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Das Programm der SPD für die Bundestagswahl

Meurer: Sie waren gestern Abend auch bei der Sitzung des SPD-Parteivorstandes. Die SPD will die Koalition mit den Grünen fortsetzten, heißt es jetzt im Entwurf, das wurde noch hineingeschrieben. War Ihnen das wichtig?

    Thierse: Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Wenn eine Regierung zur Wahl antritt, dann will sie ja nicht zu ihrer eigenen Abwahl aufrufen, sondern sie will ihre Arbeit fortsetzen, in der Überzeugung, dass sie gute Arbeit getan hat.

    Meurer: Ist nicht jedem klar, wenn es für Rot-Grün nicht reicht, dann würde im Fall der Fälle die SPD mit einer anderen Partei zumindest Verhandlungen aufnehmen?

    Thierse: Auch das ist eine schlichte Selbstverständlichkeit. Die Wähler entscheiden über die Möglichkeit der Koalitionen, und Koalitionen werden dann abgeschlossen, wenn die Parteien es miteinander können, wenn es hinreichend viele Übereinstimmungen gibt. Das kann man immer wieder ausdrückend, aber es ist nichts besonders Aufregendes.

    Meurer: Wem war es denn wichtig, dass das noch hineingeschrieben wird?

    Thierse: Darüber gab es keine Diskussion. Rot-Grün legt eine Bilanz der Arbeit vor und wünscht sich, die SPD natürlich an erster Stelle, dass die Wähler uns besonders gut wieder wählen.

    Meurer: Ist die Absage an die PDS absolut wasserdicht?

    Thierse: Ja, aber das ist auch nicht ganz neu. Die SPD hat immer gesagt, es wird auf Bundesebene keine Koalition mit der PDS geben. Die PDS hat das übrigens auch gesagt. Die Unterschiede, die Gegensätze zwischen den Parteien sind so groß, dass man da keine Koalition abschließen kann. Ich erinnere nur an das Feld, wo das besonders sichtbar ist, die Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist ja eines der wichtigsten bundespolitischen Aufgabenfelder, und da kann man mit der PDS gar nicht zusammenarbeiten.

    Meurer: Die Sitzung des Parteivorstandes gestern Abend hat drei Stunden gedauert. War das eine harmonische Veranstaltung? Es soll ja einstimmig abgestimmt worden sein.

    Thierse: Nein, es gab viele Diskussionen. Es lag ein Entwurf vor, und an dem wurde sehr hart, sehr fleißig gearbeitet. Es gab viele schriftliche Änderungs-, Ergänzungsvorschläge, und es ist so viel und intensiv diskutiert worden, dass am Schluss eben Einstimmigkeit möglich war.

    Meurer: Die Ergänzungsvorschläge kamen vor allen Dingen von der Parteilinken. Inwieweit hat sie sich denn durchsetzen können?

    Thierse: Links und Rechts sind sowieso nur Hilfsbegriffe. Ich glaube, dass eine Menge Dinge, die vorgeschlagen worden sind, dann auch aufgenommen worden sind. Insgesamt muss man sagen, dies ist ein Entwurf des Regierungsprogramms, das nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der eigenen Partei vorgestellt wird. Wir werden das Programm am 2. Juni verabschieden, und bis dahin sind natürlich noch Änderungen möglich. Auf diesem Parteitag werden sicher auch noch Änderungen beschlossen; wir wollen schließlich die Partei nicht außen vor lassen.

    Meurer: Wie zufrieden sind Sie mit dem Entwurf?

    Thierse: Ich halte das für einen sehr guten Entwurf, der die richtige Mischung darstellt aus Bilanz der eigenen Arbeit, der Beschreibung der Probleme und der Vorschläge, wie wir sie lösen wollen, ohne dass Wunder versprochen werden. An Wunder glaubt sowieso niemand mehr.

    Meurer: Ist das Wahlprogramm, ausgenommen von der Familienpolitik, viel zu unkonkret?

    Thierse: Nein, das kann man nicht sagen. Dass natürlich in einem Wahlprogramm nicht en Detail über Instrumente gesprochen wird, sondern dass man vor allem Ziele angibt, die wesentlichen Strategien und Vorschläge formuliert, ist doch selbstverständlich. Das war noch nie anders. Wenn ich mich an die Geschichte der Bundesrepublik erinnere, an Wahlprogramme der eigenen und auch der anderen Partei, sind sie immer so gewesen.

    Meurer: Braucht man überhaupt ein Wahlprogramm? Wer liest es denn außer einigen Spezialisten und Parteifreunden?

    Thierse: Es ist schon für die eigene Partei wichtig, jedenfalls für die Sozialdemokratie, die sich nie nur als Kanzlerwahlverein verstanden hat, sondern immer eine programmorientierte Partei gewesen ist. Es ist sichtlich, welche inhaltliche Politik die Partei vertritt. Ich will an dieser Stelle sagen, dass es bei mir ziemlich Kopfschütteln hervorgerufen hat, dass der selbstverständliche Satz, dass es im September eben auch um die Entscheidung geht, wer wird Kanzler, Schröder oder Stoiber, dass dieser selbstverständliche Satz dazu führt, dass man sagt, also die SPD kommt gar nicht als Partei vor, sie reduziert alles auf die Kanzlerwahl. Wenn ich mich richtig erinnere, war es die CDU, die einmal den Slogan erfunden hat: Auf den Kanzler kommt es an. Wir diskutieren ausführlich über ein Programm, wir legen es der eigenen Partei vor, wir gehen mit diesem Programm vor die Wähler, also es geht nicht nur um die Frage, wer Kanzler wird, sondern es geht auch um politische Alternativen.

    Meurer: Aber der Kanzler und Parteivorsitzender ist ja eindeutig an einer Personalisierung und weniger am Programm interessiert.

    Thierse: Nein, das stimmt nicht. Er hat sich auch die Mühe gemacht, genau an diesem Programm zu arbeiten, zu diskutieren. Er stellt es auch heute vor. Es geht doch nicht um eine Person als solche, um die Sympathiewerte, sondern es geht schon darum, welche Art von Gesellschaft zum Beginn des 21. Jahrhunderts wir haben wollen, ob eine liberale, weltoffene, oder eher eine nationalistische, eher fremdenfeindliche Gesellschaft. Es geht schon darum, was wir künftig faktisch für die Familie tun, oder ob das nur Lippenbekenntnisse sind. Es geht schon darum, ob wir die Globalisierung gestalten wollen, oder ob wir die Macht und die Kraft der Märkte das Entscheidende sein lassen wollen. Also es geht schon um ziemlich grundlegende politische Alternativen.

    Meurer: Hand aufs Herz, Herr Thierse, glauben Sie noch an einem Wahlsieg im September nach der Wahlniederlage vom Sonntag?

    Thierse: Ja, ich glaube daran, und wir werden dafür kämpfen. Das war eine Wahl in einem besonders schwierigen Bundesland, das außerordentlich große wirtschaftliche Probleme hat. Und wenn Sie die Meinungsumfragen zur Kenntnis nehmen, dieselben Sachsen-Anhaltiner, die am Sonntag die Regierung Höppner abgewählt haben, haben mehrheitlich in diesen Umfragen mitgeteilt, dass sie im September Schröder und die SPD auf Bundesebene wählen wollen. Also gibt es kein Grund zur Verzweiflung, zur Skepsis, sondern wir haben eine wirklich gute Chance, diese Wahlen zu gewinnen. Wir müssen nur kämpfen.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio