Stefan Heinlein: Endspurt in Berlin, die letzte Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause. Danach beginnt endgültig der Bundestagswahlkampf. Alle Parteien bringen sich in Stellung, auch die Union hat seit gestern ein offizielles Wahlprogramm und eine Kanzlerkandidatin. Die über 60 Seiten tragen deutlich die Handschrift von Angela Merkel, ein Blick voraus in die Zukunft, ohne sich im Detail allzu sehr festzulegen. Dennoch gibt es nicht nur wegen der umstrittenen Steuersenkungsversprechungen heftige Kritik von allen Seiten. Selbst der Wunschpartner FDP vermisst klare inhaltliche Konturen. Noch deutlicher naturgemäß die Kritik vom Noch-Koalitionspartner SPD und auch die Grünen wollen von schwarz-grünen Gemeinsamkeiten bislang nichts wissen und dazu jetzt am Telefon der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Fritz Kuhn. Guten Morgen, Herr Kuhn.
Fritz Kuhn: Guten Morgen!
Heinlein: Herr Kuhn, Sie haben der Union wörtlich geraten, ihr Programm in die Tonne zu tun. Welche Tonne haben Sie denn gemeint, Wertstofftonne oder Restmüll?
Kuhn: Ich würde sagen, Papier muss man schon getrennt sammeln und da gehört es rein. Aber im Ernst: Das Programm taugt nicht viel, es ist ein Sammelsurium allgemeiner Sätze und immer da, wo es konkret werden müsste, ist es eben nicht konkret und ist es nicht machbar. Ich will mal ein Beispiel sagen: Da sagt man, man will Steuern senken; man hat aber keine Finanzierung dafür, man nennt keinen Zeitpunkt. Also es ist gerade so, als würde Frau Merkel gerne die guten Stimmen fürs Steuersenken bekommen, aber sie kann es nicht realisieren, und so kann man angesichts der Krise, die wir haben, der hohen Schulden, die aufgenommen worden sind, der notwendigen Investitionen in Bildung, einfach nicht agieren. Was sie da zusammengeschrieben haben, ist nicht umsetzbar, sondern nur im Ansatz populistisch.
Heinlein: Können wir also hier und jetzt festhalten, die Grünen sind zum jetzigen Zeitpunkt gegen jede Steuersenkung, egal für wen?
Kuhn: Sie geht nicht, diese Steuersenkung! Wir haben so viele Schulden durch den Finanzschirm und den Wirtschaftsschirm und die Konjunkturprogramme, dass dies zurückgezahlt werden muss. Man kann im Tarif Dinge verändern, aber das geht nur aufkommensneutral. Zum Beispiel ist es bei uns so: Was wir verändern wollen für einen besseren Tarifverlauf bei der Einkommenssteuer, das müssen wir finanzieren durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes. Also es gibt eine ganz einfache Wahrheit: Sie können das Geld ja nicht bloß drucken, sondern sie müssen es als staatliche Einnahme haben und dann können sie was verändern. Die CDU kann die Rechengesetze nicht außer Kraft setzen. Und man muss ja mal über die Gründe reden: Sie fühlt sich von der FDP und von Seehofer getrieben. Frau Merkel hat keine eigene Führung in diesem ganzen Programmprozess und sie lässt sich nur treiben und guckt, was unten rauskommt.
Heinlein: Das Programm müsse getrennt entsorgt werden, haben Sie eingangs gesagt. Was gibt es denn zu recyceln? Erkennen Sie irgendwelche inhaltlichen Schnittmengen zwischen schwarz und grün?
Kuhn: Das Programm ist, was die Ökologie angeht, natürlich nicht akzeptabel. Sie wollen neue Kohlekraftwerke bauen, sie wollen die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern, und dann reden sie noch von erneuerbaren Energien. Tatsache ist aber, dass dies sich ausschließende energiepolitische Pfade sind. Wenn sie die Atomkraft verlängern und neue Kohlekraftwerke bauen, dann beißt sich das mit einer Strategie, die auf die erneuerbaren Energien setzt. Von daher ist da kein ökologischer Aufbruch zu erkennen. Die Grünen haben halt eine Konzeption, die tatsächlich auf Ökologie setzt und die sagt, man kann auch viele neue Arbeitsplätze schaffen, wenn man endlich jetzt die ökologische Modernisierung vorantreibt. Also ich kann nur sagen, das Programm ist nicht realitätstauglich und damit ist es auch nicht koalitionstauglich für eine Partei, die etwas will.
