Christian Schütte: Dass die Union Prozentpunkte verloren hat, das war keine Überraschung. Schließlich hatten die Unionsparteien das gute Abschneiden 2004 auch der Zerstrittenheit der regierenden SPD und der Aufregung um die Agenda 2010 damals zu verdanken. Überraschend schon dagegen, dass die SPD auch fünf Jahre später ihr schlechtes Ergebnis wiederholt hat, sogar noch einmal, wenn auch geringfügig, Stimmen verloren hat.
Am Telefon begrüße ich Franz Müntefering, den Parteichef der Sozialdemokraten. Guten Morgen, Herr Müntefering.
Franz Müntefering: Guten Morgen, Herr Schütte. Ich grüße Sie!
Schütte: In den eigenen Reihen gestern noch Rätselraten, warum die SPD so schlecht abgeschnitten hat. Herr Müntefering, jetzt wo Sie eine, wenn auch vielleicht kurze Nacht darüber geschlafen haben, wie erklären Sie uns das?
Müntefering: Das liegt im Wesentlichen an der Wahlbeteiligung, glaube ich. Wir haben es offensichtlich nicht geschafft und die Wähler haben es nicht aufgenommen, dass Europa ganz wichtig ist für das, was wir im nationalen Bereich zu entscheiden haben. 43 Prozent Wahlbeteiligung oder so ähnlich - bei der letzten Bundestagswahl waren es 78 Prozent, also ein Unterschied von 35 Prozent -, da steckt die Chance und dafür werden wir weiter kämpfen.
Schütte: Bleiben wir einmal bei der Frage nach den Ursachen. Für die Zerstrittenheit damals, 2004, wir erinnern uns an die internen Debatten um die Agenda 2010, um den Reformkurs unter Schröder, für diese Zerstrittenheit hat die SPD damals die Quittung bekommen. Wofür konkret die Quittung diesmal?
Müntefering: Das ist damals so interpretiert worden. Man wird jetzt sich noch mal angucken müssen, was in der letzten Woche passiert ist. Vor einer Woche hatten wir noch Zahlen, die waren noch deutlich besser. Das zeigt auch, wie labil die Umfrageergebnisse sind. Ich glaube, es hängt im Wesentlichen daran - das ist ja europaweit so -, dass die Sozialdemokraten in Europa es bisher nicht hinbekommen haben, zusammen mit der Arbeiterbewegung den Menschen klar zu machen, Europa muss ökonomisch erfolgreich, ökologisch vernünftig, sozial aber auch stabil sein. Da gibt es noch eine Diskrepanz. Die Menschen glauben noch nicht so daran, dass die soziale Gerechtigkeit in Europa gesucht werden muss, aber sie muss auch da funktionieren, sonst geht es national nicht.
Schütte: Sie bringen Europa ins Spiel. Jetzt aber noch mal Hand auf das sozialdemokratische Herz: Den Tiefstand von 2004 noch unterboten, dass das mit der Bundespolitik vor den Wahlen im September und mit dem Kanzlerkandidaten Steinmeier gar nichts zu tun hat, das kann man in der SPD doch auch nicht glauben?
Müntefering: Ja, gut, aber da bleibt ja noch eine Zeit - 111 Tage sind es bis zur Bundestagswahl -, das umzukehren, und dafür werden wir werben. Ich bin auch sicher, dass das ein harter Wahlkampf sein wird. Entschieden ist überhaupt nichts zur Bundestagswahl. Wir haben gestern gehofft, wir schießen ein Anschlusstor. Das haben wir nicht geschafft. Wir liegen jetzt noch ein bisschen zurück, das wissen wir, aber das Spiel ist auch noch nicht zu Ende und das wird sich zeigen in den nächsten Wochen und Monaten.
Schütte: Wie wollen Sie die Wähler denn konkret mobilisieren? Der Slogan "wir retten Opel", der hat ja schon mal nicht funktioniert.
Müntefering: Das wissen wir nicht. Das kann man gar nicht sagen. Ich glaube, dass die Arbeit der entscheidende Punkt ist, der im Mittelpunkt der Politik stehen muss, Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze sichern, denn es wird ja in den nächsten Wochen weitergehen mit der Last aus der Finanzkrise, die die Marktradikalen uns zelebriert haben, und da wird das Vertrauen der Menschen sich auf die richten, die am stärksten Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze sichern. Wenn es die Sozialdemokraten in der Bundesregierung nicht gegeben hätte, dann wäre Opel kaputt gegangen, und das wird man noch verdeutlichen können und verdeutlichen müssen. Ich bin sicher, wir haben die Mehrheit der Menschen auf unserer Seite, wenn es darum geht, hier im Sinne sozialer Gerechtigkeit Arbeit zu schaffen und zu sichern.
Schütte: Aber warum hat diese Botschaft, wir kämpfen um Arbeitsplätze, warum hat Ihnen das bei der Wahl niemand gedankt?
Müntefering: Ich glaube, dass das eben mit der europäischen Ebene zu tun hat. Das ist etwas, was dann für die Bundestagswahl eine andere Bedeutung hat. Die Menschen haben den Zusammenhang zwischen dem, was Europa zu leisten hat, und dem, was wir hier auf nationaler Ebene zu tun haben, nicht hinreichend gesehen. Vielleicht haben sie sogar die Vermutung, dass das Unglück von außen kommt. Da gibt es sicher Besserungsbedarf, was die Information über die internationalen Zusammenhänge angeht, aber das sind alles Dinge, die man in der Analyse jetzt weiter aufarbeiten muss, auch was in der letzten Woche passiert ist, was die Dinge noch mal verschoben hat, und dann müssen wir uns konzentrieren auf das, was jetzt zu tun ist. Das kann man ziemlich deutlich erkennen.
Schütte: Wie geht es denn nun weiter mit Arcandor, wenn wir einmal in Deutschland bleiben? 473 Millionen Notkredit hat der Konzern bei der Bundesregierung beantragt. Wenn der abgelehnt wird, müsse Arcandor noch heute Insolvenz anmelden. Herr Müntefering, wofür sprechen Sie sich aus?
Müntefering: Das ist ja in den letzten Tagen schon lange und breit immer wieder diskutiert worden. Zunächst mal müssen die Eigentümer natürlich ran, das ist überhaupt keine Frage. Die haben die Verantwortung. Das sind diejenigen, die mit den Arbeitnehmern groß geworden sind, und die müssen ja auch versuchen zu stützen. Wir haben immer die Position vertreten, dass man versuchen muss, auch an dieser Stelle zu retten, was zu retten ist. Es gelingt nicht alles, aber nicht nur bei Arcandor, sondern auch in vielen anderen Fällen hat es ja Hilfe gegeben über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Von den Zahlen aus der letzten Woche, 600 Unternehmen, die geprüft worden sind, haben ungefähr 400 Unterstützung bekommen, große und kleine. Es ist nicht so hilfreich, dass diese Dinge in solcher Weise öffentlich behandelt werden und behandelt werden müssen und damit auch viele Untiefen erkennbar werden, aber wenn man helfen kann, muss man. Ob es in diesem konkreten Falle geht, da sind in den letzten Tagen viele Zweifel aufgetaucht, das ist wahr, aber wir kämpfen um jeden Meter.
Schütte: Das heißt also, Sie plädieren trotz der Zweifel dafür? Ja, Staatshilfe für Arcandor?
Müntefering: Ich habe Ihnen ja gerade gesagt, das kann man nicht im Parteihaus entscheiden, dazu ist man auch nicht intensiv genug in den Einzelberatungen drin. Was mich ärgert - und das ist bei den Konservativen doch an einigen Stellen durchgeblitzt -, es ist so eine leichte Art, zunächst mal festzustellen, dass man nicht helfen kann. Es geht nicht darum aufzuzählen, weshalb das Management schlecht war und was da alles falsch gemacht worden ist, sondern es geht darum, Bedingungen zu suchen, um Menschen zu helfen, um Arbeitsplätze zu sichern, und die Linie werden wir beibehalten, denn sie ist die richtige im Interesse der Menschen.
Schütte: Muss die Konsequenz aus dem Wahlergebnis nicht eher lauten "Finger weg von Staatshilfen für Konzerne", denn die Steuerzahler haben daran kein großes Interesse, wie sich bei der Wahl gezeigt hat?
Müntefering: Das ist eine schnelle Interpretation, die ich so nicht teile. Es ist ja auch ganz offensichtlich, dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung insgesamt mit einer Ausnahme diese Dinge gemeinsam beschlossen hat. Aber ich stehe auch dazu, dass es richtig ist, und manchmal gibt es Situationen, in denen man um seine Überzeugung kämpfen muss, auch wenn zurzeit nur ein Stück öffentlicher Meinung dagegen steht. Das werden wir sehen. Ich bin überzeugt, wir können die Menschen davon überzeugen, dass die Linie der Sozialdemokraten in dieser Bundesregierung richtig ist. Zur Bundestagswahl, da gibt es andere Bedingungen als jetzt für Europa und der Kampf ist da offen.
Schütte: Auch Frank-Walter Steinmeier, der Kanzlerkandidat, hat gesagt, er wird jetzt noch mehr kämpfen. Was muss er dabei besser machen?
Müntefering: Vor allen Dingen müssen wir alle dafür sorgen, dass die Menschen den Zusammenhang auch begreifen, um den es da geht, dass es im Augenblick darum geht, wenn die Hütte brennt, wie ich gesagt habe, weil die Finanzindustrie uns dieses angerichtet hat, dass wir da ein paar Dinge tun, nämlich erstens Arbeitsplätze sichern und zum Zweiten dafür sorgen, dass ein solches Desaster nicht noch mal passieren kann. Es wäre doch ein Witz der Geschichte, wenn die, die mit ihrer Methode, mit ihrer Philosophie, nämlich Markt über alles und ganz gleich welche soziale Komponenten sich damit verbinden, dass ausgerechnet die das Sagen bekommen in diesem Land. Schwarz/gelb darf es nicht schaffen im Herbst und dafür kämpfen wir und da gibt es eine ganze Menge gute Argumente, die uns helfen werden.
Schütte: Herr Müntefering, noch einmal zu Europa. Die SPD hat nicht nur ein schlechtes Ergebnis eingefahren, sondern hat jetzt offenbar auch schlechtere Karten, einen Kommissar nach Brüssel zu schicken. Stellt also die Union künftig die Nachfolge von Günter Verheugen in Brüssel?
Müntefering: Nein. Die Sache ist offen. Es gab dazu keine Vereinbarung in dieser Koalition zu Beginn und insofern ist die Entscheidung offen. Wir haben den Anspruch gestellt, dass Martin Schulz deutscher Kommissar in Europa werden soll, die Nachfolge von Günter Verheugen für den Industriebereich oder Wettbewerbsbereich. Es ist aber wohl angesichts der Lage in Europa so, dass die letzte Entscheidung in diesem Herbst fallen wird. Ich glaube, dass nach der Bundestagswahl entschieden wird. Die Frage, wer Kommissar wird in den Ländern, das wird ja jeweils von den nationalen Regierungen entschieden, das ergibt sich nicht unmittelbar aus dieser Wahl, und deshalb: Die Forderung von uns bleibt, weil wir dazu beitragen möchten, dass es dort eine soziale und demokratische Politik für Europa gibt.
Schütte: SPD-Chef Franz Müntefering im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank!
Müntefering: Bitte schön, Herr Schütte.
Am Telefon begrüße ich Franz Müntefering, den Parteichef der Sozialdemokraten. Guten Morgen, Herr Müntefering.
Franz Müntefering: Guten Morgen, Herr Schütte. Ich grüße Sie!
Schütte: In den eigenen Reihen gestern noch Rätselraten, warum die SPD so schlecht abgeschnitten hat. Herr Müntefering, jetzt wo Sie eine, wenn auch vielleicht kurze Nacht darüber geschlafen haben, wie erklären Sie uns das?
Müntefering: Das liegt im Wesentlichen an der Wahlbeteiligung, glaube ich. Wir haben es offensichtlich nicht geschafft und die Wähler haben es nicht aufgenommen, dass Europa ganz wichtig ist für das, was wir im nationalen Bereich zu entscheiden haben. 43 Prozent Wahlbeteiligung oder so ähnlich - bei der letzten Bundestagswahl waren es 78 Prozent, also ein Unterschied von 35 Prozent -, da steckt die Chance und dafür werden wir weiter kämpfen.
Schütte: Bleiben wir einmal bei der Frage nach den Ursachen. Für die Zerstrittenheit damals, 2004, wir erinnern uns an die internen Debatten um die Agenda 2010, um den Reformkurs unter Schröder, für diese Zerstrittenheit hat die SPD damals die Quittung bekommen. Wofür konkret die Quittung diesmal?
Müntefering: Das ist damals so interpretiert worden. Man wird jetzt sich noch mal angucken müssen, was in der letzten Woche passiert ist. Vor einer Woche hatten wir noch Zahlen, die waren noch deutlich besser. Das zeigt auch, wie labil die Umfrageergebnisse sind. Ich glaube, es hängt im Wesentlichen daran - das ist ja europaweit so -, dass die Sozialdemokraten in Europa es bisher nicht hinbekommen haben, zusammen mit der Arbeiterbewegung den Menschen klar zu machen, Europa muss ökonomisch erfolgreich, ökologisch vernünftig, sozial aber auch stabil sein. Da gibt es noch eine Diskrepanz. Die Menschen glauben noch nicht so daran, dass die soziale Gerechtigkeit in Europa gesucht werden muss, aber sie muss auch da funktionieren, sonst geht es national nicht.
Schütte: Sie bringen Europa ins Spiel. Jetzt aber noch mal Hand auf das sozialdemokratische Herz: Den Tiefstand von 2004 noch unterboten, dass das mit der Bundespolitik vor den Wahlen im September und mit dem Kanzlerkandidaten Steinmeier gar nichts zu tun hat, das kann man in der SPD doch auch nicht glauben?
Müntefering: Ja, gut, aber da bleibt ja noch eine Zeit - 111 Tage sind es bis zur Bundestagswahl -, das umzukehren, und dafür werden wir werben. Ich bin auch sicher, dass das ein harter Wahlkampf sein wird. Entschieden ist überhaupt nichts zur Bundestagswahl. Wir haben gestern gehofft, wir schießen ein Anschlusstor. Das haben wir nicht geschafft. Wir liegen jetzt noch ein bisschen zurück, das wissen wir, aber das Spiel ist auch noch nicht zu Ende und das wird sich zeigen in den nächsten Wochen und Monaten.
Schütte: Wie wollen Sie die Wähler denn konkret mobilisieren? Der Slogan "wir retten Opel", der hat ja schon mal nicht funktioniert.
Müntefering: Das wissen wir nicht. Das kann man gar nicht sagen. Ich glaube, dass die Arbeit der entscheidende Punkt ist, der im Mittelpunkt der Politik stehen muss, Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze sichern, denn es wird ja in den nächsten Wochen weitergehen mit der Last aus der Finanzkrise, die die Marktradikalen uns zelebriert haben, und da wird das Vertrauen der Menschen sich auf die richten, die am stärksten Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze sichern. Wenn es die Sozialdemokraten in der Bundesregierung nicht gegeben hätte, dann wäre Opel kaputt gegangen, und das wird man noch verdeutlichen können und verdeutlichen müssen. Ich bin sicher, wir haben die Mehrheit der Menschen auf unserer Seite, wenn es darum geht, hier im Sinne sozialer Gerechtigkeit Arbeit zu schaffen und zu sichern.
Schütte: Aber warum hat diese Botschaft, wir kämpfen um Arbeitsplätze, warum hat Ihnen das bei der Wahl niemand gedankt?
Müntefering: Ich glaube, dass das eben mit der europäischen Ebene zu tun hat. Das ist etwas, was dann für die Bundestagswahl eine andere Bedeutung hat. Die Menschen haben den Zusammenhang zwischen dem, was Europa zu leisten hat, und dem, was wir hier auf nationaler Ebene zu tun haben, nicht hinreichend gesehen. Vielleicht haben sie sogar die Vermutung, dass das Unglück von außen kommt. Da gibt es sicher Besserungsbedarf, was die Information über die internationalen Zusammenhänge angeht, aber das sind alles Dinge, die man in der Analyse jetzt weiter aufarbeiten muss, auch was in der letzten Woche passiert ist, was die Dinge noch mal verschoben hat, und dann müssen wir uns konzentrieren auf das, was jetzt zu tun ist. Das kann man ziemlich deutlich erkennen.
Schütte: Wie geht es denn nun weiter mit Arcandor, wenn wir einmal in Deutschland bleiben? 473 Millionen Notkredit hat der Konzern bei der Bundesregierung beantragt. Wenn der abgelehnt wird, müsse Arcandor noch heute Insolvenz anmelden. Herr Müntefering, wofür sprechen Sie sich aus?
Müntefering: Das ist ja in den letzten Tagen schon lange und breit immer wieder diskutiert worden. Zunächst mal müssen die Eigentümer natürlich ran, das ist überhaupt keine Frage. Die haben die Verantwortung. Das sind diejenigen, die mit den Arbeitnehmern groß geworden sind, und die müssen ja auch versuchen zu stützen. Wir haben immer die Position vertreten, dass man versuchen muss, auch an dieser Stelle zu retten, was zu retten ist. Es gelingt nicht alles, aber nicht nur bei Arcandor, sondern auch in vielen anderen Fällen hat es ja Hilfe gegeben über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Von den Zahlen aus der letzten Woche, 600 Unternehmen, die geprüft worden sind, haben ungefähr 400 Unterstützung bekommen, große und kleine. Es ist nicht so hilfreich, dass diese Dinge in solcher Weise öffentlich behandelt werden und behandelt werden müssen und damit auch viele Untiefen erkennbar werden, aber wenn man helfen kann, muss man. Ob es in diesem konkreten Falle geht, da sind in den letzten Tagen viele Zweifel aufgetaucht, das ist wahr, aber wir kämpfen um jeden Meter.
