Gerd Breker: Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Die Abgeordneten sprechen für uns. Nur wenn der Bürger die Wahl hat, hat er das Wort und kann seine Meinung kundtun. Die Parteien und deren Kandidaten erhalten diese Botschaft und müssen dann damit umgehen. Da fällt es dann schon auf, dass die Reaktionen auf die Wahlergebnisse sich immer mehr angleichen, gleich wie sie ausfallen. Weil die Menschen offenbar die Sieger lieben, haben am Ende alle gewonnen, sind die Verlierer immer die anderen. So wurde in Berlin rot/rot abgestraft, obwohl sie, wenn auch knapp, weiterregieren können. Die Union ist auf einem guten Weg, obwohl sie das schlechteste Wahlergebnis nach dem Kriege eingefahren hat.
Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem CDU-Politiker Heiner Geißler, ehemaliger Generalsekretär der Union. Guten Tag Herr Geißler!
Heiner Geißler: Guten Tag Herr Breker!
Breker: Der Abstand zwischen den Volksparteien und den Bürgern wird größer, sagen die Wahlforscher. Was dokumentiert diese Aussage besser als die Reaktionen der Parteien auf die Botschaft der Wähler vom Wochenende. Da sagt einer, wir sind auf einem guten Weg, und er hat doch das schlechteste Ergebnis seiner Partei nach dem Kriege eingefahren. Da fragt man sich, wohin soll denn dieser gute Weg führen?
Geißler: Äußerungen nach einer Wahl, in der Wahlnacht sollte man nicht auf die Goldwaage legen, aber das Wahlergebnis ist natürlich ein Desaster, wie im Übrigen auch schon das Bundestagswahlergebnis. Gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten, nicht der abgegebenen Stimmen, hat die CDU schon bei der Bundestagswahl nur noch 27 Prozent aller Wahlberechtigten erreicht. Dasselbe gilt jetzt auch für die SPD bei diesen Landtagswahlen. Das heißt hier bricht etwas weg. Das ist das Entscheidende. Es fehlt ganz klar ein Vertrauen in die Demokratie, eine Grundgewissheit, dass es in der Demokratie mit rechten Dingen zugeht, dass sie Gesetze achtet, dass die Schwachen geschützt werden, die Starken kontrolliert werden. Diese Grundgewissheit fehlt. Es hat ja auch bei den Umfragen eine klare Aussage gegeben, dass selbst bei den CDU-Wählerinnen und -Wählern die Gerechtigkeit in unserem Land am meisten vermisst wird. Das sagen immerhin 65 Prozent der CDU-Leute.
Breker: Bleiben wir bei den Details, Herr Geißler. Sie sagen bei Ergebnissen um die 27 Prozent, die überhaupt noch erreicht werden. Wir haben jetzt konkret am Wochenende die großen Volksparteien gehabt mit Ergebnissen um 30 Prozent, wenn es denn hoch war. Kann man da überhaupt noch von Volksparteien reden?
Geißler: Nein, das kann man immer weniger. Von der Realität her, vom Anspruch her schon. Den darf man auch nicht aufgeben. Die CDU war ja auch in Berlin schon mal über 40 Prozent und vor 15 Jahren haben wir um 50 Prozent gekämpft auf der Bundesebene. Man muss die Gründe herausfinden, warum die CDU jetzt im 30 Prozent-Turm steckt. Seit der Bundestagswahl von 1998 sind wir ja schon im 30er-Bereich gelandet. Das hat einen ganz klaren eindeutigen Grund: Die CDU geht immer mehr in die Richtung einer aufgeblasenen FDP. Sie vertritt einen Wirtschaftsliberalismus, der auf der anderen Seite eben Millionen von Menschen bedrohlich erscheint. Sie haben Angst, dass dadurch ihre Existenz vernichtet wird.
Diese Ängste, die sind reell. Das sind Ängste, die Politik machen. Ich bin am Wochenende in der Schweiz gewesen und da hat der langjährige Bundesratspräsident Villiger, ein Freisinniger, also ein freier Demokrat, einen Vortrag gehalten und der sagte etwas völlig Richtiges, dass man Reformen machen müsse, aber man dürfe Reformen nie gegen das Volk machen. Das ist genau passiert. Auch die Agenda 2010 ist gegen das Volk gemacht worden und man hat die Leute dann sogar noch verspottet und gesagt, Langzeitarbeitslosen müsse man endlich Beine machen, die müssten gefordert werden, damit sie endlich einen Job ergreifen, den es aber gar nicht gibt. Diese ganze Psychologie, die von den beiden großen Volksparteien ausgegangen ist in den letzten Jahren, ist einfach eine Katastrophe und hat das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger weitgehend in diese Parteien, aber natürlich dann auch in die Demokratie zerstört.
Breker: Herr Geißler, nun hatte der Wähler am Wochenende das Wort. Er hat gesprochen. Seine Botschaft ist in Berlin angekommen. Können Sie denn erkennen, dass die agierenden Politiker, etwa die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, erkennen und verstehen, was der Wähler ihnen gesagt hat?
Geißler: Ich habe die Hoffnung, dass Angela Merkel die Konsequenzen vor allem eben aus der Bundestagswahl gezogen hat. Eine Landtagswahl wie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kann man ja nicht isoliert sehen. Das ist auch ein Menetekel, aber wäre für sich genommen alleine ja nicht so entscheidend. Es gibt auch noch andere Landtagswahlen, die besser ausgehen. Baden-Württemberg haben wir gerade erst hinter uns, wo die Situation ein bisschen anders aussieht. Es kommt auf die Inhalte der Politik an!
Breker: Und da sagt Frau Merkel, Herr Geißler, als Konsequenz aus diesen Wahlen, wir müssen unsere Reformpolitik konsequent fortsetzen. Da fühlt sich doch der Wähler eher bedroht?
Geißler: Ich habe das so verstanden und insoweit hat sie Recht: die zwei, drei Reformen, die in der Großen Koalition angekündigt worden sind, die müssen auch nun tatsächlich realisiert werden, die Gesundheitsreform, die zweite Föderalismusreform und die Steuerreform. Das müssen die beiden großen Parteien machen. Dann haben sie ihre Aufgabe auch für diese Legislaturperiode erfüllt. Insoweit hat sie völlig Recht.
Mir geht es um etwas anderes. Mir geht es darum - und das gilt vor allem für die CDU -, dass die CDU ein langfristiges Konzept entwickelt, das den Leuten die Angst nimmt. Die Leute haben Angst vor der Globalisierung. Es geht ja nicht darum, die Globalisierung zurückzudrehen. Das kann man nicht. Das wäre ja auch Unsinn. Aber man muss ein Konzept entwickeln, durch das man deutlich macht, dass man diese Globalisierung human gestalten will, dass man nicht einfach zuguckt, wie diese wirtschaftliche Entwicklung über Leichen geht, und dass man dazu Stellung nimmt, dass man sagt so kann es nicht weitergehen auch mit dem Lohndumping, begründet aus Osteuropa oder sogar aus China oder aus Indien. Es muss ein Konzept entwickelt werden, das den Leuten die Angst nimmt vor der Vernichtung ihrer Existenz.
Breker: Können Sie erkennen, dass an diesem Konzept gearbeitet wird? Stichwort: muss man sich dafür auch Lebenslügen eingestehen?
Geißler: Dazu muss man sich auch Lebenslügen eingestehen. Da hat Jürgen Rüttgers völlig Recht. Es gibt Leute, die daran arbeiten. Ich glaube auch, dass in der CDU viele das inzwischen erkannt haben. Sonst hätte der Jürgen Rüttgers beim Landesparteitag am Wochenende auch nicht so viel Beifall bekommen. Wir brauchen eine internationale sozial-ökologische Marktwirtschaft, nicht den Markt abschaffen, aber wieder Ordnung in diese ganze Entwicklung hineinbringen. Das kann man nicht allein machen, aber Deutschland muss mit den G7-Staaten, auch mit den Vereinigten Staaten die globale Wirtschaft in Ordnung bringen.
