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Das Satiremagazin "Vernacoliere"
Mit Mangel an Respekt

In Italien hat ein einziges Satiremagazin den Wandel des Medienkonsums überlebt - "Il Vernacoliere", das nur in Livorno verbreitet wird. Die Stadt ist bis heute für ihren leicht anarchischen Eigensinn, ihre Spottlust und ihren deftigen Humor bekannt.

Von Manfred Schuchmann |
    Mario Cardinali - Gründer, Herausgeber, Chefredakteur und Leitartikler des Vernacoliere, des einzigen Satiremagazins in Italien.
    Mario Cardinali - Gründer, Herausgeber, Chefredakteur und Leitartikler des Vernacoliere, das "Monatsblatt für Humor, Satire und Mangel an jeglichem Respekt" (Deutschlandfunk/ Manfred Schuchmann)
    Den Vernacoliere kennt in Livorno jeder, und jeder hat eine Meinung zum Blatt. Man muss nur die Kunden vor einem Zeitungskiosk auf den Vernacoliere ansprechen:
    "Das ist eine Satirezeitung aus Livorno, die die Politik durch die Mangel dreht."
    "Gepfeffert und gesalzen in Livorneser Dialekt."
    "Vielleicht ein bisschen vulgär // ein paar ziemlich saftige Ausdrücke."
    "Aber das ist ja das Schöne am Vernacoliere."
    Der Vernacoliere ist Italiens einziges gedrucktes Satiremagazin und zum Teil im deftigen Dialekt der Stadt geschrieben. Vernacolo heißt Mundart, Dialekt. Seit 1982 hängen seine Plakate jeden Monat neu an den wunderbar altmodischen Zeitungsständern der Kioske - Plakate, über deren Schlagzeilen nicht nur Livorno, sondern halb Italien lacht:
    "Ehrlichkeit wird Straftat. Gesetz zur Legalisierung von Schmiergeld vorgelegt: Den Ehrlichen droht Gefängnis. Begeisterungssturm im Parlament."
    Plakate sind die einzige Werbung
    Mario Cardinali ist Erfinder, Herausgeber, Chefredakteur und Leitartikler des Vernacoliere in einer Person. Die Plakate sind die einzige Werbung, die der Vernacoliere für sich macht, und seit jeher verfasst Mario Cardinali sie persönlich.
    "Zuviel Korruption der politischen Kaste, zu viele Privilegien, zu viel Diebstahl ganz oben. Die Mafia sagt sich vom Staat los: Er ruiniert unseren Ruf."
    Der Staat stiehlt der Mafia die Show. Mit seinen Schlagzeilen schafft es Mario Cardinali immer wieder, den Vernacoliere zum Nachrichtenthema von Funk, Fernsehen und Tagespresse zu machen.
    "Für die Rechte gelten wir als Kommunisten. Trotzdem haben wir viele Leser auf Seiten der Rechten, weil wir alles zur Sprache bringen und von niemandem bezahlt werden. Aber auch die Linksparteien lehnen uns ab, weil diese sogenannte Linke eine unserer Lieblings-Zielscheiben ist."
    Mit Lust politisch unkorrekt
    Der Vernacoliere ist mit Lust und Vorsatz politisch unkorrekt, kein Minderheitenschutz, aber niemals boshafte Häme. Besonders gerne attackiert: der Papst, die katholische Kirche und Italiens Politiker. Regelmäßig auch die Bewohner der Nachbarstadt Pisa - die sind für den Vernacoliere in etwa das, wofür im westdeutschen Humor eine Zeitlang die Ostfriesen herhalten mussten.
    Texte und Bilder des Vernacoliere sind explizit in allen leiblichen Dingen:
    "Pädophile Priester: Papst fordert elektronische Fessel für den uccello."
    Den Vogel, der im livorneser Slang einer der ungezählten Ausdrücke für - natürlich den Penis ist. Statistisch sind der uccello und sein weibliches Gegenstück topa die am häufigsten vorkommenden Vokabeln des Vernacoliere. Immer drastisch, immer volksnah.
    "Zum Vernacoliere kommt nur, wer völlig frei in seinem Denken ist. Livorno hat eine sehr freiheitliche, ja: anarchische Tradition und bewahrt sich einen Geist, dem nichts heilig ist. Genau das gilt für den Vernacoliere: immer die Kehrseite der Medaille zu betrachten."
    Ohne Honorar und unter Pseudonym
    Die meisten Autoren schreiben seit vielen Jahren für den Vernacoliere, und die meisten tun es ohne Honorar. Viele schreiben allerdings unter Pseudonym, weil sie als Professoren oder Lehrer im Staatsdienst stehen. Sicher ist sicher.
    Die Freiheit der Satire, sagt Mario Cardinali, habe eine Bedingung: absolute finanzielle Unabhängigkeit. Der Vernacoliere lebt allein vom Verkauf der Hefte - 2, 70 Euro kosten sie am Kiosk, bei 30.000 Auflage. Und niemals gibt es im Vernacoliere Werbung:
    "Niemals Werbung, das habe ich so entschieden, um frei zu sein. Werbung macht erpressbar, durch Werbung wirst du von der Macht finanziert."