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"Das Problem Wilders ist noch nicht vom Tisch"

Islamgegner Geert Wilders ist nach Ansicht von Friso Wielenga "in einer sehr komfortablen Position". Einerseits habe er großen Einfluss auf das Minderheitskabinett aus Rechtsliberalen und Christdemokraten. Andererseits trage er keinerlei Verantwortung für die Politik der Regierung.

Friso Wielenga im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Knapp vier Monate nach den Parlamentswahlen in den Niederlanden haben Rechtsliberale und Christdemokraten jetzt Vereinbarungen über ein Minderheitskabinett vorgelegt. Unterstützt, zumindest aber geduldet werden soll die neue Regierung von dem Rechtspopulisten und Islamgegner Geert Wilders. Genau das war während der Verhandlungen heftig umstritten und ist es nach wie vor. Wir bleiben noch einige Minuten beim Thema und wollen die Entwicklungen vertiefen mit Friso Wielenga, er ist Direktor des Instituts für Niederlandestudien an der Universität Münster. Guten Tag!

    Friso Wielenga: Guten Tag!

    Raith: Herr Wielenga, hat Sie die Beteiligung Geert Wilders überrascht, oder war das, wenn man an die guten Wahlergebnisse denkt, eigentlich nur eine Frage der Zeit?

    Wielenga: Nein, es hat mich schon überrascht, denn ich hatte nicht gedacht, dass die Christdemokraten so weit einknicken würden, was sie letztendlich doch gemacht haben, auch wenn der Parteitag am Wochenende noch endgültig entscheiden muss und auch in der Fraktion sicherlich noch harte Debatten bevorstehen. Aber ich hatte gedacht, dass der Abstand zwischen Wilders und den Christdemokraten zu groß wäre, um tatsächlich zu diesem Abkommen zu kommen, und wir müssen jetzt mal sehen, ob es dann auch tatsächlich letztendlich endgültig zustande kommt. Vorauszusehen ist auf jeden Fall, dass es für die Christdemokraten in den nächsten Jahren sehr schwierig sein wird, ihre eigene Identität gut aufrecht zu erhalten.

    Raith: Was, glauben Sie, hat denn die Christdemokraten dazu bewegt, wenn es für sie so schwierig zu werden droht?

    Wielenga: Es gibt vielleicht ein Gen bei den Christdemokraten, und das ist einfach das Gen des Machterhalts. Die Christdemokraten – das wurde schon in der Anmoderation gesagt – sind in den letzten zehn Jahren an der Regierung, aber wenn man ein bisschen weiter zurück guckt: Die Christdemokraten waren seit 1918 – das ist das Jahr, in dem es zum ersten Mal in den Niederlanden allgemeine und geheime Wahlen gab – immer an der Macht, nur zwischen 1994 und 2002 nicht. Das heißt, für die Christdemokraten ist es fast so "we run this Country", wir regieren dieses Land, und diese Selbstverständlichkeit, die ist sozusagen ein wichtiger Bestandteil christdemokratischer Identität. Sie meinten nach der schweren Niederlage im Juni, dass nur durch an der Macht zu bleiben, sie wieder aus dieser Krise herauskommen können und fürchten die Oppositionszeit, dass sie dann noch weiter in die Tiefe herunterfallen werden.

    Raith: Was glauben Sie, welche Zugeständnisse sie gemacht haben, um Wilders mit ins Boot zu holen?

    Wielenga: Das ist noch nicht endgültig zu sagen, denn, wie auch in der Anmoderation deutlich wurde, erst am Donnerstag werden die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert. Aber zu erwarten ist natürlich eine striktere Integrationspolitik, eine härtere Gangart in diesem Bereich, auch eine härtere Kriminalitätsbekämpfung. Wilders wird sich bestimmt nicht haben durchsetzen können mit seinen radikalen Forderungen, denn er hat ja davon gesprochen, dass es eine Kopftuchsteuer geben sollte in den Niederlanden, er möchte auch den Koran verbieten, weil der Koran laut Wilders so was ist wie "Mein Kampf" von Adolf Hitler. Solche Sachen sind natürlich nicht realistisch, oder sind auch nicht zu erwarten. Aber es wird eine härtere Gangart geben. Das politische Klima wird auch rauer, unangenehmer, polarisierter werden.

    Raith: Glauben Sie denn, es macht einen Unterschied, dass Wilders jetzt "nur" als Mehrheitsbeschaffer gilt und nicht direkt mitregiert, oder wird er tatsächlich Einfluss nehmen können?