Heinlein: Gibt sich die Union also nur einen grünen Anstrich?
Kuhn: Nein. Die Frau Merkel will was anderes machen. Die will bei jedem Thema, das irgendwie ein hohes Ansehen hat, in der Bevölkerung ein bisschen punkten. Da ist mal die Steuersenkung, die sie nicht machen kann, dann ist es der grüne Anstrich, so ein bisschen grün ist ja schick, aber grüne Politik geht anders, die muss ja an den Strukturen ansetzen und die kann nicht nur ein modisches Oberflächenphänomen sein.
Heinlein: Kann es sein, Herr Kuhn, dass Ihrer Partei, den Grünen, es schwerer fällt, das christdemokratische Feindbild bei Seite zu legen, als umgekehrt der Union, denn die Lockerungsübungen - denken wir an die Äußerungen von Schäuble und zu Guttenberg - sind ja durchaus offensiv in Ihre Richtung?
Kuhn: Das hat überhaupt nichts mit schwer fallen zu tun, sondern man muss genau hinschauen, ob die Lockerungsübungen Substanz haben oder nicht. Von Schwarz-grün schwätzen und dann ein Programm dieser Art auf den Tisch legen, das funktioniert nicht, weil die Leute können lesen, die Leute sind nicht dumm, die Leute schauen genau hin, wie Politik gehen könnte, und da kann man nicht so eine Bla-bla-Versammlung wie dieses Programm von der CDU auf den Tisch legen und dann meinen, das würde die Grünen irgendwie beeindrucken.
Heinlein: Also Schwarz-grün schließen Sie aus, zumindest für den Bund? Ampel und Jamaika wollen Sie auch nicht? Bleibt nur rot-grün?
Kuhn: Ich muss mal ganz ehrlich sagen, das habe ich nicht gesagt, was Sie da gerade sagen. Ich sage nur, dass dieses Programm, das die Union da vorgelegt hat, kein Programm ist, mit dem man die Zukunft meistern kann, und nicht mehr und nicht weniger. Bei uns kommt es ja auf die Inhalte an. Jetzt hat die Union ein Paket von diffusen Inhalten vorgeschlagen, das man nach meiner Überzeugung nicht umsetzen kann. Übrigens die CDU kann auch in einer Koalition mit der FDP die Steuern nicht senken, wie sie es da aufgeschrieben hat, und deswegen haben wir noch spannende inhaltliche Auseinandersetzungen vor uns. Ich bin kein Freund dieser Farbspiele, was man jetzt alles in den Schubladen an möglichen Koalitionen haben kann, sondern ich sage, wir streiten als Grüne für unsere Inhalte und dann wird man sehen, was man davon umsetzen kann.
Heinlein: Dennoch muss ich noch einmal nachfragen, weil Sie mir gerade beim Stichwort Schwarz-grün widersprochen haben. Herr Kuhn, wenn es am 27. September für Schwarz-grün arithmetisch reicht und andere Koalitionen ausgeschlossen sind, dann kann man die Inhalte durchaus testen in den Koalitionsverhandlungen? Verstehe ich Sie da richtig?
Kuhn: Da ist nichts zu testen, sondern dann werden wir auf der Basis unserer Inhalte sondieren, ob das irgendwie Sinn macht, eine Regierung zu bilden, nicht mehr und nicht weniger. Das haben wir auch auf dem Parteitag beschlossen. Aber das ist kein schwarz-grüner Kurs, sondern wir verfahren in unserem Wahlkampf einen grünen Kurs und wollen verhindern, dass Schwarz-gelb eine Mehrheit bekommt, und auch, dass die Große Koalition weiterregiert, und den Rest werden wir sehen. Aber unsere Inhalte sind für uns nicht irgendwie eine beliebige Veranstaltung, die man jetzt mal ins Wahlprogramm geschrieben hat, dass man ein schönes Programm hat, sondern die sind für unsere Partei konstituierend.
Heinlein: Ist es denn, Herr Kuhn, grundsätzlich für Sie einfacher, sich inhaltlich, gedanklich eine Zusammenarbeit mit der Union vorzustellen, als jegliches Zusammengehen mit den Liberalen, mit der FDP?
Kuhn: Ich habe da keine Lust, diese Koalitionsspielchen zu vertiefen. Wir haben eine klare Wahlaussage getroffen, die heißt, dass wir für Jamaika nicht zur Verfügung stehen und dass alles andere von den Inhalten abhängt, und so werden wir auch verfahren.