Breker: Heiner Geißler war das. Er ist der ehemalige Generalsekretär der Union und galt immer als Querdenker und er ist ein guter Denker. Herr Geißler, danke für dieses Gespräch!
Geißler: Bitte schön!
Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem CDU-Politiker Heiner Geißler, ehemaliger Generalsekretär der Union. Guten Tag Herr Geißler!
Heiner Geißler: Guten Tag Herr Breker!
Breker: Der Abstand zwischen den Volksparteien und den Bürgern wird größer, sagen die Wahlforscher. Was dokumentiert diese Aussage besser als die Reaktionen der Parteien auf die Botschaft der Wähler vom Wochenende. Da sagt einer, wir sind auf einem guten Weg, und er hat doch das schlechteste Ergebnis seiner Partei nach dem Kriege eingefahren. Da fragt man sich, wohin soll denn dieser gute Weg führen?
Geißler: Äußerungen nach einer Wahl, in der Wahlnacht sollte man nicht auf die Goldwaage legen, aber das Wahlergebnis ist natürlich ein Desaster, wie im Übrigen auch schon das Bundestagswahlergebnis. Gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten, nicht der abgegebenen Stimmen, hat die CDU schon bei der Bundestagswahl nur noch 27 Prozent aller Wahlberechtigten erreicht. Dasselbe gilt jetzt auch für die SPD bei diesen Landtagswahlen. Das heißt hier bricht etwas weg. Das ist das Entscheidende. Es fehlt ganz klar ein Vertrauen in die Demokratie, eine Grundgewissheit, dass es in der Demokratie mit rechten Dingen zugeht, dass sie Gesetze achtet, dass die Schwachen geschützt werden, die Starken kontrolliert werden. Diese Grundgewissheit fehlt. Es hat ja auch bei den Umfragen eine klare Aussage gegeben, dass selbst bei den CDU-Wählerinnen und -Wählern die Gerechtigkeit in unserem Land am meisten vermisst wird. Das sagen immerhin 65 Prozent der CDU-Leute.
Breker: Bleiben wir bei den Details, Herr Geißler. Sie sagen bei Ergebnissen um die 27 Prozent, die überhaupt noch erreicht werden. Wir haben jetzt konkret am Wochenende die großen Volksparteien gehabt mit Ergebnissen um 30 Prozent, wenn es denn hoch war. Kann man da überhaupt noch von Volksparteien reden?
Geißler: Nein, das kann man immer weniger. Von der Realität her, vom Anspruch her schon. Den darf man auch nicht aufgeben. Die CDU war ja auch in Berlin schon mal über 40 Prozent und vor 15 Jahren haben wir um 50 Prozent gekämpft auf der Bundesebene. Man muss die Gründe herausfinden, warum die CDU jetzt im 30 Prozent-Turm steckt. Seit der Bundestagswahl von 1998 sind wir ja schon im 30er-Bereich gelandet. Das hat einen ganz klaren eindeutigen Grund: Die CDU geht immer mehr in die Richtung einer aufgeblasenen FDP. Sie vertritt einen Wirtschaftsliberalismus, der auf der anderen Seite eben Millionen von Menschen bedrohlich erscheint. Sie haben Angst, dass dadurch ihre Existenz vernichtet wird.
Diese Ängste, die sind reell. Das sind Ängste, die Politik machen. Ich bin am Wochenende in der Schweiz gewesen und da hat der langjährige Bundesratspräsident Villiger, ein Freisinniger, also ein freier Demokrat, einen Vortrag gehalten und der sagte etwas völlig Richtiges, dass man Reformen machen müsse, aber man dürfe Reformen nie gegen das Volk machen. Das ist genau passiert. Auch die Agenda 2010 ist gegen das Volk gemacht worden und man hat die Leute dann sogar noch verspottet und gesagt, Langzeitarbeitslosen müsse man endlich Beine machen, die müssten gefordert werden, damit sie endlich einen Job ergreifen, den es aber gar nicht gibt. Diese ganze Psychologie, die von den beiden großen Volksparteien ausgegangen ist in den letzten Jahren, ist einfach eine Katastrophe und hat das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger weitgehend in diese Parteien, aber natürlich dann auch in die Demokratie zerstört.
