Remme: Herr Riester, was erwarten Sie von dem heutigen Treffen?
Riester: Ich erwarte, dass der Dialog jetzt in einem wichtigen Bereich der Alterssicherung mit der Opposition beginnen kann und aus dem Dialog dann auch vernünftige Abschlüsse kommen, so dass wir die Rentenreform im Jahre 2000 zu Ende bringen können.
Remme: Warum sitzt die PDS nicht mit am Tisch?
Riester: Es gab ein Gespräch zwischen Kanzler Schröder und Oppositionsführer Schäuble. Unser Interesse war, die CDU mit aufzunehmen. Das Interesse der CDU war, die FDP mit einzubeziehen. Ganz offensichtlich gibt es so etwas wie eine Koalition in der Opposition. Aber ihr Interesse war nicht, die PDS einzuführen. Da wir das Interesse haben, mit der CDU diese Frage zu klären, akzeptieren wir die FDP, aber es ist nicht erforderlich, dass die PDS mitarbeitet.
Remme: Sagt Schäuble oder sagen Sie?
Riester: Sagt Schäuble!
Remme: Das heißt Sie bedauern eigentlich, dass die PDS nicht mit am Tisch sitzt?
Riester: Nein, ich bedauere das nicht, sondern ich möchte, dass wir mit der großen Volkspartei CDU diese Frage der zukünftigen Rentensicherung durchsprechen und dann im Parlament auch entscheiden. Das ist mein Ziel. Darüber Hinaus habe ich keine Ziele. Es geht wirklich darum, dass wir für die Bevölkerung die Absicherung des Rentensystems hinbekommen. Da brauchen wir keinen zusätzlichen Konflikt.
Remme: Sie haben im vergangenen Jahr, Herr Riester, viel Kritik einstecken müssen: nicht nur von seiten der Opposition, auch aus den eigenen Reihen. Sehen Sie das selbstkritisch? Gibt es Dinge, die Sie so nicht wieder tun würden?
Riester: Die Dinge, die die ganze Rentenreform betreffen - wir haben ja einen großen Teil schon abgearbeitet -, würde ich alle wieder tun, weil das ganz wichtig ist. Schauen Sie, wir haben die Rentenversicherung von allen versicherungsfremden Leistungen entlastet. Das sind im nächsten Jahr 25 Milliarden Entlastung. Damit ist es uns gelungen, den Rentenversicherungsbeitrag abzusenken. Wir haben jetzt in neun Monaten ab dem 01. Januar nächsten Jahres ein Prozent Rentenversicherungsbeitrag abgesenkt, und das bedeutet Entlastungen für die Beschäftigten von sieben Milliarden und für die Betriebe von sieben Milliarden. Schneller ging das noch nie. Das sind ganz wichtige Schritte, und die nächsten Schritte werden wir jetzt gemeinsam, hoffe ich, mit der Opposition angehen.
Remme: Das Thema ist ja komplex und es hilft möglicherweise nicht sehr viel, wenn wir jetzt mit Prozentzahlen um uns werfen. Jetzt aber mal grundsätzlich gefragt: Egal ob freiwillig, obligatorisch, kapitalgedeckt, umlagefinanziert, werden wir in Zukunft deutlich mehr für unsere Altersversorgung bezahlen müssen als in der Vergangenheit?
Riester: Eindeutig ja! Viele Menschen machen das jetzt auch. Es geht darum, das zu verbreitern und den Menschen, die eben geringe Verdienste haben, die Chancen zu geben, dass sie zusätzliche Rücklagen machen können. Dafür haben wir erste Überlegungen eingebracht, dass wir beispielsweise die vermögenswirksamen Leistungen aufstocken und umwandeln, so dass man Altersvorsorge machen kann. Es ist ja gerade wichtig, dass die Menschen mit geringen Verdiensten die Chancen bekommen, ähnliche zusätzliche Rücklagen zu bilden wie andere.
Remme: Bleiben Sie bei Ihrem Vorschlag, eine private Zusatzversorgung zur Pflicht zu machen?
Riester: Das ist nicht nur mein Vorschlag, sondern die Koalitionsfraktion hat beschlossen, sie freiwillig zu machen. Wir unternehmen im Moment alles - Sie wissen, dass wir auch mit den Tarifvertragsparteien sprechen -, dass wir tariflich entsprechende Vorleistungen erbringen können. Erst wenn das alles nicht möglich ist, dann muß man sich breit erneut darüber unterhalten, ob man dieses als verbindliche Eigenvorsorge einführen muß, aber an dem Punkt stehen wir nicht. Im Moment, denke ich, ist die Mehrheit eindeutig der Meinung, wir sollten den Versuch unternehmen, dieses auf freiwilliger Basis zu entwickeln.
Remme: Macht es Ihnen denn Sorge, dass mit einer zusätzlichen privaten Vorsorge die paritätisch finanzierte Vorsorge zu Lasten der Versicherten aufgegeben wird?
Riester: Die wird nicht aufgegeben. Die Eigenvorsorge war noch nie paritätisch finanziert. Das ist eine mich manchmal merkwürdig anmutende Diskussion. Eigenvorsorge, die man betrieben hat und die viele, viele Menschen, ich denke 70 Prozent der Bevölkerung jetzt und in der Vergangenheit schon betrieben haben, war noch nie paritätisch finanziert.
Remme: Nein, das habe ich auch nicht gesagt. Ich sagte nur, dass mit einer zusätzlichen privaten Vorsorge, wenn dieser Sektor also verstärkt wird, der paritätisch finanzierte Teil geringer wird.
Riester: Er wird dadurch nicht geringer, sondern die Rentenversicherung bleibt paritätisch finanziert, und zwar nicht geringer finanziert. Wir haben zwar den Beitrag jetzt abgesenkt, aber wir konnten ihn deswegen absenken, weil wir die Ökosteuermittel eindeutig dafür verwendet haben, den Beitrag abzusenken und zu stabilisieren. Nur dadurch hat sich der Beitrag verringert.
Remme: Kommen wir auf das Rentenniveau zu sprechen. Die Bundesbank hat in ihrem Dezember-Bericht eine Reform angemahnt, ein Absenken des Niveaus gefordert. Der DGB sagt, mit 67 Prozent sei jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht. Was ist Ihre Meinung?
Riester: Ich teile diese Meinung. Wir erreichen die 67 Prozent durch die nächsten beiden Jahre, indem wir die Renten zwar anheben, aber eben im Rahmen der Preissteigerung anheben, und wir werden dann die Renten entsprechend der Nettoentwicklung der Löhne und Gehälter laufend anpassen und dieses Niveau halten. Es ist zu halten - wir haben das auch durchgerechnet - bis zum Jahr 2030. Wir sind dann in einer sehr, sehr stabilen Entwicklung und man kann erstmals davon sprechen, dass die Renten gesichert sind, und zwar langfristig gesichert sind, und auch bezahlbar sind. Man muß ja beide Aspekte sehen. Deswegen haben wir den Rentenversicherungsbeitrag abgegsenkt. Wir werden ihn zum 01. 01. Des Jahres 2001 nochmals absenken können, und dann stabilisieren wir den Rentenversicherungsbeitrag.
Remme: Wenn wir auf die Wünsche der Union schauen, halten Sie es dann für möglich, einen demographischen Faktor, wie ihn Norbert Blüm einst formulierte und den die Union gerne wiedersehen würde, in eine Konsenslösung einzubinden?
Riester: Ich halte ihn nicht mehr für erforderlich, weil die ganzen Vorleistungen jetzt gemacht sind. Das war ja ein schwieriger Prozeß in diesem Jahr. Sie haben das ja schon angesprochen. Er ist aber erledigt und wir haben jetzt neue Aufgaben vor uns. Wir bekommen die Stabilisierung des Rentenversicherungssystems hin und können dann erstmals wirklich guten Gewissens sagen, den Rentnern sagen: die Rente ist sicher, auch das Rentenniveau ist sicher, die Standardrente ist abgesichert. Wir können den Beitragszahlern sagen, dass die Absenkung des Rentenversicherungsbeitrages zu einer Entlastung der Lohnnebenkosten geführt hat.