Heinlein: Herr Kuhn, dann reden wir nicht über Farbenspiele, sondern über den Antrag Ihrer Fraktion Ende der Woche zur de facto Abschaffung der Überhangmandate. Die SPD - seit gestern ist es klar - wird Sie nicht unterstützen. Sind Sie enttäuscht von den Genossen?
Kuhn: Ich finde es zumindest seltsam, wie sich die SPD da aufführt. Seit Sommer letzten Jahres, also 2008, gibt es ein Verfassungsgerichtsurteil, aus dem klar hervorgeht, dass das jetzige Wahlrecht mit den Überhangmandaten mit dieser Praxis nicht verfassungskonform sei, und ich frage mich, ob die SPD das eigentlich zur Kenntnis genommen hat, oder ob sie nach Karlsruhe nicht mehr guckt. Wir haben das umgesetzt in einem Gesetzentwurf und wir wollen eigentlich nicht wählen auf der Basis eines Wahlrechts, das in Karlsruhe nicht für verfassungskonform geachtet wird. Klar: Die haben bis 2011 Zeit gelassen, aber es ist doch logisch, dass man zur nächsten Wahl die Rechtsunklarheiten, wenn es nicht konform ist, einfach umsetzt. Da hätte die SPD reagieren müssen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die gar nicht den Kanzler stellen wollen, sondern dass die eher gucken, dass sie wieder in die Große Koalition kommen. Jedenfalls haben sie jetzt so agiert.
Heinlein: Zeugt das aber nicht auch vom politischen Anstand, dass die SPD darauf verzichtet, aus parteitaktischen, aus strategischen Gründen den Koalitionsvertrag zu brechen?
Kuhn: Die SPD hätte, wenn man mal zurückgeht, seit Sommer 2008 sich daran machen müssen und in der Koalition dieses Wahlrecht verändern, aber das hat sie nicht interessiert. Sie waren mit was anderem beschäftigt und so was rächt sich immer. Eine gute Opposition wie die Grünen, wir können ja gar nicht anders, als jetzt ein rechtskonformes Wahlrecht vorstellen. Es muss doch unerträglich sein auch für die SPD, jetzt in einen Wahlkampf zu gehen, im Wissen, da könnten viele Überhangmandate für die Union rauskommen, vielleicht sogar wahlentscheidend sein, und dann hat man nichts getan dagegen. So kann man Politik nicht machen. Dass das Zielkonflikte sind, ist uns klar, aber wie gesagt: Wenn Karlsruhe spricht, muss Politik in Berlin aufwachen und rechtzeitig was dagegen unternehmen.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Grünen-Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn. Herr Kuhn, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Kuhn: Ich danke Ihnen auch. Tschüss!
Fritz Kuhn: Guten Morgen!
Heinlein: Herr Kuhn, Sie haben der Union wörtlich geraten, ihr Programm in die Tonne zu tun. Welche Tonne haben Sie denn gemeint, Wertstofftonne oder Restmüll?
Kuhn: Ich würde sagen, Papier muss man schon getrennt sammeln und da gehört es rein. Aber im Ernst: Das Programm taugt nicht viel, es ist ein Sammelsurium allgemeiner Sätze und immer da, wo es konkret werden müsste, ist es eben nicht konkret und ist es nicht machbar. Ich will mal ein Beispiel sagen: Da sagt man, man will Steuern senken; man hat aber keine Finanzierung dafür, man nennt keinen Zeitpunkt. Also es ist gerade so, als würde Frau Merkel gerne die guten Stimmen fürs Steuersenken bekommen, aber sie kann es nicht realisieren, und so kann man angesichts der Krise, die wir haben, der hohen Schulden, die aufgenommen worden sind, der notwendigen Investitionen in Bildung, einfach nicht agieren. Was sie da zusammengeschrieben haben, ist nicht umsetzbar, sondern nur im Ansatz populistisch.
Heinlein: Können wir also hier und jetzt festhalten, die Grünen sind zum jetzigen Zeitpunkt gegen jede Steuersenkung, egal für wen?
