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"Das Recht hat keinen wirklichen Platz in diesem Land"

Markus Meckel, stellvertretender außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zeigt sich bestürzt über die erneute Ermordung von Bürgerrechtlern in Tschetschenien: Dort sei die Situation wirklich bedrohlich.

Markus Meckel im Gespräch mit Christian Schütte | 12.08.2009
    O-Ton-Einspielung:
    Beckmann: "Ist Putin ein lupenreiner Demokrat?"
    Gerhard Schröder: "Das sind immer so Begriffe. Ich glaube ihm das und ich bin davon überzeugt, dass er das ist. Dass in Russland nicht alles so ist, wie er sich das vorstellt und gar wie ich oder wir uns das vorstellen würden, das, glaube ich, sollte man verstehen. Dieses Land hat 75 Jahre kommunistische Herrschaft hinter sich und ich würde immer gerne die Fundamentalkritiker daran erinnern, mal darüber nachzudenken, ab wann denn bei uns alles so wunderbar gelaufen ist."

    Christian Schütte: Altkanzler Gerhard Schröder in der ARD-Sendung "Beckmann" über Putin, damals noch Präsident in Russland.
    Zu einer lupenreinen Demokratie gehört Meinungsfreiheit, aber die scheint im Nordkaukasus es nicht unbedingt zu geben. Wer sich engagiert, sich für Menschenrechte einsetzt, lebt gefährlich. Eine Bürgerrechtlerin und ihr Mann sind gestern in Tschetschenien tot, mit Schusswunden im Kofferraum eines Autos gefunden worden. Mitte Juli war schon einmal eine Bürgerrechtlerin ermordet worden. Beide Fälle haben Bestürzung und Trauer hervorgerufen, aber auch öffentlich gemacht, wie dort mit kritischen Stimmen umgegangen wird. Es fühlten sich im Nordkaukasus viele Menschenrechtler regelrecht vogelfrei, so die Einschätzung von Amnesty International.
    Am Telefon begrüße ich nun Markus Meckel, den stellvertretenden außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Meckel.

    Markus Meckel: Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.

    Schütte: Können die russischen Behörden Menschenrechtler nicht schützen, oder wollen sie das nicht?

    Meckel: Das ist durchaus eine offene Frage. Einerseits hat man den deutlichen Eindruck, dass Russland auf der einen Seite eine politische Großmacht sein will, mit viel politischer Verantwortung auch im globalen Maßstab, dass aber auf der anderen Seite die Staatlichkeit von innen durch Willkür, Terror, Korruption, Selbstjustiz immer stärker aufgerieben wird und das Recht keinen wirklichen Platz hat in diesem Land, und die Frage ist, was man dagegen tun kann. Im Lande lebt es sich gefährlich für alle, die dieses zum Thema machen. Sie haben das angesprochen. Es ist eine lange Kette von Ermordungen, Entführungen, Verschleppungen. Alles ist nicht bisher aufgeklärt, das ist das große Problem.

    Schütte: Das heißt, wer Kritik übt, riskiert auf jeden Fall sein Leben?

    Meckel: So ist es und so muss man es leider auch für die Zukunft erwarten und hier gilt das natürlich einmal für ganz Russland, aber besonders bedrohlich ist die Situation wirklich im Norden des Kaukasus, wo der dortige Präsident Ramsan Kadyrow sein Unwesen treibt - so muss man es sagen - und viele sprechen schon von Staatsterror, weil seine Behörden und Sicherheitskräfte eine Situation dort schaffen, die jenseits des Rechtes ist und wirklich mit Terror verglichen werden kann und die übergreift nach Inguschetien und auch Dagestan.

    Schütte: Der russische Präsident Medwedew hat sich bestürzt gezeigt. Er hat gesagt, dieser Mord und auch der Mord Mitte Juli werde aufgeklärt. Wie glaubwürdig ist Medwedew?

    Meckel: Ich setze jetzt einmal voraus, dass er persönlich etwas tun will, aber man muss über Erklärungen hinauskommen und die Praxis ist zurzeit in Russland noch eine andere. Wir haben den Prozess gegen Chodorkowskij, bei dem es viele Fragen an die Rechtsstaatlichkeit gibt und auch an die Frage der politischen Instrumentalisierung von Recht; wir haben jetzt gerade ganz aktuell den Fall, dass das Verfahren gegen die Mörder von Frau Politkowskaja wieder eröffnet wird, und die Zeugen, die Familie, die Nebenkläger, alle wollen, dass eine neue Beweisaufnahme genommen wird, weil sie begrüßt haben, dass die, die bisher angeklagt sind, in der Vergangenheit nicht verurteilt worden sind, weil die Beweise nicht da waren. Jetzt ist die Beweisaufnahme, eine neue Beweisaufnahme wieder abgelehnt worden, was nicht für den politischen Willen spricht, hier wirklich die Täter zu finden und zu suchen.

    Schütte: Was glauben Sie, was jetzt geschieht?

    Meckel: Zum einen sind unsere Handlungsmöglichkeiten von außen ausgesprochen begrenzt, denn man kann wirkliche Staatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit nicht von außen durchsetzen, aber man muss alle die unterstützen, die im Lande selber dafür eintreten, man muss Präsident Medwedew auf seine Verantwortung hinweisen - und diese Chance hat Frau Merkel, die ihn ja am Freitag in Sotschi trifft -, hier noch mal in aller Eindringlichkeit deutlich zu machen, dass wir bereit sind zu helfen, wo es irgend möglich ist, aber dass es den politischen Willen in Russland selber braucht und der leider immer wieder auch in Frage gestellt ist durch die Aktionen, die ich angesprochen habe.

    Schütte: Sie sagen, das ist ein Testfall für die russische Justiz, ein Testfall für die Glaubwürdigkeit Medwedews. Wenn dieser Test nicht bestanden wird, was dann?

    Meckel: Wir haben ein Problem, denn Russland ist ein wichtiger internationaler Faktor, ist ein Partner, ohne den europäische Sicherheit kaum wirklich angemessen organisiert werden kann, ist ein wichtiger Partner für die Abrüstung und für viele andere internationale Konfliktfelder. Insofern kann es nur dabei bleiben, dass wir den Dialog mit Russland suchen, dass wir aber gleichzeitig in aller Klarheit diese Dinge benennen, kritisieren und darauf dringen, dass Rechtsstaatlichkeit in Russland hergestellt wird, dass die Täter wirklich gesucht werden und dass man nicht mit Scheinprozessen versucht, gerade diejenigen, die für innerstaatliche Gerechtigkeit, Transparenz eintreten, unter Gefahr leben. Sie müssen geschützt werden und auch übrigens gerade diejenigen, die als Beschwerdeführer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auftreten. Sie sind akut in Russland gefährdet und dem muss man entgegentreten.

    Schütte: Sie sagen, da muss man reden, den Dialog suchen, aber ein konkretes Druckmittel haben wir nicht.

    Meckel: Wir haben keine wirklichen Druckmittel gegenüber Russland. Deshalb ist es wichtig, dass der Westen hier klar steht, dass wir die Dinge benennen, dass wir im Dialog sind, dass wir Angebote machen, aber eben auch, dass wir die Zivilgesellschaft unterstützen, dass wir diejenigen, die hier unter Bedrohung sind, unterstützen, dass wir sie öffentlich ehren, dass wir auch Russland deutlich machen, dass dies der Maßstab für die Beurteilung Russlands auch für die Zukunft sein wird.

    Schütte: Man hat das Gefühl, ein Jahr nach dem Georgien-Krieg, da ist man eigentlich froh über eine gewisse Annäherung der EU und der NATO an Russland. Also es bleibt beim Appellieren?

    Meckel: Es bleibt beim Appellieren, aber natürlich geht es auch darum, in den konkreten Fragen wirklich standhaft zu sein und zum Beispiel eben die Anerkennung von Abchasien und Südossetien auch für die Zukunft deutlich zu kritisieren und deutlich zu machen, dass wir zwar Arrangements vor Ort suchen, um den konkreten Frieden und die Lebbarkeit der Situation zu erhalten, aber auf der anderen Seite deutlich zu machen, dass wir von unseren Prinzipien nicht abweichen dürfen.

    Schütte: Sie haben eben Inguschetien erwähnt, Sie haben vermutet, dass sich das Problem weiter ausweiten könnte. Wie groß ist die Gefahr auch für Moskau?

    Meckel: Die Gefahr ist durchaus groß und es stellt sich an Moskau die Frage, ob man Ramsan Kadyrow einfach so schalten und walten lässt, wie man es zurzeit tut. Für Putin war er ja der Schützling, den man dann als Präsidenten eingesetzt hat, um sozusagen "Tschetschenien" [den Konflikt; Anm. d. Red.] zu tschetschenisieren und zu sagen, wir Russen machen das nicht, klär du die Lage dort. Aber die Herrschaft von Kadyrow ist durch Willkür und Terror gesichert. Angst ist groß und es ist fern jeder Stabilität und Rechtsstaatlichkeit. Dies ist eine Wunde tief in Russland, die gelöst werden muss, und zwar zu allererst durch Russland selbst, aber auch wir selber müssen tun, was wir tun können. Zum Beispiel geht es darum, dass wir uns auch um die Tschetschenen im Exil kümmern, die dort geflüchtet sind, und ihnen hier Asyl geben, und auch hier gibt es viele Probleme, wo wir nicht tun, was wir tun müssten, etwa die Frage der Beweglichkeit der Tschetschenen in Europa, die Frage des Asyls. Hier brauchen wir auch eine stärkere Politik in Deutschland, die diese Unterstützung deutlich macht.

    Schütte: Wir müssen etwas tun, sagen Sie. Das heißt, die Sprüche vom lupenreinen Demokraten sind auch vorbei?

    Meckel: Das war ja von vornherein absurd und ist es natürlich auch in Zukunft.

    Schütte: Markus Meckel, Außenpolitiker und Russland-Experte der SPD. Vielen Dank für das Gespräch.

    Meckel: Bitte schön.