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Das Rentennmodell Riesters in der Kritik

    Lange: Immer dann wenn sich die Koalition in einer Frage einigt oder neu orientiert geht der Blick dann als nächstes zu den Unionsparteien, denn so schwer sich rot/grün bei der Kursbestimmung tut, so schwer tun sich danach CDU und CSU in der Frage, wie sie sich zu der neuen Entwicklung stellen. Das war so bei der Steuerreform; bei der Entfernungspauschale und bei der Rentenreform ist es jetzt nicht viel anders. Da reicht die Skala der Bewertungen vom Totalverriss bis zum greifbaren Konsens. Wie hält es also die Union mit der Rentenreform ohne Ausgleichsfaktor a la Walter Riester? Diese Frage wollen wir jetzt mit Christian Wulff erörtern, seines Zeichens stellvertretender CDU-Vorsitzender und Teilnehmer der Rentenkonsensgespräche. Guten Morgen Herr Wulff!

    Wulff: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: "Das Riester-Modell ist schrottreif", sagt Friedrich Merz, der Oppositionsführer aus Ihrer Partei im Bundestag. Ihr Generalsekretär Laurenz Meyer sieht die Regierungspläne dagegen nahe an den Vorstellungen der Union. Für wie reparaturbedürftig oder reparaturfähig halten Sie denn die Rentenreform?

    Wulff: Es wirkt immer ein bisschen komisch, wenn man gleich an der Stelle sagt, beides passt wie die Faust aufs Auge und beides passt zusammen wie zwei Teile des gleichen Puzzles. Denn wenn man die Frage der Rentenformel und des gesetzlichen Rentensystems sieht, die jetzt im Mittelpunkt der letzten Tage steht, dann ist Riester allerdings vor die Wand gefahren. Dann hat er eine Beerdigung sechster Klasse erlebt, wo quasi die Leiche die Kerze selbst trägt. Er ist mit seinem Ausgleichsfaktor und all diesen Überlegungen schrottreif gescheitert. Auf der anderen Seite ist auf diesem Feld die Bundesregierung auf die alten Unionsvorschläge mehr oder weniger zurückgekommen, nämlich eines sogenannten demographischen Faktors oder eines Altersfaktors. Da ist natürlich der Konsens auf diesem Feld der gesetzlichen Rentenversicherung dann in greifbarere Nähe gerückt. Wir hätten uns diesen Eiertanz der letzten zwei Jahre natürlich sparen können und das Thema hätte nicht in den Wahlkampf geführt werden dürfen und wir hätten des Sozialabbaus nicht gescholten werden dürfen. Aber das mal alles bei Seite gestellt räumt jetzt die Bundesregierung auf dem Feld ein, dass all ihr Gerede dummes Zeug war und dass die alte Bundesregierung der CDU/CSU doch recht hatte. Das erleichtert auf dem Feld den Konsens.

    Lange: Ist das denn trotzdem jetzt die geeignete Grundlage für die Fortsetzung der Konsensgespräche?

    Wulff: Wir sind froh, dass wir in das Gesetzgebungsverfahren übergegangen sind, dass die Rentenreform seit einigen Monaten jetzt im deutschen Bundestag behandelt wird. Dort hat sich ja auch durch die Anhörung im Bundestag, wo sich Herr Riester nach Australien abgesetzt hatte, die ganze Unlogik und der ganze Unsinn der Bundesregierung gezeigt. Wir erwarten jetzt den nächsten Offenbarungseid der Bundesregierung auf dem Feld der privaten Vorsorge, wo es zu einer Vernetzung von Steuer- und Rentenreform kommen muss, wo nämlich geklotzt und gekleckert werden muss. Das heißt die Menschen müssen nachhaltig ermutigt werden, privat vorsorgen zu können. Ich hoffe, dass die Gewerkschaften ausreichend klar gemacht haben, dass die jetzigen Riester-Vorschläge nicht ein einziges erfolgreiches Modell betrieblicher Vermögensbildung vorsehen und dass die Arbeitnehmerschaft auch außer Stande wäre, die Förderung in Anspruch zu nehmen, wie sie angedacht ist. Das heißt die Bundesregierung muss jetzt erst einmal ihre Vorstellungen in Gesetzesform gießen und dann wird darüber im Bundestag debattiert werden. Auf irgendwelche vorschnellen Urteile lassen wir uns schon seit Monaten nicht mehr ein. Dafür hat Herr Riester zu sehr das Image des Nachbesserungsministers.

    Lange: Friedrich Merz hat verlangt, dass bevor die Zusammenarbeit mit der Regierung weitergeht erst mal das Gesetz zurückgezogen wird. Da spricht er dann auch in Ihrem Namen?

    Wulff: Die Bundesregierung hat ja das Ding fertig gebracht, dass sie vor einigen Wochen einen Gesetzentwurf mit einem Begleitantrag in den Bundestag eingebracht hat, dass das nie Gesetz werden würde. Das hat es glaube ich in der deutschen Parlamentsgeschichte so noch nicht gegeben, dass man einen Gesetzentwurf einreicht und gleich erklärt, dass das aber nie Gesetz würde. Das ist jetzt ja faktisch zurückgezogen. Herr Riester ist ja ohne Hemd und Hose nackt dastehend und es wird nur wenige Tage dauern, wo auch der Bundeskanzler sich fragen lassen muss, was denn sein sogenanntes "basta", sein Machtwort inzwischen im Lichte der neuen Entwicklung wert war. Hier wird Rentenpolitik nach dem Motto gemacht Versuch und Irrtum, wir probieren mal und gucken, was daraus wird. Wir als Opposition sind der Meinung, eine Rentenreform muss jetzt Hand und Fuß haben. Sie muss langfristig tragfähig sein. Deshalb muss ein neues Gesetz her. Der Gesetzentwurf muss durchgerechnet werden. Vorher dürfte die Bundesregierung bei der CDU/CSU auch noch Abbitte leisten, dass sie uns gescholten und verunglimpft haben und jetzt genau nach zweieinhalb Jahren mit dem kommen, was wir damals beschlossen haben.

    Lange: Herr Wulff, es ist aber doch nicht unnormal, dass zunächst einmal ein Konzept in den Grundzügen erarbeitet wird und dann, wenn es einen Konsens geben soll, die Feinjustierung vorgenommen wird. Das lief doch unter Norbert Blüm, dem früheren Arbeitsminister, nicht anders.

    Wulff: Richtig. Deswegen geht es nicht um die Feinjustierung, sondern hier ist die gesamte Reform in den wesentlichen Ecksteinen zurückgezogen, weil nicht logisch und sinnvoll. Das ist also etwas völlig anderes. Das hat Norbert Blüm nicht ansatzweise erlebt, dass sich alle Verbände, alle Institutionen, alle Betroffenen und der Verband der Rentenversicherungsträger von einer vorgesehenen Reform distanziert hätten. Es hat manchen ja auch des öfteren geärgert, weswegen einiges aus mancher Leute Sicht nicht schnell genug ging, auch aus meiner Sicht, dass Norbert Blüm immer alle mit im Boot hatte und deswegen viele Fürsprecher für seine Reform hatte, während Riester nicht einen einzigen ernst zu nehmenden Experten auf seiner Seite hat. Ein solches Fiasko ist mir nicht erinnerlich und es zeigt auch, dass hier der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Platz sitzt.

    Lange: Was muss denn aus Ihrer Sicht jetzt noch passieren, damit der Konsens steht?

    Wulff: Die Bundesregierung muss jetzt die neue Rentenformel in Gesetzesform gießen. Das muss dann von Experten überprüft und nachgerechnet werden. Es ist ein Konsens im Bereich des gesetzlichen Rentenversicherungssystems dann denkbar, wenn die Benachteiligung der Frauen so nicht kommt, vor allem im Hinterbliebenenrecht so nicht kommt, wo die Freigrenzen bei der Anrechnung eigener Einkünfte dazu führen würde, dass die Hinterbliebenenversorgung quasi ausläuft. Das kann so nicht gehen. Frauen sind eh schon immer benachteiligt bei der Alterssicherung. Dann muss sich die Bundesregierung bewegen im Bereich der Förderung der privaten Altersvorsorge. Da müssen noch betriebliche Formen der Alterssicherung eingebunden werden. Dort muss es auch mehr Freiheit geben für die Menschen selber zu entscheiden, wo sie die Schwerpunkte setzen wollen. Da kann man nicht Lebensversicherungen ausschließlich fördern, wenn sie 12 bestimmte Kriterien erfüllen. Das ist bürokratisches Monstrum. Das ist nicht zeitgemäß. Die Bürger sind auch viel klüger als manche Politiker wie Herr Riester meinen. Die wissen schon, in welchem Umfang zu welchen Zeiten sie in der Lage sind, fürs Alter vorzusorgen. Das muss man den Menschen nicht im Detail vorschreiben und vorgeben, wie das die Bundesregierung im Moment noch vor hat.

    Lange: Das könnte man ja jetzt auch als draufsatteln interpretieren, weil die Koalition einen Konsens will und weil sie in einem für Sie wichtigen Punkt nachgegeben hat?

    Wulff: Der Eindruck entsteht natürlich, wenn die Bundesregierung ständig die Hürden umräumt, dass dann neue Hindernisse ins Blickfeld rücken. Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben im Mai einstimmig ein austariertes Rentenkonzept einschließlich der privaten Altersvorsorge beschlossen und das haben wir dem Bundeskanzler mitgeteilt. Es gibt einen Brief von Edmund Stoiber und Angela Merkel, der bis heute nicht substanziiert vom Bundeskanzler ist. Die Bundesregierung arbeitet sich an diesem Brief absatzweise ab. Deswegen macht sie sich mehr Probleme als sie sich machen müßte. Sie könnte auch gleich auf unsere Vorschläge eingehen. Dann hätte sie eine verlässliche, vertrauenserweckende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie hätte eine vernünftige Verzahnung von Renten- und Steuerreform im privaten Bereich der Altersvorsorge und sie hätte Generationengerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit zwischen Mann und Frau und eine Familienkomponente, die uns natürlich wichtig ist, weil die mit Kindern erheblich mehr Probleme haben, fürs Alter vorzusorgen, andererseits diese Kinder später dann die Renten erwirtschaften, die die ältere Generation bekommen soll. Aus dem Grunde muss es eine stärkere Frauen- und Familienkomponente geben. Das steht alles in dem Beschluß vom Mai drin, ist alles dem Bundeskanzler übermittelt, aber wenn natürlich Selbstgerechtigkeit, zum Teil Arroganz der Macht mit dem Spruch des "basta" die Politik beherrschen, dann wird man halt ein paar Monate länger brauchen, die man sich dann aber auch nehmen muss, weil wir ja eine vernünftige Reform wollen. Im übrigen erregt mich am heutigen Tage, dass diese Bundesregierung sich immer nur mit dem Verkaufen beschäftigt. So können wir heute zwei großen Nachrichtenmagazinen, den beiden größten, die am Montag erscheinen, doppelseitige Anzeigen entnehmen für Millionen Steuergeld, wie toll doch die Riester-Reform sei, obwohl sich diese Reform ja in den letzten Tagen in wesentlichen Punkten geändert hat. Die Bundesregierung sollte sich erst mal um das Produkt selber, die Reform kümmern, und wenn die dann durchs Parlament ist, dann vielleicht auch mal eine informative Anzeige schalten. Was jetzt aber mit diesen doppelseitigen Anzeigen passiert, die Millionen Steuergeld kosten, damit wird Verwirrung der Menschen betrieben. Und ich fordere auch, dass die SPD selber diese Anzeigen bezahlen sollte und nicht der Steuerzahler, denn sie haben keinen informativen Wert in diesem Rentenchaos, das wir seit Tagen erleben.

    Lange: Aus Ihren Parteien wird jetzt auch der Rücktritt von Walter Riester gefordert, aber wenn die Regierung immer wieder Ihre Forderungen übernimmt, dann kann sie sich doch über den Arbeitsminister eigentlich nicht beklagen?

    Wulff: Natürlich wandeln und wechseln so viele Minister in den letzten zwei Jahren, dass mancher auch bei uns sagt, uns kann es doch egal sein, wer denn dort die Rentenpolitik verantwortet, denn Herr Schröder hat am Ende ja doch die Verantwortung mit seiner "Basta"-Politik. Ich finde jedoch, wenn er ein Stück Selbstachtung hätte, müßte er von sich aus zurücktreten. Ein Rücktritt Riesters würde die Chancen für einen Konsens, weil wir einen vernünftigen Gesprächspartner auf der anderen Seite hätten, erleichtern. Das muss er aber selber wissen, und eine Rücktrittsforderung ist ja vom Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion erhoben. Der ist auch dazu berufen, solche Forderungen auszusprechen.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Christian Wulff, der stellvertretende CDU-Vorsitzende. - Danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio