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"Das rührt natürlich an die Grundfesten eines Parteiverständnisses"

Hermann Scheer, Mitglied des SPD-Vorstands, hält Bewertungen des Falls Wolfgang Clement als Richtungsstreit der SPD für "absurd". Dennoch, so Scheer wörtlich: "Aus einem solchen Vorgang ist nie Positives zu gewinnen".

Hermann Scheer im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Hessens SPD soll ihren eigenen Weg gehen und brauche keine Ratschläge, was die Bildung einer Koalition angeht. Das waren klare Worte des SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer mitten in der Auseinandersetzung um Wolfgang Clement und einen möglichen Richtungsstreit innerhalb der SPD und vor der für Mitte September angedeuteten Entscheidung der hessischen SPD: Roland Koch stürzen ja, aber wie. Das ist absehbar die nächste Baustelle der SPD.
    Das energiepolitische Programm einer möglichen Regierung Ypsilanti stammt von Hermann Scheer und steht Clements Energievorstellungen konträr entgegen. Er hatte dagegen gewarnt und gegen die Wahl von Ypsilanti.
    Drei Dinge will ich mit Hermann Scheer jetzt besprechen. Erstens: Was soll mit Wolfgang Clement geschehen? Zweitens: Trifft es zu, dass sich die SPD nicht in einem Richtungsstreit befindet? Und drittens: Was ist zu tun, damit sein Energieprogramm in Hessen Regierungsprogramm wird? - Guten Morgen, Herr Scheer.

    Hermann Scheer: Guten Morgen.

    Durak: Wolfgang Clement will das Kompromissangebot aus der NRW-SPD nur Rüge, aber Verpflichtungen, künftig auf parteischädigende Äußerungen zu verzichten, nicht annehmen. Soll er ausgeschlossen werden?

    Scheer: Ich nehme bewusst zu diesem Verfahren, zum Ausgang und dem Verlauf des Verfahrens keine Stellung.

    Durak: Weshalb?

    Scheer: Weil ich bin zum einen Mitglied des Parteivorstandes. Der Parteivorstand ist jetzt diesem Verfahren beigetreten, um zu einem Modus Vivendi in dieser Frage kommen zu können oder den vielleicht auf diesem Wege mit erreichen zu helfen. Die Parteischiedskommission ist ja vom Parteistatut her in jedem Fall trotzdem unabhängig. - Zum anderen bin ich ja Angriffsobjekt von Wolfgang Clement gewesen, des auslösenden Satzes von ihm, nämlich bei der Hessen-Wahl nicht SPD zu wählen, wegen des Energieprogramms, und da gebietet es mir, die Seriosität zu diesem Verfahren, das sich daraus entwickelt hat, nicht Stellung zu nehmen. Ich kann höchstens zur Bewertung des Verfahrens Stellung nehmen.

    Durak: Ja, gerne!

    Scheer: Die Bewertung des Verfahrens, dass das ein Richtungsstreit sei, die halte ich in der Tat für absurd, denn es ist ja wohl völlig klar - das gehört zum Selbstverständnis jedweder Partei -, dass sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann, wenn ein Mitglied (ob prominent oder nicht prominent) aufruft, bei einer Wahl die eigene Partei, die Partei, der er angehört oder der die Person angehört, nicht zu wählen. Das rührt natürlich an die Grundfesten eines Parteiverständnisses. Es geht hier nicht um die Beeinträchtigung, wenn man sich dagegen wehrt, der Meinungsfreiheit, denn niemand ist gezwungen, in einer Partei Mitglied zu sein.

    Durak: Was ist denn aus dieser ja für die SPD doch etwas unerfreulichen Angelegenheit Positives für Ihre Partei zu gewinnen?

    Scheer: Aus einem solchen Vorgang ist nie Positives zu gewinnen.

    Durak: Kein reinigendes Gewitter, kein nichts?

    Scheer: Es kann vielleicht noch ein Modus vivendi gefunden werden, aber aus einem solchen Vorgang ist nie Positives zu gewinnen. Es ist immer unangenehm - das ist logisch - für eine Partei, wahrscheinlich auch für die Person selber, wenn sie nicht im Grunde genommen nur noch destruktive Absicht haben sollte, wenn es zu einer solchen Auseinandersetzung kommt, dass ein einzelner sagt, ich werbe jetzt praktisch gegen die eigene Partei. So selten ist das andererseits auch wieder nicht. Das hat es schon oft gegeben, in spektakulären Fällen gegeben, die dann im Verlauf etwas anders gewesen sind. Ich denke daran, wie der ehemalige Star der Regierung Brandt, nämlich Karl Schiller, der Wirtschafts- und Finanzminister war, irgendwann zurückgetreten ist - das war Anfang ’72 glaube ich -, dann ausgetreten ist von sich aus und dann im Bundestagswahlkampf ’72 in Zeitungsanzeigen aufgerufen hat, nicht die SPD zu wählen, was aber trotzdem den Wahlsieg der SPD dann nicht hat verhindern können.

    Durak: Herr Scheer, lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen. Sie waren von Frau Ypsilanti für die Ressorts Umwelt und Wirtschaft vorgesehen, beraten sie auf jeden Fall weiter. Die SPD in Hessen brauche keine Ratschläge für die Bildung einer Koalition. Das hatten Sie dieser Tage gesagt. Es gab aber schon Ratschläge aus der Parteiführung selbst.

    Scheer: Ratschläge kann jeder geben, aber ich habe damit etwas gemeint, was sich ja im Februar/März als besonders abträglich erwiesen hat. Es gab damals einen bundesweiten Stimmenchor aus der SPD, die allesamt meinten sagen zu können, wie es in Hessen in einer sehr schwierigen Situation weitergehen könnte. Es ist nun mal so, dass der dortige Ministerpräsident mit seiner Partei (der CDU) die Wahl krachend verloren hat. Es ist ein Unterschied von 20 Prozent fast zwischen CDU und SPD quasi legalisiert worden. Und es gab einen fulminanten Stimmenzuwachs für Andrea Ypsilanti. Es gibt eine Mehrheit gegen CDU und FDP.

    Durak: Nur mit den Linken!

    Scheer: Eine Mehrheit im Landtag - was heißt "nur mit den Linken". Es gibt eine Wählermehrheit.

    Durak: Vertreten durch die Parlamentarier im Landtag und dazu gehören die Linken und das ist ja die einzige Chance für Frau Ypsilanti.

    Scheer: Ja, eben. Das meine ich ja. Es gibt eine gewählte Stellnummer und das ist das prinzipielle Problem auch von einem demokratischen Ansatz her und nicht zuletzt daher. Und dann stand sehr früh fest, nachdem eine Ampelkoalition nicht möglich war aufgrund der strikten Weigerung der FDP, überhaupt darüber zu reden, weil sie fest an Koch gebunden ist, stand dann klar vor Augen: Es gibt - und das ist heute noch die Situation - nur zwei Alternativen, die sich da gegenüberstehen. Entweder dass ein abgewählter Ministerpräsident weiter regieren kann, ohne Mehrheit im Landtag zu haben.

    Durak: Oder?

    Scheer: Oder dass aus dieser gewählten Mehrheit links von CDU und FDP eine Regierung gebildet wird und dem stand entgegen, dass das nicht den Wahlaussagen vorher entsprochen hat, weil man eine solche Konstellation sich nicht denken konnte. Das gibt es oft. Ich denke nur an das Jahr 2005.

    Durak: Nein! Lassen Sie uns bitte im Jahr 2008 bleiben, Herr Scheer. Das wäre wahrscheinlich zukunftsweisender für uns auch. Also: Wie soll sich die hessische SPD im Herbst entscheiden? Für ein Zusammengehen mit der Linken oder nicht?

    Scheer: Es ist klar, dass die jetzige Situation -- Ich spreche nicht für die hessische SPD und die hessische SPD mit ihrer Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti, die wird die Entscheidung treffen.

    Durak: Aber Sie haben eine Meinung.

    Scheer: Ich bin ein Dazugewonnener. Ich bin für die Umsetzung eines neuen Wirtschafts-, Energie- und Umweltprogramms in die Mannschaft von Andrea Ypsilanti auf ihre Bitte hin eingestiegen. Und eines ist für mich auch klar, dass ich nicht jetzt gewissermaßen als Gast, als eng befreundeter Gast der hessischen SPD jetzt nicht Ratschläge gebe, bevor der Landesvorstand oder die Landesvorsitzende sich entschieden haben, auf welchem Wege nun weitergemacht wird. Das ist auch klar.