Schütte: Das heißt also, Sie plädieren trotz der Zweifel dafür? Ja, Staatshilfe für Arcandor?
Müntefering: Ich habe Ihnen ja gerade gesagt, das kann man nicht im Parteihaus entscheiden, dazu ist man auch nicht intensiv genug in den Einzelberatungen drin. Was mich ärgert - und das ist bei den Konservativen doch an einigen Stellen durchgeblitzt -, es ist so eine leichte Art, zunächst mal festzustellen, dass man nicht helfen kann. Es geht nicht darum aufzuzählen, weshalb das Management schlecht war und was da alles falsch gemacht worden ist, sondern es geht darum, Bedingungen zu suchen, um Menschen zu helfen, um Arbeitsplätze zu sichern, und die Linie werden wir beibehalten, denn sie ist die richtige im Interesse der Menschen.
Schütte: Muss die Konsequenz aus dem Wahlergebnis nicht eher lauten "Finger weg von Staatshilfen für Konzerne", denn die Steuerzahler haben daran kein großes Interesse, wie sich bei der Wahl gezeigt hat?
Müntefering: Das ist eine schnelle Interpretation, die ich so nicht teile. Es ist ja auch ganz offensichtlich, dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung insgesamt mit einer Ausnahme diese Dinge gemeinsam beschlossen hat. Aber ich stehe auch dazu, dass es richtig ist, und manchmal gibt es Situationen, in denen man um seine Überzeugung kämpfen muss, auch wenn zurzeit nur ein Stück öffentlicher Meinung dagegen steht. Das werden wir sehen. Ich bin überzeugt, wir können die Menschen davon überzeugen, dass die Linie der Sozialdemokraten in dieser Bundesregierung richtig ist. Zur Bundestagswahl, da gibt es andere Bedingungen als jetzt für Europa und der Kampf ist da offen.
Schütte: Auch Frank-Walter Steinmeier, der Kanzlerkandidat, hat gesagt, er wird jetzt noch mehr kämpfen. Was muss er dabei besser machen?
Müntefering: Vor allen Dingen müssen wir alle dafür sorgen, dass die Menschen den Zusammenhang auch begreifen, um den es da geht, dass es im Augenblick darum geht, wenn die Hütte brennt, wie ich gesagt habe, weil die Finanzindustrie uns dieses angerichtet hat, dass wir da ein paar Dinge tun, nämlich erstens Arbeitsplätze sichern und zum Zweiten dafür sorgen, dass ein solches Desaster nicht noch mal passieren kann. Es wäre doch ein Witz der Geschichte, wenn die, die mit ihrer Methode, mit ihrer Philosophie, nämlich Markt über alles und ganz gleich welche soziale Komponenten sich damit verbinden, dass ausgerechnet die das Sagen bekommen in diesem Land. Schwarz/gelb darf es nicht schaffen im Herbst und dafür kämpfen wir und da gibt es eine ganze Menge gute Argumente, die uns helfen werden.
Schütte: Herr Müntefering, noch einmal zu Europa. Die SPD hat nicht nur ein schlechtes Ergebnis eingefahren, sondern hat jetzt offenbar auch schlechtere Karten, einen Kommissar nach Brüssel zu schicken. Stellt also die Union künftig die Nachfolge von Günter Verheugen in Brüssel?
Müntefering: Nein. Die Sache ist offen. Es gab dazu keine Vereinbarung in dieser Koalition zu Beginn und insofern ist die Entscheidung offen. Wir haben den Anspruch gestellt, dass Martin Schulz deutscher Kommissar in Europa werden soll, die Nachfolge von Günter Verheugen für den Industriebereich oder Wettbewerbsbereich. Es ist aber wohl angesichts der Lage in Europa so, dass die letzte Entscheidung in diesem Herbst fallen wird. Ich glaube, dass nach der Bundestagswahl entschieden wird. Die Frage, wer Kommissar wird in den Ländern, das wird ja jeweils von den nationalen Regierungen entschieden, das ergibt sich nicht unmittelbar aus dieser Wahl, und deshalb: Die Forderung von uns bleibt, weil wir dazu beitragen möchten, dass es dort eine soziale und demokratische Politik für Europa gibt.
Schütte: SPD-Chef Franz Müntefering im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank!
Müntefering: Bitte schön, Herr Schütte.