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"Das sind ja nicht die Gesetzestafeln des Moses"

Nach dem Sieg der sparkursfreundlichen Parteien in Griechenland wird über Erleichterungen für Athen nachgedacht. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hält mehr Zeit für Kreditrückzahlungen für möglich, Anpassungen bei den Zinsen - und schlägt Mikrokredite für den Mittelstand vor.

18.06.2012
    Bettina Klein: In Berlin begrüße ich den SPD-Politiker Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments. Guten Morgen!

    Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Herr Schulz, wie viel weiter sind wir nach dem gestrigen Wahltag in Griechenland?

    Schulz: Ich glaube, wir sind einen großen Schritt weiter. Die Grundvoraussetzung für eine konstruktive Kooperation, nämlich sich zu bekennen zu den Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds, die ja erst vor wenigen Wochen geschlossen worden sind, die grundsätzliche Bereitschaft, sich dazu zu bekennen, das war ja das, was notwendig war, und was auch viele so nervös gemacht hat, dass Herr Cipras dieses Verfahren, diese Vereinbarung außer Kraft setzen wollte, das ist vom Tisch mit der neuen Regierung, die – ich unterstelle das mal – aus der Nea Dimokratia und Pasok gebildet werden wird.

    Klein: Wie viel einfacher ist es denn, Herr Schulz, gegenüber den letzten Wahlen und der vertrackten Regierungsbildung, die damals in die gestrigen Neuwahlen ja mündeten? Wie viel einfacher ist es jetzt, eine Regierung zu bilden?

    Schulz: Ja, jetzt gibt es eine klare Mehrheit für diese beiden Parteien. Beim letzten Mal hätten es die beiden Parteien alleine nicht geschafft. Jetzt haben sie genug Stimmen und Sitze, um eine gemeinsame Regierung auch ohne dritte Koalitionspartner zu bilden, und das ist die Grundvoraussetzung. Sie haben eine Mehrheit an Sitzen, um, wie gesagt, das Verfahren vom Grundsatz zu bejahen, das erst vor wenigen Wochen vereinbart worden ist; und auf der Grundlage dieses Verfahrens wird man sicher darüber reden müssen, wo es Erleichterungen geben muss, wo man übrigens auch nachbessern muss, und das ist sicher mit einer Regierung, die sich vom Grundsatz her zu diesem Verfahren bekennt, einfacher als mit einer Regierung, die sagt, Nein, wir kündigen dieses Verfahren auf und wollen alles neu verhandeln.

    Klein: Da kommen wir gleich noch drauf, Herr Schulz. – Neuwahlen schließen Sie zum jetzigen Zeitpunkt also aus und die Tatsache, dass wir uns in eineinhalb Monaten an der gleichen Stelle befinden, wie wir schon mal waren?

    Schulz: Ja. Sofern ich das beurteilen kann, schließe ich das aus. Ich glaube, dass es zu einer Regierungsbildung noch in dieser Woche kommen wird. Der Staatspräsident Papoulias wird heute oder morgen alle Parteiführer konsultieren und ich bin sicher, dass wir im Verlauf der Woche eine einigermaßen stabile Regierung haben werden. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass es eine Drei-Parteien-Regierung wird. Es gibt noch eine weitere kleine Linkspartei, geführt von Herrn Kouvelis, den ich nebenbei bemerkt für einen der ganz herausragenden, wenn auch weniger bekannten Politiker des Landes halte, und ich mir persönlich wünschen würde, wenn der Mitglied der Regierung wäre.

    Klein: Sprechen wir über das, was an Nachverhandlungen möglich wäre, denn auch die hat die Nea Dimokratia ja gefordert. Aus Deutschland hört man schon, Stefan Detjen deutete es auch gerade noch mal an, auf der Zeitachse könne man nachverhandeln. Was genau kann da verhandelt werden jetzt?

    Schulz: Es gibt Zahlungsverpflichtungen bei der Rückzahlung von Krediten, von denen jeder weiß, dass der Staat sie nicht leisten kann, sich jedenfalls nicht leisten kann in den vorgesehenen Zeiträumen. Bis Oktober, glaube ich, müssen größere Rückzahlungen erfolgen, von denen absehbar ist, dass bis dahin das Geld nicht da ist. Von daher gehe ich davon aus, dass über die Zeitschiene wird verhandelt werden müssen. Es gibt ein paar Bereiche, in denen Privatisierungen zum Beispiel in diesen Vertrag reingeschrieben worden sind, die man auch in der Kürze der Zeit nicht erreichen wird, weil es keine Investoren gibt, keine Interessenten gibt für bestimmte Privatisierungssektoren. Nehmen Sie zum Beispiel die Elektrizitätswirtschaft, da ist erst vor wenigen Wochen RWE wieder ausgestiegen aus einem Prozess des sich Einkaufens. Also da wird man reden müssen. Das sind ja nicht die Gesetzestafeln des Moses, die in Stein gemeißelt sind, sondern man muss diesen Prozess so dynamisch gestalten, dass das Ziel, das man erreichen will, nämlich Griechenland wettbewerbsfähiger zu machen und die Schulden abbaubar zu machen – dazu gehört übrigens auch, dass man noch mal über die Zinshöhen diskutiert -, wenn man das Ziel erreichen will, muss man es nicht erzwingen, sondern man muss es intelligent mit Strategien unterlegen, um es erreichbar zu machen.

    Klein: Es sind nicht die Gesetzestafeln des Moses, sagen Sie. Dennoch gilt ja auch heutzutage noch eigentlich pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten. Abgesehen von der Zeitachse und dem, was Sie gerade angedeutet haben, sind aber auch aus Ihrer Sicht keine weiteren Verhandlungen möglich, weil man sich eben an Vereinbarungen halten muss, auch vonseiten der Griechen?

    Schulz: Ja, da bin ich absolut Ihrer Meinung. Das war auch das, was ich eben gesagt habe. Ich will das deshalb auch noch mal klar wiederholen. Der Unterschied zwischen Samaras und Cipras lag vor allen Dingen darin, dass der Herr Cipras gesagt hat, das ist für mich kein Vertragswerk, an das ich mich gebunden fühle, ich werde es außer Kraft setzen. Und die Gefahr, die darin begründet lag, war, dass dann eben in der Europäischen Union andere Länder auch sagen, okay, wenn ihr aus dem Vertrag ausscheidet, dann scheiden wir auch aus und dann gibt es halt kein Geld mehr, dann fließt aus dem 130 Milliarden Hilfspaket kein Geld mehr, dann wäre der Staatsbankrott Griechenlands relativ schnell absehbar gewesen. Umgekehrt die neue Regierung wird wahrscheinlich sagen, wir stehen zu unseren Verpflichtungen, bitten euch aber, mit uns darüber zu reden, wie wir das Erreichen der in diesen Verpflichtungen beschriebenen Ziele mit weniger Druck realisieren können, und ich glaube, das ist eine Forderung, auf die man eingehen kann, wenn ein Vertragspartner sagt, der Vertrag gilt vom Grundsatz, weil dann verhandelt man miteinander, während Herr Cipras Bedingungen gestellt hätte, also Griechenland sagt, wenn ihr wollt, dass wir in der Euro-Zone bleiben, dann müsst ihr dies und jenes tun. Eigentlich ist es so, dass die Euro-Zone sagt, wenn ihr mit uns zusammen eine Währung haben wollt, dann müsst ihr euch an eure Verträge halten. Das ist schon ein gravierender Unterschied.

    Klein: Bleiben wir noch mal kurz beim Stichwort Geld. Wir haben es gerade gehört: Die EU-Haushaltskassen sind offenbar ganz gut gefüllt. Gehen Sie davon aus, dass weitere Mittel von dort lockergemacht werden können, oder müssen da erst noch mal strukturelle Veränderungen auf europäischer Ebene erfolgen, um eine bessere Ausgabenpolitik, eine sinnvollere zu gewährleisten?

    Schulz: Ich habe das eben auch gehört. Ihr Kollege in Berlin hat gesagt, die EU-Haushaltskassen sind prall gefüllt. Das ist schön, das hört sich schön an. Ich würde mir vor allen Dingen wünschen, dass die Regierungen der EU-Länder, auch die deutsche Regierung sich daran hält, dass es auch weiterhin so bleibt. Die wollen den EU-Haushalt nämlich zusammenstreichen. Zurzeit gibt es Reserven im EU-Haushalt, nicht abgerufene Mittel. Um mal Klartext zu reden: Das sind nicht abgerufene Mittel, die nur aus Griechenland nicht abgerufen worden sind, sondern insgesamt in den Strukturfonds der EU lagern, so ungefähr 15 bis 20 Milliarden Euro, die aus den verschiedensten Staaten nicht abgerufen worden sind, und aus diesem Geld könnte man für Griechenland kurzfristige Programme finanzieren.

    Ich will mal einen Punkt nennen, von dem ich glaube, dass er fast der wichtigste ist. Wenn Sie mit griechischen Unternehmern im Lande reden über mögliche Investitionen, die die dort vornehmen könnten, sagen die Ihnen eine Menge von Projekten, sagen aber immer eins dazu: Wir bekommen keine Kredite. Wir würden das machen, wir könnten auch Arbeit schaffen, aber die Banken geben uns kein Geld. Deshalb glaube ich, aus diesen Strukturfonds-Mitteln ein Mikrokreditprogramm für mittlere und kleinere Unternehmen aufzulegen, die dann unmittelbar und sofort auch in die Infrastruktur, in die Solarenergie, in die Abfallwirtschaft investieren können. Das sind zum Beispiel Bereiche, wo es in Griechenland Chancen gibt und wo es massiv hapert. Das wäre ein Schritt, den man, glaube ich, ganz kurzfristig mit europäischen Geldern realisieren könnte.

    Klein: Auf der anderen Seite, Herr Schulz, nach zweieinhalb Jahren Euro-Rettung sieht man natürlich auch, dass die Philosophie, mit der man reingegangen ist, eben doch nicht aufgeht, also immer noch ein bisschen mehr Geld, noch ein Kredit. Das hat sich doch eigentlich erledigt, wenn man sich das Ergebnis ansieht, dass eigentlich eine strukturelle Solvierung dieser Euro-Krise nicht erreicht werden konnte.

    Schulz: Ich teile da Ihre Auffassung nicht ganz. Die Philosophie war ja nicht noch ein Kredit und noch ein Kredit, sondern die Philosophie war zunächst mal überhaupt kein Geld. Das war der Anfang. Wenn Sie sich erinnern: Ganz am Anfang der Krise war die Philosophie, die sollten sich selbst helfen. Das hat dann nicht funktioniert und dann kam eine lange Zeit, wo es ausschließlich ums Sparen ging, Sparen, Sparen, Sparen, die Haushalte müssen gekürzt werden. Das gilt nicht nur für Griechenland, auch für Spanien und Portugal. Das Ergebnis des einseitigen Sparens ist Stagnation in der Wirtschaft. Erst jetzt, seit wenigen Tagen eigentlich, reden auch deutsche Regierungspolitiker, gestern Herr Westerwelle, in auffälliger Weise über Investieren und Wachstum. Seit zwei Jahren war aber die Diskussion nicht etwa Sparen und Wachstum, sondern ausschließlich Sparen, dann kommt Wachstum von selbst, und genau diese Philosophie hat sich als falsch erwiesen.

    Schulz: Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, bei uns heute Morgen hier im Deutschlandfunk zum Wahlausgang in Griechenland gestern. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Schulz, und auf Wiederhören.

    Schulz: Ich danke Ihnen, Frau Klein.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.