Breker: Herr Geißler, nun hatte der Wähler am Wochenende das Wort. Er hat gesprochen. Seine Botschaft ist in Berlin angekommen. Können Sie denn erkennen, dass die agierenden Politiker, etwa die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, erkennen und verstehen, was der Wähler ihnen gesagt hat?
Geißler: Ich habe die Hoffnung, dass Angela Merkel die Konsequenzen vor allem eben aus der Bundestagswahl gezogen hat. Eine Landtagswahl wie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kann man ja nicht isoliert sehen. Das ist auch ein Menetekel, aber wäre für sich genommen alleine ja nicht so entscheidend. Es gibt auch noch andere Landtagswahlen, die besser ausgehen. Baden-Württemberg haben wir gerade erst hinter uns, wo die Situation ein bisschen anders aussieht. Es kommt auf die Inhalte der Politik an!
Breker: Und da sagt Frau Merkel, Herr Geißler, als Konsequenz aus diesen Wahlen, wir müssen unsere Reformpolitik konsequent fortsetzen. Da fühlt sich doch der Wähler eher bedroht?
Geißler: Ich habe das so verstanden und insoweit hat sie Recht: die zwei, drei Reformen, die in der Großen Koalition angekündigt worden sind, die müssen auch nun tatsächlich realisiert werden, die Gesundheitsreform, die zweite Föderalismusreform und die Steuerreform. Das müssen die beiden großen Parteien machen. Dann haben sie ihre Aufgabe auch für diese Legislaturperiode erfüllt. Insoweit hat sie völlig Recht.
Mir geht es um etwas anderes. Mir geht es darum - und das gilt vor allem für die CDU -, dass die CDU ein langfristiges Konzept entwickelt, das den Leuten die Angst nimmt. Die Leute haben Angst vor der Globalisierung. Es geht ja nicht darum, die Globalisierung zurückzudrehen. Das kann man nicht. Das wäre ja auch Unsinn. Aber man muss ein Konzept entwickeln, durch das man deutlich macht, dass man diese Globalisierung human gestalten will, dass man nicht einfach zuguckt, wie diese wirtschaftliche Entwicklung über Leichen geht, und dass man dazu Stellung nimmt, dass man sagt so kann es nicht weitergehen auch mit dem Lohndumping, begründet aus Osteuropa oder sogar aus China oder aus Indien. Es muss ein Konzept entwickelt werden, das den Leuten die Angst nimmt vor der Vernichtung ihrer Existenz.
Breker: Können Sie erkennen, dass an diesem Konzept gearbeitet wird? Stichwort: muss man sich dafür auch Lebenslügen eingestehen?
Geißler: Dazu muss man sich auch Lebenslügen eingestehen. Da hat Jürgen Rüttgers völlig Recht. Es gibt Leute, die daran arbeiten. Ich glaube auch, dass in der CDU viele das inzwischen erkannt haben. Sonst hätte der Jürgen Rüttgers beim Landesparteitag am Wochenende auch nicht so viel Beifall bekommen. Wir brauchen eine internationale sozial-ökologische Marktwirtschaft, nicht den Markt abschaffen, aber wieder Ordnung in diese ganze Entwicklung hineinbringen. Das kann man nicht allein machen, aber Deutschland muss mit den G7-Staaten, auch mit den Vereinigten Staaten die globale Wirtschaft in Ordnung bringen.
Breker: Heiner Geißler war das. Er ist der ehemalige Generalsekretär der Union und galt immer als Querdenker und er ist ein guter Denker. Herr Geißler, danke für dieses Gespräch!
Geißler: Bitte schön!