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"Das schafft wirklich Verbitterung"

Der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Frank Baranowski, hat sich dafür ausgesprochen, älteren Erwerbslosen auf Dauer länger Arbeitslosengeld zu zahlen. Der SPD-Politiker bezeichnete diese Forderung des Hartz-IV-Ombudsrats als konsequent.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Es ist Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen nach sechs Monaten Hartz IV. Der Ombudsrat wird das tun. Er hat sich mit den Beschwerden befasst und will Vorschläge für Veränderungen machen.

    Wir wollen einen Blick auf die praktische Umsetzung werfen. Am Telefon ist Frank Baranowski. Er ist Oberbürgermeister in Gelsenkirchen. Die Stadt im Ruhrpott ist weit überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Guten Morgen Herr Baranowski!

    Frank Baranowski: Guten Morgen!

    Remme: Wenn Sie mal zurückblicken auf die letzten sechs Monate: Ist Hartz IV ein Erfolg?

    Baranowski: Ich glaube es ist noch zu früh zu sagen, ob es ein Erfolg ist. Jedenfalls Hartz IV - das war immer klar - schafft ja keine Arbeitsplätze. Was wir wissen jetzt ist, mit wem wir es eigentlich zu tun haben im Bereich der Arbeitslosigkeit und das ist zumindest ein klitzekleiner Erfolg.

    Remme: Was heißt das?

    Baranowski: Das heißt, dass wir natürlich vorher Arbeitslose hatten, die gar nicht bekannt waren, wo wir gar nicht die persönlichen Biographien kannten. Wir können jetzt konkrete Hilfeangebote machen: sei es Schuldnerberatung, sei es, dass wir einen Betreuungsplatz für ein Kind organisieren müssen. Das ist schon ein Schritt nach vorne.

    Remme: Herr Baranowski, ein erheblicher Teil der Arbeitslosen - das wird auch in Gelsenkirchen so sein - ist jung. Viele sind ohne Ausbildung und Schulabschluss. Was hat sich für diese Gruppe durch Hartz IV verändert?

    Baranowski: Bei dieser Gruppe sind wir relativ gut aufgestellt. Da passt auch der Schlüssel von Mitarbeitern beim Integrationscenter für Arbeit auf die Anzahl der Arbeitslosen. Insbesondere bei denjenigen unter 25 können wir für jeden ein ganz konkretes Hilfeangebot machen. Das heißt nicht, dass wir sie in einen Job vermitteln, aber wir können sie in Qualifizierungsmaßnahmen und ähnliches vermitteln.

    Remme: Aber ist das nicht nur praktisch eine Parkmöglichkeit? Geben Sie nicht dann zu, dass sie dafür keine Arbeitsplätze haben?

    Baranowski: Ja, das sagte ich anfangs. Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze. Das ist die zweite Aufgabe, dass auch jetzt Arbeitsplätze folgen müssten. Nur dafür brauchen wir auch ein Stückchen weit einen wirtschaftlichen Aufschwung.

    Remme: Gut. Dann schauen wir mal auf das andere Ende des Erwerbslebens. Ist es gelungen, wie beabsichtigt Langzeitarbeitslose ins Arbeitsleben zurückzuführen?

    Baranowski: Auch da fehlen ja die Arbeitsplätze, besonders hier im nördlichen Ruhrgebiet. Was die Langzeitarbeitslosen angeht, das ist in der Tat eine große Problemgruppe, weil hier ist die Zahl größer als die Bundesregierung ursprünglich geglaubt hatte. Hier stimmt auch der Schlüssel der Betreuer, der Mitarbeiter nicht. Hier sind wir noch arg in der Notwendigkeit, entsprechende gezielte Angebote zu machen. Da kommen die Mitarbeiter nur nicht zu, weil wir eigentlich zu wenig haben.

    Remme: Die Zahl ist größer und der Schlüssel passt nicht. Können Sie uns das mal an Zahlen verdeutlichen?

    Baranowski: Na ja, es war ursprünglich geplant, dass pro 150 Arbeitslosen ein Manager, ein Kace-Manager - so nennen die sich - zur Verfügung steht. Wir sind aber bei Zahlen von 300 bis 400.

    Remme: Und die Zahl der Arbeitslosen ist höher als erwartet?

    Baranowski: Sie ist höher als man ursprünglich geglaubt hatte, als man den Personalschlüssel festgesetzt hat, weil man von Zahlen von 2002, 2003 ausgegangen ist. Die Zahl ist aber in 2005 noch höher und das muss man eigentlich dann auch berücksichtigen.

    Remme: Wie hoch ist sie?

    Baranowski: In Gelsenkirchen sind es 25 Prozent.

    Remme: Vor allem die Kompetenzstreitigkeiten in den neu gegründeten Jobcentern haben für Negativschlagzeilen gesorgt. Wie läuft dies in Gelsenkirchen?

    Baranowski: Das läuft eigentlich relativ gut, nachdem wir aber auch mittlerweile zwei bis drei Brandbriefe in Richtung Nürnberg geschrieben haben beziehungsweise auch an den Bundeswirtschaftsminister. Es gibt schon immer noch die Notwendigkeit, auch deutlich zu machen, dass hier Nürnberg nicht vor Ort reinregieren soll. Das ist teilweise so. Das behindert schon und da hilft die neue Regelung jetzt auch, dass da, wo Kommunen wollen, sie sozusagen die Führung in der gemeinsamen Arbeitsgemeinschaft übernehmen können.

    Remme: Brandbriefe, das heißt Sie haben sich beschwert oder wie ist das gelaufen?

    Baranowski: Ich habe zum Beispiel dem Bundeswirtschaftsminister gesagt, dass wir deutlich mehr Personal brauchen. Da haben wir jetzt die Möglichkeit, 80 weitere Personen einzustellen. Ich habe auch Anfang des Jahres schon deutlich gemacht, welche organisatorischen Veränderungen wir erwarten. Das hat dann immer danach funktioniert, aber eigentlich müsste es unnötig sein, dass man solche Briefe schreiben muss.

    Remme: Der Ombudsrat will heute Vorschläge für Veränderungen machen. Was muss aus Ihrer Sicht noch dringend verändert werden?

    Baranowski: Was ich absolut für richtig halte ist, dass wir mit den 55-Jährigen, die lange eingezahlt haben, anders umgehen als das jetzt der Fall ist, weil das schafft wirklich Verbitterung und das ist unnötig. Da halte ich die Forderung des Ombudsrates für sehr konsequent.

    Remme: Andere Einzelheiten, die verändert werden müssten?

    Baranowski: Na ja, das haben wir gerade schon besprochen: die Organisationsstruktur bei der Agentur für Arbeit. Ich glaube es macht langfristig Sinn, ohne dass die Kommunen wieder für die Langzeitarbeitslosen zuständig wären - das wäre falsch -, dass wir hier eine eigene Körperschaft des öffentlichen Rechtes organisatorisch aufstellen, die dann auch sich entsprechend selber verwalten kann. Das wäre schlagkräftiger und auch flexibler.

    Remme: Der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen war das, Frank Baranowski. Vielen Dank für das Gespräch!

    Baranowski: Danke Ihnen!