Kuhn: Sie geht nicht, diese Steuersenkung! Wir haben so viele Schulden durch den Finanzschirm und den Wirtschaftsschirm und die Konjunkturprogramme, dass dies zurückgezahlt werden muss. Man kann im Tarif Dinge verändern, aber das geht nur aufkommensneutral. Zum Beispiel ist es bei uns so: Was wir verändern wollen für einen besseren Tarifverlauf bei der Einkommenssteuer, das müssen wir finanzieren durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes. Also es gibt eine ganz einfache Wahrheit: Sie können das Geld ja nicht bloß drucken, sondern sie müssen es als staatliche Einnahme haben und dann können sie was verändern. Die CDU kann die Rechengesetze nicht außer Kraft setzen. Und man muss ja mal über die Gründe reden: Sie fühlt sich von der FDP und von Seehofer getrieben. Frau Merkel hat keine eigene Führung in diesem ganzen Programmprozess und sie lässt sich nur treiben und guckt, was unten rauskommt.
Heinlein: Das Programm müsse getrennt entsorgt werden, haben Sie eingangs gesagt. Was gibt es denn zu recyceln? Erkennen Sie irgendwelche inhaltlichen Schnittmengen zwischen schwarz und grün?
Kuhn: Das Programm ist, was die Ökologie angeht, natürlich nicht akzeptabel. Sie wollen neue Kohlekraftwerke bauen, sie wollen die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern, und dann reden sie noch von erneuerbaren Energien. Tatsache ist aber, dass dies sich ausschließende energiepolitische Pfade sind. Wenn sie die Atomkraft verlängern und neue Kohlekraftwerke bauen, dann beißt sich das mit einer Strategie, die auf die erneuerbaren Energien setzt. Von daher ist da kein ökologischer Aufbruch zu erkennen. Die Grünen haben halt eine Konzeption, die tatsächlich auf Ökologie setzt und die sagt, man kann auch viele neue Arbeitsplätze schaffen, wenn man endlich jetzt die ökologische Modernisierung vorantreibt. Also ich kann nur sagen, das Programm ist nicht realitätstauglich und damit ist es auch nicht koalitionstauglich für eine Partei, die etwas will.
Heinlein: Gibt sich die Union also nur einen grünen Anstrich?
Kuhn: Nein. Die Frau Merkel will was anderes machen. Die will bei jedem Thema, das irgendwie ein hohes Ansehen hat, in der Bevölkerung ein bisschen punkten. Da ist mal die Steuersenkung, die sie nicht machen kann, dann ist es der grüne Anstrich, so ein bisschen grün ist ja schick, aber grüne Politik geht anders, die muss ja an den Strukturen ansetzen und die kann nicht nur ein modisches Oberflächenphänomen sein.
Heinlein: Kann es sein, Herr Kuhn, dass Ihrer Partei, den Grünen, es schwerer fällt, das christdemokratische Feindbild bei Seite zu legen, als umgekehrt der Union, denn die Lockerungsübungen - denken wir an die Äußerungen von Schäuble und zu Guttenberg - sind ja durchaus offensiv in Ihre Richtung?
Kuhn: Das hat überhaupt nichts mit schwer fallen zu tun, sondern man muss genau hinschauen, ob die Lockerungsübungen Substanz haben oder nicht. Von Schwarz-grün schwätzen und dann ein Programm dieser Art auf den Tisch legen, das funktioniert nicht, weil die Leute können lesen, die Leute sind nicht dumm, die Leute schauen genau hin, wie Politik gehen könnte, und da kann man nicht so eine Bla-bla-Versammlung wie dieses Programm von der CDU auf den Tisch legen und dann meinen, das würde die Grünen irgendwie beeindrucken.
Heinlein: Also Schwarz-grün schließen Sie aus, zumindest für den Bund? Ampel und Jamaika wollen Sie auch nicht? Bleibt nur rot-grün?
Kuhn: Ich muss mal ganz ehrlich sagen, das habe ich nicht gesagt, was Sie da gerade sagen. Ich sage nur, dass dieses Programm, das die Union da vorgelegt hat, kein Programm ist, mit dem man die Zukunft meistern kann, und nicht mehr und nicht weniger. Bei uns kommt es ja auf die Inhalte an. Jetzt hat die Union ein Paket von diffusen Inhalten vorgeschlagen, das man nach meiner Überzeugung nicht umsetzen kann. Übrigens die CDU kann auch in einer Koalition mit der FDP die Steuern nicht senken, wie sie es da aufgeschrieben hat, und deswegen haben wir noch spannende inhaltliche Auseinandersetzungen vor uns. Ich bin kein Freund dieser Farbspiele, was man jetzt alles in den Schubladen an möglichen Koalitionen haben kann, sondern ich sage, wir streiten als Grüne für unsere Inhalte und dann wird man sehen, was man davon umsetzen kann.