    Wielenga: Er ist in einer sehr komfortablen Position. Er hat großen Einfluss, denn wenn er sozusagen den Stecker rauszieht, dann ist die Regierung weg. Die Christdemokraten und Rechtsliberalen sind weitgehend erpressbar von ihm, wenn man es so formulieren kann. Also er hat Einfluss, aber er trägt keine Verantwortung, und das ist eine sehr komfortable Position. Er kann überall in der Welt hinreisen und sagen – auch jetzt am Wochenende fährt er nach Berlin, um Stadtkewitz zu unterstützen bei seiner Partei "Die Freiheit" -, er kann überall in die Welt hineinreisen und seine Meinung verkünden, wird nicht in die Regierungsverantwortung hineingezogen. Das haben die Parteien auch untereinander abgesprochen. Er kann sagen was er will und die Regierung wird sich dann davon distanzieren. Aber er wird natürlich immer im Ausland nicht wirklich als Teil der Regierung, aber durchaus als Aspekt sozusagen der niederländischen Politik wahrgenommen werden, und das wird zu Instabilität führen. Wenn er weitergegangen wäre, oder wenn die anderen Parteien da zugestimmt hätten, nämlich wenn er wirklich Koalitionspartner geworden wäre, dann hätte er natürlich noch mehr am Hebel der Macht gesessen, nur das wäre nicht möglich gewesen, denn die Partei ist Wilders, er hat kein anderes Personal. Man muss auch festhalten: Es gibt keine richtige Partei, denn das einzige Mitglied ist Geert Wilders und er kann gar keine Minister liefern, denn dafür ist seine Personaldecke viel und viel zu dünn.

    Raith: Also glauben Sie nicht, dass das nur ein erster Schritt ist, ihn in Zukunft hoffähig zu machen und irgendwann an einer Regierung zu beteiligen?

    Wielenga: Das wird natürlich schwierig vorherzusagen sein. Es gibt Rechtsliberale, aber auch Christdemokraten, die sagen, wenn wir ihn jetzt so heranziehen, dann wird er sich mäßigen, oder seine Bewegung wird zerfallen oder wird genau wie damals bei Pim Fortuyn dann in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Das ist eine These; die andere These ist: Man macht ihn jetzt salonfähig, er ist jetzt auch dann in der Lage, um Leute heranzuziehen, wird stärker werden und das nächste Mal ist er noch stärker und kann sich tatsächlich dann an der Regierung beteiligen. Wenn man jetzt Umfrageergebnisse der letzten Wochen anschaut, dann würde, wenn jetzt gewählt werden würde, er sogar die stärkste Fraktion stellen. Also das Problem Wilders ist noch nicht vom Tisch.

    Raith: Wie erklären Sie sich das, dass Wilders so weit kommen konnte? Er ist ja ein Mann, der dieses Jahr bereits wegen Volksverhetzung vor Gericht stand und trotzdem bei Wahlen derart gut abschneidet.

    Wielenga: Interessant ist übrigens, dass der Prozess gegen Wilders Montag weitergeht. Er war jetzt einige Zeit auf Eis gelegt und jetzt geht es am Montag weiter. Das heißt, am Montag wahrscheinlich ist dann auch klar, nach dem Kongress der Christdemokraten, dass die Regierung zustande kommt, und die erste Schlagzeile wird sein, derjenige, der die Regierung duldet, steht weiter vor Gericht wegen Volksverhetzung und Beleidigung. Das ist zunächst einmal ein Phänomen, das natürlich in ganz Europa jetzt zu sehen ist. Wir haben jetzt vor Kurzem auch die Wahlen in Schweden gehabt, Belgien hat es schon länger, Österreich, Frankreich, obwohl man immer genauer hinschauen muss nach den nationalen Gegebenheiten, die natürlich doch wieder anders sind. Was die Niederlande anbelangt: Wir haben tatsächlich ein Problem mit der Migration und Integration. Da ist tatsächlich viel in den letzten 15, 20 Jahren vernachlässigt gewesen. Das ist sicherlich ein Problem, das übrigens mittlerweile auch von den anderen Parteien anerkannt worden ist. Gleichzeitig ist es so, dass es auch andere Probleme wie die Zukunft des Sozialstaates gibt. Da muss man auch sagen, Wilders ist da eher links, da ist er gegen die Rente mit 67, auch wenn er das jetzt geschluckt hat, da ist er gegen Sparmaßnahmen im sozialen Bereich. Also da sind die Positionen sehr deckungsfähig mit der sozialistischen Partei, einer Art niederländischen Linken im Parlament. Das heißt, er pickt sich viele Sachen heraus, worüber Unbehagen in der Gesellschaft besteht, dabei auch sozusagen profitierend vom Verlust des Vertrauens der etablierten Parteien, von den Neigungen vieler Bürgerinnen und Bürger, sich von Europa abzuwenden, sich in die eigene nationale Identität zurückzuziehen. Das sind alles Faktoren, die insgesamt ein gesellschaftliches Unbehagen deutlich machen, und davon profitiert er.

    Raith: Einschätzungen von Friso Wielenga, er ist Direktor des Instituts für Niederlandestudien an der Universität Münster. Vielen Dank für das Gespräch.

    Wielenga: Gerne geschehen.