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Das Problem ist "nicht vom Tisch"

Der Streit um das kleine Goldgefäß begann 2005. Weil vermutet wurde, es könne sich um ein Stück aus einer Raubgrabung aus dem Irak handeln, durfte es vorerst nicht versteigert werden. Es ging zu Aufbewahrung an das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz. Nun wollen die Behörden das mutmaßliche Beutestück an das Auktionshaus zurückgeben, doch der zuständige Archäologe des Museums, Michael Müller-Karpe, ist dagegen.

Michael Müller-Karpe im Gespräch mit Silvia Engels | 02.07.2009
    Silvia Engels: Warum geben Sie das Stück nicht raus?

    Michael Müller-Karpe: Wir sind da in einer schwierigen Lage. Der Botschafter der Republik Irak hat uns gebeten, dass wir bis zum Abschluss der Klärung der eigentumsrechtlichen Fragen das Gefäß verwahren und nicht herausgeben. Ich muss Sie auch korrigieren. Sie sagten, das Verfahren sei abgeschlossen. Ein Verfahren beim Finanzgericht in München ist noch anhängig, aber es besteht die Gefahr, dass das Objekt an das Auktionshaus herausgegeben wird. Das Auktionshaus hat bei dem Finanzgericht in München den Antrag auf Herausgabe gestellt, und zwar hat es das damit begründet, der Zoll sei bei der Sicherstellung gar nicht zuständig gewesen. Der Zoll ist nämlich nach dem Gesetz nur dann zuständig, wenn es sich um irakisches Kulturgut handelt. Das ist eine merkwürdige Gesetzgebung. Normalerweise ist bei Diebstahl, Hehlerei, Unterschlagung die Staatsanwaltschaft zuständig, aber wir haben ein europäisches Gesetz, das den Handel mit irakischem Kulturgut explizit verbietet, und da steht drin, dass der Zoll zuständig ist.

    Engels: Fakt ist aber, dass die Beamten des Zollfahndungsamtes in Stuttgart heute eigentlich Ihren Tresor öffnen wollten, zur Not gewaltsam, um das Goldgefäß sicherzustellen. Also die Behörden verlangen erst mal von Ihnen die Herausgabe. Wie ist denn da der Stand?

    Müller-Karpe: Der Termin heute ist abgesagt und auch diese Woche soll nichts geschehen, aber das Problem als solches ist nach wie vor nicht vom Tisch.

    Engels: Dann schauen wir einmal auf die Inhalte. Wer hat denn Ihrer Einschätzung nach nun Recht? Wer sollte das goldene Stück kriegen? Der Irak?

    Müller-Karpe: Nach den Feststellungen des Gutachtens, das ich getroffen habe, das ich erstellt habe, stammt dieses Gefäß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus dem Irak. Damit wäre es irakisches Staatseigentum und meiner Ansicht nach muss es in den Irak zurückkommen.

    Engels: Können Sie denn die Behörden nicht davon überzeugen, dass es sich um einen solchen Tatbestand handelt, denn anscheinend scheint ja im Moment die Rechtslage so zu sein, dass das Auktionshaus, das das Stück verkaufen will und nicht bestätigt, dass das Stück aus dem Irak stammt, da die besseren Karten hat?

    Müller-Karpe: Das sehe ich eigentlich nicht so. Das Problem ist, dass es vor dem Finanzgericht jetzt eigentlich gar nicht um die Eigentumsfragen geht, sondern um die Frage, ob der Zoll zuständig war, und der Zoll sagt, er ist nur dann zuständig, wenn das Objekt 100 Prozent aus dem Irak ist. Nur Hundertprozentigkeit gibt es in der Mathematik, die gibt es nicht in empirischen Wissenschaften. Ich kann nur sagen, die verfügbaren Indizien sprechen in ihrer Summe dafür, dass das Objekt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Irak stammt. Sicherheit kann ich nicht bieten. Der Zoll hat angekündigt, wenn tatsächlich festgestellt werden sollte, dass er gar nicht zuständig war, wird er es an das Auktionshaus zurückgeben und dann könnten die Rechte des Irak endgültig verwirkt sein, denn wenn das Objekt erst mal herausgegeben ist, dann ist es verschwunden.