Heinlein: Dennoch muss ich noch einmal nachfragen, weil Sie mir gerade beim Stichwort Schwarz-grün widersprochen haben. Herr Kuhn, wenn es am 27. September für Schwarz-grün arithmetisch reicht und andere Koalitionen ausgeschlossen sind, dann kann man die Inhalte durchaus testen in den Koalitionsverhandlungen? Verstehe ich Sie da richtig?
Kuhn: Da ist nichts zu testen, sondern dann werden wir auf der Basis unserer Inhalte sondieren, ob das irgendwie Sinn macht, eine Regierung zu bilden, nicht mehr und nicht weniger. Das haben wir auch auf dem Parteitag beschlossen. Aber das ist kein schwarz-grüner Kurs, sondern wir verfahren in unserem Wahlkampf einen grünen Kurs und wollen verhindern, dass Schwarz-gelb eine Mehrheit bekommt, und auch, dass die Große Koalition weiterregiert, und den Rest werden wir sehen. Aber unsere Inhalte sind für uns nicht irgendwie eine beliebige Veranstaltung, die man jetzt mal ins Wahlprogramm geschrieben hat, dass man ein schönes Programm hat, sondern die sind für unsere Partei konstituierend.
Heinlein: Ist es denn, Herr Kuhn, grundsätzlich für Sie einfacher, sich inhaltlich, gedanklich eine Zusammenarbeit mit der Union vorzustellen, als jegliches Zusammengehen mit den Liberalen, mit der FDP?
Kuhn: Ich habe da keine Lust, diese Koalitionsspielchen zu vertiefen. Wir haben eine klare Wahlaussage getroffen, die heißt, dass wir für Jamaika nicht zur Verfügung stehen und dass alles andere von den Inhalten abhängt, und so werden wir auch verfahren.
Heinlein: Herr Kuhn, dann reden wir nicht über Farbenspiele, sondern über den Antrag Ihrer Fraktion Ende der Woche zur de facto Abschaffung der Überhangmandate. Die SPD - seit gestern ist es klar - wird Sie nicht unterstützen. Sind Sie enttäuscht von den Genossen?
Kuhn: Ich finde es zumindest seltsam, wie sich die SPD da aufführt. Seit Sommer letzten Jahres, also 2008, gibt es ein Verfassungsgerichtsurteil, aus dem klar hervorgeht, dass das jetzige Wahlrecht mit den Überhangmandaten mit dieser Praxis nicht verfassungskonform sei, und ich frage mich, ob die SPD das eigentlich zur Kenntnis genommen hat, oder ob sie nach Karlsruhe nicht mehr guckt. Wir haben das umgesetzt in einem Gesetzentwurf und wir wollen eigentlich nicht wählen auf der Basis eines Wahlrechts, das in Karlsruhe nicht für verfassungskonform geachtet wird. Klar: Die haben bis 2011 Zeit gelassen, aber es ist doch logisch, dass man zur nächsten Wahl die Rechtsunklarheiten, wenn es nicht konform ist, einfach umsetzt. Da hätte die SPD reagieren müssen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die gar nicht den Kanzler stellen wollen, sondern dass die eher gucken, dass sie wieder in die Große Koalition kommen. Jedenfalls haben sie jetzt so agiert.
Heinlein: Zeugt das aber nicht auch vom politischen Anstand, dass die SPD darauf verzichtet, aus parteitaktischen, aus strategischen Gründen den Koalitionsvertrag zu brechen?
Kuhn: Die SPD hätte, wenn man mal zurückgeht, seit Sommer 2008 sich daran machen müssen und in der Koalition dieses Wahlrecht verändern, aber das hat sie nicht interessiert. Sie waren mit was anderem beschäftigt und so was rächt sich immer. Eine gute Opposition wie die Grünen, wir können ja gar nicht anders, als jetzt ein rechtskonformes Wahlrecht vorstellen. Es muss doch unerträglich sein auch für die SPD, jetzt in einen Wahlkampf zu gehen, im Wissen, da könnten viele Überhangmandate für die Union rauskommen, vielleicht sogar wahlentscheidend sein, und dann hat man nichts getan dagegen. So kann man Politik nicht machen. Dass das Zielkonflikte sind, ist uns klar, aber wie gesagt: Wenn Karlsruhe spricht, muss Politik in Berlin aufwachen und rechtzeitig was dagegen unternehmen.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Grünen-Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn. Herr Kuhn, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Kuhn: Ich danke Ihnen auch. Tschüss!