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"Das Risiko halte ich wirklich für gering"

Der ESA-Astronaut Gerhard Thiele hat sich zuversichtlich gezeigt, dass das Space Shuttle "Discovery" heil zur Erde zurückkehren wird. Er glaube nicht, dass die beschädigte Isolierdecke ein besonderes Risiko darstelle. Gleichwohl gebe es in der Raumfahrt immer ein Rest-Risiko.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: In etwas mehr als drei Stunden soll die Discovery zur Erde zurückkehren. Die NASA sagt, der Heimflug der Raumfähre mit sieben Astronauten an Bord sei wenig riskant, trotz der nach dem Abflug notwendig gewordenen Reparaturen im All und trotz der bitteren Erinnerung an die letzte Rückkehr dieser Art, bei der das Space Shuttle Columbia beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglühte. Viele Menschen werden rund um den Erdball gespannt zusehen, wenn die Discovery landet, und ganz bestimmt wird dies Gerhard Thiele tun, selbst Astronaut und zwar bei der europäischen Raumfahrtagentur ESA, selbst im All gewesen, nämlich vor fünf Jahren an Bord der Endeavor und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen Herr Thiele!

    Gerhard Thiele: Guten Morgen Frau Heuer!

    Heuer: Sind Sie ganz sicher, dass die Discovery heil landen wird?

    Thiele: Ich bin sehr zuversichtlich, aber bei der Raumfahrt kann man sich nie ganz sicher sein. Eine gewisse Angespanntheit und Schmetterlinge im Bauch sind schon da.

    Heuer: Wie groß ist denn das Restrisiko wegen der beschädigten Isolierdecke? Können Sie das für unsere Hörer einmal einordnen?

    Thiele: Ich glaube nicht, dass die beschädigte Isolierdecke ein besonderes Risiko darstellt. Das ist ja auch sehr genau untersucht worden in den Windkanaltests und durch andere Analysen. Also das Risiko halte ich wirklich für gering.

    Heuer: Andere Risiken offenbar nicht?

    Thiele: Man weiß nie genau, was auf einen zukommt und ich denke die Schäden, die wir gesehen haben, die sind beseitigt worden. Raumfahrt ist aber ausgesprochen komplex und deswegen darf man sich da auch nie ganz sicher sein.

    Heuer: Was unterscheidet, Herr Thiele, denn die Discovery von der Columbia-Landung, bei der es ja gründlich schief gegangen ist? Wie können Sie sicher sein, dass es diesmal gut geht?

    Thiele: Ich sagte schon eben, Frau Heuer, dass man sich nie sicher sein kann. Bei der Columbia ist ganz offensichtlich ein Schaden aufgetreten, der unentdeckt geblieben ist. Dieses Mal – der Discovery-Flug ist ja ein Testflug – gab es eine Unzahl von Kameras und anderen Untersuchungsmöglichkeiten, die uns sehr viel mehr Einblick geben. Deswegen ist es durchaus richtig, wenn die NASA sagt, dass die Discovery das beste Raumschiff ist, das wir seit langem im Orbit hatten. Deswegen gibt es keinen besonderen Grund zur Aufregung. Für mich ist es eine Landung wie jede andere auch, wie auch meine eigene, eben mit dem in der Raumfahrt üblichen Restrisiko, aber kein Grund jetzt zur erhöhten Besorgnis.

    Heuer: Besonders riskant, Herr Thiele, ist offenbar der Moment, in dem die Raumfähre in die Erdatmosphäre wieder eintaucht. Wieso ist das so?

    Thiele: Nun das Shuttle fliegt um die Erde mit einer Geschwindigkeit von 28.000 Kilometern pro Stunde und diese Geschwindigkeit muss auf null abgebaut werden, wenn man dann auf der Runway steht, auf der Landebahn also. Das ist eine enorme Energie, die dort vernichtet werden muss, und den größten Teil übernimmt dabei die Atmosphäre beziehungsweise der Eintritt in die Atmosphäre. Das sind enorme Kräfte, die dort am wirken sind, und deswegen ist das eine sehr kritische Flugphase.

    Heuer: Und dann wird es ganz heiß?

