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"Das Problem bleibt immer vor der Rathaustüre liegen"

Der Oberbürgermeister von Nürnberg, Ulrich Maly, hat sich enttäuscht über das Aus für das Versandhaus Quelle geäußert. Die Bundesregierung habe Quelle und Opel mit zweierlei Maß gemessen. Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg trage deshalb eine Mitverantwortung.

Ulrich Maly im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Quelle ist nicht Opel, werden jetzt viele Mitarbeiter in Franken und auch in Bayern denken. 10.000 Beschäftigte stehen vor dem Aus, denn das traditionelle Versandhaus-Unternehmen wird abgewickelt. Es ist pleite, es ist insolvent und es findet sich eben kein Käufer, und ohne einen Käufer wiederum keine Zukunft für Quelle.
    Am Telefon bei uns ist jetzt der Nürnberger Oberbürgermeister, Ulrich Maly (SPD). Guten Tag!

    Ulrich Maly: Guten Tag.

    Müller: Herr Maly, werden Sie das politisch akzeptieren?

    Maly: Ach Gott, man muss es akzeptieren, denn wir befinden uns in einer Stufe oder einer Etappe des Insolvenzrechts, wo der Insolvenzverwalter gehandelt hat, weil er handeln musste. Er muss die Gläubigerinteressen vertreten. Wir haben immer gesagt, es gibt einen gewissen Weg, den die Belegschaft, auch die Politik in Nürnberg und Fürth und der Insolvenzverwalter gemeinsam gehen, nämlich so lange, wie es dann geht, das Unternehmen zu retten. Das ist offensichtlich gescheitert. Wir wissen noch nicht genau warum, denn da ist nicht sehr viel Kommunikation betrieben worden von der Insolvenzverwaltung. Das versuchen wir, heute noch rauszufinden. Wir sind jetzt eigentlich mit den Kollateralschäden dieser Entscheidung betroffen, nämlich mit mehreren Tausend zusätzlichen Arbeitslosen bei uns in der Region.

    Müller: Sie sagen jetzt Stand heute Mittag, der Insolvenzverwalter hat noch keine Informationen rausgelassen. Heute Nachmittag soll es dazu Details geben. Sie haben auf der anderen Seite gesagt, wir, die Kommunen, haben gemeinsam mit Klaus Hubert Görg, dem Insolvenzverwalter, zusammengearbeitet. Hat er denn diese Arbeit kommunikativ redlich gestaltet?

    Maly: Zu Beginn ja. Uns war von Anfang an klar, dass es irgendwann einen Punkt gibt, wo die Interessen sich trennen. Solange es darum ging, die Quelle insgesamt als Universalversand mit allen ihren Töchtern zu erhalten, waren die Interessen gleich. Jetzt sieht es wohl so aus, dass man eine Reihe von Spezialversandangeboten, eine Reihe von Tochterfirmen einzeln rausfiletiert aus dem Unternehmen und einzeln verkaufen kann, dass aber das Hauptgeschäft, das Kerngeschäft der Quelle, also der dicke Katalog, das was die Menschen mit Quelle assoziieren, am Ende zu sein scheint.

    Müller: Aber die Insolvenzverwalter, Herr Maly, haben gesagt, wir haben keinen Käufer gefunden. Das ist doch ein klares Argument.

    Maly: Es sind drei Gründe, die eine Rolle spielen. Das eine ist die Frage des Käufers, das andere ist die Frage der Masse, wie viel Geld ist tatsächlich noch in der Kasse, und das dritte war das elende Problem mit dem Factoring, also dem Abtreten der Forderungen aus dem Versandgeschäft, und nur alle drei Dinge zusammen sind eine vernünftige Erklärung. Man hat den Käufern nicht sehr viel Zeit gegeben und wir hatten auch – das kann ich aber jetzt nur von außen sagen – nicht den Eindruck, dass von denen, die Interessen bekundet haben, schon sehr tief in den Datenraum eingedrungen worden ist.

    Müller: Mit Factoring, Herr Maly, meinen Sie die Vorfinanzierung von Kundenforderungen?

    Maly: Exakt.

    Müller: Die waren jetzt bislang gesichert bis Ende des Jahres und können nicht verlängert werden, wenn wir das richtig verstanden haben? Das heißt, das ist die eigentliche Krux?

    Maly: Kann ich auch nur sagen. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist das ein Teil des Problems, in Verbindung damit, dass sich kein Investor gefunden hat.

    Müller: Wenn der Insolvenzverwalter keinen Investor findet, kann er nicht anders handeln, als er jetzt handelt?

    Maly: Nein. Darum habe ich ja gesagt. Sie haben eingangs gefragt, ob wir das politisch akzeptieren. Ich bin keiner, der sich hinstellt und Parolen hochhält, wenn ich weiß, dass er einen Schritt gegangen ist, den er gehen muss. Unser Job ist es jetzt, damit umzugehen: Was passiert mit den Menschen.

    Müller: Ich muss Sie, Herr Maly, noch mal deutlicher fragen. Ich habe die Frage eben schon mal gestellt. Hat der Insolvenzverwalter gut mit Ihnen zusammengearbeitet?

    Maly: Er hat im Rahmen seiner Möglichkeiten sicherlich mit uns zusammengearbeitet. Von der Kommunikation her hätten wir uns mehr gewünscht.

    Müller: Also ein Vorwurf?

    Maly: Ach Gott, ein Vorwurf? – Man kann das so oder so sehen. Es ist immer leichter, wenn man Bescheid weiß über die Dinge, die laufen, aber natürlich laufen in der Insolvenz auch Dinge, über die der Verwalter ungern spricht.

    Müller: Als SPD-Politiker ist es in Bayern und auch in Franken ja nicht einfach zu agieren. Hat die Landesregierung alles getan, um Sie zu unterstützen?

    Maly: Ich glaube, ja. Da jetzt einen Vorwurf zu landen, wäre falsch. Ich habe mehrfach mit Horst Seehofer telefoniert. Er hat auch der Region insgesamt ein Strukturhilfepaket angeboten. Der Freistaat wäre bereit gewesen, in eine Beschäftigungsgesellschaft mit Geld zu gehen. Die kommt jetzt nicht zustande. Da hat es, glaube ich, an nichts gefehlt. Es ist auch jetzt nicht die Stunde für parteipolitisch motivierte Vorwürfe.

    Müller: Es sind ja, Herr Maly, viele, viele Millionen in Quelle geflossen. Es ging ja beispielsweise auch – das war publikumswirksam – um die Förderung, um die Fertigstellung des Quelle-Katalogs. Ist das alles Geld gewesen, was für die Katz investiert worden ist?

    Maly: So weit ich weiß, ist der Massekredit teilweise abgesichert. Wie viel davon übrig bleibt, wird man im weiteren Verlauf sehen. Ich glaube nicht, dass es für die Katz war. Unser Bundeswirtschaftsminister spricht ja gerne von der sogenannten geordneten Insolvenz. Die könnte ja auch zu einem guten Ergebnis führen, das hat man an anderer Stelle gesehen. Insofern hat es sich gelohnt, auch hier zu kämpfen. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

    Müller: Also die Politik hat genug getan?

    Maly: Ich glaube, im Rahmen dessen, was wir an Möglichkeiten haben, ja.

    Müller: Jetzt ist die andere Diskussion – wir wissen es wie gesagt ja noch nicht genau, in einigen Stunden vielleicht dann genauer -, den Versandhauskomplex in mehrere Einzelteile letztendlich zu zersplittern, zu filetieren, wie Sie es gesagt haben. Wäre das eventuell eine mögliche Lösung, Einzelteile zu verkaufen und dann aufgrund dessen noch einmal Arbeitsplätze zu retten?

    Maly: Das ist eine Lösung, die aber in erster Linie den Gläubigerinteressen dient. Natürlich haben diese Töchter, Home Shopping Europe, Quelle International, auch der Service-Kundendienst Profectis, auch Beschäftigte und die sind dankbar, wenn sie gerettet werden. Das Kerngeschäft der Quelle, der dicke Katalog und das Versandgeschäft, wird davon nicht profitieren.

    Müller: Das heißt, die 10.000 Arbeitsplätze sind futsch?

    Maly: 10.000 sicher nicht, aber es werden vielleicht 1500, vielleicht 2500 gerettet werden können und der ganz große Rest wird wenigstens betroffen sein, von den Zulieferern bei uns in der Region gar nicht zu sprechen.

    Müller: Was bedeutet das, Herr Maly, für Ihre Region?

    Maly: Wir werden in der Statistik natürlich zunächst mal hochschnellen, was die Arbeitslosenzahlen anbelangt. Wir werden versuchen müssen, den Menschen individuell zu helfen. Das ist immer so bei Arbeitslosigkeit, dass das Individuum im Mittelpunkt stehen muss. Wir werden aber auch versuchen müssen, mit Unterstützung des Freistaats auf mittelfristiger Ebene neue Beschäftigungsmöglichkeiten in der Stadt zu generieren.

    Müller: Aber wenn Arbeitsplätze in der Region verloren gehen, dann zahlen die Kommunen die Zeche?

    Maly: Die Kommunen und die Sozialkassen.

    Müller: Und das wird auch so bleiben?

    Maly: Das ist schon immer so. So ist das System in der Bundesrepublik angelegt. Das Problem bleibt immer vor der Rathaustüre liegen, egal wer dafür zuständig ist, und deshalb mischen wir uns ja auch mit einigem Recht, glaube ich, in solche Prozesse ein, obwohl wir an sich formal gar nicht zuständig wären.

    Müller: Wird das Frankenland, Herr Maly, immer mehr zur Armenregion Bayerns?

    Maly: Das ist eine schwierige Frage. Wir sind bislang eigentlich ganz gut durch die Krise gekommen und haben ihr im Durchschnitt besser getrotzt als andere Regionen in Deutschland. Aber das wird uns jetzt natürlich an die Spitze oder anders herum formuliert rein statistisch ans Ende spülen. Ich bin aber, wie glaube ich jeder Kollege in Deutschland, Optimist, dass wir auch diesen Schock überstehen werden. Wir haben Grundig überstanden, Triumph Adler und manch anderen externen Schock, der die Region getroffen hat, die AEG-Schließung. Wir werden am Ende dann auch Quelle überstanden haben, aber es wird ein schwieriger Weg.

    Müller: Sind Sie sauer, dass Quelle nicht Opel ist?

    Maly: Das weiß ich schon seit geraumer Zeit, dass da mit zweierlei Maß gemessen wurde, schon als es um die Staatshilfe vor der Eröffnung der Insolvenz ging. Ich nehme das zur Kenntnis und bedauere es.

    Müller: Wer war Schuld, der Wirtschaftsminister?

    Maly: Da hat die Politik sich selber wo hinein begeben, wo sie nicht mehr rausgekommen ist. Das war sicher nicht zu Guttenberg allein, da war auch der Finanzminister Steinbrück mit dabei. Die haben gesagt, Opel sei anders als Quelle. Ich persönlich habe immer gesagt, Opel ist nicht anders als Quelle.

    Müller: Guttenberg trägt aber Mitverantwortung?

    Maly: Ja.

    Müller: Der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly war das im Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich.

    Maly: Bitte schön.