    Durak: Aber Sie wissen doch, wie sich die SPD-Führung im Bund entscheidet. Sie möchte das nicht.

    Scheer: Ich weiß nur eines. Das ist das, was Sie vor zwei oder drei Fragen angesprochen hatten. Ich weiß nur eines: Die Wiederholung dieser Debatte vom Frühjahr, wo jeder meint, eine Situation so beratschlagen zu können, dass am Schluss Stillstand, weiterer Stillstand herrscht, und Herr Koch als abgewählter Ministerpräsident einfach weiterregiert, das geht nicht.

    Durak: Sie haben es gesagt, ohne es deutlich auszusprechen, Herr Scheer!

    Scheer: Ja. Das geht nicht! Entweder gibt es Neuwahlen, oder es gibt die Wahl einer neuen Regierung links von der CDU und von der FDP. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten! Jeder der sonst Ratschläge gibt anderer Art, aber sich in der Situation gar nicht auskennt, und der jetzt sagt, die hessische SPD soll möglichst gar nichts tun - -

    Durak: Das will glaube ich keiner, Herr Scheer. Es ist ja nur die Frage, inwieweit die Bundes-SPD mit Blick auch auf 2009 Schaden nimmt, sollte sich Frau Ypsilanti mit Hilfe der Linken wählen lassen.

    Scheer: Ja. Das ist aber glaube ich ein Suggestivargument, das einer realen Überprüfung nicht standhält. Ich denke nur an das Jahr 1998. 1998 wurde in Sachsen-Anhalt gewählt. Es bildete sich die Konstellation heraus als einzig irgendwie praktizierbare damals, wenn keine Große Koalition zu Stande kommt. Das erwies sich als unmöglich von beiden Seiten her, von SPD wie von CDU her. Da bildete sich diese Konstellation heraus, dass Reinhard Höppner als Spitzenkandidat - -

    Durak: Eine tolerierte, eine Minderheitsregierung!

    Scheer: Eine Minderheitsregierung, toleriert von der PDS. Das ist nun zehn Jahre her. Da wurde von der Bundespartei intensivst davor gewarnt, dieses zu tun. Das würde die nahende Bundestagswahl, die ein halbes Jahr später war, gefährden, die Wahlchancen der SPD gefährden, und dann ist es trotzdem gemacht worden von Herrn Höppner, weil es keine andere Möglichkeit gab, und es hat einen fulminanten Wahlsieg bei der Bundestagswahl 1998 gegeben. Die Wähler können das differenzieren, wenn es passiert.

    Durak: Ich interpretiere Sie jetzt, Herr Scheer, weil Sie weichen doch schon ein bisschen aus.

    Scheer: Nein, ich weiche nicht aus. Entschuldigung, ich weiche nicht aus. Sie wollen von mir eine bestimmte Frage hören, wo ich sage - -

    Durak: Eher eine Antwort!

    Scheer: Eine bestimmte Antwort hören - Entschuldigung! Ich bin noch nicht richtig wach -, wo ich nur sage es tut mir leid, ich bin Gast, ein befreundeter Gast bei der hessischen SPD und ich werde doch nicht - das macht doch nicht mal Frau Ypsilanti als Landesvorsitzende - jetzt von mir aus dort öffentliche Ratschläge geben, was die dortigen Freunde im Landesvorstand, in der Landtagsfraktion für sich, wie sie nun genau weitergehen, beraten und dann verkünden. Ich kann doch nicht Ratschläge geben, so etwas nicht von außen zu tun, obwohl ich etwas näher dran bin als andere, und es dann selber tun. Das ist doch schlicht und einfach ein Gebot der Kommunikationsseriosität.

    Durak: Hermann Scheer, SPD-Bundestagsmitglied, Mitglied im Parteivorstand. Danke, Herr Scheer, für das Gespräch.

    Scheer: Bitte schön!

    Hörtipp: Die Sendung "Zur Diskussion" beschäftigt sich heute um 19:15 mit dem Thema "Rote Karte für Clement – Quo vadis SPD?"