    Engels: Herr Müller-Karpe, das klingt ja vielleicht für manchen Hörer wie ein etwas sehr seltener Einzelfall, der jetzt auch auf Behördenebene gefochten wird, aber die Problematik ist eine grundsätzliche, denn besonders in Deutschland werden nach Expertenschätzungen besonders viele Stücke aus Raubgrabungen aus dem Irak, aber auch aus anderen Grabungsstätten versteigert. Woran liegt das?

    Müller-Karpe: Das ist ein sehr brisanter Befund. Das liegt, ich würde sagen, zum Wesentlichen an mangelndem Bewusstsein. Die Rechtslage ist eigentlich nicht so, dass man da nichts tun könnte, aber es wird nicht das getan, was man tun könnte. Das Problem ist, dass archäologische Objekte aus legaler Herkunft sehr selten sind. Dinge, die bei legalen Grabungen zu Tage kommen, die kommen ja normalerweise ins Museum des Herkunftslandes oder in ein anderes Museum. Es gab beispielsweise im Irak die Möglichkeit der Fundteilung, dass eine Expedition einen Teil ihrer Funde legal mit ins Ausland nehmen konnte. Aber die kamen dann in der Regel auch in ein Museum, das britische Museum, Louvre oder das vorderasiatische Museum. Was sie heute im Kunsthandel angeboten bekommen, kann im Grunde im großen und ganzen nur illegaler Herkunft sein, nämlich aus Raubgrabungen.

    Engels: Und die Auktionshäuser sind bislang nicht verpflichtet, dem nachzugehen? Es ist ja einfach das Problem, dass oftmals Objekte versteigert werden, die eben mit einer nicht genau gekennzeichneten Herkunftsangabe versehen sind. Ist da die Rechtslage zu schwach?

    Müller-Karpe: Im Prinzip ist es so, dass sie eigentlich die legale Herkunft nachweisen müssten, denn die Rechtslage ist so, dass praktisch alle Länder mit Fundstellen archäologischer Hochkulturen ein sogenanntes Schatzregal haben. Das heißt, mit der Entdeckung gehen die Funde automatisch in Staatseigentum über. In Deutschland ist das auch der Fall. Bei 13 Bundesländern haben wir ein solches Schatzregal. In 3 Bundesländern haben wir ein solches Schatzregal noch nicht, aber da gilt zumindest die sogenannte hadrianische Teilung. Das heißt, eine Hälfte gehört dem Finder, die andere dem Eigentümer der Fundstelle. Herrenloses Gut sind archäologische Funde nirgends. Insofern ist der Regeltatbestand eigentlich der, wenn die entsprechenden Papiere fehlen, etwa Exportdokumente des Landes der Fundstelle, dass dann das Objekt eigentlich nur illegaler Herkunft sein kann. Wenn Sie zum Beispiel ein Auto angeboten bekommen, wo ein Kraftfahrzeugbrief nicht vorhanden ist, oder wenn Sie auf dem Flohmarkt einen Pass angeboten bekommen, müssen Sie auch wissen, dass der Händler Ihnen kein Eigentum an diesem Objekt verschaffen kann, denn Pässe - das weiß jeder - befinden sich im Eigentum des Herkunftslandes. Und bei archäologischen Objekten ist das im Prinzip genauso.

    Engels: Aber das Prinzip hierzulande läuft doch, wenn ich da richtig informiert bin, so: wenn ich mit einem Objekt, das ich möglicherweise auch illegal erworben habe, zu einem Auktionshaus gehe und das dann einfach nicht darüber informiere, sondern irgendeine alte Familiensammlung geltend mache, wo das angeblich herstammt, dann darf der Händler es versteigern, oder?

    Müller-Karpe: Wie gesagt, nach dem Gesetz nicht, aber wenn das Gesetz nicht durchgesetzt wird, wenn man sich darum nicht schert, dann nutzt auch das beste Gesetz nichts.

    Engels: Michael Müller-Karpe, er ist Archäologe in Mainz, dort beim Zentralmuseum, und er kämpft derzeit um ein kleines Goldgefäß in seinem Tresor. Es geht darum, ob es sich um eine irakische Raubgrabung handelt und ob das Stück zurückgegeben werden soll, oder an ein Auktionshaus in Deutschland. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Müller-Karpe: Ich danke auch.