der Täter keinen entgegenstehenden Willen überwindet - beispielsweise, weil das Opfer schläft. Wird dieses Gesetz tatsächlich verabschiedet, würde es dann in Schweden nicht mehr nur "Nein heißt Nein" heißen, sondern nur noch "Ja heißt Ja".