Remme: Die Forderung der IG Metall nach einer Rente mit 60, Herr Riester, stößt nicht nur bei den Arbeitgebern auf Widerstand, sondern auch bei der Opposition, bei anderen Gewerkschaften, ja selbst bei vor allem jüngeren IG-Metall-Gewerkschaftern. Sind Sie vom Sinn dieser Initiative überzeugt?
Riester: Erst einmal muß man deutlich machen, dass sie nichts mit der Rentenreform zu tun hat, sondern eher eine Frage der nächsten Tarifpolitik ist. Die entscheiden zuerst einmal die Tarifvertragsparteien. In zweiter Frage kommt dann erst der Punkt, ob der Gesetzgeber einen solchen tariflichen Schritt unterstützen soll. Diese Frage wird am kommenden Donnerstag dem 23. Dezember im Bündnis für Arbeit nochmals besprochen und dann hoffe ich auch positiv entschieden.
Remme: Dennoch die Frage an den Bundesarbeitsminister: Ist diese Idee sinnvoll?
Riester: Die Idee ist absolut sinnvoll, denn wir werden in den nächsten Jahren eine Heraufsetzung des Rentenzugangsalters haben. Im Jahr 2004 haben sowohl Männer als auch Frauen den Rentenzugang bei 65, und für diejenigen, die früher ausscheiden wollen oder müssen, kommen Rentenabschläge. Es geht darum, diese Rentenabschläge durch tarifliche Zuschüsse zu mindern oder ganz auszugleichen. Das halte ich für eine sehr, sehr sinnvolle Sache.
Remme: Ist sie auch gerecht?
Riester: Sie ist auch gerecht. Wir haben sie auch jetzt. Wir haben jetzt ein durchschnittliches Rentenzugangsalter, was viele Menschen gar nicht wissen, von 59,7 Jahren, weil viele Menschen gezwungen sind, über Arbeitslosigkeit oder über Erwerbsunfähigkeit früher in Rente zu gehen.
Remme: Aber diejenigen, die das bezahlen, werden nicht in den Genuß kommen?
Riester: Die können auch in den Genuß kommen. Das ist nur eine Frage, wie der Tarifvertrag gestaltet wird: ob er abgeschlossen wird in zwei oder in fünf Jahren oder ob er weiterwirkt. Das ist aber eine Frage der Tarifvertragsparteien, und in dieser Frage - da habe ich ja meine Kanäle auch zu den Tarifvertragsparteien - ist sehr viel im Plus. Ich kann mir vorstellen, dass es eine sehr attraktive Gestaltung gibt, aber wie gesagt, das ist Frage der Tarifvertragsparteien.
Remme: Macht es Sinn, wie der DGB jetzt gefordert hat, die Tarifpartner an den Konsensgesprächen zu beteiligen?
Riester: Sie werden beteiligt sein, wie sie in der Vergangenheit im übrigen auch beteiligt waren. Wir machen immer wieder Rückkoppelungen auch mit den Tarifvertragsparteien, im übrigen auch mit den großen anderen Verbänden wie VDK oder Reichsbund. Wir sind natürlich laufend in Gesprächen mit dem Rentenversicherer. Der Dialog mit den anderen gesellschaftlichen Gruppen, die die Rentenfrage mit vertreten, der wird unmittelbar aufrecht erhalten. Sie sind zwar nicht direkt in einer Arbeitsgruppe des Parlaments vertreten - das war auch in der Vergangenheit nicht so -, aber es wird laufend Rückkoppelung und Rücksprache mit diesen Gruppen gemacht.
Remme: Aber genau das hat der DGB jetzt gefordert. Er will mit an den Tisch.
Riester: Na ja, der DGB wird nicht an diesem Tisch sein, aber er wird laufend eingeladen sein. Es geht ja darum, die Meinung auch einer großen Organisation wie des DGBs einzubeziehen. Man muß aber immer noch unterscheiden: im Parlament entscheiden die gewählten Parlamentarier. Jetzt geht es im Moment darum, dass die gewählten Parlamentarier, Regierung und Opposition, gemeinsam beraten, wie die Rentenreform gemacht wird.
Remme: Das war Walter Riester, der Bundesarbeitsminister von der SPD. - Ich bedanke mich für das Gespräch!