    Thiele: Das ist richtig. Dabei entstehen auch sehr hohe Temperaturen an der Außenhaut des Shuttle. An der Unterseite und vorne an den Vorderkanten der Flügel liegen Temperaturen an, die über 1.600 Grad Celsius sind, und das ist natürlich schon eine enorme Belastung für das Material. Wie aber schon erwähnt: es gibt keinen Grund anzunehmen, dass wir dieses Mal das nicht aushalten könnten, dass die Discovery das nicht aushalten kann.

    Heuer: Hatten, Herr Thiele, Sie Kontakt zur Besatzung auf der Discovery?

    Thiele: Nein. Den Kontakt zur Besatzung, den hält immer die Bodenstation und der ist auch auf das Wesentliche limitiert. Da stören dann solche Versuche von außen nur. Aber unsere europäischen Kollegen in Houston, davon hatten durchaus einige Kontakt zur Besatzung.

    Heuer: Und haben die Ihnen erzählt, wie es den Astronauten geht?

    Thiele: Den Astronauten geht es genauso, wie man den Eindruck gewinnen kann, wenn man sie im Fernsehen beobachtet. Sie sind optimistisch und zuversichtlich. Natürlich haben sie Fragen. Die haben sie auch gestellt. Die sind beantwortet worden. Ansonsten ist es jetzt so - wir sind knapp drei Stunden vor der Bremszündung -, dass sie sich voll auf das konzentrieren, was jetzt vor ihnen steht, die letzten Schritte zu machen, damit alles für die Bremszündung und dann eine hoffentlich sichere Heimkehr vorbereitet ist.

    Heuer: Volle Konzentration. – Herr Thiele, Sie waren selber auf der Endeavor. Wären Sie jetzt gerne mit an Bord der Discovery?

    Thiele: Oh ja! Ich wäre jetzt sehr gerne mit an Bord. Das ist ein spannender Moment, wenn es wieder nach Hause geht. Man hat sehr viel gearbeitet in den letzten zehn, zwölf Tagen, hat viel erreicht. Auch die Discovery-Mission an sich ist ja wirklich nahezu perfekt verlaufen. Die Missionsziele sind alle erreicht worden und da freut man sich einfach, die wieder zu sehen, die man liebt und auf der Erde zurückgelassen hat.

    Heuer: Wir haben alle die mechanischen Reparaturen am Raumschiff beobachtet. Das scheint irgendwie nicht zu passen zu der Raumfahrt, die wir doch sehr futuristisch gesehen haben über viele Jahrzehnte. Steckt denn die Raumfahrt doch noch in den Kinderschuhen? Kann man das so sagen?

    Thiele: Ich weiß nicht, wer die Raumfahrt futuristisch gesehen hat. Vielleicht im Fernsehen mit den ganzen Raumfahrtserien, die der Wirklichkeit natürlich sehr viel weit voraus sind. Aber natürlich steckt die Raumfahrt in den Kinderschuhen. Der Mensch fliegt seit 40 Jahren ins All. Stellen Sie sich ein Auto vor, das 40 Jahre nach dem ersten Automobil gefahren ist, und vergleichen Sie das mit dem heutigen. Vergleichen Sie ein Flugzeug aus den 40er Jahren mit einer heutigen Verkehrsmaschine. Wenn man die Entwicklungen sieht, die andere technische Verkehrsmittel unternommen haben, wenn man die Raketen einmal als solches bezeichnen will, dann muss man ganz eindeutig sagen, dass die Raumfahrt in ihren Anfängen steckt.

    Heuer: Es kann also noch ein bisschen dauern, zum Beispiel auch bis der Traum angeblich jedes Astronauten in Erfüllung geht, nämlich auf den Mars zu reisen. Wollen Sie da auch hin?

    Thiele: Dafür bin ich nun leider zu alt oder etwas zu früh geboren worden, aber ich hatte trotzdem die Gelegenheit, in einer spannenden Zeit die Raumfahrt mitzuerleben. Natürlich würde ich zum Mars fliegen und ich denke auch, dass wir, wenn wir uns noch mal 30 Jahre Zeit geben, dieses Ziel erreichen werden.

    Heuer: In 30 Jahren ist es dann so weit. – Gerhard Thiele, ESA-Astronaut, also Astronaut bei der europäischen Raumfahrtagentur. Herr Thiele, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch.

    Thiele: Bitte schön Frau Heuer.